Es ist schon so eine Sache mit Symphony X. Diese recht junge Band von der Ostküste der USA (bestehend seit 1994, was im Bereich des klassischen Metal durchaus noch als „jung“ bezeichnet werden kann…) zieht seit Anbeginn der Zeit ihr Ding durch, ohne sich dabei durch Dinge wie unerwartete, riskante und teilweise schädliche Stiländerungen (à la Metallica und Dream Theater), einschneidende Line Up-Wechsel (à la Iced Earth oder Helloween) oder gar handfeste Skandale unfreiwillig selber ins Licht oder ins Aus zu rücken. Wenn man boshaft wäre, könnte man sie als langweilig und spießig bezeichnen…
Sie arbeiten eher unauffällig vor sich hin, liefern durchgehend hochklassige Ware ab und züchten sich auf diese Weise eine stetig wachsende Gemeinde an loyalen Fans heran. Musikalisch gesehen verfolgen sie konsequent ihren Weg und schaffen es dennoch, ihrem Stil von Album zu Album jeweils eine weitere Facette hinzufügen, um interessant zu bleiben, jedoch ohne ihre Hörer durch allzu gewagte Experimente und Schwenks in der Ausrichtung zu vergraulen.
Die Band zeichnete sich schon in ihren Anfangstagen dadurch aus, absolut rundes und ausgereiftes Material zu produzieren, was zeigt, wie genau die 5 Herren wissen, was sie am besten können, ein Attribut, mit dem sich nicht viele Newcomer-Bands schmücken können. Ihre stetig steigende Formkurve flacht auch mit Album Nr. 3, „The Divine Wings of Tragedy“, um kein Grad ab, im Gegenteil, man erhält all das, was man an Symphony X so schätzt, und zwar nochmals ein Level höher als auf dem Vorgängeralbum „The Damnation Game“. Nach wie vor wird Fantasy-Speed Metal klassischer Machart serviert, allerdings dürften auch Fans von Breaks und Überlänge, also Prog Metal-Anhänger, auf ihre Kosten kommen. Der progressive Faktor in der Musik von Symphony X besteht jedoch keineswegs aus einem extremen Hang zu Überlänge, nicht mehr nachvollziehbaren Breaks und Songaufbauten und instrumentalen Ausschweifungen. Alles bleibt schön überschaubar, lediglich einige gemäßigte instrumentale Kabinettstückchen sorgen für dieses kleine anspruchsvolle Element, das ich an Musik sehr schätze. Die Speed Metal-Fans schätzen die Power und Eingängigkeit der Songs, die gesunde Portion Bombast, die schlüssigen Songstrukturen und die mitreißenden Vocals, während Proggies von geschickt eingestreuten Frickel-Eskapaden und einigen Mammut-Songs bei der Stange gehalten werden. Ein solch breites musikalisches Spektrum können meiner Meinung nach nur die wenigsten Bands für sich beanspruchen ( Fates Warning zum Beispiel… ).
Die neun Songs das Albums stammen alle aus der Feder von Gitarrist und Bandleader Michael Romeo und Keyboarder Mike Pinnella, mit gelegentlicher Schützenhilfe von Bassist Thomas Miller, während Sänger Sir Russell Allen für die oftmals durch Fantasy und Mythologie geprägten Lyrics verantwortlich zeichnet. Die Länge der Songs schwankt zwischen dreieinhalb und fast einunzwanzig Minuten, wobei nur zwei Songs wirklich als überlang durchgehen, während die stilistische Bandbreite alles zwischen geradlinigen Speed-Brettern, vielschichtigen, haarklein ausgearbeiteten Epen und pathetischen Balladen alles abdeckt, was sich ein Fan dieses Genres wünscht.
Frontmann Russell Allen passt seinen Gesang stets dem Sound des Songs an, pendelnd zwischen dynamischem Power Metal-Shouting, ruhigen harmonischen Tönen und selten auch leicht destruktivem Gekreische. Auf jeden Fall ist er immer mit großen Engagement bei der Sache, was man an der Energie seiner Vocals deutlich merkt. Meiner Meinung nach gebührt ihm ohne Zweifel ein Platz unter den besten Metal-Vocalists, direkt neben Eric Adams und Hansi Kürsch. Bandkopf und Yngwie-Fan Michael Romeo tut sich vor allem durch seine unvergleichlichen Shred-Riffs hervor, immer hart, messerscharf und präzise gespielt und teilweise recht vertrackt. Seine eher melodischen und weniger metallisch-übertriebenen Soli fügen sich dennoch wunderbar ins Gesamtbild ein, besonders die obligatorischen Soloduelle mit Keyboarder Mike Pinnella sind immer wieder ein Ereignis.
Pinnella, der aufgrund seines Stils oft mit Extrem-Frickler Valerij Kuprij verglichen wird, trägt während der Strophen und Refrains mit atmosphärischen, zumeist neo-klassischen Klängen zum Geschehen bei, während der Instrumentalpassagen schlägt jedoch seine große Stunde. Dort liefert er dann rasend schnelle Soli ab, die manchmal klingen wie von einer Gitarre gespielt und manchmal erkennbar Keyboard-Sounds sind. Sehr guter Mann!
Über Bassist Thomas Miller fallen mir nicht genug Lobpreisungen ein, handelt es sich bei ihm schließlich um meinen unbestrittenen Lieblingsbasser. Er gibt den Songs durch sein Instrument nicht nur das nötige Volumen, wie bei Power- und Speed Metal üblich, sondern fällt dann und wann auch mal, wie es sich für einen Prog-Bassisten geziemt, durch völlig abgefahrene, fast Funk-artige Frickel-Eskapaden auf, die mich immer wieder in Erstaunen versetzen. Zu guter letzt, Drummer Jason Rullo, der sich mit seinen Bandkollegen auf eine Stufe stellen kann, was Talent anbelangt. Recht virtuos und variabel knüppelt er sich allerfeinst durch die 65 Minuten Musik und sorgt so neben Thomas Millers Bass für den nötigen Drive.
So geschehen zum Beispiel im recht geradlinigen und harten Speed-Opener „Of Sins and Shadows“, der das Album eröffnet, wie ein Speed Metal-Album eröffnet werden muss: einfach und mitreißend, was hier besonders Jason Rullos Doublebass-lastigem Gepolter anzurechnen ist. Auch erwähnenswert, wie eigentlich bei den meisten Songs von Symphony X, ist der interessante Anfang, bei dem sich in gewissen Abständen die Instrumente hintereinander einschalten. Definitiv ein gelungener Start.
Auf diesen Einstieg folgt dann „Sea of Lies“, welches etwas weniger lang und etwas weniger schnell und hart ist als der Opener, dafür aber mit extrem coolem Bass-Geschwurbel am Anfang und immer wieder zwischendurch sowie einigen schönen Akustik / Keyboard-Intermezzi aufwarten kann. Der kurze, flott-verspielte Appetithappen „Out of the Ashes“ kommt dann wieder etwas direkter und schneller daher und bietet an einigen Stellen mehrstimmigen Chorgesang.
Nach diesem unkomplizierten Dreierpack am Anfang folgt dann mit „The Accolade“ (Spielzeit von knapp 10 Minuten) der erste größere Track des Albums. Symphony X haben offensichtlich erkannt, was für einen tollen Track sie mit „The Edge of Forever“ auf dem letzten Longplayer abgeliefert haben, denn dieses Lied schlägt haargenau in die selbe Kerbe: man bekommt eine wunderschöne, epische Hymne über das harte Los eines Kreuzritters auf seiner Reise vorgesetzt. Trotz der gewohnt harten Gitarrenriffs gewinnt der Song durch balladeske, ausgedehnte Passagen mit Streichinstrumenten und Klavier (alles Keyboard, versteht sich) und wunderschöne Vocals eine wirklich magische Stimmung. Diese Art von Song ist wohl die, mit der man den Stil von Symphony X am besten umschreiben kann, und ist auch auf jedem Album mit mindestens einem Song vertreten. Schön so. :-)
„Pharaoh“ bildet den Mittelpunkt des Albums, hier wird wieder merklich härter zugeschlagen, des weiteren wird auch in Sachen Anspruch angezogen. Michael Romeos Riffs dominieren hier absolut das Geschehen, doch auch Thomas Millers geniales Bassgefrickel blitzt immer wieder dazwischen hervor, während Mike Pinnella wieder etwas stärker in den Hintergrund tritt und diesmal lediglich Sphärenklänge zur Untermalung beisteuert. Der Song ist insgesamt nicht so harmonisch und melodisch wie die vorhergehenden, aber genauso interessant und gut.
Mit „The Eyes of Medusa“ folgt dann einer meiner Lieblingstracks von Symphony X. Sehr hart und direkt, mit kreischenden Riffs und aggressivem Gesang ausstaffiert, und bietet außerdem nach einem angetäuschten Songschluss noch einen Bombast-Einschub, nach dem es in gewohnt harter Manier weitergeht.
Im nächsten Song, dem barocken „The Witching Hour“, kann Mike Pinnella wieder ungeniert seinem Hang zu neo-klassischem Keyboardgeklimper fröhnen. Sir Russell Allen packt einige wirklich bemerkenswerte Vocals im Stil einer Opernsängerin (!!!) dazu, alles verpackt in ein schnelles Doppelbass-Gewand.
Nach diesen zwei vergleichsweise simplen Songs kommt es dann aber wirklich knüppeldick: Mit dem Titelstück „The Divine Wings of Tragedy“ folgt Symphony X´s mit Abstand längster und ambitioniertester Song, bestehend aus sieben zusammenhängenden Teilen, mit einer Dauer von überwältigenden 20:41 Minuten! Textlich dreht sich dieses Werk um das Lieblingsthema der Band, nämlich Entstehung und Untergang der Welt, die Taten der Menschen und das Paradies, das sie am Ende erwartet oder auch nicht. Der Song beginnt mit mehrstimmigen Chorälen, gefolgt von einem recht harten Instrumental. Die Teile 3 und 4 sind zwei relativ relaxte Symphony X-Stücke, von denen das erste ruhig, im Stil von „The Accolade“, das zweite wiederum schon wesentlich härter und weniger harmonisch ist. Das Herzstück des Song ist Teil 5, „The Prophet´s Cry“, überaus hart und destruktiv für Symphony X. Teil 6 ist erneut ein Instrumental, dieses Mal allerdings recht ungewöhnlich, von zahlreichen Breaks durchsetzt und ganz von scharfen Riffs, seltsamen Keyboards und extremem Bassgefrickel getragen. Zum Ende hin werden wieder versöhnlichere und optimistischere Töne angeschlagen. Die Geschichte endet da, wo sie begonnen hat, mit der Symphony X-typischen Botschaft, dass die Menschen trotz ihrer Greueltaten das endgültige Paradies doch noch erreichen können, wenn sie es nur wollen. Ein absoluter Monster-Song!
Zum guten Schluss folgt noch die Vollblut-Ballade „Candlelight Fantasia“. Die Gitarren-Riffs sind balladentypisch eher zaghaft und langsam, Bass, Keyboard ( die hintergründigen Keyboardläufe in der Strophen sind klasse! ) und Gesang spielen hier einer sehr viel wichtigere Rolle. Eine schöner Song, der leider nach dem absolut dominanten Titelstück beinahe untergeht, aber dennoch ein gelungener Schlusspunkt unter dieses nahezu perfekte Album.
Fazit: Ganz klar mein Lieblingsalbum von Symphony X! Jedes ihrer Alben überzeugt durch absolut gelungene Songs und stilistische Ausgewogenheit, welche auch hier durch Stücke verschiedener Länge, Balladen und Speed-Hämmer, unkompliziert-flotte und ultra-epische Songs mehr als zufriedenstellend gegeben ist. Als zusätzlicher und vielleicht entscheidender Pluspunkt fällt für mich noch die gesteigerte Härte, die durch die messerscharfe Produktion noch deutlicher wird, ins Gewicht. Als geringfügig unglücklich empfinde ich allerdings die Plazierung der Songs auf dem Album. Die 4 komplexen Songs des Albums ( 4, 5, 8 und 9 ) hätten mehr verteilt werden müssen, um den Gesamteindruck etwas aufzulockern, außerdem hätte das Titelstück definitiv den Abschluss des Albums bilden müssen. Da dieser kleine Störfaktor allerdings der einzige Kritikpunkt an diesem ansonsten schlichtweg übermenschlichen Album bleibt, gibt es auch das hochverdiente Rating. Die Höchstnote möchte ich Symphony X allerdings noch verwehren, da ich, in Anbetracht des Talents dieser Combo, jederzeit mit einem noch besseren Output rechnen muss.
Wertung: 9.5 / 10