Im Wald, da wohnt die Hexe. Das weiß jedes Kind, und es wäre besser, nicht zwischen die Bäume zu gehen, und wenn die junge, nackte Frau, die da verschmitzt lockt, noch so schön und verführerisch wirkt, am Ende ist die Kreatur mehrere hundert Jahre alt und das arme Opfer endet in einem brodelnden Kessel oder auf ewig geknechtet und an Leib und Seele verstümmelt in den grausigen Dimensionen, die zwischen Fichten und Birken und Sträuchern durchschimmern, wenn man genau hinblickt. Nein, in den Wald, da wollen wir nicht gehen, auch wenn da die I HÄXA lockt, und verdammt, es fällt schwer, denn sie ist gar zu verführerisch. Und doch wird sie uns ins Verderben stürzen.
Hexen können auf jedem beliebigen Gegenstand fliegen. Sängerin Rebecca Need-Menear und Produzent Peter Miles, die beiden Kreaturen hinter I HÄXA, wählten das Vehikel des Internets, um über das gesamte Jahr 2024 verteilt insgesamt vier Teile eines großen Gesamtkunstwerkes zu veröffentlichen, das aus tonal wie visuell so verstörend wie beglückenden Einzelsegmenten bestand. Das Album fasst diese Teile nun sinnvoll zusammen, wobei es sich natürlich empfiehlt, die visuelle Komponente mit in den Konsum einzubeziehen. Was die beiden auf die guten Christenmenschen loslassen, ist nicht leicht zu beschreiben. „Songs“ im klassischen Sinne sind nur ein Bruchteil der Klangteppiche, auf denen sich die Hexerei entfaltet. Der Opener „Underworld“ stellt eine so simple wie hypnotische Einladung mit harmonisch gedoppelten Klargesängen dar, doch ebenso wie im dazugehörigen Video stört schon bald ein elektronischer Beat die waldige Eintracht und vermummte Kreaturen ziehen die Musik in die Unterwelt hinab. Dort herrschen Rezitationen und wummernde Störgeräusche („Inferno“), bevor wir wieder in einer traurigen Pianomelodie erwachen, die auf eine Singer-Songwriter-Lichtung führt. Und wir sind gerade mal im ersten Viertel dieses undurchdringlich dunklen Waldes. Die Hexe erzählt Verstörendes („We Three“), dann biegen treffen wir plötzlich auf ein Casino mitten im Wald, wo Dämonen in Smokings herumlaufen. Vorsicht, Spieler, wenn du dein Glück versuchst, denn die Bank gewinnt immer und der Einsatz ist deine Seele („Drylands“). Hinter den Vorhängen lauert die Dissonanz („Destroy Everything“).
I HÄXAs Debüt klingt, also wäre die Kreatur aus dem gar nicht genug zu lobenden Film „The Witch“ zusammen mit Charlotte Gainsbourg aus Lars von Triers „Antichrist“ auf ein Fever-Ray-Konzert gegangen und hätte sich für den Mädels-Abend noch Chelsea Wolfe eingeladen. Wer tanzt noch mit nackt ums Feuer, um um Mitternacht dem Teufel den Buhlkuss zu geben? Die doppelstimmigen Gesänge von School Of Seven Bells. Das theatralische Improvisationstalent einer Anna von Hausswolff. Die Drums von Aphex Twin. Und die Orchestrierung eines James-Bond-Soundtracks. Klingt das diabolisch genug?
Intim kann diese Begegnung sein, zurückhaltend gar, um dann wieder garstig auszubrechen. Dazwischen Rezitative, Spoken-Word-Passagen und Ambient-Ausflüge, die das Metal-gewohnte Ohr durchaus provozieren können; aber im Endeffekt wird alles der Atmosphäre untergeordnet. Und die führt tief hinein in die Unterwelt des Waldes, der auch eine Stadt sein kann. Zusammen mit den verstörend-durchkomponierten Visuals und einem umfangreichen Konzept aus Musik und Artwork ist I HÄXA ein Gesamtkunstwerk, das seinen Hörer ebenso anziehen wie abstoßen kann und will. Doch ganz gleich, ob man dem Charme der Hexe erliegt oder laut ein Vaterunser betend und von Panik ergriffen das Weite sucht, immer bleibt der nicht zu leugnende Eindruck zurück, hier etwas ganz Besonderes gehört zu haben.
Die Natur ist Satans Kirche.
Wertung: 8.5 / 10