Konzertbericht: Eisbrecher w/ Lord Of The Lost

2012-02-23 Backstage, München

Und jährlich grüßt der EISBRECHER. Könnte man zumindest in der bayerischen Landeshauptstadt meinen, denn seit einigen Jahren kehren Kapitän Alex (seit 2012 mit einem x) und seine Crew für mindestens ein Gastspiel in ihre Heimat zurück. Entsprechend war München auch Teil der aktuellen Kreuzfahrt des NDH-Flaggschiffs und seiner „Höllentour““. Ein ausverkauftes Haus gab es bereits einige Wochen vor der Veranstaltung im Backstage Werk zu vermelden und demnach waren die Vorzeichen bestens, zumal die Band von einer unplanmäßig längeren Tourpause kam. Das Konzert im Wien musste auf Grund eines Ammoniak-Unfalls im Nebengebäude kurzfristig gecancelt werden.

Nach einer kurzen, wortgewandten Begrüßung durch Alex Wesselsky eröffneten die Hamburger LORD OF THE LOST den Abend. Die wachsende Popularität der Nordlichter schien sich noch nicht ganz bis nach Bayern herumgesprochen zu haben, obwohl Sänger Chris „The Lord“ Harms nach eigener Aussage hier geboren ist und man das Quintett an gleicher Stelle bereits u.a. als Support von Mono Inc. zu sehen bekam. Die ersten Songs einschließlich des überaus gelungenen „Sex On Legs“ verpufften recht spurlos an den Anwesenden. Auffällig blieb hingegen die ungeheure Menge an Bühnennebel, die über den gesamten Auftritt verschossen wurde und für eine extrem schlechte Sicht sorgte. Beim erstklassigen Lady Gaga-Cover „Bad Romance“ erreichte der Saal schließlich erstmals sowas wie Betriebstemperatur.
LORD OF THE LOST verstanden es insgesamt bestens, sich selbst (und ihre Körper) zu inszenieren. Das wurde besonders bei einem Blick in die Gesichter der weiblichen Gäste deutlich, als die Klamotten an den Oberkörpern der Musikern weniger wurden und Sänger Chris vermehrt die Nähe seiner Fans suchte. Kompositorisch mischten sich hingegen auch einige Füller in die Setliste und den Sound hatte man im Backstage schon weit besser gehört. Warum zudem das stereotype Oktoberfest als Überleitung für Metalsongs dienen musste, wird ebenfalls ein Geheimnis der St. Paulianer bleiben. Oder wer hörte zuletzt Schlagzeug und E-Gitarren im Bierzelt?
Im zweiten Teil überzeugten musikalisch „Break Your Heart“ und der erfrischend andere LotL-Abschlusssong namens „Eure Siege“. Nach Aussage von Chris Harms zählt dieser zu einigen LORD OF THE LOST/Eisbrecher-Cokompositionen, die es nach und nach zu hören geben wird. Zwar klang die Stimme seiner Lordschaft auf Deutsch noch etwas ungewohnt, doch an der Melodieführung und Ausgestaltung des Songs wurde der Einfluss der Szenegrößen deutlich. Mittelfristig können die Newcomer davon nur profitieren.

Warum dem so ist, das bewiesen EISBRECHER in ihrer rund zweistündigen Show. Überraschend wenig fußte die aktuelle Tour auf dem neuesten Erfolgsalbum „Die Hölle muss warten“. Zwar läutete „Exzess Express“ den Auftritt mit neuem Material und im bekannten Rammstein-Stil ein, doch bereits danach entführten das ironische „Willkommen im Nichts“ und das sehr eindringliche „Angst“ unter großem Zuspruch in ältere Zeiten. Bei Zweiterem klaute Sänger Alex spontan einem Fotografen seine Digitalkamera, nur um ihn selbst damit abzulichten. Insgesamt haben sich EISBRECHER trotz wachsenden Erfolgs erfreulich wenig verändert. Lediglich der Frontmann wirkte einige Kilo leichter als zuletzt, dafür nicht weniger stimmgewaltig und charmant. Ansonsten zeigten sich alle Musiker bei allerbester Stimmung und präsentierten sich auch mit Neuschlagzeuger Achim ungemein homogen. Von Starallüren und sonstigen Auswirkungen des Sony-Deals keine Spur.
Entsprechend feierten die Rocker nicht nur die neue Single „Verrückt“, sondern wahrten auch liebgewonnene Traditionen wie die kreisende Whiskey-Flasche bei „Leider“, die jedoch nicht ihren Weg zurück fand. Erstaunlich fließend wurde „Amok“ nebst Auf- und Abbau von vier Tonnen in die Hauptsetliste integriert. Ausgestattet mit Neondrumsticks prügelten die Musiker größtenteils synchron im dunklen Scheinwerferlicht auf ihre Unterlagen ein, ehe im darauf folgenden Schlagerblock sowohl die Bühne als auch die Zuschauermenge in die buntersten Farben gehüllt wurde. Ein Paradebeispiel aus der Rubrik: Wie fähige Lichttechniker ein ganzes Konzert aufwerten. Selbiges gilt für den exzellenten Sound, sowohl im Rock- als auch im Akustikblock. Bevor anschließend Alex und Jürgen auf ihren Hockern „Tränen lügen nicht“ und „Mir san a bayrische Band“ von der Spider Murphy Gang anstimmten, meinte der Sänger lapidar, dass viele Fans schon oft nach etwas Neuem in diesem Teil gefragt hätten, allerdings: „Dafür sind wir nicht kreativ genug.“

Doch alte Besen kehren gut, wie der Stimmungslevel im Backstage eindeutig belegte. Zur Belohnung gab es für Jürgen an der Akustikgitarre noch ein Küsschen auf den Mund, bevor es nach dem Übergangsschlager „Engel“ anschließend mit straighter deutscher Rockmusik weiterging. So wurde u.a. aus den besten Bestandteilen aller Anwesenden der „Prototyp“ gebaut. Anschließend würdigte Alex Wesselsky seinen kongenialen, langjährigen Weggefährten Noel Pix für „Vergissmeinnicht“ mit den Worten: „Es gibt Bach, es gibt Brahms…und es gibt Pix.“
Vielleicht etwas hochgegriffen, doch an einem Abend wie diesem zu verzeihen. Und wer nicht einverstanden war, konnte sich anschließend im Zugabenblock von Alex die Gerte reichen lassen, um ihm einen Klaps auf den Allerwertesten zu verpassen – und nicht auf den Rücken wie eine übereifrige Dame in der ersten Reihe. Mit „This is Deutsch“ (inkl. leicht aufgemotztem Sängeroutfit) bewiesen EISBRECHER erneut, dass sie nichts von ihrer ironisch-zynischen Art verloren haben. Und als ganz am Ende das obligatorische „Miststück“ in einer nicht zu langen Version absolut perfekt eingespielt wurde, hatte der EISBRECHER seinen Heimathafen wieder einmal vollends eingenommen.

Setlist:
01. Exzess Express
02. Willkommen im Nichts
03. Angst
04. Abgrund
05. Verrückt
06. Antikörper
07. Leider
08. Herz aus Eis
09. Amok
10. Schlager
11. Engel
12. Prototyp
13. Vergissmeinnicht

14. Schwarze Witwe
15. Heilig
16. This is Deutsch

17. Kann denn Liebe Sünde sein
18. Ohne Dich
19. Miststück

20. Die Hölle muss warten

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Publiziert am von und Uschi Joas

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