Konzertbericht: Casper w/ Ahzumjot

09.03.2012 München, TonHalle

Dass Metal1.info auch gerne mal über die Genre-Grenzen des Metal lugt, dürfte für Stammleser unseres Magazins seit der Einführung der „entmetallisiert“-Rubrik im Jahr 2008 nichts Überraschendes mehr sein. Auch der ein oder andere Konzertbericht, der absolut nichts mit Metal zu tun hatte, fand seitdem bereits seinen Weg auf unsere Seite – sei es nun Ska oder Deutschrock. Sich an ein Hip-Hop-Konzert zu wagen, mag in den Augen des ein oder anderen Lesers vielleicht dennoch etwas weit gehen – erst recht, wenn es sich dabei um einen im Mainstream derart gehypeten Künstler wie CASPER handelt. Umso besser, finden wir – denn vielleicht bringt man so ja den ein oder anderen dazu, selbst einmal Künstlern eine Chance zu geben, die man vorher allein des Genres wegen, welches sie traditionell bedienen, mit Verachtung gestraft hätte.
[Moritz Grütz]

Beim Schreiben seines Songs „Die letzte Gang der Stadt“ konnte sich Benjamin Griffey a.k.a. CASPER noch nicht darüber bewusst sein, dass ihm seine eigene Textzeile von vielen seiner Kritiken später um die Ohren gehauen werden würde: „Zu viele Scheiß-Bands, zu viel Hype.“ Die überall sichtbare Begeisterung und eben der ‚Hype‘ brach mit der Veröffentlichung seines zweiten Albums „XOXO“ im Juli vergangenen Jahres aus, welches direkt auf Platz 1 der Charts schoß. Die bisherigen Konzertlocations wurden auf der anstehenden Tour zu klein und 1000er Hallen platzen aus allen Nähten.
Nach seinem Besuch beim on3-Festival war es nun mit ein wenig Verspätung soweit, und CASPER besuchte die bayrische Landeshauptstadt. Die ursprünglich gebuchte Muffathalle konnte dem Andrang der Fans bereits im Vorfeld nicht genügen, weswegen das Konzert in der deutlich größeren TonHalle stattfand – selbige ebenfalls bereits Monate vorher ausverkauft.
Der Blick auf die Karte kündigte den Einlass bereits um 18.00, den Konzertbeginn um 19.00 an – beim Betreten der Halle manifestiert sich der Eindruck, dass diese ungewöhnlich frühen Zeiten auf das Alter des Publikums zurückzuführen ist: Das Hip-Hop-Publikum von früher ist nur vereinzelt zugegen, auch haben sich nur überraschend wenige Alternativ-Fans in den Münchner Kunstpark verirrt – statt den auch von den Texten angesprochen Mittzwanzigern dominiert ein deutlich jüngeres, vornehmlich weibliches Publikum – und im hinteren Teil der Halle deren Eltern. Dass dieses sich hauptsächlich aus sogenannten „Wooo-Girls“ zusammensetzt, sollte sich im Verlauf des Abends noch als überaus anstrengend für die Gehörgänge herausstellen.


In den nächsten Minuten füllt sich die Halle zusehends und mit leichter Verspätung ist es schließlich um kurz nach 19.00 Uhr soweit: Das Licht erlischt, die Kreisch-Lautstärke nimmt beängstigende Züge an. Nachdem der nächste Hype in den Hip-Hop-Startlöchern, der Rapper Cro, kurzfristig (über facebook, wie Casper später zu recht etwas verstimmt schildert) seinen Support-Slot abgesagt hatte, um sein Album fertig zu stellen, spring kurzfristig der ebenfalls mit ordentlich Vorschusslorbeeren ausgestattete AHZUMJOT ein.
Im Vergleich zu den eher durch Bandsound geprägten neueren Casper-Songs ist AHZUMJOTs Stil deutlicher an klassischeren Hip-Hop-Sounds orientiert: Fett produzierte Beats aus DancePop-Versatzstücken treffen auf seine melancholische, etwas vernuschelte Stimme und intelligente Texte – zumindest auf CD. Was im Kopf der Soundmischer in der TonHalle vorgeht als AHZUMJOT gemeinsam mit einem weiteren Rapper die Bühne entert, bleibt wohl für immer sein Geheimnis.
Während A’s Mikrofon viel viel viel zu leise abgenommen ist und seine Stimme nur zur Geltung kommt, sobald er ins Mikro schreit, ist das seines Bühnenpartners überproportional laut. Zu allem Überfluss tönt die Musik keinen Deut besser abgemischt aus den Boxen, ganz im Gegenteil: Der Sound ist quasi nicht zu hören, zum einen wegen nicht vorhandener Höhen, zum anderen auf Grund der minimalen Lautstärke, welche wiederum beim Einsetzen des völlig übersteuerten und breiigen Bass-Sounds zu einem einzigen Dröhnen mutiert und jeden Gesangs-Versuch verschluckt. Trotz einer randvollen TonHalle erinnert der Sound an ein gekacheltes, halb leeres JUZ. In einer derartigen Location ist so eine grottenschlechte Abmischung beinahe eine herausragende Leistung.
Das Sound-Fiasko stellt sich insofern als besonders bedauerlich heraus, da die Songs von AHZUMJOT auf seinem Debüt-Album „Monty“ absolut zu begeistern wissen und die beiden auf der Bühne eine unglaublich Energie versprühen, so dass sie das Publikum von der ersten Sekunde an auf ihrer Seite haben: Es wird gebounct, gekreischt und gefeiert, als Stünde bereits Casper auf der Bühne. Die beiden Jungs sind selbst sichtlich angetan und grinsen das gesamte Konzert über wie kleine Kinder.
Beim Abschlusstrack „Sepia zu Gold“ werden die Beiden ohne Aufforderung lautstark vom mitsingenden Publikum unterstützt und anschließend jubelnd von der Bühne verabschiedet.
Doch alle Publikumssympathie vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass hier ein absolut hervorragender Künstler, von dem man in der Zukunft sicher noch so einiges hören wird, zumindest heute Abend vom Soundmann vernichtet wurde – schade, da wäre mit gutem Sound deutlich mehr drin gewesen!

Die Halle füllt sich in der folgenden, halbstündigen Umbaupause noch weiter an – wie auch immer das möglich ist. Um kurz nach 20 Uhr ist es schließlich soweit und das durch die Hallenboxen gejagte „Fix You“ von Coldplay bricht nach merklicher Lautstärke-Steigerung auf seinem Höhepunkt mit dem Verlöschen des Hallenlichts abrupt ab. Der Lärmpegel in der TonHalle nimmt ungeahnte Ausmaße an und schwillt sogar noch weiter an, als die ersten Töne des „XOXO“-Openers „Der Druck steigt“ erklingen und die Bandmitglieder mit Wolfsmasken die Bühne entern. Der Lärm ist allerdings nichts gegen die Kreischorgie, welche mit dem Erscheinen des ebenfalls mit Wolfsgesicht maskierten Benjamin Griffey einhergeht – schlimmer kann es bei Tokio Hotel eigentlich auch nicht zugehen.


Was nun folgt, ist eine Demonstration eines mitreißenden Live-Auftritts: Das Publikum brüllt jede einzelne Silbe lautstark mit, der Sound ist zwar leider (aus Rücksicht auf die zarten Kinderohren?) eklatant zu leise, insgesamt aber perfekt abgemischt, und die Spielfreude der Band und von CASPER selbst kaum zu überbieten. Während der erste Song noch statisch auf der Bühne zelebriert wird, bricht beim zweiten Teil des Openers, „Blut sehen“, auf und vor der Bühne die Hölle los: CASPER springt und hetzt über die Bühne wie ein Irrer, das Publikum bounct, springt und jubelt. Anschließend kommt bereits der ältere Teil der Fans auf seine Kosten, als die ersten Töne von „Casper Bumayé“ vom Debüt-Album „Hin zur Sonne“ ertönen. Dass dieses seit Jahren vergriffen ist, spielt aber scheinbar keine Rolle: Auch bei den alten Songs kann das Publikum jede Textzeile offensichtlich im Schlaf mitbrüllen, was sich beim kollektiven „Erst wenn MTV wieder Musik spielt“-Chor auf beeindruckende Weise zeigt. Das breite Grinsen auf den Gesichtern der Band zeigt, dass auch CASPER und seine Jungs von der umwerfenden Stimmung begeistert sind. So nimmt sich dieser auch zwischen den Songs artig Zeit, seine Entertainer-Qualitäten unter Beweis zu stellen: „Hallo liebe Leute, und hallo auch an die Eltern im hinteren Teil der Halle!“ ist nur ein Ansage-Highlight unter vielen – wie auch der Moment, als ein weiblicher Fan zwischen zwei Songs so hysterisch kreischt, dass CAS nach einem entsetzten Blick ein durchaus ernst gemeint klingendes „Mach das bitte nie wieder!“ von sich gibt. Das Publikum zeigt sich, trotz der sichtbaren Konzertunerfahrenheit als absolut enthusiastisch und zu jeder Sekunde textsicher. Das Bouncen und Mitsingen wird von CASPER schließlich mit einem „Kool Savas wäre stolz auf euch“ kommentiert.
Der Höhepunkt des Abends liegt in der bewusst angezogenen Energie-Schraube in der Mitte des Sets, in welcher „Rock’n’Roll“ mit einer Wall Of Death gefeiert und das Indie-infizierte „Die letzte Gang der Stadt“ von einer komplett springenden Halle unterstützt wird – das daran anschließende Medley, bestehend aus „Nie auf“, „Guten Morgen, Herzinfarkt“ und „Mittelfinger hoch“ gerät schließlich zum absoluten Highlight des Abends – letzterer Song stellt in dieser Live-Version mit tausenden Mittelfingern in der Luft und aggressivem Shouting auf der Bühne ein Paradebeispiel für modernen deutschen Hip Hop dar – obwohl der Song auch schon wieder ein paar Jahre auf dem Buckel hat.


Insgesamt besteht das Set aus überraschend vielen alten und eher unbekannteren Songs, was CASPER auch bewusst insofern anspricht, als dass es ihm wichtig ist, nicht nur das „bekannte“ Album live zu spielen, sondern auch den alten Fans Danke zu sagen. Eine mutige, schöne Geste, welche vom Publikum enthusiastisch aufgenommen wird.
Doch auch die melancholischen Momente des Abends sind einfach nur beeindruckend: Sei es das packende „Alaska“, vor welchem CAS die Menge bittet auf hochgehaltene Handys zu verzichten und einfach den Moment zu genießen, das bedrückende „Michael X“, das mit geballter Faust vorgetragene „Grizzly Lied“ oder die Zugabe „Kontrolle/Schlaf“: Genau so geht Gänsehaut. Ein paar wenige Mitklatscher im Publikum sehen ihren unnötigen Fehler bei diesen Songs relativ schnell ein und beschränken sich auf das, was das Münchner Publikum heute abend sowieso am besten kann: Mitsingen. Den Schlussstrich unter den Abend zieht das wohl bekannteste Lied des Künstlers, „So perfekt“, zu welchem schließlich auch Ahzumjot noch einmal die Bühne entern, bevor nach knapp 80 Minuten ein schwitzendes, glückliches Publikum in den noch jungen Abend entlassen wird.

CASPER beweist mit seinem München-Auftritt, dass der Hype um ihn nicht unbegründet ist: Mit einer seine Musik perfekt umsetzenden Band und frenetisch feiernden Fans im Rücken und seinem unglaublich sympathischen Auftreten ist er derzeit sicherlich eine der spannendsten Figuren der deutschsprachigen Musikszene. Man darf gespannt sein, wie sich der Rummel um seine Person weiter entwickelt, und in welche Richtung ein neues Album gehen wird.

Setlist CASPER:
Der Druck steigt
Blut sehen
Casper Bumayé
Auf und davon
XOXO
Unzerbrechlich
Alaska
Die letzte Gang der Stadt
Rock’n’Roll
Medley (Nie auf/Guten morgen Herzinfarkt/Mittelfinger hoch)
Lilablau
Hin zur Sonne
Kreis
Das Grizzly Lied
Michael X
—————–
Arlen Griffey (Prelude)
Kontrolle/Schlaf
So perfekt

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