Interview mit Fredy Schnyder von Nucleus Torn

Die Schweizer Avantgardisten NUCLEUS TORN bieten mit ihrem Album „Nihil“ siebenunddreißig Minuten geballte Innovation. Fredy Schnyder gab uns Auskunft über Hintergründe der Band und des Albums, das den Beginn einer Trilogie darstellt.

Hallo, Fredy! Wie geht es dir?
Bestens, danke.

Da Nucleus Torn quasi noch in den (relativ unbekannten) Kinderschuhen zu stecken scheint, wäre für den Großteil eure Biografie sicherlich von Relevanz.
Nucleus Torn wurde in der heutigen Form (wenigstens von der Grundkonzeption her) im Sommer 1999 gegründet. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Krähenkönigin Suite aufgenommen (als Solowerk für klassische Gitarre), hätte mir aber nie gedacht, diese Musik je veröffentlichen zu können.
Eher schon sah ich Potential darin, die progressive Seite meiner Musik mit Hilfe von anderen Musikern in einem Projekt umzusetzen. Als Sänger kam für mich nur Patrick Schaad in Frage. Nach seiner Zusage schrieb ich Songs, für die wir zusammen Gesangsparts arrangierten. Als wir soweit waren, eine Demo-EP aufzunehmen, kontaktierte ich Christoph Steiner, einen befreundeten Schlagzeuger, um ihn für die Aufnahmen zu gewinnen. Im Sommer 2000 nahmen wir die EP „Silver“ auf, welche im Januar 2001 im Eigenvertrieb veröffentlicht wurde.
Aus der folgenden Zeit stammt das CD-r Demo „Submission“ (2002), welches zwei Demo-Songs enthält, welche ich zusammen mit Christoph Steiner für das New Grove Project eingespielt habe.
Im Sommer 2002 bot mir Kunsthall Produktionen an, die „Krähenkönigin“-Aufnahmen auf 10“ Vinyl zu veröffentlichen, was 2003 dann geschah.
Im Frühjahr 2003 waren genug Songs bereit, um die Aufnahmen zum ersten Longplayer zu beginnen. Patrick Schaad und Christoph Steiner waren selbstverständlich wieder mit von der Partie, dazu kamen Anouk Hiedl an der Flöte, Rebecca Hagmann am Cello und Christine Schüpbach-Käser an der Geige. Die Instrumentalaufnahmen für „Nihil“, wie das Album nun genannt wurde, waren bereits im Winter 2003/04 mehr oder weniger abgeschlossen, doch es sollte wegen Auslandaufenthalten diverser Musiker bis Sommer 2005 dauern, bis die Arbeiten am Album wieder aufgenommen werden konnten – zu diesem Zeitpunkt auch mit der Sängerin Maria D’Alessandro. Im Frühling 2006 schliesslich wurde das Album fertig gestellt und im Eigenvertrieb in einer Auflage von 500 Exemplaren veröffentlicht. Parallel dazu veröffentlichte das deutsche Label Nachtgnosis „Nihil“ als Deluxe-LP, ebenfalls in einer Auflage von 500 Exemplaren.
Zu dieser Zeit wurde auch Prophecy Production auf NT aufmerksam, nach kurzen Vertragsverhandlungen kam es zum Abschluss im August 2006. „Nihil“ wurde neu abgemischt und gemastert und nun am 1.12.2006 von Prophecy veröffentlicht, wiederum im Digibook.
Seit Sommer 2005 arbeiten wir zudem an den Aufnahmen für das nächste Album „Knell“, welches voraussichtlich im Herbst 2007 erscheinen und die härteste und dunkelste Seite dieser Band zeigen wird. Das Nachfolgealbum „Andromeda Awaiting I“ komponiere ich im Moment und hoffe, im Frühling 2007 mit den Aufnahmen beginnen zu können. Dieses Werk wird weitaus sanfter klingen, dafür äusserst episch angelegt sein und nur aus einem Track bestehen.

Desweiteren; woran ist der Name „Nucleus Torn“ angelehnt? Die Übersetzung, welche den Namen noch am ehesten umschreiben würde, wäre „zerrissener Kern“. Ist diese korrekt? Falls dem so sein sollte, wäre es sicherlich von Interesse, inwieweit man den Namen in Verbindung mit der Musik sowie ihrem Konzept zu deuten hätte.
Ich versuche, musikalisch Dinge umzusetzen, die das Innerste tangieren, also den Kern eines Menschen. Bis zu einem gewissen Grad stelle ich mir künstlerisch die Frage, was passiert, wenn der Mensch an der Grenze des Erträglichen, am Ende seiner Fähigkeiten angelangt ist, sowohl auf sich alleine gestellt, wie auch als Individuum in seiner Gesellschaft. Im Zusammenhang solcher Fragen ist das Zusammenbrechen von Gesellschaften oder Welten eine besondere Inspiration für mich.

Prophecy ist seit jeher für ihre innovative Palette an Musikformationen bekannt; ich für meinen Teil finde, dass ihr euch mit eurem einzigartigen Klang wunderbar in eben dieser Palette einreiht – doch was genau hat euch dazu bewogen, nun ein Label aufzusuchen?
Es waren genau jene Punkte, die Du aufgezählt hast – Prophecy haben hervorragende Bands unter Vertrag, beweisen künstlerischen Idealismus und haben dennoch einen äusserst professionellen und seriösen Approach in Sachen Promotion und Vertrieb. Auf eigene Faust wären wir bald an unsere Grenzen gestossen, also mussten wir einen Schritt nach vorne wagen.

Pflegt ihr Kontakt zu weiteren Prophecy Bands?
Ehrlich gesagt nein. Das hat geographische Gründe, denn wir sind die erste Schweizer Band auf dem Label. Ich habe kürzlich ein hervorragendes Dark Suns-Konzert besucht und hoffe, dass ich weitere Prophecy-Bands live erleben kann.

Wie betrachtet ihr nun im Nachhinein das Album? Existieren Stellen, welche ihr anders gestaltet oder gar gestrichen hättet; seid ihr mit dem Gesamtergebnis zufrieden?
Wir sind alle sehr zufrieden mit dem Album. Nein, wir würden garantiert keine Stellen ändern oder gar streichen, denn wir haben drei Jahre nichts anderes gemacht, als an allem und jedem zu feilen. Klanglich bin ich (und vor allem unser Sänger) mit dem Remix sicherlich viel zufriedener als mit der Originalausgabe, aber ich habe halt frühe aufnahmetechnische Fehler bis zum Schluss der Produktion mitschleppen müssen, da ich mit sehr beschränktem Equipment gearbeitet habe. Von daher würde ich viel für einen besseren Geigen- oder Pianoklang hergeben.

Wie waren die bisherigen Reaktionen Seitens der Hörer und Rezensenten bezüglich des Albums?
Erstaunlich wenig kontrovers. Ich hatte damit gerechnet, dass Begeisterung auf völlige Ablehnung stossen würde. Ersteres habe ich oft erleben dürfen, von letzterem habe ich immer nur durch andere Leute gehört. Es kommt aber öfters vor, dass sich Leute von unserer Musik abwenden, weil sie sich mit der Klangvielfalt nicht identifizieren können. Eines ist klar, es braucht den Willen des Hörers, sich mit unserer Musik zu beschäftigen, sowie ein tolerantes Ohr und ein offenes Herz, um sie zu erleben. Wir werden auf Stilvorlieben einzelner Hörergruppen keine Rücksicht nehmen, denn es gibt nur kompromisslose Wege für Nucleus Torn.

Nucleus Torn erscheint mir wie ein Chamäleon – es wechselt mit jeder Veröffentlichung die Farbe, keines eurer Werke ist auch nur im Entferntesten mit dem anderen vergleichbar, eure Experimentierfreude trieft förmlich aus jedem Ton, ohne sich jedoch in unübersichtliche Komplexität oder seelenloses Gefrickel zu verlieren. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine relativ gewichtige Aufgabe darstellt, ein derart fragiles Gleichgewicht aufrechtzuerhalten – wie bringt ihr dies zustande?
Danke für das Kompliment, das war unser Ziel. Es ist aber schwierig, konkret zu erklären, wie solch eine Balance gehalten werden kann. In Bezug auf mich kann ich nur sagen, dass ich von meiner Musik verlange, dass sie mich berührt und mir Erfahrungen bietet, die ich sonst nie gemacht hätte. Dazu braucht es Zeit und den Willen, bereits Erschaffenes neu oder anders zu gestalten, manchmal auch zu verwerfen. Für Nihil brauchten wir drei Jahre, und sogar die Grundkonzeption des Albums hat sich stark verändert während diesem Prozess.

„Nihil“ wurde bereits als A5 CD mit einer wundervollen, grafischen Gestaltung (Ein nebelverhangener Berg zierte das Digipack) veröffentlicht; wo wurde das eben erwähnte Motiv aufgenommen?
Jenes Motiv wurde im Südtirol aufgenommen, aber es ist auf dem Prophecy Re-Release nicht mehr zu finden. Neu befindet sich ein Foto aus Nordirland auf dem Cover, welches ich während einem längeren Auslandaufenthalt dort gemacht habe. Da ich selber die Prophecy-Ausgabe noch nicht in Händen halte, bin ich selber sehr gespannt darauf, wie der endgültige Release nun aussieht. Auf jeden Fall ist auch diese CD im A5-Digipack erschienen.

„Nihil“ ist ein gewichtiges Werk, welches höchstwahrscheinlich ebenso bereits beim Realisierungsprozess diverse Problematiken aufgeworfen hat; ich für meinen Teil stelle es mir bei einer Besetzung von sieben Personen relativ schwierig vor, ein homogenes Ganzes zu schaffen, wenn jedes involvierte Individuum seine eigenen Ideen und Kreationen mit einfließen lassen will. Ging das minder problematisch von Statten oder ergaben sich derartige (beziehungsweise anderweitige) Stolpersteine?
Bei „Nihil“ war diese siebenköpfige Besetzung erst im Aufbau, von daher konnten sich Spannungen nicht ergeben. Wir haben einfach Leute um ihre Mithilfe gebeten, wenn wir sie brauchten. Je länger je mehr wünsche ich mir aber, dass auch andere Musiker ihre Ideen zu den Songs beitragen, doch bis dahin werde ich einfach die Fäden in der Hand behalten. Gerade bei „Knell“ und „Andromeda Awaiting“ wäre es unmöglich gewesen, das Songwriting oder Arranging zusammen zu machen. Dafür ist die Musik einfach zu anspruchsvoll, was dazu führt, dass man die Ideen nicht als Band untereinander kommunizieren kann.

Es erweckt beinahe den Anschein, als ob sich „Nihil“ bis zu einem gewissen Grad auch über die Lyrik definieren würde, welche Teil eines größeren Ganzen (den Nachfolgewerken „Knell“ sowie „Andromeda Awaiting“ ist – lässt sich hierzu bereits etwas sagen?
Nein, noch nicht. Ich muss zuerst selber noch herausfinden, was mich die Musik sagen lassen will. Es ist auch für mich eine Reise ins Unbekannte.

Trotz (oder gerade aufgrund) der absolut minimalen Klänge, welche „Krähenkönigin“ dominiert haben, scheint sich ein Konzept dahinter zu verbergen. Könntet ihr dieses etwas näher ausführen?
„Krähenkönigin“ war, wie keines meiner späteren Werke, durch einen schlichten Naturmystizismus geprägt. Das Werk basiert demnach eher auf einem ideologischen Inhalt als auf einem Konzept im narrativen Sinne. Erzählt wird nichts in der Suite (Diegesis), aber musikalisch dargestellt (Mimesis).

Die Schweiz ist nicht gerade für ihre blühende Progszene bekannt, existieren dennoch Formationen, mit welchen ihr in Kontakt getreten seid und/oder welche ihr den Lesern dieses Interviews an\’s Herz legen könntet?
Ich habe keinerlei Kontakte zu irgendwelchen „Szenen“, ob in der Schweiz oder anderswo. Eigentlich geht es der ganzen Band so, wenn auch mich Ausnahmen. Wenn ich Schweizer Formationen empfehlen müsste, dann würde ich Paysage d’Hiver und Darkspace nennen, die ja mittlerweile durch Cold Dimensions und Avantgarde sehr starke Partner im Ausland gefunden haben. Die musikalischen Parallelen zwischen Nucleus Torn und diesen beiden Acts sind zwar minimal, die ästhetischen aber unübersehbar.

Du bist ebenso in „The new grove Project“ involviert; was genau erwartet den werten Hörer hierbei?
Speziellen bis schrägen Progressive Rock, durch tausend Widrigkeiten hindurch von zig Leuten in (fast) ganz Europa geschrieben, arrangiert und eingespielt. Meistens wird das Album mit den Flowerkings verglichen, doch haben wir ein grösseres Spektrum an Ideen abgedeckt, insbesondere im eher abgedrehten Bereich. Da Ihr Euch vor allem an metallischen Klängen orientiert, muss ich noch erwähnen, dass kaum Metal auf der Platte zu hören ist.
Die Zukunft des Projektes ist sehr ungewiss, da unser Sänger wieder zurück nach Schweden gezogen ist, auch habe ich eigentlich vor anderthalb Jahren meinen Ausstieg bekanntgegeben. Ich konnte die Arbeit für das Projekt nicht mehr neben Nucleus Torn machen. Das kann sich aber wieder ändern, denn ursprünglich war ich ja „nur“ Gitarrist und wurde durch die Unfähigkeit und Faulheit unseres Keyboarders dazu gezwungen, die Tasteninstrumente und die Produktion zu übernehmen.

Danke für das Interview, die letzten Worte gehören dir!
Besten Dank Euch allen für die Unterstützung – wir wissen es zu schätzen!

Geschrieben am von Metal1.info

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert