Interview mit J.J. von Harakiri For The Sky

Die österreichische Post-Black-Metal-Instanz HARAKIRI FOR THE SKY hat kürzlich ihr neuestes Album „Scorched Earth“ veröffentlicht. Sänger J.J sprach mit uns im Interview über die Entwicklung der Band, den Klimawandel und seine Sicht auf die heutige Gesellschaft.

 

Lass uns mit einer kleinen Rückschau beginnen: 13 Jahre seid ihr nun schon aktiv. Welche Gefühle und Erinnerungen hast du, wenn du an euer Gründungsjahr 2011 zurückdenkst?
Es ist viel passiert seither – sowohl bei uns als Band als auch bei mir persönlich. Ich hätte zu dieser Zeit nicht damit gerechnet, dass wir es mit dieser Band so weit bringen. Wir haben seit der Gründung in einer Menge Länder gespielt und ich hoffe, dass mit dem neuen Album noch einige dazukommen.

HFTS 2025; © Anne Swallow

Ihr habt mit euren Alben schon früh großen Anklang gefunden. Was erzeugt diese immense Anziehung eurer Musik für euch selbst, aber auch für eure Fans?
Das musst du unsere Fans fragen. Wir haben eigentlich von Anfang an nur das gemacht, worauf wir musikalisch Bock hatten. Und das war eben das frühe Post-Black-Metal-Zeug wie Alcest, Les Discrets, Amesoeurs und für mich vor allem Lantlos. Ich glaube, dass es bei Harakiri For The Sky die Kombination aus melancholischen Melodien und schwermütigen Texten ist, mit denen sich die Leute identifizieren können. Und es ist natürlich ein gutes Gefühl, wenn man mit seiner Kunst nicht nur sich selbst, sondern auch andere therapiert.

Eure ersten beiden Alben „Harakiri For The Sky“ und „Aokigahara“ habt ihr unlängst komplett neu aufgenommen. Wie kam es zu der Entscheidung, und haben die Neuaufnahmen auch Einfluss auf euer neues Album gehabt?
Da wir die ersten beiden Alben damals in Eigeninitiative aufgenommen und produziert haben, kamen mit den Jahren natürlich immer mehr Mankos zum Vorschein beziehungsweise Dinge, die man nicht bedacht hat und im Nachhinein besser gemacht hätte. Als das zehnjährige Jubiläum unseres ersten Albums näher rückte, haben wir uns schließlich die Frage gestellt: Wollen wir es in der Ursprungsversion neu veröffentlichen, sollen wir es remastern oder gänzlich neu aufnehmen – diesmal in einem professionellen Studio? Die Pandemie bzw. die eher konzertarme Zeit hat uns die perfekte Möglichkeit geboten, beide Alben neu zu erarbeiten. Und das war definitiv eine sehr gute Entscheidung.

Harakiri For The Sky - Harakiri For The Sky MMXXII CoverWie gestaltet sich bei Harakiri For The Sky das Songwriting? Du bist ja für den Gesang und die Texte verantwortlich, M. S. übernimmt das Songwriting und spielt die meisten Instrumente. Macht da jeder seinen Part in Einzelarbeit, oder habt ihr jeweils Mitspracherecht – und wann fügt sich alles zusammen?
Generell macht jeder von uns sein eigenes Ding und arbeitet allein. Aber natürlich räumen wir uns gegenseitig ein wenig Mitspracherecht ein. Meist gibt es jedoch von der Gegenseite nur wenig zu meckern, und so sind wir uns bei Texten und Musik meist schnell einig.

Entstehen eure Songs „in der Theorie“ am Rechner und in der Pre-Production, oder probiert ihr die Stücke als Band im Proberaum aus, um ihre Live-Tauglichkeit oder generelle Wirkung zu testen?
Matthias schreibt seine Musik in erster Linie auf der Gitarre und notiert seine Ideen anschließend in Guitar Pro. Die arbeitet er, soweit ich weiß, immer weiter aus und ergänzt sie mit neuen Ideen, bis er das Gefühl hat, dass ein Song fertig ist. Bei mir ist das nicht unähnlich. Ich habe immer Stift und Notizbuch dabei oder notiere mir meine Ideen schlimmstenfalls im Handy. So kommt dann eine gute Stoffsammlung zusammen. Wenn dann ein neues Album im Raum steht, sortiere ich diese Ideen nach Themenschwerpunkten und arbeite sie wiederum soweit aus, bis ich das Gefühl habe, in einem Text alles gesagt zu haben.

Im Cover finden sich Reminiszenzen an eure vergangenen Werke – der Hirsch von „III: Trauma“, die Eulen, die an „Arson“ erinnern, oder auch die Wölfe, die einen Rückschluss auf „Maere“ zulassen. Was hat es damit auf sich?
Das hast du gut erkannt. Reminiszenzen – das ist wohl der richtige Begriff dafür. Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass wir in diesem Album alte wie auch neue Stärken von Harakiri For The Sky miteinander kombinieren konnten, weshalb all die Tiere, die unsere vorherigen Alben porträtierten, auf diesem versammelt sind.

Künstler brauchen ja oft diesen gewissen „Funken“, bevor sie ein Album angehen. Was war dein Funke für „Scorched Earth“, was hat dich inspiriert?
In erster Linie persönliche Erlebnisse in den letzten fünf Jahren. Ich kann nur über Dinge schreiben, die ich selbst durchlebt habe, weshalb man eigentlich alle meine Texte als autobiografisch betrachten kann. In den ersten beiden Pandemiejahren ist bei mir ziemlich viel Scheiße abgelaufen, weshalb diese Jahre wohl als Hauptinspirationsquelle dienen. Bei den Texten selbst versuche ich, eine ausgewogene Mischung aus Storytelling und Metaphern hinzubekommen. Zumindest hoffe ich, dass das auch so rüberkommt. Texte und Musik waren für mich schon immer gleichwertig, weshalb ich meinen Lyrics relativ viel Aufmerksamkeit schenke.

„Scorched Earth“ bedeutet „verbrannte Erde“. Inwieweit lässt das und das gesamte Konzept Schlüsse auf den Klimawandel zu?
Der Klimawandel ist wohl nur eines von vielen Themen, auf die man den Titel beziehen kann. Er ist aber dann doch etwas subtiler. Generell ist der Titel „Scorched Earth“ sowohl eine Anspielung auf meine eigene (jüngere) Vergangenheit, wie man zwischen den Zeilen der Texte lesen kann, als auch auf das momentane Weltgeschehen. Ungefähr seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und spätestens seit dem 7. Oktober 2023 hat sich etwas in mir verändert. Denn obwohl ich auch schon schlechtere Zeiten hatte, merke ich, dass mich diese Geschehnisse und die Richtung, in die sich die Welt bewegt, extra nervös und wütend machen. Und obwohl die Texte keinesfalls als politisch zu betrachten sind, hat die momentane Situation und die Grundstimmung dieser Zeit sie jedoch durchaus mitbeeinflusst – auch wenn sie nicht von diesen Themen, sondern von meiner eigenen Geschichte handeln.

HFTS 2025; © Anne Swallow

Man muss in der Metal-Szene leider eine immer größere Relativierung der gesellschaftlichen Entwicklung nach rechts beobachten. Wie steht ihr zu dieser Entwicklung? Inwieweit seid ihr seit dem Fast-Skandal mit dem unglücklichen Fast-Gastbeitrag auf eurem letzten Album aufmerksamer geworden?
Generell kann man sich bei Kooperationen mit anderen Musikern natürlich nie ganz sicher sein, welche Weltordnung – oder wie auch immer du es nennen willst – sie anstreben, vor allem wenn man sie nie persönlich kennengelernt hat. Wenn wir etwas aus der Sache mit Audrey gelernt haben, dann, dass es wohl besser ist, nur mit Leuten zusammenzuarbeiten, für die man auch persönlich bürgen kann. Und wenn man jemanden nicht persönlich kennt, sollte man zumindest die notwendigen Backgroundchecks machen, damit es am Ende keine bösen Überraschungen gibt. Diese Relativierung, von der du sprichst, sehe ich aber absolut nicht. Ich empfinde eher das Gegenteil – dass es dafür eine sehr große Awareness gibt. Ich bin seit 20 Jahren auf (Black-)Metal-Festivals unterwegs, und früher waren Leute mit alternativen Ansichten, wie ich zum Beispiel, eher die Ausnahme. Das hat sich zum Glück gewandelt, denn ich sehe heutzutage wenige bis gar keine Konzertbesucher mehr mit fragwürdigen Patches auf den Kutten oder einschlägigen T-Shirts. So etwas wird heutzutage einfach nicht mehr hingenommen.

HFTS 2025; © Anne Swallow

Trotzdem bin ich der Meinung, dass man einen Kompromiss finden sollte zwischen haltloser Cancel Culture und erwähnter Awareness, die aber eigentlich von Haus aus gegeben sein sollte. Niemand muss extremistische Bands oder Konzertbesucher dulden, und in solchen Fällen ein klares Statement zu setzen, finde ich notwendig. Es kann aber nicht sein, dass Band XY gecancelt oder im Internet zerrissen wird, weil der Cousin des Drummers mit einer Band gespielt hat, die vor 20 Jahren edgy sein wollte und in Interviews radikale Ansichten von sich gegeben hat – egal in welche Richtung – und das nach all der Zeit wahrscheinlich gar nicht mehr so sieht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Das nennt man Integrität, und diese hat man oder nicht, aber sie sollte nicht durch äußeren Druck erzeugt werden. Das ist hier keine Hexenjagd. Wer ein Monster bekämpfen will, muss dabei aufpassen, nicht selbst zum Monster zu werden. Es ist weit besser, den „eigentlichen Feind“ gemeinsam zu bekämpfen, als sich gegenseitig – als Leute mit ähnlicher Gesinnung – untereinander.

Diesmal habt ihr jedenfalls nur unproblematische Gäste – fast alle kommen aus dem Umfeld des Post-Black-Metal. Daniel Lang von Backwards Charme ist als gegenteiliges Beispiel eigentlich im Indie- und Dream-Pop zu Hause. Erzähl doch mal ein wenig davon, wie die Kooperationen zustande kamen und abgelaufen sind…
Daniel ist ein alter Freund von mir. Wir haben seit 2013 zusammen in der Modern-Hardcore-Band Five Minute Fall gespielt, und nun spielt er seit 2018 auch bei meiner anderen Band Karg. Generell sind wir aber alle – sowohl bei HFTS als auch bei KARG – genretechnisch sehr aufgeschlossen, wie sich bei den Gastbeiträgen oder mittlerweile auch musikalischen Einflüssen gut erkennen lässt. Daniel als Freund zu haben, hat uns die Möglichkeit gegeben, unsere Grenzen erneut etwas auszuloten, und ich halte den Song für sehr gelungen.

Zu den anderen Gästen: Austere haben damals Ende der 00er-Jahre einiges ins Rollen gebracht und waren neben Bands wie Lifelover fast schon eine Religion für mich. Als ich Tim dann vor anderthalb Jahren auf einer Tour durch Großbritannien persönlich kennengelernt habe, hat es direkt gematcht, und als wir über etwaige Features für das neue Album gesprochen haben, habe ich ihn gleich ins Spiel gebracht. Mit Helden aus der Jugend zusammenzuarbeiten, ist für mich auch nach all den Jahren noch immer etwas Besonderes. Eine meiner größten Traumkooperationen wäre etwa mit Jochen von Dornenreich. Es bleibt zu hoffen, dass sich das eines Tages ergibt.

SVALBARD im November 2024 in München
SVALBARD 2024 in München

Das zweite Feature mit Serena von Svalbard hat sich ebenso natürlich ergeben. Ich habe die Band das erste Mal – ich glaube, 2015 – in einem besetzten Haus in Wien gesehen, als sie gerade am Anfang stand. Serenas Vocals, sowohl die cleanen als auch die geschrienen, haben mich schon damals sehr beeindruckt. Und da ich schon immer mit einer Frau zusammenarbeiten wollte, die zu beidem fähig ist, war Serena sowohl diesbezüglich als auch menschlich die erste Wahl.

 

GROZA auf dem Wolfszeit 2022
GROZA auf dem Wolfszeit 2022

Die Kooperation mit P.G. war dagegen lange geplant. Was dabei herausgekommen ist, war aber eher ein glücklicher Zufall und seiner Experimentierfreude zu verdanken. Die cleanen Vocals waren erst nicht geplant, aber als wir dann seine erste Version des Songs zu hören bekamen, wussten wir: Genau so und nicht anders! Ich finde, deshalb ist unsere Version ein wunderbarer Kompromiss zwischen dem Stil von HFTS und der Ursprungsversion von Radiohead, von P.G. stimmlich genial umgesetzt. Gewählt haben wir – bzw. Matthias – den Song, weil er sich ausgezeichnet in unserem Stil interpretieren lässt. Das Anfangsriff könnte theoretisch auch von Harakiri For The Sky sein.

Musikalisch finde ich „Scorched Earth“ atmosphärisch noch offener – eher träumerisch als zutiefst melancholisch. Siehst du das auch so? Und wenn ja, wie kam es zu dieser Entwicklung?
Das sehe ich auch so. Diese Entwicklung ist aber eine ganz natürliche, nichts, worauf wir hingearbeitet hätten. Für mich waren es aber immer schon Entwicklungen wie diese, die Black Metal interessant gemacht haben – sich selbst musikalisch keine Grenzen zu setzen und sich treiben zu lassen. Das macht dieses Subgenre für mich auch so vielseitig.

Wo wir gerade bei Dream-Pop und Indie waren: Thom Yorke (Radiohead) ist ein großartiger Musiker und Komponist. Mit „Street Spirit (Fade Out)“ habt ihr einen absoluten Klassiker der Band reinterpretiert. Welche Musik begleitet euch abseits der Bühne und/oder ist außerhalb des Metal-Genres Inspiration für euch?
Da gibt es jede Menge. Black Metal ist dabei höchstens ein Bruchteil von dem, was wir hören. Ich für meinen Teil bin, wie man sich vielleicht denken kann, ein großer Anhänger von Post-Rock, Hardcore, Indie oder ähnlichen Rockgenres. Für Matthias trifft das überwiegend ebenfalls zu. Um es kurz und bündig zu halten, hier ein Überblick über einige meiner Lieblingsalben:

Modern Life Is War – Witness
Lantlos.neon
DornenreichNicht um zu sterben
Of The Wand And The Moon – Emptiness.Emptiness.Emptiness
This Will Destroy You – Young Mountain
Defeater – Empty Days and Sleepless Nights
If These Trees Could Talk – Above the Earth, Below the Sky
Explosions In The SkyThe Earth Is Not a Dead Cold Place
CasperXOXO
LifeloverKonkurs
Nyktalgia – Nyktalgia
Austere – To Lay Like Old Ashes

HFTS 2025; © Anne Swallow

Ihr seid im Februar für zwei Gigs in den USA. Reist du in Zeiten einer zweiten Trump-Regierung mit einem anderen Gefühl ins „Land of the Free“?
Ich war sowohl zu Zeiten der ersten Trump-Regierung als auch in Bidens Amtszeit mehrmals in den USA, und man merkt als Tourist nur wenig Unterschied. Generell sind die USA ein Land der Gegensätze, und man kann dort viele einzigartige Erfahrungen machen. Die Mentalität der Menschen ist im Mittleren Westen eher konservativ, an der Westküste hingegen weltoffener – das dürfte eine Konstante sein.

Wie ticken die Fans dort? Gibt es Unterschiede zu Deutschland oder Österreich?Ja, definitiv. In Amerika und England ist man als europäische Band viel weniger wert. Die Veranstaltungskultur ist eine komplett andere. Die Mentalität der Fans jedoch ist der europäischen sehr ähnlich – herzlich, freundlich, aber wenig aufdringlich.

Ich danke dir vielmals für deine Zeit! Abschließend noch das obligatorische Metal1-Brainstorming:
Optimismus: Wäre gesund, habe ich aber nicht allzu viel davon mitbekommen.
NSBM: Nicht meine Baustelle und auch nie gewesen
Liebste Platte außerhalb des Metal Genres: Alles von OF THE WAND AND THE MOON
Österreich: Das Land in dem ich aufgewachsen bin und zu Hause fühle. Vor allem wegen der Berge.
Pessimismus: Eher ungesund, aber wenn es dann doch anders läuft, ist die Freude umso größer.
Harakiri For The Sky in zehn Jahren: Schwer zu sagen. Denke aber doch, dass wir dann immer noch Bock auf die Band und das Musik machen haben werden. Aber erstmal sehen wohin sich die Welt entwickelt und ob Konzerte in zehn Jahren vielleicht nur noch aus Hologrammen bestehen die man sich ins Wohnzimmer holen kann.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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