Interview mit Martin Koller von Prophecy Productions (Teil 2/2)

In unserem Bericht zum PROPHECY-FEST 2024 hatten wir – neben viel Lob – auch Anlass zu Kritik, ob nun an der „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ mit Nebenbühne statt dem ehedem ausgerufenen „Headliner-freien Festival“, oder auch ob der augenscheinlich unkritischen Haltung des Labels gegenüber mutmaßlich rechtsextremen Bands.

In Teil 1 gab Martin spannende Einblicke in die finanzielle Kalkulation hinter einem Festival und erklärt exemplarisch, warum sich auch ein Label wie PROPHECY kaum noch leisten kann, No-Name-Bands unter Vertrag zu nehmen.

Im hier vorliegenden Teil 2 wird es politisch: In einem engagiert geführten Streitgespräch gehen wir alle Vorwürfe gegen PROPHECY PRODUCTIONS en détail durch – diskutieren aber auch ganz allgemeine Fragen zur Meinungs- und Kunstfreiheit.

Das Interview wurden in zwei Frage-Runden schriftlich geführt.

Wir kommen zum zweiten, dem kritischen Teil. Ein paar Worte vorneweg: Impulsgeber für dieses Interview war eine Fan-Initiative, die sich „Besorgte Propheten“ nennt: Label-Fans, die sich „zunehmend Sorge um die braune Unterwanderung“ von PROPHECY PRODUCTIONS machen und darum zu den im Raum stehenden Vorwürfen recherchiert haben. All diese Punkte möchte ich heute mit dir durchsprechen.
Die „Besorgten Propheten“ können beruhigt sein: Bei PROPHECY PRODUCTIONS bleibt alles beim Alten –  wie in all den Jahren seit der Gründung des Labels im Jahr 1994. Trotz intensiver Reflexion sehe ich keinen Anlass, mich von Künstlern zu distanzieren. Warum ich an diesem Kurs festhalte, erläutere ich gerne. PROPHECY PRODUCTIONS wählen Künstler ausschließlich nach musikalischen Kriterien aus, ohne politische Überzeugungen zu berücksichtigen. Die Vielfalt unserer Künstler und Fans spiegelt eine pluralistische Gesellschaft wider, in der Musik und Kunst im Mittelpunkt stehen. Das Label bleibt eine Plattform für kreative Freiheit, unabhängig von politischen Dogmen. Ich persönlich finde, dass Musik mit eindeutigen politischen Botschaften in den meisten Fällen nicht besonders interessant ist. Ich bevorzuge vielschichtige Künstler, die meine Ambiguitätstoleranz herausfordern.

Das heißt, um an dieser Stelle direkt dazwischen zu grätschen: Du würdest auch einen offen rassistischen, antisemitischen oder faschistischen Künstler unter Vertrag nehmen, wenn dir seine Musik gefällt?
Einen offen rechtsextremen Künstler würde ich nicht unter Vertrag nehmen. PROPHECY PRODUCTIONS ist ein Label mit deutlich „linkem“ Einschlag. Von den rund 150 veröffentlichten Künstlern sind die meisten „linksorientiert“, einige sogar sehr dezidiert. Wenn wir es ganz genau nehmen, dann sind „rechte“ Positionen stark unterrepräsentiert. Angenommen, ich würde meine Herangehensweise grundsätzlich ändern und das Label bewusst politisch kuratieren, dann müssten wir viel mehr „rechte“ Stimmen aufnehmen, um unsere Gesellschaft repräsentativer abzubilden.

Siehst du wirklich keinen Unterschied zwischen linken und rechten Positionen, selbst in den Extremen?
Ich halte linksextreme und rechtsextreme Positionen beide für gefährlich. Totalitäre Ansichten – ob rechts oder links – zeichnen sich durch Schwarz-Weiß-Denken, exklusivem Wahrheitsanspruch, Ablehnung von Rechtsstaat und willkürlicher Gewalt aus. Das ist das Gegenteil meines Wertekanons. PROPHECY PRODUCTIONS ist für Kunstfreiheit. Das Thema Kunstfreiheit hat in Deutschland keine gute Vorgeschichte. Wir leben in extrem beschleunigten Zeiten. Da gerät leicht in Vergessenheit, wo wir herkommen und wohin wir nicht mehr zurückwollen. Wir hatten innerhalb der vergangenen hundert Jahre eine rechte und eine linke Diktatur in Deutschland, die Kunstfreiheit systematisch bekämpft haben. Vor diesem historischen Hintergrund sollte man sich als Deutscher mit Kunstsinn nicht eilfertig vor einen Gesinnungskarren spannen lassen, ganz gleich, in welche Richtung der zieht. Mehr Gelassenheit gegenüber vermeintlich gefährlicher Kunst würde uns guttun.

Wer wirklich ein Freund der Rede- und Kunstfreiheit ist, zeigt sich gerade dann, wenn auch die Rede- und Kunstfreiheit derjenigen akzeptiert wird, deren Meinung man nicht teilt oder sogar bedenklich findet. Wer sich dem verpflichtet fühlt, muss sich auch nicht ständig zu Meinungen bekennen, von Meinungen distanzieren, Meinungen ausgrenzen oder schlimme Dinge anstellen. Dann wird von vornherein akzeptiert, dass Kunst- und Meinungsfreiheit notwendigerweise auch Äußerungen hervorbringt, die manchem ein Dorn im Auge sind. Er gesteht anderen, kunstsinnigen Menschen auch die Mündigkeit zu, selbst zu entscheiden, wie sie solche Äußerungen einordnen wollen. Es braucht dann keine übergeordnete Instanz, die über den rechtlich verankerten Rahmen der Rede- und Kunstfreiheit hinaus imaginäre Grenzzäune des Sag-, Hör- und Vorzeigbaren errichtet. Genau diese Haltung ist der Unterschied zwischen tatsächlicher Rede- und Kunstfreiheit und einem Kunstverständnis, welches Künstler und Rezipienten zu Gesinnungstreue verpflichtet.

Ich finde es ehrlich gesagt anmaßend, sich als Kleinunternehmen, wie Prophecy eines ist, hinter einem Schlagwort wie Kunstfreiheit zu verstecken. Kunstfreiheit und auch Meinungsfreiheit sind eine Aufgabe des Staates – einzelne Protagonisten dürfen und sollen sich in diesem Spiel aber durchaus positionieren. In keiner Weise wird Meinungs-, Rede- oder Kunstfreiheit davon tangiert, wenn sich ein Privatunternehmen von rassistischen, antisemitischen oder faschistischen Ansichten und Personen, die diese unterstützen, distanziert: Nicht weiter unterstützt zu werden, hindert ja niemanden am Künstler sein oder seine Meinung äußern. Im Gegenteil aber ist korrekt: Indem man solchen Personen eine Bühne bietet, macht man sich – ob man will oder nicht – zum Unterstützer, handelt also nicht “ausgewogen” oder gar “unpolitisch”. Und das in einer Situation, in der es eine Partei gibt, die schon qua ihrem Parteiprogramm massiv die staatliche Subventionierung von Kultur angehen möchte, mit dem erklärten Ziel einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Kulturpolitik, um die deutsche Identität zu verteidigen – was offensichtlicher nicht die Kunstfreiheit untergraben könnte. Wäre es nicht gerade in dieser Situation wichtig, an der Grenze des demokratischen Spektrums auch eine persönliche Grenze zu ziehen?
Die Bezeichnung „Kleinunternehmen“ unterschlägt, dass wir kein Handwerksbetrieb, kein Steuerberatungsbüro und keine Rüstungsfirma, sondern ein Musiklabel sind. Musik wird allgemein als Kunst betrachtet, ob sie einem nun gefällt oder nicht. Was ist das für eine merkwürdige Rechtsauffassung, die Größe und Status als Kriterium ansieht? Es ist völlig egal, ob ein Kleinkünstler auf der Straße spielt oder eine Rockband die Stadien füllt, die Kunstfreiheit gilt für alle. Alle unsere Künstler haben ein Recht auf Kunst und Meinungsfreiheit. Sollte sich ein Künstler oder eine Band für eine Partei aussprechen wollen, wäre das ebenfalls ihr gutes Recht. Es ist nicht Aufgabe der Kunst, sich aktivistisch oder politisch zu äußern. Sie kann es, muss es aber nicht. Solche Aussagen machen erst recht deutlich, warum es so wichtig ist, dass wir als Musiklabel hinter unseren Künstlern stehen. Folgt man Deiner Argumentation, würde man sich jede Ansicht einer Person, mit der man zusammenarbeitet, zu eigen machen. Bei einer so vielfältigen Gemeinschaft wie PROPHECY PRODUCTIONS wäre das ein Chaos aus sich gegenseitig widersprechenden Ansichten. Dann dürfte ich mit den meisten der Künstler nicht mehr zusammenarbeiten. Ich arbeite auch gerne mit Dir zusammen, obwohl ich Ansichten, die Du oben in die Frage einfließen lässt, nicht teile. Und es gibt auch keinen Grund, mich zu Deinen Ansichten irgendwie zu positionieren oder diese einzuordnen.
Kunst- und Meinungsfreiheit sind für mich keine leeren Schlagworte zum „Dahinter-Verstecken“. Das ist eine Unterstellung. Ich kann mir sogar keine geeignetere Basis für PROPHECY PRODUCTIONS vorstellen, so wie ich das Label geführt habe und führen werde. Obendrein ist das alles sehr fiktiv. Keine unser Künstler hat sich jemals rechtsextrem geäußert. Ich sehe auch kaum eine Gefahr, dass das jemand tun würde. Und falls doch, können wir im Gespräch mit dem Künstler und einer Prüfung des Sachverhalts entscheiden, wie wir damit umgehen. Der Zeitgeist ändert sich ständig und wer weiß, ob ich in ein paar Jahren nicht von rechter Seite damit konfrontiert werde, wie ich zu dieser oder jener Aktion eines linken Künstlers stehe, ob ich das nicht bedenklich finde und ob ich daraus nicht Konsequenzen ziehen müsste. Denen sage ich dann das Gleiche, was ich Dir jetzt auch sage: PROPHECY PRODUCTIONS sind weder die Reichsschriftumskammer noch das Ministerium für Staatssicherheit.

Ist klingt jetzt fast schon opportunistisch … sicherheitshalber auch für die Zeit nach der Machtergreifung auf der sicheren Seite?
Nein. Wir positionieren uns stets unabhängig vom Zeitgeist und stets gemäß unseren Überzeugungen, selbst wenn das negative Folgen für uns hat.

Kommen wir zum ersten konkreten Fall: Am 14. September 2024 habt ihr via Social Media den Link zu einem Interview gepostet, das der Prophecy-Künstler Uwe Nolte (ORPLID) dem Sender „Kontrafunk“ gegeben hatte. Durch das Verbreiten eines Beitrags wird natürlich nicht nur der Künstler, sondern auch das Medium promotet. Nun handelt es sich bei „Kontrafunk“ um einen Sender, der verschwörungsideologische Erzählungen zum Ukrainekrieg verbreitet und von dem Faschisten Björn Höcke, von Hans Georg Maaßen und der Jungen Freiheit beworben wird. War es, rückblickend, aus deiner Sicht ein Fehler, dass dieses Interview geteilt wurde?
Das Interview ist hörenswert und spannend, da es einen guten Einblick in das Leben und die Gefühlswelt von Uwe Nolte gibt. Er stellt darin auch absolut nachvollziehbar klar, dass er nichts mit Extremen zu tun hat. Im Nachhinein wäre es jedoch besser gewesen, dieses Interview nicht zu teilen. Das Medium hat zu stark polarisiert und auf unseren sozialen Medien zu aggressivem Streit geführt. Die politische Kontroverse hat Leute angezogen, die sonst nicht bei uns zu Gast sind. Wir konnten feststellen, dass einige dieser Personen über mehrere Accounts versucht haben, eine aggressive Stimmung zu verbreiten und die Diskussion in Geschrei entgleisen zu lassen. PROPHECY PRODUCTIONS sind nicht die Bühne für spalterische Diskussionen, die nicht von gegenseitigem Respekt geprägt  sind. Dafür gibt es andere Plattformen. Wir sind eine Gemeinschaft von Musikliebhabern, die sich um gegenseitiges Verständnis bemüht und nicht versucht, die Leute gegeneinander aufzuhetzen.

Wie du schon sagst: Unter dem Post gab es schnell kritische Stimmen. Diese habt ihr allerdings unterbunden, indem ihr den Post gelöscht habt. Danach habt ihr einen neuen Post abgesetzt, in dem zu lesen war, dass ihr bedauert, dass der Post „zur Spaltung geführt“ hat, und dass PROPHECY PRODUCTIONS „eine offene Gemeinschaft für alle“ sei, „die an unseren Künstlern und deren Werk Freude finden“. Das liest sich, als wären aus eurer Warte eher diejenigen die Störenfriede, die rechte Umtriebe kritisieren, während ihr kein Problem damit habt, gegebenenfalls auch Rassisten, Faschisten oder Querdenker in euer Gemeinschaft aufzunehmen?
„Störenfriede“ – das Wort passt hier sehr gut – beschreibt diejenigen, die andere aggressiv beleidigt und diffamiert haben. Das waren hauptsächlich Personen, die sonst nicht bei uns zu Gast sind und mit mehreren Accounts versucht haben, Stimmung zu machen. Wer so handelt, ist bei uns nicht willkommen, unabhängig von der Motivation dahinter. Es ist natürlich schade, dass durch das Löschen des Posts auch viele gute Kommentare, die sachlich und argumentativ dargelegt waren, gelöscht wurden.

Als es unter diesem zweiten Post erneut zu Diskussionen kam, weil viele Fans von diesem sehr schwammigen Statement enttäuscht waren, habt ihr die Kommentarfunktion abgeschaltet. Nur selten wurde im Internet durch „Stummschalten“ irgendetwas befriedet – warum habt ihr diesen Weg gewählt, und hat er aus deiner Sicht zum gewünschten Ergebnis geführt?
Wir lassen keinen aggressiven und beleidigen Streit auf unseren sozialen Plattformen zu. Wer das will, kann sich anderswo austoben. Wenn unsere eindeutigen Hinweise ignoriert werden, ist es unser gutes Recht, einen Thread zu schließen. Wir haben im Übrigen viele Rückmeldungen von Fans erhalten, die es schätzen, dass wir solche Diskussionen nicht zulassen. Unser Publikum ist sehr heterogen, und das ist auch gut so.

Gab es eurerseits im Nachgang zu diesem konkreten Vorfall eine Aufarbeitung? Welche Schlüsse habt ihr daraus gezogen – auch im Hinblick auf euren Künstler Uwe Nolte?
Ich habe das Thema gründlich betrachtet und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir vorerst keine Inhalte von Medien teilen werden, die zu stark polarisieren könnten. Derzeit fördert das nur spaltende Kontroversen und trägt nicht dazu bei, dass die Künstler ein möglichst breites Publikum erreichen können.

… aber du siehst kein Problem in der Tatsache an sich, dass euer Künstler einem offen rechtsextremen Medium ein Interview gibt? Ich meine, es gibt tausende unpolitische Magazine – da fällt es schwer, es nicht als Statement aufzufassen, wenn sich ein Künstler, der eh schon einen fragwürdigen Ruf hat, ausgerechnet diese Bühne sucht. Wenn das für dich aber tatsächlich einerlei ist, wäre dir dann auch egal, wenn deine Bands auf offen rechtsextremen Veranstaltungen auftreten würden?
Mein Eindruck ist, dass Kontrafunk kein offen rechtsextremes Medium ist. Im ersten Moment hat es mich an den Rheinischen Merkur aus den 1980er-Jahren erinnert. Ich bin allerdings kein Experte auf dem Gebiet und möchte das auch nicht vertiefen.
Es sollte bekannt sein, dass sich Künstler allgemein nicht das Medium aussuchen. Meistens fragt ein Medium beim Künstler an. Das ist bei Metal1.info wohl kaum anders, zum Beispiel mit diesem Interview. Du hast bei mir angefragt und ich antworte Dir gerne, um unsere Herangehensweise zu erklären. Ich hoffe, dass ich unsere Position deutlich machen kann und dass es Leser gibt, die das interessiert. Ich mache mich damit aber keineswegs mit den Inhalten auf Metal1.info gemein, auch nicht mit den politischen Kolumnen. Ich muss diese weder kommentieren noch muss ich mich dazu in irgendeiner Weise positionieren. Meine Aussagen stehen für sich.

Neben kritischen Kommentaren unter Posts wie diesem haben auch andere Magazine, etwa die Kolleg:innen von Vampster, haben bereits Artikel zu einem vermeitlichen Rechtsruck bei Prophecy veröffentlicht. Hast du keine Angst, dass das Thema außer Kontrolle gerät und der Ruf von PROPHECY PRODUCTIONS ernsthaft und dauerhaft beschädigt wird?
Natürlich mache ich mir Sorgen, weil die Artikel bei nicht sehr aufmerksamen Lesern den Eindruck erwecken könnten, „da sei schon was dran“. Wird genug Dreck geworfen, bleibt auch mal was kleben. Viele erkennen aber auch, dass die geäußerten Vorwürfe stark konstruiert sind und nicht auf Fakten beruhen. Meine Haltung basiert auf meiner persönlichen Gewichtung von Werten. Ich hinterfrage sie bei jeder Gelegenheit neu und reflektiere oft über abweichenden Meinungen. PROPHECY PRODUCTIONS waren von Anfang an ein sehr persönlich geführtes Label, bei dem ich stets nach meinem eigenen Geschmack kuratiert habe, selbst wenn das manchmal finanzielle Nachteile mit sich brachte. Das bedeutet auch, dass Künstler und Freunde von Prophecy darauf vertrauen können, dass ich nach meinem persönlichen Wertekompass handle. Ich hoffe natürlich, dass die meisten Menschen meine Haltung verstehen und die Argumente, die meine Entscheidungen begründen, überzeugend finden. Und wer anderer Meinung ist, ist selbstverständlich genauso willkommen. Ich finde unser heterogenes und vielfältiges Publikum sehr spannend.

Über ORPLID müssen wir auch ganz konkret sprechen. Ich zitiere im Folgenden die Recherche der „Besorgten Propheten“:

„Von der „Verantwortung gegenüber der eigenen Kultur“ angespornt gründeten Uwe Nolte und Frank Machau die Band [1]. Ersterer ist in rechten Kreisen ein alter Bekannter. Er veröffentlicht im rechten Arnshaugk-Verlag [2], dessen Gründer Lammla auch Texte auf dem Album ‚Nächtliche Jünger‘ einsprach [3] (2002 bei PROPHECY PRODUCTIONS), organisiert einen Vortrag im Vereinsheim der ‚Identitären Bewegung’ [Andrea Röpke et al. Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos. Berlin: Links Verlag, 2019, S. 132.], plaudert mit dem AfD-Rechtsaußen Hans-Thomas Tillschneider in dessen Youtube-Kanal [5], Auftritt bei einem Zeitzeugen-Vortrag mit einem SS-Veteranen in einer rechten Burschenschaft [6];  und so weiter und so weiter [7]. Und spätestens mit dem aktuellen Album ‚Deus Vult‘ (2020 bei PROPHECY PRODUCTIONS) ist auch das musikalische Werk nicht mehr gut vom Politischen zu trennen [8].“

Wie ist es in einer immer weiter von rechts unterwanderten Szene und Zeiten wie den unseren zu rechtfertigen, einen so rechtsoffenen Künstler zu unterstützen – beziehungsweise glaubst du wirklich so stark an die „Trennung von Künstler und Werk“, dass man als Label derartige Positionen guten Gewissens ignorieren kann?
Hier ist schon die Begriffswahl nicht eindeutig und vermischt „rechts“, „extreme Rechte“ und „rechtsoffen“. Dabei wäre es geboten, hier klar zu differenzieren: „Rechts“ ist eine legitime politische Richtung, während „rechtsextrem“ der demokratischen Grundordnung widerspricht. Generell „offen zu sein“, sei es „rechtsoffen“ oder „linksoffen“, ist meiner Meinung nach wünschenswert, unabhängig vom politischen Spektrum oder kulturellen Hintergrund. Ich habe mir die oben genannten Texte aufmerksam durchgelesen. Es handelt sich dabei um Werturteile und/oder um Quellen aus dem linksextremen, teilweise gewaltbereiten Spektrum, die Fakten durch einseitige Darstellung oder Auslassungen verzerren. Außerdem bedienen sie sich wiederholt des Konzepts der „Kontaktschuld“ – was bereits ein Indikator für manipulative und propagandistische Argumentationen ist.
Statt jemanden nach seinen Kontakten oder Begegnungen zu beurteilen, sollte es um Aussagen und Handlungen gehen – statt auf ein konstruiertes, vermeintliches Umfeld, das auf einseitigen Interpretationen basiert. Ich habe mein Leben lang nach dem Prinzip gelebt, jeden Menschen nach seinen Taten zu beurteilen und nicht nach seinem Umfeld oder seiner Herkunft. Ich nehme auch persönlich Einladungen zu Interviews und Panels an, obwohl ich weiß, dass das Umfeld aus andersdenkenden Personen besteht. In diesem Zusammenhang fällt es schwer, Uwe Nolte konkrete Verfehlungen vorzuwerfen. Seine Interviews zeigen ein offenes Weltbild und dass er ein Teil des pluralistischen demokratischen Spektrums ist – etwas, das in den obigen Quellen nicht einmal erwähnt, sondern zu seinem Nachteil verfälscht wird. Seit 25 Jahren wird er mit Denunziation, Verleumdung und sozialem Terror konfrontiert, was auch der Grund ist, warum er trotz seiner künstlerisch bedeutenden Werke nur von wenigen eingeladen wird.

Ich finde den Begriff der Kontaktschuld hier völlig fehl am Platz. Es ist ja nicht so, dass er zufällig im Supermarkt neben einem Nazi in der Schlange stand, sondern wohl aktiv Kontakte zu Personen aus dem rechtsextremen Spektrum – etwa der identitären Bewegung oder eben dem ‚Kontrafunk‘ – pflegt und in diesem Umfeld verkehrt. Du willst mir doch nicht erzählen, dass man sich in solcher Gesellschaft auch nur wohlfühlen kann, ohne diese Gesinnung zu teilen?
Dann haben wir beide ein komplett unterschiedliches Menschenbild. Ich verkehre schon mein ganzes Leben immer mit Menschen, deren Gesinnung ich nicht teile, selbst im engsten persönlichen Umfeld. Für mich war es schon immer selbstverständlich, dass ich stets Menschen um mich habe, die anders denken und fühlen als ich. Wenn jemand andere Ansichten hat, stört mich das nicht. Ich bewerte jeden Menschen nach seinen individuellen Taten und nicht nach seinen Gedanken, erst recht nicht nach seinem Umfeld.

Kommen wir zum zweiten strittigen Fall: 2024 hast du mit SOLSTICE eine weitere umstrittene Band in euren Roster geholt – die dann, wie auch das Soloprojekt WOLCENSMEN von SOLSTICE-Sänger Dan Capp, zum Prophecy Fest 2024 eingeladen wurden. Capp spielt auch bei GRÀB, die ebenfalls bei euch unter Vertrag stehen. Ich zitiere erneut die Recherche der „Besorgten Propheten“:

„Einen Einblick in die Gedankenwelt von Capp kann man sich in seinem Blog und Podcast verschaffen [9, 10]. In seinem Online-Shop entdeckt man dann T-Shirts mit dem Titel des Hauptwerks von Julius Evola. Der erklärte „Superfaschist“ galt als der Chef-Ideologe der italienischen Faschisten unter Mussolini, sein Buch „Revolt against the modern world“ ist ein Kultbuch der ‚Neuen Rechten‘, und unter Nazis beliebt, weil die Bezüge für nicht-Insider schwer zu erkennen sind [11, 12] Auch Solstice Gitarrist Richard M. Walker ist nicht weit weg von solchen Geisteshaltungen [13, 14].

Im erwähnten Podcast von 2022 fabulieren beide, Capp und Walker, gemeinsam mit Rob Miller jede Menge Verschwörungsmythen (medienkontrollierte Staaten, Chemtrails, Covid-Inszenierung), äußern sich transphob und so weiter und so fort. Dan Capp etwa sagt: „Während lokale und nationale Regierungen jede Straße mit Regenbogenflaggen säumen, ganze Hotels an unüberprüfte Flüchtlinge vergeben und Perverse einladen, Kindern Geschichten vorzulesen, behaupten die Befürworter solcher Machenschaften immer noch, sie würden ‚das System bekämpfen‘. Das einzige Virus, der die Runde macht, ist ein psychologisches.“ All das ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber sind das wirklich Menschen, denen du mit PROPHECY PRODUCTIONS eine Plattform geben, oder, wie ihr es ja selbst immer ausdrückt: die ihr in eure Familie aufnehmen wollt?
Auch diese „Recherche“ basiert teilweise auf Vermutungen, Werturteilen und unseriösen Quellen aus dem linksextremen Spektrum. Wieder wird das Konzept der „Kontaktschuld“ verwendet, was keine solide Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Menschen bietet. Es ist jedoch korrekt, dass Dan und Rich in Interviews und Podcasts teilweise Positionen vertreten, die auf Widerspruch stoßen. Besonders Rich Walker ist seit 30 Jahren bekannt für seine ungezügelte und leidenschaftliche Ablehnung all dessen, was er als Zwang von „denen da oben“ empfindet. Du stellst völlig richtig fest, dass diese Äußerungen durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind und somit Teil des demokratisch-pluralistischen Spektrums darstellen. Themen wie unkontrollierte Massenimmigration, die Politik während der Covid-Pandemie, Geschlechteridentität oder der Russland-Ukraine-Krieg werden in vielen Teilen der Welt kontrovers diskutiert. Wir schreiben unseren Künstlern und Fans auch in diesen Fällen nicht vor, was sie darüber denken sollen. Egal, wo man steht, jeder ist herzlich eingeladen, Teil der Prophecy-Familie zu sein. Ich persönlich hatte schon immer ein Herz für Außenseiter, Abweichler und gefallene Engel; ich finde sie in unserer Szene aktuell völlig unterrepräsentiert.

Wie passt es zusammen, dass du einerseits ein Herz für Außenseiter zu haben behauptest, andererseits OK findest, wenn sich zu Opfern stilisierende Personen gegen echte Minderheiten (“Außenseiter”) wie Trans-Personen hetzen?
Deine Frage besteht aus unwahren Unterstellungen. Erstens gibt es keine Hetze gegen Außenseiter, zweitens habe ich derartiges noch niemals befürwortet.

Hier muss ich widersprechen: Spätestens „Perverse einladen, Kindern Geschichten vorzulesen“ – im Bezug auf Trans-Personen, sehe ich eindeutig Hetze. Aber unabhängig davon habe ich insbesondere bezüglich SOLSTICE aus dem Prophecy-Roster mehrere besorgte Stimmen vernommen, die alles andere als glücklich über diese neuen Label-Kollegen waren. Für Bands im Black Metal birgt es ja tatsächlich ein ernstzunehmendes Karriererisiko, wenn es – insbesondere in linken Kreisen, die nicht tief in der Materie sind – die Runde macht, dass sie mit rechten Bands beim gleichen Label sind. Würdest du dir offen geäußerte Bedenken aus deinem Roster zu Herzen nehmen?
Selbstverständlich nehme ich mir Bedenken von Künstlern zu Herzen und beschäftige mich damit. Das eigentliche Problem ist meiner Meinung nach nicht der Künstler, der Grenzen überschreitet, sondern dogmatisch motivierte „linke Kreise“ – ich zitiere dich hier, auch wenn ich den Begriff als etwas unscharf empfinde – die wenig von der Materie, dem Kontext und dem Genre verstehen, aber dennoch für sich beanspruchen, Ankläger und Richter zugleich zu sein. Diese „Kreise“ arbeiten erkennbar mit manipulativen Narrativen und Desinformation, um ihre politischen Ziele zu verfolgen. Oft sollen Andersdenkende durch sozialen Druck und Terror eingeschüchtert werden, da sie keine andere Meinung außer der ihren gelten lassen wollen. In extremen Fällen wird selbst vor Gewalt nicht zurückgeschreckt.

Diese Antwort finde ich wiederum sehr unscharf – gerade diese doch sehr konkreten Anschuldigungen gegenüber “linken Kreisen” bedürfen dann doch einer konkreteren Untermauerung mit Beispielen, ansonsten sind es eben auch nur Unterstellungen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass maskierte und bewaffnete Linksextreme 2008 ein Konzert von Camerata Mediolanense überfallen haben. Sieben der Täter kamen in Haft. Die dafür verantwortliche Antifa-Gruppe dachte irrtümlich, bei Camerata Mediolanense handelt es sich um eine rechtsextreme Band. Für Desinformation und sozialen Terror habe ich ein ganz aktuelles Beispiel. Als wir Solstice kürzlich unter Vertrag genommen haben, wurden unsere Künstler und Geschäftspartner massenhaft von immer den gleichen Leuten kontaktiert. Mit manipulativer Desinformation wurde dabei versucht, über Dritte Druck auf uns auszuüben.

GRÀB haben auf ihrem ansonsten unpolitischen Album in der Limited Edition zwei Cover-Versionen von Burzum-Songs veröffentlicht. Unabhängig davon, wie man zum Frühwerk von Burzum steht – hast du als Labelchef auch keine Probleme damit, dass über PROPHECY PRODUCTIONS Songs von Varg Vikernes veröffentlicht werden und er am Ende sogar vielleicht mitverdient?
Generell ist es die Entscheidung jedes Interpreten, welche Urheber er an seinen Aufnahmen beteiligt, da reden wir nicht in die Entscheidung rein. Das ist auch vertraglich klar geregelt.  Grab erklären ihre Entscheidung in einem Video auf YouTube. Ob Vikernes letztendlich daran verdient oder nicht, ist aber nicht ganz klar. Auf Anhieb konnte ich das Werk nicht in der Gema-Werkdatenbank finden, das heißt, die Tantiemen werden wohl auf ein Sammel-Konto gehen, das als Bonus dann an alle Gema-Urheber global ausgeschüttet wird.

Gehen wir weiter zu VRÎMUOT, die bereits mehrfach beim Prophecy Fest gespielt haben. Ich zitiere erneut die Recherche der „Besorgten Propheten“:

Tobias Sichhart, der Mann hinter dem 1-Mann-Projekt, ist Mitglied bei den „Wölfen Nordland“, dem Deutschlandableger der „Operation Werwolf“ [15] des Wolves of Vinland Gründers Paul Waggener [16, 17], und soll der ‚Identitären Bewegung‘ nahe stehen [18] Die Identitäre Bewegung, nur zur Erinnerung, sind die Fascho-Hipster, deren Kopf auf der berüchtigten Potsdam-Konferenz 2023 seine Thesen zur ‚Remigration‘ präsentieren durfte.[19]“

Dass eine Band, die also offenkundig tief aus dem Sumpf der extremen Rechten stammt, gleich viermal bei der „Prophetic Overture“ des Prophecy Fests spielen durfte, ist besonders heikel, wenn man weiß, dass die Infiltration von nicht rechten Umfeldern mit dem Anschein nach Unpolitischem, Schönem eine gezielt propagierte Strategie der Neuen Rechten ist, um sich in der bürgerlichen Mitte festzusetzen [20]. Könnte nicht sein, dass auch das Prophecy Fest hier als Steigbügelhalter fungiert?
Ich kann die Frage leider nicht beantworten, da sie auf falschen Annahmen und Spekulationen basiert. Die dahinterliegende Recherche stützt sich erneut auf unseriöse Quellen aus dem linksradikalen Spektrum, die mit Unwahrheiten und Verzerrungen arbeiten. Das Bild, das von Tobias und Vrîmuot gezeichnet wird, entspricht nicht der Realität. Es wird erneut mit dem Argument der ‚Kontaktschuld‘ operiert. Alleine in der Wiederholung dieses Musters zeigt sich, auf welch dünner Evidenzgrundlage schwerwiegende Anschuldigungen gemacht werden.

Abermals muss ich den Begriff der Kontaktschuld in diesem Zusammenhang beanstanden. An dieser Stelle sollten wir das vielleicht dann doch mal klären: Was ist für dich Kontaktschuld?
Kontaktschuld ist ein Begriff, der zur Nachkriegszeit geprägt wurde – in Deutschland die Kommunistenverfolgung beziehungsweise in den USA der McCarthyismus. Es ging darum, ob eine Person aufgrund von Kontakten zu politisch verdächtigten Personen oder Gruppen bestraft werden kann. Kontaktschuld ist eine Methode der Propaganda und Manipulation. Es wird auch heute noch genutzt, um Personen zu diffamieren, indem man sie wegen ihres Kontakts mit bestimmten Personen oder Gruppen in Misskredit bringt. Es geht dabei nicht um die Handlungen oder Aussagen der betreffenden Person, sondern um die äußere Tatsache des Kontakts. Deswegen halte ich Kontaktschuld ungeeignet – gerade, weil es nur auf einem äußeren Anschein beruht.

Hinzu kommt eine Asymmetrie in der Anwendung: Kontakte werden typischerweise nur belastend, aber nicht entlastend interpretiert. Wenn eine Person in einem als „böse“ betrachteten Umfeld verkehrt, wird angenommen, sie stimme den Zielen dieses Umfeld zu. Oder umgekehrt: Wenn jemand aus einem solchen „bösen“ Umfeld kommt und dann in einem anderen „guten“ Umfeld verkehrt, wird dieses andere Umfeld verdächtig. Die Schlussfolgerung ist immer einseitig negativ: Die Möglichkeit, dass vielfältige Kontakte auf Offenheit, Pluralität oder auch Bereitschaft zur Veränderung hinweisen könnten, wird erst gar nicht berücksichtigt.

Um auf die Gemeinschaft bei Prophecy zurückzukommen: Sollten solche Bands rechte Fans anziehen, könnte das dazu führen, dass sich andere Fans nicht mehr wohl fühlen. Hast du das im Blick, beziehungsweise einen Plan, wie dem entgegenzuwirken ist? Zumindest nach außen ist dahingehend keine Strategie zu erkennen, und das Auftreten der “Besorgten Propheten” wie auch der Debatten und Kommentare in den Sozialen Netzwerken zeigt ja durchaus, dass sich viele Labelfans Sorgen machen …
Ich kann deine Bedenken nicht teilen, ich sehe eher das Gegenteil. Die Vielfalt der Besucher beim Prophecy Fest nimmt jedes Jahr zu. Da wir den kompletten Vorverkauf selbst organisieren und die persönlichen Daten aller Besucher haben, ist das nicht nur mein persönlicher Eindruck, sondern wird auch durch Daten deutlich bestätigt.

Auch diese Antwort geht für meine Begriffe leider arg weit an der Frage vorbei. Vielfalt hin oder her: Wie würdest du reagieren, wenn sich Vorfälle wie Hitlergrüße, NSBM-Merch oder entsprechende Parolen auf dem Prophecy Fest häufen würden?
Unser Sicherheitsdienst ist seit jeher entsprechend von uns instruiert und würde sofort einschreiten.

Weiter zum nächsten Thema: Ebenfalls weit mehr als nur „zweifelhaft“ sind Death In June – und zwar sowohl als Rechtsaußen-Band, als auch als Erkennungszeichen von rechten Grufties, Metallern usw. untereinander [21]. Mit SOL INCIVTUS und FIRE+ICE habt ihr zwei Nachfolgeprojekte unter Vertrag. Erstere haben sich mittlerweile glaubhaft von rechtem Gedankengut distanziert, sowohl in Interviews [22] als auch durch die Trennung von Andrew King nach dessen Interview mit der „Neuen Rechten“ [23, 24]. Ganz anders bei FIRE+ICE – ich zitiere erneut die Recherche der „Besorgten Propheten“:

„Ian Read gründete die Band 1991 nach seinem Ausstieg bei Sol Invictus. Bei Death in June war er zumindest schon am ‚Brown Book‘-Album beteiligt, wo er das Horst Wessel Lied sang [25]. Hinzu kommen diverse fragwürdige Aussagen in Interviews [26]. Und noch 2019 war Read zu Gast beim ‚Orphischen Kreis‘, mit Uwe Nolte, Vertretern der Wölfe Nordland, der Identitären Bewegung, der JN und anderen Gesichtern der rechten Szene [27]. Von einer Läuterung kann also in diesem Fall keine Rede sein – eher von einem aktiven Netzwerk tief im braunen Sumpf. Dennoch durfte die Band 2022 auf dem Prophecy Fest auftreten.“

Spätestens hier muss doch die Frage erlaubt sein, wie stark man die Augen zukneifen muss, um hier nicht das Risiko zu sehen, PROPHECY PRODUCTIONS durch die Zusammenarbeit mit diesen Personen in offen rechte Kreise hineinzumanövrieren?
Leider lässt sich die Frage so nicht beantworten, da die zugrunde liegende Recherche auf spekulativen Narrativen und irreführenden Informationen basiert. Auf solch einer Basis kann man die vielschichtige Musikrichtung Neo-Folk nicht angemessen diskutieren. Um den Kontext von Neo-Folk besser zu verstehen und ein anregendes Gespräch zu führen, würde ich die Lektüre von „Looking For Europe“ von Andreas Diesel und Dr. Dieter Gerten empfehlen. Dieses Buch bietet einen tiefen Einblick in dieses faszinierende Thema und kann unseren Austausch bereichern.

So langsam frage ich mich dann doch: Was genau müsste ein Musiker aus deinem Roster eigentlich tun, um von dir fallen gelassen zu werden?
Ich war noch nie in einer solchen Situation, und habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Bisher habe ich noch nicht einmal ein „mahnendes Gespräch“ mit einem unserer Künstler geführt. Es gab schlicht keinen Anlass dafür.

Persönlich fand ich die Atmosphäre rund um FIRE+ICE auf dem Festival sehr unangenehm, nachdem sich Ian Read von seinen Schergen quasi über das Gelände hat geleiten lassen – und ich habe ähnliche Empfindungen von anderen Fans mitbekommen. Auch war ja im Nachgang an verschiedenen Stellen Kritik an der Rechtsoffenheit von PROPHECY PRODUCTIONS aufgekommen. Lässt dich das kalt?
Ich habe den Auftritt und die Atmosphäre ganz anders wahrgenommen. Es war eine große Freude, FIRE & ICE nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu sehen. Der Auftritt wurde von den Zuschauern sehr positiv aufgenommen, und die Band hat anschließend viel Merchandise verkauft. Ian Read, der normalerweise eher zurückhaltend ist, war sichtlich gerührt und hat sich sogar mit einigen Fans persönlich unterhalten, was für ihn ungewöhnlich ist. Die Personen, die du als „Schergen“ bezeichnest, waren seine Mitmusiker, die den nicht mehr ganz so jungen Ian unterstützt und begleitet haben.

Gerade der Neofolk hat ja schon immer ein Problem mit rechter Unterwanderung. Du betonst immer wieder, dass ihr euch die politischen Ansichten eurer Acts nicht zu eigen macht. Aber siehst du dich als Chef eines Labels, das mit AUERBACH TONTRÄGER ein für dieses Genre relevantes Sublabel betreibt, nicht auch in der Pflicht, dich dem entgegenzustellen – insbesondere angesichts der zunehmenden „Normalisierung“ rassistischer und faschistischer Gesinnungen in der Gesellschaft?
Auerbach Tonträger ist kein Sublabel von PROPHECY – es ist Teil einer Dreifaltigkeit, bestehend aus PROPHECY PRODUCTIONS, LUPUS LOUNGE und AUERBACH TONTRÄGER, die alle drei zusammengehören. Ich sehe keine Normalisierung rassistischer oder faschistischer Gesinnungen in der Gesellschaft. Es scheint jedoch eine Verschiebung in der Definition dieser Begriffe zu geben. Bei PROPHECY PRODUCTIONS gibt es keinen Rechtsextremismus, weder heute noch in der Vergangenheit.

Kürzlich erst hat Friedrich Merz beispielsweise darüber abstimmen lassen, ob man Deutschen, die ihre Staatszugehörigkeit nicht von Geburt an haben, diese wieder aberkennen kann, wenn sie straffällig geworden sind. Das ist, weil es eine Ungleichbehandlung vor dem deutschen Recht auf Basis der Herkunft wäre, qua Definition rassistisch – und damit rechtsextrem. Das wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, und es ist nur eines von unzähligen Beispielen, was alles “sagbar” geworden ist. Würdest du dem widersprechen?
Ich kann Deinem Argument nicht folgen, da haben wir in den 1990er-Jahren im Sozialkunde-Unterricht heftiger diskutiert. Eine Normalisierung wäre es dann, wenn ein bisheriges Tabu gebrochen wird und dann dieser Tabubruch zur neuen Normalität wird.

Genau das sehe ich gerade persönlich passieren. Aber kommen wir zum nächsten Problemfall: Audrey Sylvain, die von 2007 bis 2015 Sängerin der NSBM-Band Peste Noire war und aus ihrer faschistischen und rassistischen Sicht nie ein Geheimnis gemacht hat. So gibt es von ihr auch Fotos, auf denen sie den Quenelle-Gruß macht [französische Nazi Geste, vergleichbar mit Hitlergruß – Bild liegt der Redaktion vor]. Auf dem Album „Grief“ haben GERM sie 2013 zu einem Gastgesang eingeladen. Danach habt ihr GERM unter Vertrag genommen, 2016 stand sie dann als Gast von GERM auf dem Prophecy Fest auf der Bühne. Wieso habt ihr diese Kollaboration auf eurer Bühne nicht untersagt?
Die Frage hat sich für mich damals nicht gestellt. Audrey war vor allem als Sängerin von Amesoeurs und Alcest bekannt, und nicht für derartige Ansichten. Das Foto, das du erwähnst, lag mir zu jener Zeit nicht vor und wurde, soweit ich weiß, erst Jahre später veröffentlicht. Ich habe mich nie intensiv mit den Vorwürfen gegen sie auseinandergesetzt, um ihren Hintergrund und Kontext zu verstehen.

Audrey war aber damals schon als Sängerin von Peste Noir bekannt. Meinst du nicht, als so tief in der Szene verwurzelte Person wie du, wäre es wichtig, solche Details zu kennen – und sei es nur in Vorbereitung auf eure Events?
Da muss ich Dir widersprechen. Winterhalter, Neige und Indria von Alcest sowie Andy von Soror Dolorosa waren ebenfalls Mitglied bei Peste Noir. Niemand von ihnen hatte rechtsextreme Ansichten oder ist jemals derart aufgefallen. Das traf damals auch auf Audrey zu. Auch Dir war das 2016 offensichtlich nicht bekannt, als Du GERMs Album „Escape“ rezensiert hattest – sonst hättest Du das bestimmt erwähnt oder der Gruppe keine Plattform gegeben.

Nein, war es tatsächlich nicht – anders als du sehe ich darin allerdings durchaus ein Versäumnis. Euer Wirken lässt meiner Ansicht nach eine klare Abgrenzung und Position gegen Antisemitismus vermissen.

Ein Beispiel: Im Jahr 2021 habt ihr ein großes Boxset zum Album „Death – Pierce Me“ von SILENCER herausgebracht. Das Album enthält klar antisemitische Aussagen, etwa „The consumption of six million stars, Cyclonic winds in septic wars – Shed are the blood of Jewmans, Slay the Lion of Juda, Revive the night of crystals!“, in dem wenig verklausuliert der Mord an sechs Millionen Juden und die Kristallnacht zelebriert werden. Natürlich ist das vorgeblich Teil eines Konzepts – aber damit lässt sich ja wirklich alles rechtfertigen. Muss man so ein Machwerk nach 20 Jahren wirklich nochmal ausgraben und antisemitisches Gedankengut, getarnt als super misanthropischer Black Metal, weiterverbreiten?
Als ich die Frage zum ersten Mal las, dachte ich, es ginge um ein anderes Album. Dein Argument lässt den Albumkontext völlig außer Acht. Das Album von SILENCER ist seit 25 Jahren ein fester Bestandteil in unserem Programm. Ich hatte die Aufnahmen selbst organisiert und war während der gesamten Produktion vor Ort. Es gilt als Genreklassiker, der erst einige Jahre nach seiner Veröffentlichung ein breiteres Publikum gefunden hat. „Death – Pierce Me“ wird zu Recht als eines der extremsten Black Metal Alben aller Zeiten betrachtet.

Die letzte Zeile des Textes, den du zitiert hast, lautet: „(Nein, Nicht, Noch Einmal!)“, was du in deinem Zitat nicht erwähnt hast. Verkürztes Zitieren, das den Inhalt entstellt, ist ein zumindest unzulässiges Mittel. „Death – Pierce Me“ behandelt Themen wie Wahnsinn, Schizophrenie und ungefilterte Paranoia. Der Künstler wurde aufgrund seines Zustands tatsächlich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, was keine bloße Legende ist. Es gibt ein Video, das den Kontext des Albums auf eine unterhaltsame Weise wiedergibt. Nattramn, der Sänger und Texter der Band, hat im einzigen Interview, das Silencer je gegeben hat, klar gemacht, dass seine Texte nichts mit irgendeiner Form von Rassismus zu tun haben.

Das von dir erwähnte “(Nein, nicht, noch einmal!)” steht eine ganze Strophe weiter unten im Text, und an deren Ende. Ein Zusammenhang mit den von mir zitierten Versen ist nicht erkennbar. Und dann wären da ja noch die anderen Zitate. Aber auch hier drängt sich die Frage auf: Reicht es dir wirklich, dass klarer Antisemitismus durch eine preusdo-Brechung relativiert wird, um diesen nicht als solchen anzuerkennen? Müsste jeder Text mit “Heil Hitler” enden, damit wir uns darauf verständigen können, dass er antisemitisch gemeint ist?
Du interpretierst das Werk anders als ich – und auch anders als der Künstler selbst.  Er hat das in seinem Interview auf Nachfrage dargelegt. Kunst liegt im Auge des Betrachters. Auch wenn ich es anders sehe, ist das eine Sache der Interpretation und Du kannst das Werk gerne für Dich so interpretieren. Ich stimme Deiner Interpretation erstens nicht zu und zweitens endet der Text eben nicht mit einem verfassungsfeindlichen Ausspruch. Etwas in Zitate hineinlesen ist ebenso unzulässig wie das sinnentstellende Kürzen.

Auch das aktuelle Comeback-Video von NACHTMYSTIUM wurde fragwürdig promotet: Im ersten Video dazu werden Schmähkommentare über Fronter Blake gesammelt, darunter auch „Blake the Jew“, was darauf anspielen soll, dass er Fans um Geld betrogen hat. Diesen antisemitischen Stereotyp („geldgieriger Jude“) als normale Beleidigung zu akzeptieren und zu reproduzieren trägt dazu bei, derartigen Unsinn in den Köpfen festzusetzen. Was ist hierzu deine Meinung, würdest du das auch mit diesem Argument im Hinterkopf wieder so machen?
Ja, ich würde es wieder genauso machen. Ich verstehe dein Argument vollkommen, habe jedoch andere Aspekte etwas höher gewichtet. Lass mich die Hintergrundgeschichte des Videos erklären: Als wir das NACHTMYSTIUM-Logo auf sozialen Medien zeigten, wurden wir innerhalb weniger Stunden mit Hunderten von abfälligen und teilweise mehr als üblen Kommentaren konfrontiert. Daraufhin habe ich spontan das Drehbuch für das Video verfasst, das wir dann innerhalb von zwei Tagen umgesetzt haben. Das Video beleuchtet die gesamte Karriere von Nachtmystium, einschließlich der Höhen und Tiefen, die durch Blakes Sucht entstanden sind. Die Hasskommentare sind nicht nur ein Teil dieser Geschichte, sondern schaffen auch eine Meta-Ebene zum Thema Mobbing in sozialen Medien. NACHTMYSTIUM haben viele Kommentare erhalten, die noch viel üblere antisemitische und hasserfüllte Stereotypen enthielten. Die eingebundenen Kommentare reflektieren die Realität, wie sie sich auf sozialen Plattformen generell und speziell für Nachtmystium darstellt. Es ist meiner Meinung nach vollkommen legitim, all das in einem Videoclip zu thematisieren, besonders im Kontext eines so polarisierenden Künstlers wie NACHTMYSTIUM.

Trotzdem legitimiert das “Anerkennen” einer antisemitischen Beleidigung als Beleidigung den Antisemitismus. Findest du das richtig? Oder wäre es hier nicht verantwortungsvoller gewesen, das nicht zu tun? Hättest du auch zitiert, wenn das N-Wort benutzt worden wäre?
Da sind wir verschiedener Meinung. Ich finde nicht, dass die Thematisierung einer antisemitischen Beleidigung gegen einer unserer Künstler Antisemitismus legitimiert – ganz im Gegenteil! Im Video sind auch andere Beleidigungen verarbeitet und die von Dir genannte hätte ich ebenso verwendet. Erwachsene vor bestimmten Inhalten „zu schützen“, ist entmündigende Bevormundung.

„Let’s agree to disagree“, wie man im angloamerikanischen Raum so schön sagt. Danke für die Bereitschaft, deinen Standpunkt und die Position von PROPHECY PRODUCTIONS zu diskutieren.


Lies hier Teil 1 des Interviews, in dem Martin Koller Einblicke in die finanzielle Kalkulation eines Festivals gibt und erklärt, warum sich auch PROPHECY kaum noch leisten kann, No-Name-Bands unter Vertrag zu nehmen:

Prophecy Productions (Teil 1/2)


A.d.Red.: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Dan Capp habe auf Social Media ein Foto gepostet, auf dem Freunde den Hitlergruß machen. Hier lag ein Irrtum vor, das besagte Bild hatte Rich Walker veröffentlicht. Wir haben den Satz darum aus dem Artikel entfernt.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

4 Kommentare zu “Prophecy Productions (Teil 2/2)

  1. Puh – es ist ja teils dieselbe Argumentation, mit der Faschisten sich heutzutage in die Mitte der Gesellschaft hineindefinieren wollen: „Ich sehe keine Normalisierung rassistischer oder faschistischer Gesinnungen in der Gesellschaft. Es scheint jedoch eine Verschiebung in der Definition dieser Begriffe zu geben.“

    Ich bin nach wie vor ein großer Fan von Prophecy, seit 1998 hatte ich jahrelang ein Abo, war im damaligen „Street-Team“ aktiv, kannte die Leute hinter dem Label persönlich, habe als Studentenjob die Prophecy-Seite und -Shop gebaut…

    Aber in der aktuellen Zeit sehe ich es als Bürgerpflicht an, sich gegen das Abrutschen in eine neue Diktatur zu positionieren. Und die droht aktuell nicht von Linksextremisten, sondern von rechten Faschisten.

    PS. Danke, metal1.info für die Berichterstattung auch politischer Themen!

  2. Ich bin sehr viel länger Fan von Prophecy, als ich euch lese. „Bitter ist’s dem Tod zu dienen“ war als Teenager meine erste echte Metalplatte. Tenhi, Helrunar und Nhor atme ich immer noch. In meinem Regal liegt noch ein Shirt vom ersten Prophecy Fest 2015, war ein schönes Jahr. Fühlte mich als Teil der Familie. Schon kurze Zeit später bin ich nicht mehr nach Balve gefahren, weil mir die Anwesenden bereits unangenehm wurden, ehe das noch mehr Leuten aufgefallen ist. Von den besorgten Propheten habe ich nie etwas gehört, dafür schon lange immer mal wieder die Augenbrauen hochgezogen, wenn z.B. mal wieder Orplid mit einer Sammelbox geadelt wurde.

    Umso mehr habe ich mich auf das Interview hier gefreut, auf etwas Selbstkritik, was Ausgewogenes, eine zufriedenstellende Erklärung. Stattdessen Abwiegelung, Blindheit, Feigheit – ein Offenbarungseid. Das komplette Bingo vom unsäglichen Hufeisen zwischen Antifaschismus und Faschismus über die ewige Opferrolle gegenüber der ach so starken Linken. Das ganz gipfelt dann bei wirklich merkwürdigen logischen Verrenkungen, wenn das Leugnen nicht mehr klappt – warum sollte es überhaupt eine Rolle spielen, aus welchem politischen Lager eine Information kommt, sofern sie davon unabhängig verifiziert werden kann und es nur um eine Stellungnahme bezüglich ihres konkreten Inhalts geht?

    Ignoranz oder ein geteiltes Weltbild? Wer weiß, darüber kann und will ich nicht urteilen. Was mich hier aber immer wieder stutzig macht, sind die Distanzierungen von dem dem Interview zugrundeliegenden „Weltbild“, das ja erstmal von nichts weiter als von einer Sorge um eine erstarkende, verfassungsfeindliche Rechtsextreme informiert ist. Eine Sorge, die ja Leute von links bis moderat rechts teilen sollten. Sieht er sich nicht mehr in dem Spektrum? Wenn nein, wo dann?

  3. „Sehnsüchtig“ auf den Teil gewartet.
    Super schwache „Argumente“, die man so heutzutage bei opportunen Menschen, die offen für Rechtsextreme sind, leider zu oft hört.

    Und nein, ich bin nicht „links“ oder „linksextrem“.
    Aber bei jedem Argument mit Kontaktschuld zu kommen, ist schwach.
    Wobei ich die Frage um den Silencer-Text nicht einzuschätzen weiß. Da kenne ich weder Lied noch Künstler.

    Seis drum, das Interview unterstreicht auf jeden Fall meinen distanzierten Umgang mit dem Label seit einigen Jahren. Dabei war es mal mein absoluter Favorit, ich hab jede Veröffentlichung der drei Sublabels gekauft etc.

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