Interview mit Falk Wehmeier von Fluoryne

FLUORYNE und DAS KAMMERSPIEL – so lauten die Namen zweier Projekte, die viel gemeinsam haben:
Beide stehen für schwer in Schubladen zu steckende, avantgardistische Musik, beide haben gerade eine CD über das Label Lost Souls Graveyard Album veröffentlicht und beide konnten die Metal1-Redaktion mit ihren Werken auf ganzer Linie überzeugen.
Für uns Grund genug, die Männer hinter der Musik, Falk Wehmeier (FLUORYNE) und Dirk Rehfus (DAS KAMMERSPIEL), zum Gespräch zu bitten und uns mit ihnen über die Vorzüge des musikalischen Solo-Daseins, Avantgarde, der keiner sein will und die Verbindung von Chemie, Swing und Metal zu unterhalten.

Sers!
Schön, dass du dir die Zeit für ein Interview mit Metal1.info nimmst. Zunächst einmal ein frohes neues Jahr! Wie geht dir?

Hey Moritz! Danke, auch dir die besten Wünsche für 2010! Mir geht’s sehr gut in diesen Tagen, neben der Veröffentlichung von „Dämmerung“ konnte ich im Dezember auch mein Studium endgültig abschließen. Beides ist eine ziemliche Erleichterung…

Du hast mit „Dämmerung“ das Debüt-Album deines Soloprojektes FLUORYNE veröffentlicht – Gratulation dazu an dieser Stelle. Wie fühlst du dich, jetzt, wo das Album fertig und veröffentlicht ist? Ein Album herauszubringen ist ja immer ein Ende eines Arbeits- und Zeitabschnitts, zugleich aber auch ein Neuanfang…
Also zunächst ist es wie schon gesagt eine erhebliche Erleichterung! Nicht dass mir das Album zum Hals raushängen würde – das wäre auch ein schlechtes Zeichen, denke ich – aber es tut doch gut, nach weit über zwei Jahren Arbeit einen Schlussstrich unter „Dämmerung“ zu ziehen. Mit dem Neuanfang hast du auch nicht Unrecht, denn so langsam entwickeln sich bereits erste Ideen und Vorstellungen für neue Songs…

Was man so hört und liest, kommt das Album ja überall ziemlich gut an. Überrascht dich das, oder hattest du mit einer derart wohlwollenden Aufnahme durch die Hörerschaft und Medien gerechnet?
Ehrlich gesagt wusste ich nie so Recht, was ich erwarten oder womit ich rechnen sollte.
Dadurch, dass ich mich so lange und intensiv mit den Songs beschäftigt habe, habe ich keine richtige Distanz zu ihnen entwickeln können. Das ging so weit, dass ich nach den Schlagzeug-Aufnahmen zunächst sehr skeptisch war, weil ich die Songs so oft mit programmierten Drums gehört hatte, dass mir das echte Schlagzeug sehr komisch vorkam.
Sicher habe ich von anderen Musikern ab und zu mal eine Rückmeldung bekommen – dass „Dämmerung“ insgesamt vergleichsweise sperrig ist, war mir also klar. Ob ich die Gratwanderung zwischen dieser Sperrigkeit und einer gewissen Eingängigkeit, der nötigen Zugänglichkeit, schaffen würde, musste ich aber – wohl oder übel :) – den Hörern überlassen; und wie es scheint, finden die geneigten Hörer weitestgehend Zugang zu „Dämmerung“.

„Dämmerung“ ist ja irgendwie noch Black Metal, andererseits wird – meines Erachtens nach zu Recht – im Kontext mit dem Album auch der Begriff „Avantgarde“ verwendet. Könntest du kurz beschreiben, was für dich „Avantgarde“ definiert, und was an „Dämmerung“ deiner Meinung nach „Avantgarde“ ist?
Naja, „Avantgarde“ würde ich erstmal im Wortsinn belassen, also „den Wächtern voraus“ – die Wächter sind im bildlichen Sinne die vermeintlichen Grenzen eines Genres.
„Dämmerung“ könnte also insofern als „Avantgarde“ gelten, als mir Genre-Grenzen völlig wurscht sind. Ich bin kein Freund von Schubladen und lehne irgendeine Kategorisierung meiner Musik kategorisch ab ;) – mit dem Begriff „Avantgarde“ kann ich mich aber anfreunden, weil er erstmal nur suggeriert, dass man als Hörer eine gewisse Offenheit mitbringen sollte. www.avantgarde-metal.com beinhaltet übrigens auch ein Forum, in dem es einen interessanten Thread zur Definition von Avantgarde (Metal) gibt :).

Vielleicht nicht Avantgarde, aber doch zumindest ungewöhnlich ist der Name deines Projektes: FLUORYNE. Den Chemiker erinnert das natürlich dezent an Fluorine, das englische Wort für das Element Fluor… richtige Richtung oder gänzlich daneben?
Vollkommen richtige Richtung. Fluor ist ein Halogen und das stärkste elementar vorliegende Oxidationsmittel – es reagiert bis auf wenige Ausnahmen mit allem. Gleichzeitig zeigen die entstehenden Verbindungen interessante und häufig außergewöhnliche Eigenschaften – oder hättest du gedacht, dass hochfluorierte Lösungsmittel mehr Sauerstoff transportieren können als menschliches Blut? Wie auch immer: Ich sehe durchaus Parallelen zwischen den Eigenschaften des Fluors und seiner Verbindungen – „In order to create you must destroy!“, um es mal mit SATYRICONs „Prime Evil Renaissance“ zu sagen.

Ok, ich glaube, jetzt kann sich auch jeder denken, welches Studium du eben abgeschlossen hast ;) Aber weiter im Text:
Der Albumtitel „Dämmerung“ ist ja, im Gegensatz zur Musik des Albums, eher traditionell klischeebehaftet. Wieso hast du dich für diesen Titel entschieden, beziehungsweise was soll er aussagen?

Der Titel mag zwar klischeehaft klingen, etwas in dieser Richtung hatte ich allerdings nicht im Sinn. Es handelt sich – wie du ja weißt – um ein Konzeptalbum mit Vertonungen expressionistischer Lyrik. Diese Lyrik entstand in einer Zeit des Umbruchs, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts – Industrielle Revolution, der Niedergang des deutschen Kaiserreiches und so weiter. Die Dichter dieser Epoche haben gespürt, dass die Welt sich ändert – aber in welche Richtung? War das, was sie spürten, die Morgendämmerung einer neuen Epoche oder eine Abenddämmerung, die dem Untergang und ewiger Nacht vorausgeht? Der Begriff „Dämmerung“ ist ambivalent – im Gegensatz zum Englischen, wo es die Begriffe „dawn“ und „dusk“ gibt – und genau das wollte ich mit dem Titel ausdrücken.

Das textliche Albumkonzept dreht sich ja um expressionistische Gedichte, die du vertont hast. Wie bist du dabei vorgegangen? Hast du dir die Gedichte ausgesucht, und gezielt vertont, oder hast du dir Gedichte gesucht, die gut zu deiner (unabhängig von den Gedichten entstandenen) Musik passen?
Teils teils. Die Idee, expressionistische Lyrik zu vertonen, hatte ich schon zu Schulzeiten. Das Konzept zu „Dämmerung“ entstand jedoch erst, als ich an einigen noch eher unkoordinierten Ideen arbeitete und nebenbei in Kurt Pinthus‘ Expressionismus-Anthologie „Menschheitsdämmerung“ (da ist die Dämmerung wieder) las. Irgendwann machte es „Klick!“ und die Verbindung zwischen Lyrik und Musik stand. Bei „Fern“ war es eher umgekehrt, dort inspirierte mich das Gedicht zu diesem eher ruhigen Song. Gleiches gilt für „Klage“. Die Musik zu „Unwetter“ entstand wiederum zuerst – in einer Phase, in der ich keinen richtigen Zugang zu expressionistischer Lyrik fand. Ich habe also ein bisschen an anderen Ideen gearbeitet und auch da war die Verbindung plötzlich da. „De Profundis“ ist hier eine Ausnahme, da es hier keine einseitige Beziehung gibt.

Wieso hast du ausgerechnet diese Gedichte ausgewählt? Haben sie eine spezielle Bedeutung für dich?
Eine besonders spezielle Bedeutung haben sie nicht – es sind Gedichte, die nach meinem Dafürhalten sehr gut sind und die mich sehr berühren, aber das ist bei vielen anderen Gedichten dieser Epoche auch der Fall (wenn es danach ginge, würde ich wahrscheinlich mindestens fünf Alben mit diesem Konzept schreiben). Es sind vor allem Gedichte, denen ich mich musikalisch nähern konnte – ob nun gezielt oder eher unbewusst.

Gedichte vertonen heißt ja auch, auf eigene Texte zu verzichten. Hattest du nichts mitzuteilen, bist du nicht so der Mensch der Worte oder war das Konzept mit den Gedichten so fix, dass eigene Texte nie in Erwägung gezogen wurden?
Als ich von den ersten beiden Songs „Morgens“ und „Fern“ Vorproduktionen aufgenommen hatte, war mir klar, dass diese beiden Stücke nur mit weiteren Gedichtvertonungen zusammen funktionieren würden. Die Ideen, an denen ich in der schon angesprochenen Phase arbeitete und die dann zu „Unwetter“ wurden, waren demnach ursprünglich nicht für „Dämmerung“ gedacht. Ich denke schon, dass ich mit FLUORYNE ein bisschen was zu sagen habe – auf „Dämmerung“ sehe ich mich in der Lage, das mit fremden Texten zu tun. Auf der nächsten Veröffentlichung wird es dann (wieder) eigene Texte geben, wenn auch wahrscheinlich keine deutschen – meine Ansprüche an deutschsprachige Texte sind so hoch, dass ich sie selbst meist nicht erfüllen kann…

Also ist das Konzept der Gedichtvertonung mit „Dämmerung“ erstmal durch und für das kommende FLUORYNE-Alben nicht vorgesehen?
Nein, vermutlich nicht. Ich würde wahnsinnig gern einmal eine Duineser Elegie von Rilke vertonen, aber das wird so schnell nicht passieren. Auf einer bisher unveröffentlichen Demo-CD namens „Dynamics Of Extinction“ – die ich hoffentlich bald richtig aufnehmen und produzieren (lassen) kann – verwende(te) ich Teile von „Kubla Khan“, einem Gedicht von Samuel Taylor Coleridge. Das ist aber eher Zufall.

Musikalisch ist das Werk ja sehr offen, verarbeitet einige Einflüsse anderer Genres und setzt sich wenig Schranken – wie du vorher erwähnt hast, bist du ja auch kein großer Freund des Schubladendenkens. Aber je spezieller die Einflüsse werden, die man in ein Album hineinspielen lässt, umso mehr wird das Projekt natürlich zu einem Nischenprojekt, was wohl zwangsläufig zu einer kleineren Hörerschaft führt. Denkt man über so etwas nach, lässt vielleicht gar die ein oder andere „zu progressiv“ erscheinende Idee deshalb lieber im Schrank?
Wie eben schon erwähnt: Genre-Grenzen und Schubladen tangieren mich nur sehr peripher ;). Ich suche Stilmittel und Einflüsse unter atmosphärischen Gesichtspunkten aus – wenn sich ein Breakbeat an einer bestimmten Stelle richtig anfühlt, sprich: die Atmosphäre des Songs oder Abschnitts stützt, verwende ich ihn; wenn nicht, dann nicht. Sicherlich muss man aufgeschlossen sein, um sich solche Möglichkeiten vorstellen zu können – aber ich bin nicht progressiv nur um der Progressivität Willen. Ich gehe auch nicht so kopflastig an meine Musik heran, um mir Gedanken um die Größe meiner Hörerschaft oder eine zu ausgeprägte Progressivität zu machen. Es muss sich für mich „richtig“ anfühlen.

Dieses Album hast du ja alleine, beziehungsweise unterstützt durch Sessionmusiker, unter anderem von Geist, aufgenommen. Wird FLUORYNE ein Soloprojekt bleiben? Wenn ja: Wo siehst du Vor-, wo Nachteile eines Soloprojektes?
Ich denke, ich bin mit „Dämmerung“ meiner Idealvorstellung für FLUORYNE schon sehr nahgekommen: Ich habe in kreativer Hinsicht das Sagen und muss keine Kompromisse eingehen, dennoch habe ich Mitstreiter gefunden, die ihre „Instrumente“ deutlich besser beherrschen als ich. Das sind auch gleichzeitig Vor- und Nachteile eines Solo-Projektes. Ich habe FLUORYNE als Solo-Projekt angelegt, weil ich keine Lust auf (faule) Kompromisse hatte – das hatte ich in der Band, in der ich davor Gitarre gespielt hatte, zur Genüge erlebt. Blöderweise kann ich aber nicht Schlagzeug spielen und auch nicht besonders gut singen. Das sind Schwierigkeiten, die man auf dem 2005er Demo „Dark Water“ eindrucksvoll hört. Auf „Dämmerung“ konnte ich diese Schwierigkeiten umgehen, ohne das kreative Zepter aus der Hand zu geben. Pariah, Lykrates und Martin haben fantastische Beiträge abgeliefert und hatten auch ihre künstlerische Freiheit, letztendlich haben sie sich aber an meinen Vorstellungen orientiert.

Auf Geists „Galeere“ hast du ja als festes Mitglied der Band mitgewirkt, die Zusammenarbeit wurde aber, wenn ich nicht irre, beendet. Warum haben sich deine Wege und die von Geist getrennt?
Das hat ganz einfach berufliche Gründe. Ich werde – jetzt, nach Abschluss meines Studiums – aus dem Großraum Bielefeld wegziehen und kann daher nicht mehr mit GEIST proben – was für Konzerte schon ziemlich nachteilig ist, aber auch die Arbeiten an neuen Songs, zumindest in der bewährten Art und Weise, unmöglich macht. Es gab also keinerlei Differenzen und ich finde es sehr sehr schade, GEIST nicht mehr unterstützen zu können.

Das Album wurde ja auf Lost Souls Graveyard, dem Label von Grabnebelfürst Dirk Rehfus veröffentlicht. Wie kam es zu dem Kontakt und wie bist du mit der Arbeit dieses Ein-Mann-Labels zufrieden?
Dirk ist durch GEIST auf mich aufmerksam geworden – er hat GEISTs „Patina“ über LSG auf Vinyl veröffentlicht und ist schon seit Ewigkeiten mit Alboîn befreundet. Dirk zeigte sich sehr schnell von den Vorproduktionen zu „Dämmerung“ begeistert und hat mich sehr unterstützt. Er ist sehr idealistisch und reißt sich dementsprechend auch den Arsch auf, um LSG langsam, aber sicher im Underground zu etablieren. Ich bin ehrlich gesagt lieber bei einem kleinen, aber sehr engagierten Label, als bei einem gesichtslosen Major unter Vertrag.

Dirk Rehfus hat ja mit „Wege“ zeitgleich mit „Dämmerung“ mit seinem Projekt Das Kammerspiel gekalbt. Wie gefällt dir das Album?
Auch wenn „Wege“ ein sehr sperriges Album ist, das einige Durchläufe braucht, hat Dirk im Vergleich zu „Der Einkehr später Gast“ einige Fortschritte gemacht und erneut ein spannendes Album abgeliefert. Was ich besonders reizvoll an seiner Musik finde, ist, dass sie bei oberflächlicher Betrachtung einen eher unzugänglichen Eindruck macht, die Stücke aber trotzdem im Ohr hängenbleiben und es so schnell auch nicht mehr verlassen…

Zumindest letzteres kann ich nur bestätigen! Das wäre dann die letzte Frage gewesen. Möchtest du noch etwas loswerden?
Ich danke dir für das Interview, die sehr schöne Rezension und deine Unterstützung. Wer Lust bekommen hat, in „Dämmerung“ rein zu hören, findet auf der FLUORYNE-Myspace-Seite einen Trailer.

Ich wünsch dir ein erfogreiches Jahr 2010, ich denke, mit dem Medienecho auf „Dämmerung“ geht es ja schon ganz gut los, und würde das Interview gerne in guter alter Metal1-Tradition mit einem kleinen Spielchen beenden. Ich nenne dir Begriffs-Paare und du wählst einen davon (mit kurzer Begründung) aus:

Opeth – Rammstein
Opeth. Ich glaube nicht, dass Rammstein qualitativ irgendwann nochmal in die Nähe von „Herzeleid“ kommen, während ich Opeths „neuere“ Werke lieber mag. Insbesondere „Blackwater Park“ und „Damnation“ sind großartig.
Mp3 – CD
Schwierig. Ich bevorzuge natürlich grundsätzlich CDs, wegen des besseren Klangs, des Artworks und so weiter. Ich fänd’s aber blöd, wenn ich mit mobilem CD-Player Bus oder Bahn fahren müsste, da lobe ich mir meinen mp3-Player.
Myspace – Homepage
Wenn man nicht gerade der totale Webdesign-Freak ist (was ich nicht bin), ist eine Myspace-Seite eine einfache Möglichkeit, einen halbwegs übersichtlichen Web-Auftritt hinzulegen, ohne was davon zu verstehen. Eine Homepage ist natürlich individueller, erfordert aber mehr Arbeit und Expertise.
Ketchup – Majo
Ketchup. „Weil’s besser schmeckt“ ;).
Ladeneschäft – ebay/Online-Shops
Ebay mag ich nicht so sehr – grundsätzlich bin ich Online-Kaufgelegenheiten aber sehr zugeneigt. An echten Geschäften nervt mich häufiger, dass die Mitarbeiter auf Teufel-komm-raus beraten wollen. Andererseits sind das natürlich auch Arbeitsplätze…
Das Problem hätt ich auch gern mal, dass ich von Kompetenten Servicemitarbeitern belästigt werde… ich kenne aus München eigentlich nur das genaue Gegenteil… ;)
Metalhammer – Metal1.info

Ist das ernst gemeint? Hättest du nicht was „knapperes“ nehmen können? Metal1.info natürlich…

Wenn ihr gleich beim Thema bleiben und weiterlesen wollt, kommt ihr hier zum DAS KAMMERSPIEL-Interview.

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