Review The Old Dead Tree – Second Thoughts

Wir leben in ungewissen Zeiten. Die Welt, wir als Gemeinschaft stehen Problemen gegenüber, die wir uns vor zehn Jahren noch nicht hätten ausmalen können. Im Grunde genau die richtige Zeit, um bei sich selbst in der Reflexion die Orientierung wiederzufinden. So könnte man auch den Titel des neuen THE OLD DEAD TREE Albums „Second Thoughts“ auslegen. Erst 2019 hatten sich die Franzosen mit der EP „The End“ vom musikalischen Parkett verabschiedet. Nach einer Pandemie und humanistischen Tragödien, scheint für die Band der richtige Zeitpunkt gekommen, selbst eine kleine Revue ihres Innenlebens zu veranstalten.

Eigentlich war der Gedanke an eine Reunion und ein neues Album beim Rezensenten ein recht erfreulicher, waren doch die ausgekoppelten Singles allesamt anders und doch gleichbleibend spannend. Das energetische und dunkle „Unpredictable“ stand mit seinen simplen, jedoch höchst eingängigen Grooves im krassen Gegensatz zu der bewegenden wie bitterernsten Ballade „Solastalgia“, dessen Weltschmerz, mit einem zutiefst traurigen Video unterstrichen, unangenehm realistisch daherkommt. „The Lightest Straw“ hat die Stärken beider Nummern dann schlüssig gebündelt und ja – damit war das Interesse sehr groß. Nach einigen Durchläufen war die Enttäuschung jedoch größer.

Denn soviel Mühe man sich gibt, so recht funktionieren will „Second Thoughts“ nicht. Das hat zwei Gründe: Zum einen schafft die Band auf ihrem vierten Album keine nennenswerten Highlights. Songs oder auch nur Arrangements, die einfach hängen bleiben. Zwar ist keine der Nummern eine Bruchlandung, aber der Boden kommt oft bedrohlich nahe. Zweitens fällt auf, dass es auf „Second Thoughts“ keinen wirklichen roten Faden zu geben scheint. Es fehlt die Kohärenz. Da ist es fast schon bedauerlich, dass es einige wirklich gute Momente abseits der Singles gibt. „Story Of My Life“ beispielsweise erinnert wohlwollend an die Kollegen Molybaron. Die Energie dieses Songs ist im Gegensatz zu der oft nachdenklichen Attitüde des Albums ein echter Brecher. Das interludeske „Better Off Dead“ kann wiederum gegensätzlich mit seiner sachten Melancholie punkten.

Leider ist die Sache mit der Kohärenz bei den Texten nicht unbedingt anders zu bewerten. Grob in zwei Kapitel unterteilt, handelt das erste („The Secret“) vom Wunsch nach Wachstum bei gleichzeitiger Unfähigkeit diesen zu vollziehen. Das zweite Kapitel, betitelt „The Hunt“ ergeht sich dann in der Erkenntnis, den inneren Schweinehund immer überwinden zu können, wenn es auch bedeutet, manches Mal Menschen oder bestimmte Lebensumstände hinter sich zu lassen. Dazwischen finden sich lose Kalenderspruch-Texte, die in die Tiefe gehen wollen, es aber nicht schaffen. Ähnlich also wie bei der Musik, bei der es zwar hin und wieder ein Aufhorchen gibt, die aber keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Vielleicht ist das auch deshalb so, weil man die propagierten Progressive-Einflüsse bei THE OLD DEAD TREE vergeblich sucht. Die Komplexität, die eine solche Verkastung verlangt, sieht zwar im Promotext ansprechend aus, nimmt aber auf „Second Thoughts“ keinen wahrnehmbaren Platz ein. THE OLD DEAD TREE klingen wie eine Mischung aus Katatonia, Soen und Molybaron, jedoch bringt es das Gespann bei dieser Aufzählung nicht annähernd zum Format seiner Genre-Genossen. Unter dem Strich verfügt „Second Thoughts“ über ein paar durchaus funktionale Arrangements und anhand der Singles lässt sich durchaus erahnen, wie gut dieses Album hätte werden können. So allerdings, wird aus dem Ziel einer sinnigen Reflexion, wie man sie in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt erleben kann, nicht mehr als ein phlegmatischer Tagtraum.

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Wertung: 4.5 / 10

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