Wardruna - Birna 2025

Review Wardruna – Birna

Die Erwartungen an „Birna“ dürf(t)en groß sein. Nicht erst die letzte Tour der Gruppe rund um Multiinstrumentalist Einar Selvik zeigte deutlich, wie groß das Interesse an WARDRUNA mittlerweile ist. Dennoch stellt sich die Frage um die Bedeutung von WARDRUNA im Angesicht des starken Aufwinds, den Nordic Folk seit längerem erfährt. Wo finden die Norweger also ihren Platz?

„Birna“ versteht sich als ein Konzeptalbum, das sich einer Bärin als Hüterin des Waldes widmet. Sie wurde dabei stellvertretend als diejenige gewählt, die mehr und mehr aus dem eigenen Lebensraum verdrängt wird und in der modernen Gesellschaft keinen Platz hat – für Einar Selvik ein Grund, sie in den Fokus zu nehmen und die Zuhörerschaft auf eine (rück)besinnliche Reise zu nehmen.

Gleich im Einstieg mit dem Stück „Hertan“ fällt zuerst auf, dass Sängerin Lindy-Fay Hella mehr Präsenz bekommt, um einen Akzent zu Einar Selvik zu setzen. Beide begegnen sich auf Augenhöhe. Das tut den Stücken gut und setzt sich konsequent in „Birna“ fort. Der Titeltrack leitet die Erzählung der eigentlichen Protagonistin ein. Wir begleiten in den drei darauffolgenden Stücken die Bärin vom Rückzug unter die Erde zur Vorbereitung des Winterschlafs über diesen selbst bis hin zum Erwachen im Frühling. Das mit über 15 Minuten längste Stück des Albums, „Dvaledraumar“, widmet sich dem Träumen der Winterschläferin. Dumpfe, synthetische Klänge schaffen es, das Surreale einzelner Traumsequenzen bzw. des Halbschlafes einzufangen. Alles klingt gezogen und wabert unscharf, während immer wieder ein ferner, sanfter Herzschlag an den verlangsamten Stoffwechsel erinnert. Das alles wirkt allerdings ein wenig zu gestreckt und dadurch mit der Laufzeit (gewollt?) monoton. Wer nicht aufpasst, läuft Gefahr, eingelullt zu werden und am Ende selbst dem Schlafe nah zu sein. Das folgende „Jord til Ljos“ weckt entsprechend sanft, eine helle Flöte folgt dem eingespielten Vogelgesang und das Motiv des bereits aus „Isa“ bekannten schmelzenden Eises findet erneut Anwendung,

Wer beim Gewitter zu Beginn von „Skuggehesten“ denkt, jetzt ein „Helvegen“ 2.0 zu hören, irrt. Der Track dürfte der markanteste von „Birna“ sein: Das Galoppieren des heranstürmenden Pferdes geht perkussiv in das Stück über, während die Rhythmik des hektischen Atmens im Hintergrund das Gehetzte trägt und beim Zuhören selbst Unruhe schafft, aufwühlt. Die dunkle Instrumentierung kreiert eine düstere, wilde und bedrohliche Atmosphäre und der flehende Gesang, der im Refrain um Licht bittet, trägt sein Übriges bei. So negiert „Skuggehesten“ das vorangegangene, in die Kerbe von „Skald“ schlagende Träumerische und Sanfte von „Hibjørnen“ überraschend – ein buchstäblich wilder und regelrecht aufpeitschender Ritt.

Richtig rund ist das Konzept um die Bärin insgesamt allerdings nicht. Vor allem die bereits bekannten Tracks „Hertan“ und „Lyfjaberg“ passen thematisch nicht recht auf das Album und wirken, wie wenn man ihnen im Nachgang noch Platz darauf habe machen müssen und als sei deren unabhängiger Release untergegangen. Nichtsdestoweniger sind diese beiden Stücke zweifellos grandios. Dasselbe gilt für „Himinndotter“, das sich zu regelrecht überwältigender Größe und Erhabenheit aufbaut und Gänsehautpotential hat. Freilich könnte man das Konzept hinter dem Album auf Biegen und Brechen ausdehnen, aber dann fände letzten Endes ein jeder jemals geschriebene Song von WARDRUNA Platz auf „Birna“.

Sieht man davon und dem etwas zu lang geratenem „Dvaledraumar“ ab, ist „Birna“ ein großartiges Album, ein Stück Eskapismus, das Zuhörende, die es zulassen, packen kann und in komplexe, erhabene wie auch zerbrechliche Klangwelten (ent)führt. So dürfte z.B. das mantraartig wiederholte „Ei stemme“ lange nach Ausklingen von „Tretale“ nachhallen. Mit erstaunlicher Präzision widmet sich jedes einzelne Stück auf einzigartige Weise seiner Thematik und weiß diese klanglich festzuhalten, während es detailverliebte akustische Bilder malt. WARDRUNA entwickeln sich mit „Birna“ in den richtigen Nuancen weiter und vor allem Stücke wie das besagte „Skuggehesten“ klingen angenehm anders, bringen frischen Wind. Apropos: Nicht zuletzt durch das als Stilmittel eingesetzte Atmen gelingt erneut die Immersion, während sowohl Einars als auch Lindys stimmlicher Umfang und klangliche Varianz beeindrucken.

„Birna“ ist dadurch kein Album, das man nebenbei hören sollte. Es verlangt und verdient ungeteilte Aufmerksamkeit, um sich auf all die vielen Details einzulassen und die Akribie sowie Hingabe aller Beteiligten wertzuschätzen, die in die Komposition und Produktion geflossen ist. Genau das ist es, was WARDRUNA auch mit dem sechsten Album im Genre und darüber hinaus hervorhebt und erkennbar bleiben lässt. WARDRUNA werden erneut den eigenen sehr hohen Ansprüchen mehr als gerecht.

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Wertung: 8.5 / 10

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