Griechenland spart. Am Weihnachtsgeld wurde gespart, an Gehältern von Beamten sowie an Renten und Pensionen. Auch NIGHTFALL betreiben Sparpolitik: Auf ein Zusammenfinden der Band zur Aufnahme des neuen Albums wurde, wohl aufgrund der nicht unerheblichen Distanz zwischen den einzelnen Bandmitgliedern und den damit verbundenen Reisekosten, einfach verzichtet. Somit fanden die Aufnahmen von Gesang und Keyboardspiel in Griechenland, die Aufnahmen der Gitarren in den Vereinigten Staaten und die Produktion des Schlagzeugs in Jörg Ukens Soundlodge in Deutschland statt.
Der Titel der Scheibe ist gut gewählt, betrachtet man die Historie der Band und ihre stilistische Fortentwicklung von Black über Gothic und Symphonic bis hin zu Melodic Death Metal: Denn die griechische Göttin „Cassiopeia“ war hier namensgebend und ruft Assoziationen mit der Schildkröte von Mr. Hora aus Michael Endes „Momo“, die eine halbe Stunde in die Zukunft blicken, aber ihre Einblicke nicht teilen kann, hervor. Ähnlich wie Cassiopeia geht es mir als Rezensentin nach Genuss dieses knapp fünfzigminütigen Werkes. Großartig überraschen oder überrumpeln tut es den Hörer zwar nicht, vielmehr wird der Stilwandel von NIGHTFALL hier fortgesetzt und die Band bewegt sich ferner ihres Gründungssounds denn je. Progressiver ist man in jedem Fall geworden, klare Songstrukturen sind zunehmend seltener zu erkennen und eine stilistische Einordnung der gebotenen Musik fällt zunächst einmal schwer. Nicht ganz dem Bild der Schildkröte entsprechend haben NIGHTFALL im Vergleich zu den vorherigen Alben an Geschwindigkeit gewonnen, was den Gesang, aber insbesondere die Drum- und Gitarrenarbeit betrifft. Bretterndes Schlagzeug und hartes Growling treiben den Hörer partiell in Richtung Todesmetall, während schnelle Gitarrensoli eher in Richtung Classical Heavy Metal weisen. Immer wieder auftauchendes Keyboardspiel, welches mal melodisch („Akhenaton, The 9th Pharaoh Of The 18th Dynasty“), mal eher pseudodramatisch („Hybris“) und an der Grenze des Verkraftbaren daherkommt (hier hätte man besser etwas gespart), erinnert an alte Gothic-Wurzeln. Auch so die melodischen, mit ruhiger und rauchiger Stimme vorgetragenen Gesangspassagen, die oftmals als Refrain fungieren. Technisch verzehrter Gesang wie zu Beginn von „The Reptile Gods“ verleiht dem Werk Modernität und sorgt für Frische. Doch leider ist die Musik auch hier allzu progressiv geraten und das schnelle und zeitgleiche Gitarren-, Keyboard-, und Schlagzeugspiel wirkt zu heftig und zehrt zeitweilig an den Nerven. Auch das folgende, ebenfalls durch seine Progressivität glänzende „Hyperion“ strapaziert diese, aufgrund ebenjener dramatisch treibenden Passagen. Die Instrumente sind hier meiner Meinung nach nicht gut arrangiert, die Devise „möglichst viel Verschiedenes in möglichst großer Geschwindigkeit auf einmal“ tut der Melodik und Stimmigkeit früherer Werke Abbruch.
Lyrisch bewegen sich NIGHTFALL auf „Cassiopeia“ mit „Phateon“, „Hubris“ und „The Reptile Gods“ in der Mythologie Griechenlands, wobei sie mit „Akhenaton, The 9th Pharaoh Of The 18th Dynasty“ einen Abstecher ins nicht allzu weit entfernte Ägypten wagen und sich mit „Oberon & Titania“, „Stellar Parallax“ und „Astropolis“ den weit entfernten Sternen widmen. Auch Archimedes logarithmische Sandrechnung zur Berechnung der Größe des Universums kommt zur Sprache. Folglich ist hier also im Gesamten eine klare Wende zur Astrologie zu verzeichnen, was ja auch wiederum zum Titel (bezieht man ihn auf die hellseherisch begabte Schildkröte) passt und durch die dieses Mal recht schlichte Äußerlichkeit der Scheibe unterstrichen wird: Lediglich der Ausschnitt eines Mondes ziert den dunkelblauen Hintergrund.
Die Abkehr von der Melodie und die deutliche Zunahme an Härte mögen wohl von jedem anders aufgenommen werden. Ich finde diesen Schritt weniger gelungen. Ebenfalls vermissen lässt „Cassiopeia“ Melodien und Refrains, die hängenbleiben. Höchstens „The Nightwatch“ sowie „Stellar Parallax“ (wobei bei letzterem die schlechte englische Aussprache im Refrain zu kritisieren ist) mögen dieses Kriterium ansatzweise erfüllen, wirkliche Ohrwürmer wie beispielsweise den Uralt-Hit „Lesbian Show“ sucht man hier aber leider vergeblich. Ebenfalls ist zu bemerken, dass das Werk, zum Ende hin laufend verschachtelter wird, was zugegebenermaßen auch nicht jedermanns Sache ist. Ebenjene mal mehr und mal weniger verschnörkelte Komplexität und das Fehlen von wirklich starken Refrains machen die Platte wirklich schwer zugänglich, auf der anderen Seite weist es eine nie zuvor dagewesene, unglaubliche Vielfalt an Zwischenspielen und Soli auf. Langeweile bleibt somit fern. Allerdings wird nur, wer Melodic Death Metal und Progressive Metal gleichermaßen liebt, wirklich Gefallen an „Cassiopeia“ finden.
Wertung: 5 / 10