Konzertbericht: Blind Guardian w/ Steelwing

2010-10-06 Hamburg, Sporthalle

In vielerlei Hinsicht sind die Krefelder Metal-Barden von BLIND GUARDIAN etwas Besonderes. Wenngleich sich an ihren jüngeren Alben, die im guten Vierjahresrhythmus erscheinen, aufgrund der überbordenden Fülle an Arrangements ein wenig die Geister scheiden, so locken die nicht gerade alltäglichen Konzerte der Band stets enorme Mengen Volks aus den Löchern. So geschieht es auch diesen Herbstabend in Hamburg, als die Eingänge der Sporthalle um kurz nach acht Uhr gleich von zwei langen Schlangen verstopft werden. Nach ein wenig Geduld befindet man sich endlich im Foyer der nicht gerade für Metalkonzerte berühmten Location, wo man für recht „normale“ Preise (20 € / T-Shirt, schon mehrere Teile sind ausverkauft) Merch erwerben oder für 3,50 € / 0,5l die Kehle auf einen intensiven Abend vorbereiten kann.
Pünktlich um halb neun machen sich STEELWING als Vorband bereit. Die schwedischen Newcomer, die durch einen Rock The Nation-Bandwettbewerb Plattenvertrag und Supportslot ergattern konnten, machen grundsätzlich erstmal skeptisch. Nicht nur, dass die junge Truppe sich durch den gewaltigen Schub von Label und Tourmanagement das mühsame Hochkämpfen erspart, lässt Zweifel aufkommen, ob die Jungs den nötigen Biss haben. Vor allem aber das niedrige Durchschnittsalter der Gruppe zu einer Musik, die vor 25-30 Jahren so richtig angesagt war und nun im Begriff ist, eine Renaissance zu erleben, wirft die Frage auf, wie sehr die Burschen wirklich das machen, was sie wollen.
Solche Überlegungen spielen indes eine geringe Rolle, wenn es um die Funktion als Anheizer geht. Diese füllen STEELWING mindestens solide aus, wenn man sich auch weitaus passendere Vorbands vorstellen kann. Mit beinahe erschreckender Professionalität bringen die fünf Jungs ihren Old School-NWOBHM unter das Hamburger Volk, insbesondere Sänger Riley beeindruckt durch seine außergewöhnlich ausgeformte Stimme, während Gitarrist Robby Rockbag vor allem durch seine hässliche 80er-Frisur inklusive Pony „punkten“ kann. Das Publikum nimmt die Gruppe auf, wie sie soll, und die ein oder andere Matte kreist im großen Saal. Zum letzten Song „Roadkill (Or Be Killed)“ gelingt es den Schweden, die Meute ein wenig zum Mitsingen zu animieren. Zuvor hatte dies – das Debütalbum ist kein halbes Jahr alt – nicht recht geklappt.
Nach einer halben Stunde ist es damit genug, und eine weitere halbe Stunde der Ungeduld folgt. Spürbar steigt die Anspannung im Saal, bis endlich das Licht ausgeht und kurz darauf das Intro von „Sacred Worlds“ ertönt. Der Einmarsch der Guardians wird gebührend bejubelt, doch während des Openers des neuen Albums springt der Funke noch nicht recht über. Hansi und seine Jungs wissen jedoch Bescheid: Nach einer herzlichen Begrüßung gibt es mit „Welcome To Dying“ ordentliches Futter für alle alten Fans, von denen nicht gerade wenig den Weg gefunden haben. Hier zeigt Hamburg, was es kann, und singt ausgelassen jede Zeile mit.
Dieses Gefälle zwischen den Songs vor 2000 und danach soll sich auch im weiteren Verlauf bemerkbar machen. Vergleiche zwischen „Nightfall“ und „A Voice In The Dark“ oder „Valhalla“ und „Turn The Page“ machen deutlich, wo die Livequalitäten der „Gardinen“ stecken. Dass die jüngeren Titel nicht für die Bühne gemacht sind, gibt Hansi indirekt selbst zu, als er betont, dass es bei „Tanelorn“ jetzt schnell und schwierig für die Band würde. Etwas enttäuschend an der Songauswahl bleibt, dass es nur eine einzige Nummer vom 95er „Imaginations From The Other Side“ zu hören gibt. Wenn man die Metal-Barden jedoch schon das ein oder andere Mal live bewundern durfte, ist dies zu verschmerzen und angesichts der gewachsenen Diskografie auch ein unvermeidliches Problem.Große Überraschungen fehlen sonst – sieht man von einem fliegenden, aufgeblasenen Kondom im Zugabenblock ab. Die Bühnenshow wird ähnlich wie auf der letzten Tour von animierte Filmsequenzen begleitet, die mehr oder weniger den Inhalt der Songs unterlegen. Hansi ist im Gegensatz zu vier Jahren zuvor blendend aufgelegt und findet, wie man es kennt, die richtigen falschen Worte, wenn er St. Pauli vs. HSV-Vergleiche zieht oder ankündigt, man würde jetzt „in alten Gefilden schwelgen. Sagt man das so?“ Von dem mittlerweile obligatorischen „Valhalla“-Chor bis zum Erbrechen wirken er und die Gitarristen André und Marcus immer noch ehrlich beeindruckt. Hinsichtlich der Gesangsleistung gibt es bei den großen Balladen „Lord Of The Rings“ und „The Bard’s Song“, wo die Gänsehaut mal wieder bis unter die Decke zu spüren ist, und anderen Klassikern keinen Anlass zur Beschwerde. Dass bei jüngeren Stücken wie „Wheel Of Time“ hingegen bestenfalls der Refrain mitgesungen wird, verwundert ein wenig, kann aber vielleicht durch die hohe Komplexität der Nummern erklärt werden. Erfreulich ist, dass die orchestralen Elemente nur aufs Nötigste beschränkt vom Band kommen, das meiste am BLIND GUARDIAN-Sound bleibt echt.
Fast zwei Stunden begeistern die Routiniers das Publikum, bis sie sich unter tosendem Applaus und erneuten „Valhalla“- sowie „Guardian“-Chören verabschieden. Dass es lange noch dunkel bleibt, nährt Hoffnung auf einen zweiten Zugabenblock, aber dieser bleibt leider aus. Den ganz großen magischen Moment konnte man diesen Abend vielleicht nicht erleben, dennoch bleibt die „The Sacred Worlds And Songs Divine“-Tour in sehr guter Erinnerung.

Blind Guardian:
Sacred Worlds
Welcome To Dying
Nightfall
Fly
Time Stands Still (At The Iron Hill)
Traveller In Time
Tanelorn (Into The Void)
Valhalla
Lord Of The Rings
Turn The Page
A Voice In The Dark
Mirror Mirror
——————————————–
Punishment Divine
The Bard’s Song (In The Forest)
Wheel Of Time
Imaginations From The Other Side

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