Konzertbericht: Marilyn Manson

13.02.2025 München, Zenith

Für Konservative und Christen war MARILYN MANSON immer der Feind. Alle anderen hatten sich, spätestens, als der selbsternannte „Antichrist Superstar“ im Dokumentationsfilm „Bowling For Columbine“ den aufgeklärten Philosophen gab, darauf verständigt, dass hinter dem Image des perversen Schock-Rockers ein ehrenwerter Mann steckt, der der Gesellschaft bloß den Spiegel vorhält. Vielleicht war diese Story von Anfang an zu schön, um restlos wahr zu sein – sie könnte aber auch gänzlich falsch sein: Im Jahr 2021 erhob MANSONs Ex-Partnerin Evan Rachel Wood schwere Vorwürfe zu jahrelangem Missbrauch, gefolgt von ähnlich gearteten Vorwürfe anderer Frauen, die obendrein von Personen aus dem Bandumfeld wie Wes Borland (Limp Bizkit) oder einem ehemaligen Tourmanager von MARILYN MANSON bekräftigt wurden.

Juristisch kommt Brian Warner, wie der Mann hinter der Kunstfigur MARILYN MANSON heißt, ungeschoren davon: Ende Januar 2025 gab die Staatsanwaltschaft von Los Angeles nach vierjährigen Ermittlungen bekannt, keine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs oder häuslicher Gewalt zu erheben. Zur Begründung hieß es, dass die Vorwürfe zum Teil verjährt seien oder eine Schuld nur schwer nachzuweisen wäre. Was das für die Frauen bedeutet, lässt sich erahnen, wenn man der britischen Schauspielerin Esmé Bianco zuhört, die ebenfalls mit Warner liiert war und ihm ebenfalls Körperverletzung, Vergewaltigung und anderen sexuellen Missbrauch vorwirft: „Wieder einmal hat unser Justizsystem die Überlebenden im Stich gelassen. Nicht die einzelnen Staatsanwälte und Ermittler, die jahrelang an diesem Fall gearbeitet haben, sondern das System.“ In ihrem Fall einigten sich die Parteien außergerichtlich.

Mit einem Freispruch ist weder das eine noch das andere gleichzusetzen, und wer nun versucht ist, das viel geschundene Wort der „Unschuldsvermutung“ in den Raum zu werfen, sei einmal mehr daran erinnert, dass diese in allererster Linie auch für mutmaßliche Opfer gelten muss, denen also auch nicht unterstellt werden darf, aus niederen Beweggründen wie Geldgier oder Rache Lügen zu verbreiten – und daran, dass es nicht einen Grund gibt, einem Mann mehr zu glauben als einer Frau. Nein, auch nicht, wenn man ihn für seine Musik vergöttert.

In diesem Kontext kam MARILYN MANSONs Comeback 2024 zumindest unerwartet – zuvor war der während des Skandals komplett abgetauchte Musiker nurmehr in bizarren Konstellationen wie einem Gottesdienst mit Justin Bieber und dem geistig gänzlich entgleisten Kanye West in Erscheinung getreten. Was das über einen „Antichrist Superstar“ aussagt, bleibt offen – zumindest im Hinblick auf Drogen soll MANSON dem sündigen Leben aber abgeschworen zu haben.

MARILYN MANSONs Reputation als Rockstar jedenfalls scheint all das nicht geschadet zu haben: Die ersten Singles und auch das Album „One Assassination Under God – Chapter 1“ charteten erfolgreich, und nach der US-Comeback-Tour waren auch die zwei Deutschland-Shows in Berlin (Columbiahalle) und München (Zenith) in kürzester Zeit ausverkauft. Mit rund 10.000 Tickets (für beide Shows zusammen) ist das zwar nicht rekordverdächtig, im auch für MANSON goldenen „Golden Age Of Grotesque“ waren es allein in der Münchner Olympiahalle deutlich mehr. Ein Ausrufezeichen ist es aber allemal, waren die letzten Touren doch weit weniger erfolgreich. Der Skandal, die mutmaßlichen Verfehlungen sorgen also einmal mehr, nach einem temporären Karriereknick, schlussendlich für einen Karriere-Boost. Das allein ist, man kann es nicht anders sagen, eine Schande – und einmal mehr der Beweis, dass „Cancle Culture“ nichts weiter ist als ein rechter Kampfbegriff.

Gleich MANSONs erste Ansage an diesem Abend soll unerschütterliche Stärke demonstrieren, und ist doch nur das Triumphgeheul eines schlechten Gewinners: „They wanted to take me away from you!“ „They wanted to take you away from me“, beide Male gefolgt von Kopfschütteln und Siegerlächeln. Als sei es bei den Vorwürfen nicht etwa um mutmaßliche Verfehlungen des Menschen Brian Warner gegangen, sondern darum, den Rockstar MARILYN MANSON zu zerstören. Ach MARILYN, wenn du (zumindest) geschwiegen hättest …

In Sachen Performance scheint ebenjener Trotz (und die Abstinenz) MARILYN MANSON allerdings Flügel zu verleihen – und hier kommen wir nun also endlich zur Musik. 90 Minuten lang führt MARILYN MANSON durch ein Set, das vor Selbstsicherheit nur so strotzt: etwa, weil das neue Album darin mit sechs Songs so präsent ist wie es lange kein neues Album mehr war. Aber eben auch, weil MARILYN MANSON in 90 Minuten ganze 17 Songs unterbringt. Das wiederum ist nur möglich, weil er körperlich so gut in Form ist wie wohl noch nie in seiner allzeit von Drogenkonsum geprägten Karriere – und weil die Musik jetzt tatsächlich im Mittelpunkt steht.

Das ist zum einen dem Umstand zu verdanken, dass MARILYN MANSON eine herausragende Rock-Band um sich geschart hat: Neben Schlagzeuger Gil Sharone und Gitarrist Tyler Bates, die MANSON treu geblieben sind, besteht diese inzwischen aus Bassist Piggy D (ehemals Rob Zombie) und Reba Meyers (Code Orange) an der Gitarre. Insbesondere letztere bringt viel Rock-Charme zurück: Wild werden Bodeneffekte getreten, und zwischendrin darf es auch mal herrlich quietschen und brummen. In einer Welt der Silent Stage, Backing-Tracks und Amp-Simulatoren ist das erfrischend ehrlich und „handgemacht“. Zum anderen hat MARILYN MANSON als Entertainer alle Star-Allüren abgelegt – und zudem eine bessere Kondition als früher: Die Stimme ist kraftvoll und klar, ebenso die Körpersprache: Über das ganze Konzert hinweg verlässt er nur zweimal die Bühne – einmal davon vor der Zugabe, das andere Mal, um in das etwas aufwendigere „The Love Song“-Kostüm zu schlüpfen. Dabei war es lange quasi ein Markenzeichen – wenn auch kein Selling Point – des Schock-Rockers, ständig hinter der Bühne zu verschwinden, um immer neue Kostüme zur Schau zu tragen. Auch Nacktheit und sonstige Provokation ist gänzlich absoluter Professionalität gewichen: Ein entblößtes Knie ist heute das höchste der Gefühle, und auch das Showkonzept, basierend auf vielen LED-Elementen und dem gleichsam zum Bandlogo gewordenen Doppelkreuz – ist zeitgemäß schlicht.

Stünde der Mann hier einsichtig oder aber freigesprochen, man könnte großen Spaß haben an diesem geläuterten Künstler, sich freuen, dass er gesundheitlich die Kurve nochmal gekriegt hat und in der Form seines Lebens auf die 60 zugeht. Doch Brian Warner hat sich entschieden, der trotzige alte Mann zu sein, der sich im Recht glaubt, nur, weil das System Täter besser schützt als Opfer. MARILYN MANSON ist zurück, und das – rein auf die Performance bezogen – ohne Frage in Top-Form. Dennoch: Wer an diesem Abend nicht zumindest ein wenig Bauchschmerzen hat ob des Umstands, wen er hier abfeiert, sollte dennoch seinen moralischen Kompass überprüfen.

Ein bisschen Rockstar-Attitüde gibt es dann übrigens doch noch zu erleben: Dass MANSON das Live-Debüt von „One Assassination Under God“ nicht etwa zusätzlich, sondern anstelle des geplanten „Coma White“ spielt, kommt nämlich sogar für die Crew überraschend. Während die Stagehands noch die Technik gegen den Schaum-Schneesturm abdecken, wird allen klar, dass MARILYN MANSON gar nicht vorhat, nochmal wiederzukommen. So endet die Show so abrupt wie chaotisch, mit schnödem Saal-Licht statt Kunstschnee und Konfetti. Selbst im „Skandal“ ist MARILYN MANSON zum Profi geworden: Show-Abbruch, ja – aber bitte erst nach der vollen Spielzeit.

    1. Nod If You Understand
    2. Disposable Teens
    3. Angel With The Scabbed Wings
    4. Tourniquet
    5. Meet Me In Purgatory
    6. This Is The New Shit
    7. Death Is Not A Costume
    8. Say10
    9. Raise The Red Flag
    10. Mobscene
    11. Great Big White World
    12. The Dope Show
    13. As Sick As The Secrets Within
    14. Sweet Dreams (Are Made Of This) (Eurythmics Cover)
    15. The Love Song
    16. The Beautiful People

  1. One Assassination Under God

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4 Kommentare zu “Marilyn Manson

  1. „Für Konservative und Christen war MARILYN MANSON immer der Feind.“
    Seitdem er mit Kanye auf öffentlichen Gottesdiensten aufgetreten ist, kann ich den Kerl nicht mehr ernst nehmen. Ob er sich dabei bei Kanye einschleimen wollte oder vom Heiligen Geist ergriffen wurde?
    Als Philosoph übrigens höchstens vergleichbar mit Precht.

    1. Hi Max, ganz lieben Dank für deine guten Wünsche, aber du musst dir wirklich keine Sorgen machen … Ich komme klar! Bussi aufs Bauchi, Moritz :-*

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