JOHN WETTON kann gut und gerne allein mit seinem Namen für Qualität bürgen. Ob Uriah Heep, King Crimson, Roxy Music oder Asia – Der Bassist und Sänger hat eine Menge auf dem Kerbholz, was das Mitwirken in großen Bands der Rockmusik angeht und war dabei an denkwürdigen Alben wie „Red“ oder „Asia“ maßgeblich beteiligt. Was Wetton zu seinem aktuellen Soloalbum „Raised In Captivity“ inspiriert hat und warum eine Tasse Tee zuhause auch mal ganz nett sein kann, erklärt der sympathische Brite im Interview.
Lieber John, danke dir fürs Interview als erstes. Wie geht’s dir?
Mir geht’s sehr gut, danke. Ich war jetzt sehr lange auf Tour, da fühlt es sich gut an, mal wieder in den eigenen vier Wänden eine Tasse Tee trinken zu können.
War das eine Solotour?
Nein, ich habe einige Shows mit UK gespielt und dann zwei Monate lang mit Asia getourt.
Ach, UK sind wieder aktiv? Mit welchem Line-Up habt ihr die Gigs denn gespielt?
Eddie Jobson, ich, Marco Minemann und Alex Machacek.
Sind da auch neue Aufnahmen geplant?
Ne, neue Sachen nicht, aber wir haben unsere Live-Auftritte aufgenommen, in der Richtung wird es also vermutlich was geben. Und touren werden wir auch weiterhin.
Was machst du dann zuhause, außer Interviews zu geben?
Nicht viel. Nach drei Monaten on the road will ich auch nichts machen. Aber ich denke darüber nach, ein paar Soloshows nachzuschieben.
Hast du da eine feste Band und ist es problematisch, die Shows mit deren Terminplänen zu vereinbaren?
Ja, also ich habe da eigentlich ziemlich freie Wahl. Und was die Terminpläne angeht, ich muss sie halt vorher anrufen.
Reden wir mal über’s neue Album. Wann hast du angefangen, die Songs zu schreiben und wie lief der Aufnahmeprozess ab?
Einige Songs wurden schon vor vielen Jahren geschrieben, andere erst vor einigen Monaten. Ich hatte sieben Songs fertig, als ich von England nach Los Angeles rüber bin, wo ich aufgenommen habe. Zwei weitere waren fast fertig, ich wusste nicht genau, wie viele Strophen vor dem Refrain kommen und solche Sachen, aber in meinem Kopf waren sie eigentlich komplett. Die anderen fünf haben wir im Studio geschrieben. Im Endeffekt ist es dann auf zwölf Nummern rausgelaufen. Für den Aufnahmeprozess sind nur ich und Billy Sherwood verantwortlich. Er spielte Schlagzeug und Gitarre, ich Bass, Keyboard und Akustikgitarre. Das komplette Album war also fertig, als wir anfingen, Leute einzuladen, um ganz bestimmte Sachen einzuspielen – Gitarren-, Keyboard-, oder Geigensoli. Wir haben also wirklich fast alles zu zweit gemacht. Am Schluss habe ich dann Gesang und Backgroundchöre aufgenommen. Nach einem Monat waren wir damit auch fertig.
Wie du bereits gesagt hast, gibt es eine Menge Gastauftritte auf dem Album. Könntest du ein bisschen erzählen, wie du die Gäste auswählst?
Es gibt ja tatsächlich auf jedem einzelnen Track einen Gastmusiker. Als ich aus England abgereist bin, hatte ich schon vier oder fünf im Kopf, ich kann das immer schon vorher recht gut einschätzen, wofür die Leute sich eignen. Mick Box, Steve Hackett und Eddie Jobson, bei denen war mir klar, was sie machen würden, auch bei Geoff Downes wusste ich, dass er auf dem Album irgendwo auftauchen würde. Billy Sherwood hat sich Steve Morse für ein Solo ausgesucht. Robert Fripp habe ich für Soundscapes für den Titelsong gewinnen können. Tony Kaye und einige andere sind auch dabei. Hauptsächlich haben sie alle zusätzliche Dinge zu den Tracks beigesteuert, die Billy und ich fertig aufgenommen hatten.
Billy Sherwood ist neben dir ja offensichtlich der wichtigste Musiker auf dem Album. Wie bist du mit ihm ursprünglich in Kontakt gekommen?
Naja, ich arbeite schon seit fünf Jahren mit Billy. Ich habe auf einigen Tribute-Scheiben mit ihm zusammengearbeitet. Das war allerdings eine relativ simple Sache, ich habe fertige Songs bekommen, über die ich singen musste, und die dann zurückgeschickt. War auch alles zu wohltätigen Zwecken, aber mir hat es eine Menge Spaß gemacht, die Songs von anderen Bands zu singen, die ich liebe – Queen, Led Zeppelin, Genesis… Und über das Medium habe ich eben Billy kennengelernt. Ich wusste, dass er gut ist in dem, was er tut, dass er schnell ist und dass er immer Qualität liefert. Mir war klar, dass ich mit ihm aufnehmen wollte, zumal er eine energetische Note mitbringt. Wenn ich zuhause Songs auf der Akustikgitarre schreibe, endet es immer mit ruhigen Folksongs, für die wollte ich eine Umgebung, die ihnen etwas mehr Power verpasst.
Also hatte er sehr großen Einfluss auf das Album?
Ja, definitiv! Also, vielleicht nicht 50%, aber er hatte auf jeden Fall auf alle Songs Einfluss. Es war ein sehr produktives Verhältnis zwischen uns, er hat gewusst, dass wenn ich etwas wirklich auf eine bestimmte Weise umsetzen will, dafür auch einen sehr guten Grund habe.
Kannst du ein paar Worte zu den verschiedenen Themen auf dem Album sagen, mit welchen du dich beschäftigt hast?
Der Albumtitel und der Titelsong beziehen sich auf die Art und Weise, wie ich aufgewachsen bin. Mitten in England, in Derby, nach dem Krieg, in sehr bescheidenen Verhältnissen. Das Überlappen viktorianischer Werte in meine Erziehung, die Schule, wo es immer noch Prügelstrafe gab. Es war ein bisschen wie in einem Käfig. Das ist die Thematik, die hinter dem Titeltrack steht. Als ich 13 war, irgendwann in den 60ern, kamen dann Sachen wie freie Liebe auf, und die viktorianischen Werte wurden über den Haufen geschmissen. Nunja, aber die übergreifende Thematik des Albums ist Befreiung und Freiheit. Wenn du dir Songs wie „The Last Night Of My Life“ anschaust, das hat alles mit der Idee zu tun, im Hier und Jetzt und für die Zukunft zu leben.
Worum geht es in „Goodbye Elsinore“? Den Song mag ich sehr gerne.
„Goodbye Elsinore“ handelt vom Abschied nehmen von einer vergangenen Lebensphase und der Reise, auf die man sich begeben muss um ein neues Leben beginnen zu können. Sehr autobiographisch. Ich fühle mich wirklich, als würde ich jetzt ein ganz anderes Leben leben als früher, vor zehn Jahren etwa. Ich bin in meinem Leben vorwärtsgekommen, ich denke da immer an ein Schiff, mit dem man in eine neue Zeit segelt. Elsinore repräsentiert alles, was ich hinter mir lasse, meine vorher erwähnte Erziehung zum Beispiel.
Wenn du zurückblickst, inwiefern ist es anders, ein Album zu machen, wo du alle Fäden selber ziehst im Gegensatz zu einem, wo du mit anderen Musikern zusammenarbeitest, wie bei Asia oder damals King Crimson?
Der Unterschied liegt vor allem bei den Texten, da rede ich mit den anderen Jungs, bevor ich die schreibe. Auf meinen Soloalben kann ich mich mit Dingen beschäftigen, die mich persönlich angehen. Wenn ich einen Asia-Text schreibe weiß ich, dass ich damit die Band repräsentieren muss. Bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch klar, es ergibt ja keinen Sinn, anderen Leuten da meinen eigenen Stempel komplett aufzudrücken. Wenn ich also einen zu persönlichen Text schreibe, nehme ich den halt fürs Soloalbum. Da sieht’s dann auch mit Beiträgen anderer Musiker anders aus, die wissen dann, dass sie für den Text nur einen Gastbeitrag machen und können sich dann auch über weite Strecken damit identifizieren.
Bei King Crimson hat Richard Palmer-James ja die Lyrics geschrieben. Wie ist es da gelaufen?
Äh……Ja, Richard hat da eigentlich alles geschrieben. Also, wir haben schon zusammengearbeitet, aber der Hauptschreiber war definitiv er. Entschuldige, da habe ich dich erst falsch verstanden, weil für Asia hat er nur einen Text geschrieben.
War es schwierig für dich, Songs zu singen, für die du keine Texte geschrieben hattest?
Nein, ich fands sehr einfach, mich in Richards Lyrics einzufühlen. Ich mag die immer noch wirklich gerne und es ist bis heute so, dass er für jedes meiner Soloalben mindestens einen Text beisteuert. Da besteht wirklich eine tiefe Verbindung zwischen uns, aber gut, wir kennen uns auch seit 50 Jahren, insofern kein Wunder.
Hast du selbst auf „Raised In Captivity“ einen Lieblingssong, und wenn ja, warum?
Ich würde vermutlich „Steffi’s Ring“ nehmen, im Moment. Aber es ist ein bisschen so, als müsste man unter seinen Kindern das liebste wählen.
Gibt es dafür einen speziellen Grund, oder nur ein Gefühl?
Es ist so ein netter kleiner Folksong. Es sticht als eher simple Nummer doch aus dem ganzen eher bandartigen Material heraus.
Inwiefern würdest du die Musik generell anders beschreiben als die von einem aktuellen Asia-Album beispielsweise?
Schwer zu sagen. Ich meine, wenn es um Musik geht, schreibe ich einfach drauflos, ich kümmere mich da nicht groß darum, was genau. Ich schreibe einfach und schaue, was dabei herauskommt. Wenn ich für Asia schreibe, schreibe ich theoretisch genau dieselben Sachen, wie wenn ich für ein Soloalbum schreibe. Im Endeffekt ist es ziemlich dasselbe, die Unterschiede finden sich wie gesagt eher in den Texten.
Wirst du, wenn du auf Solotour gehst auch Songs spielen, die du mit anderen Bands geschrieben hast?
Ohja, klar. Vermutlich wird’s eine Art Best-of meiner Karriere werden. Ein paar King Crimson-Nummern wie „Starless“ und „Book Of Saturday“, ein paar UK-Sachen, ein paar Sachen von früheren Soloalben, vielleicht eine andere Version von „Heat of the Moment“. Sowas in der Art.
Fett, geht’s dann auch nach Deutschland?
Ja, also eher kleine Clubs, aber ich peile Deutschland auf jeden Fall an.
Wenn du King Crimson-Sachen ohnehin noch live spielst, könntest du dir vorstellen, das auch nochmal mit Robert Fripp zu tun?
Nun… Robert Fripp ist im Ruhestand, er wird also nie mehr auf Tour gehen. Das ist leider offiziell.
Okay, schade, dann ist das wohl durch. Könntest du dir ansonsten generell vorstellen, so viele energetische Improvisations-Sachen mit damals mit King Crimson nochmal zu machen?
Nein. Ich will dir erklären, warum. Nicht nur, dass ich mich in den letzten Jahren persönlich sehr verändert habe, ich habe auch eine taube rechte Hand, ich kann meine Finger nicht mehr bewegen. Den Improvisationsstil King Crimsons kann ich einfach nicht mehr umsetzen. Wenn ich heute live spiele, benutze ich ein Pick, und das muss an den Daumen getapet werden, damit das halbwegs funktioniert.
Viele Leute kennen dich immer noch hauptsächlich als jemanden, der mit King Crimson einige der düstersten, abgefahrensten Alben im ganzen Prog Rock aufgenommen hat. Wenn du deinen gesamten Backkatalog betrachtest, denkst du, diese Alben passen da überhaupt wirklich rein und magst du sie noch?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem „Red“, ich finde, das ist ein tolles Album. Es hat damals einfach perfekt zum Spirit der Zeit gepasst, zum „Zeitgeist“, wenn man so will. Als es herauskam wurde es meiner Meinung nach nicht ganz entsprechend seiner Qualität rezipiert, aber mit der Zeit haben immer mehr Menschen angefangen, es zu mögen. Ich liebe das Album immer noch und ich denke es passt auch gut zu allen meinen aktuelleren Alben. Besonders mag ich, dass man nicht wirklich definieren kann, was es ist. Es ist Heavy Metal, Prog und Jazz alles auf einmal auf einem Album.
Hast du damals darum kämpfen müssen, deine Ideen gegen Robert und Bill umzusetzen?
Nein, das war alles immer sehr locker. Es war nie ein Kampf, es war immer ein konstruktiver Diskurs. Ja, es hat Spaß gemacht.
Um nochmal Asia zu streifen: Das Konzept der Supergroup schien ja für lange Zeit aus der Mode gekommen zu sein, bis in letzter Zeit mit etwa Them Crooked Vultures oder Black Country Communion wieder neue Bands dieser Natur entstanden. Hast du von den Bands gehört und wenn ja, was denkst du über sie?
Nein, nicht wirklich. Oder Moment, warte mal kurz, hast du Black Country Communion gesagt? Ja, die kenne ich sehr gut. Ich habe die Alben nicht gehört, wie gesagt, ich war drei Monate auf Tour, ich muss glaube ich erstmal losziehen und mir ein paar Platten zulegen. Aber Glenn ist ein wirklich guter Freund mir und meiner Meinung nach ein riesen Talent.
Ja, ich habe sie neulich live gesehen, wirklich eine starke Band.
Ja, war gut? Das freut mich sehr, sehr gut. Eine tolle Band, wirklich.
Welche Bands haben dich am Anfang deiner Karriere beeinflusst?
Hm, ich kann dir ein paar Platten sagen, die mich beeinflusst haben. „What’s going on“ von Marvin Gaye zum Beispiel, und eine Menge von den Beach Boys. Gut, das ist vierzig Jahre her, aber wenn man sich Family oder King Crimson anschaut, wirkt es natürlich etwas befremdlich, dass ich damals Marvin Gaye gehört habe… Meine frühesten Einflüsse kamen aus der Kirchenmusik, die Familie aus der ich entstamme, ist da sehr davon beeinflusst, mein Bruder ist Organist in einer Kirche. Meine Jugend bestand also im Prinzip daraus, kirchenbezogene Musik auf dem Klavier zu spielen. Insofern habe ich sicher einen sehr seltsamen Musikgeschmack.
Hast du das neue Yes-Album schon gehört?
Nein, nur kleine Schnipsel, aber nie komplett. Ich bin sehr gespannt auf die Scheibe, weil ich glaube, dass Trevor Horn und natürlich Geoff Downes einen sehr positiven Einfluss auf die Musik ausüben.
Würdest du heute noch Mogul Thrash- oder Family-Songs spielen?
Nein, ich glaube nicht. Mogul Thrash war einfach nicht gut genug, wir hatten überhaupt kein Konzept. Bei Family, okay, ich habe da zwar gespielt, aber die Band war doch sehr von Roger Chapman dominiert. Damit hatte ich musikalisch eigentlich gar nicht so viel zu tun.
Okay, damit wären wir durch. Danke dir nochmal sehr, hat mir großen Spaß gemacht!
Danke dir auch, und ich fänd’s super, wenn man sich in München sehen würde!