BIOHAZARD und LIFE OF AGONY – so unterschiedlich sich die beiden Bands auch entwickelt haben, gehören doch beide zu den Legenden des NYHC der 1990er-Jahre. Entsprechend groß ist der Run auf die Tickets der gemeinsamen Co-Headliner-Tour: Nicht nur in München hängt schon vor dem Einlass das „Sold Out“-Schild an der Tür.
In dieses Setting passen LYLVC (gesprochen: „Lylac“) leider gar nicht – da hilft es auch nicht, dass Billy Graziadei die Vorband vor Showbeginn persönlich ankündigt. Geboten wird ein lauwarmer Aufguss dessen, was derzeit als „Nu-Metal-Revival“ trendet. Dabei kommt die wohl für viel Geld in die Tour eingekaufte Truppe optisch deutlich vielseitiger daher als ihre Musik: Poppiger Klargesang und Growls werden abwechselnd von aufgepumptem Riffing oder Synthies getragen. Die fade Mixtur fetten LYLVC durch reichlich Backing-Tracks an. Wofür trotzdem sechs Musiker:innen auf der Bühne stehen, bleibt offen – wird doch (trotz Keyboarder!) sogar das Keyboard nur gesamplet. Nach 30 Minuten inklusive einem an Einfallslosigkeit in Songauswahl und Umsetzung kaum zu überbietenden Linkin-Park-Cover (richtig: „Papercut“) ist um 19:30 Uhr Schluss. Der Abend kann beginnen!
- Barely Human
- XXX
- Unstable
- Crawl Space
- Dangerous
- Papercut (Linkin Park Cover)
- Perfect Drug
- Into Nothing
Keine zwanzig Minuten später geht es dann auch direkt in medias res: LIFE OF AGONY beginnen ihr Set mit „River Runs Red“, und auch in den folgenden gut 60 Minuten widmet sich das Quartett ausschließlich Klassikern der ersten drei Alben. Das funktioniert bestens – nicht zuletzt, weil Keith Caputo nach dem Absetzen seiner Hormonbehandlung nun wieder mit seiner angeborenen, tieferen Stimme singt, die auf den Aufnahmen dieser Songs zu hören ist. Neben den eigenen (wie „Bad Seed“, „This Time“, oder „Underground“) gibt es mit dem Cro-Mags-Cover „We Gotta Know“ und einem kurz angespielten „Walk“ von Pantera noch weitere Klassiker zu hören.
Die einzige echte Überraschung im Set kommt allerdings aus dem Publikum – in Form eines Zollstocks. „It’s the first time in 35 years someone threw a ruler on stage. What is wrong with the world …“ kommentiert Keith kopfschüttelnd, ehe es mit dem nächsten Klassiker weitergeht. Das fetzt, das macht Spaß, und auch die Stimmung ist großartig. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass LIFE OF AGONY ihr Debüt „River Runs Red“ erst 2023 in voller Länge präsentiert hatten, ist es aber doch ein wenig schade, dass die Band ihr gesamtes Nach-Jahrtausendwende-Material inklusive des 2024 veröffentlichten Songs „The Crow (In Memory of B.L.)“ ignoriert.
- River Runs Red
- This Time
- Bad Seed
- Respect
- Method Of Groove
- My Eyes
- Lost At 22
- Weeds
- I Regret
- We Gotta Know (Cro‐Mags Cover)
- Through And Through
- Underground
Wem das (die Historie der Band mal außen vor gelassen) zu wenig mit klassischem NYHC zu tun hatte, kommt bei BIOHAZARD voll auf seine Kosten: Stilechter als das Quartett um Fronter Evan Seinfeld kann man dieses Genre kaum interpretieren – zumal sich auch BIOHAZARD heute auf ihr Frühwerk aus der Zeit von 1990 bis 1994 fokussieren. Geboten ist also ebenfalls vornehmlich Material der ersten drei Alben – ergänzt um das obligatorische Bad-Religion-Cover „We’re Only Gonna Die“ und – ein cooler Move – den brandneuen Track „Forsaken“. Auch sonst haben sich BIOHAZARD die eine oder andere Überraschung einfallen lassen: Mit dem insgesamt erst eine handvoll Male live gespielten „Each Day“ etwa war nicht unbedingt zu rechnen, und auch „Business“ kommt überraschend.
Musikalisch macht das allerdings ebenso wenig einen Unterschied wie der kurze Gastauftritt von Joey Zampella bei „Punishment“: Anders als Life Of Agony haben sich BIOHAZARD offensichtlich auch seit ihrer Reunion in Originalbesetzung im Jahr 2023 stilistisch nicht vom Fleck bewegt. Für Fans dürfte das eher eine frohe Botschaft denn eine Enttäuschung sein – schließlich zeichnet sich auch das Frühwerk der New Yorker nicht unbedingt durch stilistische Vielfalt aus: Wer BIOHAZARD mag, mag sie also wohl nicht trotzdem, sondern deshalb. Und so tobt ersten bis zum letzten Takt der 70-minütigen Show vor der Bühne ein wilder Moshpit, aus dem heraus die Securitys im Bühnengraben eifrig mit Crowdsurfern versorgt werden.
Die Vorband mal außen vor gelassen, bietet dieses Package eine echte ’90s-Party für alle, die nicht (nur) auf MC Hammer, Dr. Alban und Snap! abgehen. Zumindest LIFE OF AGONY sollten sich aber jetzt aber doch langsam nach vorne orientieren – drei Klassiker-Touren in Folge wären dann doch zu viel des Guten.