Konzertbericht: Sepultura w/ Jinjer, Obituary, Jesus Piece

16.11.2024 München, Zenith

Die Legitimation der heutigen SEPULTURA wurde in der Metal-Szene lang und breit diskutiert. Je nach Anlass mindestens 18 Jahre – seit nämlich Igor Cavalera die Band verlassen hat – oder sogar 28 Jahre – so lange ist die Trennung von Max Cavalera her. Dass Derrick Green als dessen direkter Nachfolger nun schon 26 Jahre der insgesamt 40 Jahre SEPULTURA-Geschichte mitgeschrieben hat, wird dabei gerne unterschlagen – leider auch, weil die Cavalera-losen SEPULTURA den großen Wurf, einen wirklich würdigen Nachfolger zu ihren Meisterwerken „Chaos A.D.“ und „Roots“ schuldig geblieben sind.

Man kann also durchaus mit gewissem Recht der Meinung sein, dass SEPULTURA heute nicht mehr sind, was sie einmal waren – zumindest als Nachlassverwalter haben sich Andreas Kisser, Paulo Jr. und Derrick Green Anerkennung verdient, zählen SEPULTURA doch bis heute zu gern gesehenen Gästen auf Festivals und in Konzerthallen weltweit. Umso überraschender kam im Dezember die Meldung, dass der Weg von SEPULTURA nach 40 Jahren endet – das allerdings, wenig überraschend, mit einer umfangreichen Welttournee.

Und hier sind wir nun: Im Herbst 2024 bereisen SEPULTURA ein – mutmaßlich – letztes Mal Europa und das, man kann es nicht anders sagen, mit einem wahren Triumphzug: Mit JINJER, OBUTUARY und JESUS PIECE im Gefolge, in den größten Hallen, die SEPULTURA je bespielt hat, und das vor vollem Haus. Selbst das Münchner Zenith ist bereits weit vorab ausverkauft – und zwar bis auf den letzten Platz, mit rund 6000 Fans, und nicht, wie sonst so oft, bloß im abgehängten, also deutlich kleineren Setting.

JESUS PIECE im November 2024 in MünchenDavon profitieren, trotz der frühen Einlass- und Anfangszeiten (16:45 Uhr / 18:00 Uhr) schon JESUS PIECE, die sich über ein immerhin schon gut gefülltes Auditorium freuen dürfen. An der Motivation der Band scheitert es dann auch nicht, dass JESUS PIECE vergleichsweise spärlich beklatscht werden: Der Vierer aus Philadelphia gibt auf der Bühne richtig Gas. Das Problem ist eher die Musik, die mit dem Geschmack des Publikums einer SEPULTURA-Tour einfach nicht gut matcht: Geboten wird brutaler Metal-/Hardcore, der in extrem kurzen Songs zwar viele Noten, allerdings keinerlei Melodik oder sonstige Eingängigkeit zu bieten hat. In anderem Setting – vor Genrefans, aber auch eher in einem kleinen Club – wären die Amerikaner ohne Frage zu einem ordentlichen Abriss fähig. Hier und heute verstreicht die 30-minütige Show leider ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

  1. Tunnel Vision
  2. Profane
  3. Curse Of The Serpent
  4. Neuroprison
  5. FTBS
  6. Fear Of Failure
  7. An Offering To The Night
  8. The Bond
  9. Conjure Life

OBITUARY im November 2024 in MünchenAuf die Unbekannte folgt die Konstante: OBITUARY. Das 1988 gegründete Death-Metal-Urgestein wird wohl nicht zuletzt deswegen gerne als Support für große Touren gebucht, weil jeder weiß, was er bekommt. Mit der Ruhe der Routiniers klopfen John Tardy und seine Mitstreiter dem Publikum 45 Minuten lang die Trommelfelle weich. Den Energieaufwand halten die Mitbegründer des Florida-Death dabei auch heute auf einem Minimum – wildes Stage-Acting ist von OBITUARY ebenso wenig zu erwarten wie große Eile, um maximal viel Musik in die vorgegebene Spielzeit gequetscht zu bekommen. Diese Lässigkeit ließe sich durchaus auch als Lustlosigkeit auslegen, wüsste man es nicht besser – schließlich hat man die Truppe nie anders erlebt. Und irgendwie passt das fast teilnahmslose Stage-Acting ja auch zum stumpfen, aber eben auch konstant zum Mitnicken verleitenden Death Metal des Quartetts.

  1. Redneck Stomp
  2. Threatening Skies
  3. By The Light
  4. The Wrong Time
  5. Deadly Intentions
  6. Chopped In Half
  7. Turned Inside Out
  8. Solid State
  9. War
  10. Dying Of Everything
  11. Slowly We Rot

JINJER im November 2024 in MünchenDas genaue Gegenteil dazu stellen JINJER dar – eine junge, moderne Band, deren Fronterin Tatiana Shmayluk auf der Bühne für Wirbel sorgt. So steril wie der Sound der Band ist aber leider auch die Performance des Quartetts: Insbesondere die beiden Saiteninstrumentalisten interagieren quasi nicht mit dem Publikum, und auch Shmayluk gelingt es nicht so recht, jene Fans mitzureißen, die nicht wegen JINJER gekommen sind. Die Stimmung im Publikum ist dennoch gut – wohl auch, weil der Plan der Tourveranstalter aufgegangen ist, über die junge Band aus der Ukraine eine weitere Zielgruppe anzulocken. So sorgen die vornehmlich jüngeren JINJER-Fans für ordentlich Bewegung im Pit und lassen sich dabei auch nicht vom (zumindest im vorderen Hallendrittel) miserablen Sound bremsen. Nach 60 Minuten ist die Darbietung, bei der JINJER mit vier neuen Songs ordentlich für ihr kommendes Album „Duél“ werben, recht abrupt vorüber: Dass JINJER ohne viele Worte oder Gesten des Abschieds von der Bühne verschwinden, passt leider gut ins Gesamtbild der unnahbaren Performer.

  1. Sit Stay Roll Over
  2. Ape
  3. Fast Draw
  4. Retrospection
  5. Teacher, Teacher!
  6. Colossus
  7. Someone’s Daughter
  8. Kafka
  9. Copycat
  10. Perennial
  11. Rogue

SEPULTURA im November 2024 in MünchenWas SEPULTURA heute mit ihren Fans vorhaben, halten die Brasilianer keine Sekunde geheim: Die große Abschiedsparty soll es werden – und so legt das Quartett nach dem obligatorischen Doppel-Intro aus „War Pigs“ (Black Sabbath) und „Polícia“ (Titas) direkt mit einem Welthit los: „Refuse/Resist“ schallt es aus den Boxen und das Publikum dreht durch, als wäre man längst bei den Zugaben angekommen. Es bleibt auch kaum eine andere Wahl, legen Andreas Kisser und Konsorten doch direkt noch zwei „Chaos A.D.“-Hits nach, ehe mit „Phantom Self“ der erste Song aus der Derrick-Green-Ära erklingt. Dass diese schlussendlich mit 8:12 deutlich in der Unterzahl bleiben (und das bei einem Album-Verhältnis von 10:6) überrascht wenig – die echten SEPULTURA-Hits stammen allesamt aus der Zeit vor 1998, das wissen auch SEPULTURA sehr genau.

Dass es mit der Band nach einem kurzen Karriere-Einbruch in der Neufindungsphase mit Derrick Green dennoch steil nach oben ging, ist bekanntermaßen den Live-Qualitäten der Truppe zuzuschreiben – und dahingehend befinden sich SEPULTURA nun, auf ihrer letzten Runde, definitiv auf ihrem bisherigen Höhepunkt.

SEPULTURA im November 2024 in MünchenDas liegt nicht zuletzt daran, dass Anderas Kisser und Paulo Jr. so fit wirken wie lange nicht – ist aber ebenso einer Personalrochade zuzuschreiben: Nachdem Slipknot Jay Weinberg gekündigt hatten, hatte bekanntermaßen Eloy Casagrande seinen bisherigen Arbeitgeber SEPULTURA düpiert und die einmalige Gelegenheit, bei den Helden seiner Kindheit einzusteigen, beim Schopf beziehungsweise bei der Maske gegriffen. In ihrer Not verpflichteten SEPULTURA kurzerhand Schlageug-Wunderkind Greyson Nekrutman von Suicidal Tendencies. Dass dort unterdessen Jay Weinberg untergekommen ist und den Ringtausch komplettiert, entbehrt nicht der Komik dieses Spiels, aus dem SEPULTURA gewiss nicht als Verlierer hervorgehen. Denn mag Casagrande auch der energetischere Metal-Drummer sein – in Sachen Feeling muss der erst 22-jährige Jazz-Drummer Nekrutman keine Vergleiche fürchten, wie er spätestens im Drumsolo mehr als eindrucksvoll unter Beweis stellt.SEPULTURA im November 2024 in München

Weniger Feeling haben da (wenig überraschend) die Gast-Trommler:innen, die SEPULTURA für „Kaiowas“ auf die Bühne holen – die Stimmung heizt der Tribal-Jam dennoch weiter an. So überrascht es dann auch nicht, dass sich bei „Inner Self“ nicht eine Wall of Death, sondern zwei – eine vor und eine hinter dem Wellenbrecher – bilden und nach rund 90 Minuten spätestens beim obligatorischen Rausschmeißer „Roots Bloody Roots“ wirklich niemand mehr stillsteht.

  1. Refuse Resist
  2. Territory
  3. Slave New World
  4. Phantom Self
  5. Attitude
  6. Means To An End
  7. Kairos
  8. Corrupted
  9. Guardians Of Earth
  10. Choke
  11. False
  12. Escape To The Void
  13. Kaiowas
  14. Dead Embryonic Cells
  15. Agony Of Defeat
  16. Orgasmatron (Motörhead-Cover)
  17. Troops Of Doom
  18. Inner Self
  19. Arise
  20. Ratamahatta
  21. Roots Bloody Roots

„Celebrating Life Through Death“ haben SEPULTURA ihre Abschiedstour genannt, und besser als heute kann man die Karriere dieser Band definitiv nicht feiern. Die Gründe für das Ende von SEPULTURA sind zwar nach wie vor nicht vollständig erklärt. Zumindest aber wirken die Protagonisten mit ihrer Entscheidung absolut im Reinen – und bis in die Haarspitzen motiviert, auf ihrer Abschiedstour noch einmal alles zu geben.

So bleibt von diesem Abend ironischerweise ausgerechnet die Hoffnung, dass diese Tour wirklich das Ende bedeutet: Dass SEPULTURA diese Entscheidung aus Überzeugung und ohne Hintergedanken getroffen haben. Denn wäre dieser Abschied am Ende nur inszeniert, um Green gesichtswahrend loszuwerden und den Weg für eine Reunion mit den Cavalera-Brüdern freizumachen, hätte man die Tour wohl doch besser „Celebrating Money Through Death“ genannt.SEPULTURA im November 2024 in München

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