Interview mit Oliver Palotai von Kamelot

KAMELOT sind ohne Zweifel eine der kreativsten Bands des symphonischen Power Metals. Wir trafen uns während der aktuellen Tour in der ehrwürdigen Hamburger Markthalle mit Keyboarder Oliver Palotai, der zwar etwas erschöpft wirkte, aber außerordentlich redefreudig und sympathisch Fragen beantwortete – zum neuen Album, dem Prozess des Songwriting, der Auswahl des neuen Sängers sowie zum Verbleib von Roy Khan. Lest selbst:


M1: Hallo Oliver, schön, dass du Zeit hast! Wie geht’s, wie läuft eure Tour?
Oliver Palotai: Wir sind sehr zufrieden, obwohl es ein paar kleinere Zwischenfälle gab – einmal ist uns z. B. der Reifen vom Bus explodiert. Aber davon ab sind wir sehr zufrieden. Diese Tour ist ja auch eine Premiere mit Tommy. Zwar sind die Festivals im Sommer schon sehr erfolgreich verlaufen und wir standen eigentlich immer mit einem breiten Grinsen auf der Bühne, weil es sich anfühlte, als ob wir schon seit Jahren zusammen unterwegs wären. Trotzdem ist diese Tour eine Bewährungsprobe und die läuft wunderbar.

KAMELOT ist eine Band, die sehr regelmäßig auf Tour geht. Zugleich seid ihr keine blutjunge Truppe mehr, die Hotelzimmer in Schutt und Asche legt. Stellt sich da eigentlich schnell eine Routine ein?
OP: Klar gibt es gewisse Eckpunkte, die immer gleich bleiben. Anderes läuft nie gleich: So ist die Mentalität ganz unterschiedlich, wenn man in Europa tourt. Eigentlich ist sie das schon in Deutschland – du kannst von extrem energetisch bis zu aufmerksam zuhörend alles erleben. Das hatten wir z. B. in den letzten Tagen: Vorgestern in Köln war das bisher beste Konzert der Tour, wohingegen in Geiselwind die Leute eher zugehört haben. Ich glaube, dass es denen trotzdem gefällt, es ist nur eine andere Art des Zuhörens.
Aber hinzu kommen noch andere Dinge, z. B. das Catering. Dann teilt man sich eine Dusche mit 30 Leuten, da muss man immer warten. Überhaupt ist es oft eine unglaubliche Zeitverschwendung auf Tour, Lücken, die man nur ganz schlecht füllen kann. Nach Routine fühlt es sich aber nie an.

Gibt es denn irgendwelche Orte, wo du besonders gerne spielst oder wo ihr als Band sagt: Oh, toll, jetzt geht es wieder nach Bochum oder so etwas?
OP: Ja, definitiv. Wir kennen bestimmte Venues und dann freut man sich Tage im Voraus schon drauf, weil man weiß, die Verpflegung ist gut, die Technik stimmt, die Techniker sind gut – denn manchmal stimmt die Technik, aber die Leute können nicht damit umgehen. Auch die sanitären Anlagen spielen eine große Rolle. Das hört sich jetzt sehr profan an, ist aber auf Tour unglaublich wichtig. Man freut sich auch auf bestimmte Länder, von denen man weiß, dass der Standard einfach höher ist.

Man hört ja immer viel über angeblich besonders laute Fans im Süden und eher stille im Norden. Würdest du das aus deiner eigenen Erfahrung bestätigen oder ist das alles nur Vorurteil?
OP: Es gibt schon ein gewisses Gefälle, wobei z. B. Köln dieses Mal alles geschlagen hat, inklusive der spanischen Konzerte. Das war einfach der Hammer und wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Aber auch die Hamburger Markthalle, noch auf der letzten Tour mit Roy [Khan, Sänger von 1997-2011, Anm. d. Red.], an das Konzert erinnere ich mich noch, das war echt der Hammer. Es ist aber immer auch so eine Sache. Bei den Südländern ist mir manchmal fast zu viel los – bei meinem Klaviersolo habe ich es gerne, wenn die Leute einfach mal zuhören und ich auch ruhige Phasen spielen kann. Das geht da unten oft nicht. Die versuchen dann bei jedem Takt mitzuklatschen, was bei einem Piano-Solo einfach Blödsinn ist. Nichtsdestotrotz ist es natürlich geil, dort unten mit so viel Energie überschüttet zu werden.

Ja, das letzte Konzert mit Roy hier war wirklich großartig, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Das bringt mich nun aber auch gleich zu dem nächsten Thema, über das ich mit dir sprechen wollte, nämlich der neue Sänger und Roys Ausstieg. Tommy Karevik hat zum ersten Mal auf eurem aktuellen Album „Silverthorn“ gesungen und mir ist dabei aufgefallen, dass seine Stimmlage erstaunlich nahe an der von Khan ist. Habt ihr gezielt jemanden gesucht, der das kann, oder war das eher ein Zufall?
OP: Wir haben ungefähr 800 Sänger geprüft, also Einsendungen und unsere eigene Suche bei Youtube. Dabei haben wir Kontakt mit Leuten aufgenommen, die niemals damit gerechnet hätten, weil sie aus ganz anderen Ecken kamen.
Dabei hatten wir keine klare Strategie, wir waren sowohl darauf vorbereitet, den KAMELOT-Dampfer in eine ganz andere Richtung zu lenken, als auch jemanden zu finden, der ganz nahe an Roys Stil ist. Wenn man Tommy von Seventh Wonder her kennt, weiß man aber auch, dass er ganz anders singen kann. Man muss also bedenken, dass unser Songwriting auch Einfluss darauf hat, was der Sänger nachher macht. Und es war auch klar, dass sich jeder neue Sänger in einem gewissen Grad auf Roy Khan beziehen würde. Aber: Wie wir Harmonien schreiben, wie wir Vocallines setzen und all diese Dinge, das hat ganz viel damit zu tun, wie ein Sänger klingt.
Jetzt mal ganz ehrlich: Es hat uns am Ende selbst überrascht, wie Tommy mit uns klingt. Aber man kann das nicht planen. Du kannst nicht sagen: Ich suche jetzt jemanden, der möglichst nahe an unserem alten Sänger dran ist.

Ihr wärt also auch bereit gewesen, einen Tim Owens oder jemanden aus seiner Stilecke aufzunehmen?
OP: Wir hatten zuletzt Leute in der engeren Auswahl, die ganz anders waren als Roy und das war auch cool. Am Ende geht es aber nicht nur um die Stimme, sondern auch darum, wie jemand Texte und Gesangslinien schreiben kann.

Wenn man bei Youtube ein x-beliebiges Video von euch anklickt, gibt es ja unten immer eine Kommentarleiste und dort schreiben dann zahllose Fans, Roy solle zurückkommen und bitte wieder singen – und das nicht, weil sie Tommy nicht mögen würden, sondern einfach, weil Roy eine so große Lücke hinterlassen hat. Viele fragen sich natürlich auch: Was macht Roy eigentlich im Moment? Immerhin kam sein Ausstieg für die Fans sehr abrupt.
OP: Der kam auch für uns völlig überraschend und hat uns kalt erwischt. Erst einmal aber zu den Kommentarfunktionen: Ich weiß nicht, welche du gelesen hast, aber ich weiß, dass es schon viel Negatives gab, bevor Tommy bestätigt wurde. Deshalb waren wir von vornherein auf einen richtigen Shitstorm gefasst. Und der ist ausgeblieben. Es gibt natürlich immer Hater und Leute, die sagen: „Das gefällt mir nicht und das akzeptiere ich nicht.“ Das muss auch nicht jeder und wir respektieren das. Aber wir hatten mit viel mehr negativen Reaktionen gerechnet und sind froh, dass er so gut angekommen ist.
Und die andere Frage war…?
…ob ihr etwas von Roy wisst, ob man mal was von ihm gehört hat?
OP: Nein, wir haben keinen Kontakt, gar nicht. Er hat sich extrem schnell ins Privatleben zurückgezogen und auch alle Leinen zum Musikbusiness gekappt – sogar zu engen Freunden, zu denen wir ja auch gehört haben. Deswegen: Nein, ich kann euch nichts sagen.

Lass uns ein bisschen über euer aktuelles Album, „Silverthorn“, sprechen. Es ist vor dreieinhalb Wochen erschienen und zumindest auf den Amazon-Verkaufscharts im Sektor Heavy Metal ganz oben eingestiegen…
OP: Und lange Zeit dort geblieben.
Bist du persönlich zufrieden mit dem Album?
OP: Ja, ich bin sehr froh, dass es so nahe an das herangekommen ist, was ich von vornherein wollte. Ich wollte ein bisschen zurück zu dem älteren Sound, dem von „Black Halo“, „Epica“ und „Karma“, vermischt mit den modernen Produktionselementen der letzten beiden Alben. Und ich wollte mehr Melodien. Dieses Mischungsverhältnis ist für mich auf dem neuen Album perfekt gelungen. Ich war gar nicht ganz so happy mit dem, was bei den letzten beiden Alben passiert ist und freue mich deshalb umso mehr über das neue. Wobei man als Musiker natürlich immer sagen kann, dass –
Hier unterbricht sich Oliver selbst. Ein Musiker der Vorband kommt gerade durch die Verbindungstür zum Konzertsaal und lässt die Tür sperrangelweit offen, so dass es plötzlich sehr laut im Raum wird. Palotai ruft ihm sichtlich genervt rüber, er müsse die Tür schließen und scheut dabei Kraftausdrücke nicht. Als dieser nicht reagiert, geht er selbst los, um die Tour zu schließen. Kurz darauf kommt er wieder und entschuldigt sich.
OP: Tut mir leid, ich habe einen schlechten Tag. Mir gehen hier gerade einige auf die Nerven, wir hatten da so ein paar Sachen auf der Tour, die nicht so sind, wie sie sein sollten.
Ihr tourt ja auch mit drei weiteren Bands, das sind viele Menschen. Gibt es da nicht notwendigerweise Reibungen?
OP: Oh, nein, damit haben die jetzt gar nichts zu tun, ich meine eher so Geschichten mit dem Busfahrer und so was. Die Supportbands haben einen eigenen Bus, wir haben einen und die Bands sind wirklich superliebe Jungs, alle drei Bands. Wir kommen super miteinander zurecht, das ist es jetzt nicht.

Eigentlich waren wir ja aber beim Album. Ich habe den Eindruck, dass es das bisher symphonischste KAMELOT-Album geworden ist und auch an Komplexität zugelegt hat. Wie trefft ihr solche Entscheidungen? Sagt ihr am Anfang „Hey, lass uns dieses Album mal richtig bombastisch machen“?
OP: Man nimmt sich so etwas nicht vor, es passiert. Dieses Mal z. B. wollte ich wieder mehr Melodien haben, denn „Poetry For The Poisened“ war im Vergleich zu „Black Halo“ eher eintönig. Man hat also eine ganz allgemeine Zielsetzung. Hinzu kommt, dass sich das Songwriting-Team geändert hat, weil Roy nicht mehr dabei ist. Die Songs haben also Thomas [Youngblood, Gitarrist und Gründer, Anm. d. Red.] und ich geschrieben. Ich muss immer ein bisschen aufpassen, dass es nicht zu komplex wird. Ich komme aus der Klassik und dem Jazz – wenn ich ohne Zielsetzung drauflos komponieren würde, dann würde es sicher viel progressiver werden, was es hier aber nicht sein soll. Wir sind KAMELOT, nicht Dream Theater oder Symphony X. Vielleicht hört man bei diesem Album aber ein bisschen mehr von meinen Einflüssen.

Du hast gerade schon das Songwriting-Team erwähnt. Im Booklet steht neben deinem und Thomas‘ Namen auch der von Sascha Paeth. Eigentlich ist er euer Produzent. Inwiefern ist er am kreativen Prozess beteiligt?
OP: Das war er schon immer, er stand vermutlich früher einfach nicht mit drin. Sascha war schon immer fast ein sechstes Bandmitglied. Was das Songwriting angeht: Die grundlegenden Strukturen wurden von Thomas und mir geliefert. Wir haben uns einmal in Deutschland getroffen, bei mir in Stuttgart, und einmal in Florida. Dabei haben wir einen Großteil der Songs ausgearbeitet.
Dann kam Tommy hinzu, auch zuerst zu mir ins Schwabenland. Danach war er in Wolfsburg bei Sascha und die beiden haben zusammen die Vocallines ausgearbeitet. Schließlich wurden die Songs teilweise noch einmal an Tommys Gesanglinien angepasst. Dabei nimmt Sascha natürlich viel auf, er ist ja auch Recording und Mixing Engineer. Ganz am Ende setzen wir dann die Orchestrationen drauf. Du kannst dir also vorstellen, dass Sascha schon einigen Einfluss hat, weil er an vielen Nahtstellen beteiligt ist. Er ist einfach ein genialer Musiker und Produzent.

Im Booklet der aktuellen CD ist neben dir auch ein signifikanter Anteil an Keyboard-Arbeit bei Miro verzeichnet, der bis 2005 auch für die Studioaufnahmen von KAMELOT die Keyboards eingespielt hat. Wie teilt ihr beide euch die Arbeit? Auf den Laien wirkt es so, als hätte KAMELOT zwei Leute für denselben Job…
OP: Miro hat, bevor ich dazugekommen bin, schon immer die Orchestrationen gemacht. Wir haben dann irgendwann angefangen, uns die Arbeit zu teilen. Es ist sehr viel Arbeit und dieses Mal hatten wir eine Deadline einzuhalten, weil wir nicht zu viel Zeit zwischen den Alben haben wollten, was wegen Roys Ausstieg ohnehin kompliziert war. Wir haben uns die Arbeit wohl 60:40 geteilt. Ich habe etwas mehr gemacht, weil die meisten Songs ja auch von mir kommen. Aber Miro ist nach wie vor ein ganz wichtiger Teil von KAMELOT.

Wo wir immer noch beim Songwriting sind: Wenn ich „Sacrimony“ höre, den Opener von „Silverthorn“, dann ist da unglaublich viel drin: Zwei verschiedene Chöre, zwei weibliche Gastsänger, klassische Instrumente und noch einiges mehr. Wie verhindert ihr selbst beim Songwriting, dass ihr die Songs überladet?
OP: Oh, da ist noch viel mehr drin, als du gerade gesagt hast. Wenn du mal mit richtig guten Kopfhörern hörst, wirst du das merken. Das Problem heutzutage ist ja leider, dass ganz viele Leute auf unglaublich minderwertigen Anlagen Musik hören, z. B. über Youtube und PC-Lautsprecher. Youtube geht schon mal gar nicht, wegen der Kompressionsrate. Und dann diese PC-Lautsprecher … Wenn man die CD oder gar die Vinyl mit richtig guten Kopfhörern hört, dann wirst du ganz viele Layers hören, die da gestaffelt werden.
Aber: Das passiert nicht während des Songwritings. Das Songwriting beschränkt sich auf die grundlegenden Elemente. Alles andere kommt bei der Orchestration und der Produktion allmählich in Schichten dazu. Somit ist es nachher Aufgabe des Mischers und des Produzenten, zu sagen: Das kommt rein, das kommt nicht rein, da brauchen wir mehr. Am Ende muss das natürlich noch so gut abgemischt werden, dass es passt. Und ich weiß aus eigener Erfahrung als Mischer, dass symphonischer Metal der schwierigste Stil ist, den man mischen kann. Es kann so viel passieren, die Frequenzen könnten sich überlagern – das ist kompliziert.

Wo ich dich hier gerade sitzen habe: Wie geht es eigentlich mit Sons Of Seasons, deiner zweiten Band, weiter? Auf eurer Internetseite konnte ich recht wenig Aktuelles finden…
OP: Ja, dafür hatte ich dieses Jahr wegen KAMELOT gar keine Zeit. Ich würde gerne nach der Tour beginnen, das neue Album zu schreiben, so dass es vielleicht Ende nächsten Jahres erscheint. Es kommen leider – ach, was heißt leider? – viele andere Dinge hinzu. Epica z. B., da orchestriere ich gerade was, ein paar andere, vornehmlich jüngere Bands, die ich produziere – ich muss einfach gucken, wann ich Zeit für Sons Of Seasons finde. Aber ich will auf jeden Fall das dritte Album machen und habe da schon ganz viele Ideen. Natürlich ist das dritte Album auch ein Scheidepunkt für eine Band.

Dann danke ich dir für deine Zeit, wünsche ich weiterhin eine gute Tour und freue mich auf die Show!

Publiziert am von Marc Lengowski

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