Konzertbericht: Septicflesh feat. Athens State Orchestra

28.09.2024 Athen (GR), Odeio Herodou Atticou

Wenn es an die Live-Umsetzung ihrer Musik geht, stoßen Symphonic-Metal-Bands schnell an ihre Grenzen. Da es schon aus logistischen und finanziellen Gründen nicht möglich ist, mit einem ganzen Orchester auf Tour zu gehen, wird in der Regel mit Samples gearbeitet. Je tragender aber die Rolle ist, die Streicher, Bläser und Chor im Arrangement einnehmen, desto mehr leidet darunter die Live-Atmosphäre. Wohl keine Band im Metal hat damit mehr zu kämpfen als SEPTICFLESH – schließlich dienen die orchestralen Elemente hier nicht nur der atmosphärischen Untermalung. Vielmehr ist die von dem studierten Komponisten Christos Antoniou entsprechend detailreich ausgearbeiteten Orchestrierung neben dem Metal mindestens gleichwertiger Teil des Arrangements.

Wie groß der Unterschied ist, wenn anstelle einer Tonspur tatsächlich alles live gespielte wird, wurde deutlich, als die Griechen im Jahr 2019 erstmalig mit einem echten Orchester auftraten. Nachdem die Show allerdings überraschenderweise in Mexico stattgefunden hatte, dürften die meisten Fans in der Heimat von SEPTICFLESH erst mit dem 2020 veröffentlichten Live-Mitschnitt „Infernus Sinfonica MMXIX“ in den Genuss dieser vermeintlich einmaligen Darbietung gekommen sein. Wie als Entschuldigung kündigten SEPTICFLESH im Juni 2024 das wohl ultimative Event an: „Endlich ist die Zeit gekommen, das vollständige symphonische/metalliche Live-Erlebnis von SEPTICFLESH in dem ikonischsten Ort der Welt, dem berühmten Odeon des Herodes Atticus an der Akropolis von Athen, zu präsentieren! Am 28. September 2024 werden wir gemeinsam mit dem Athens State Orchestra und dem Dirigenten Koen Schoots unter dem Sternenhimmel auftreten.“

161 n. Chr. erbaut, handelt es sich bei dem Theater um das älteste bis heute erhaltene antike Odeon: Bereits im Jahr 267 wurde das ehedem überdachte Bauwerk durch die germanischen Heruler verwüstet. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Odeon restauriert und als Open-Air-Spielstätte reaktiviert – unter anderem für Frank Sinatra, Luciano Pavarotti und Elton John. Mit SEPTICFLESH hält nun also erstmalig Metal Einzug in das altehrwürdige Halbrund. Dass Szene und Band hier keinesfalls Fehl am Platz sind, zeigt sich schon daran, dass die 5.000 Plätze allesamt belegt sind – die meisten sogar schon deutlich vor Showbeginn. Denn wie im Theater üblich gibt es keinen Nach-Einlass nach Showbeginn. Warum, wird deutlich, hat man erst seinen Platz eingenommen: Die 32 Sitzreihen steigen steil an, der Fußraum ist begrenzt – sich unauffällig an seinen Platz zu mogeln wäre nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, sondern auch ein nicht ungefährlicher Balanceakt.

Nicht nur auf den Tribünen ist es voll – auch auf der Bühne ist einiges los. SEPTICFLESH sind in Maximalbesetzung angetreten: Neben dem singenden Bassisten Spiros „Seth“ Antoniou, Christos Antoniou und Psychron an den Gitarren sowie Drummer Krimh ist heute auch Sotiris Vayenas mit von der Partie. Da dieser nicht mit der Band tourt, wird sein charakteristischer Klargesang, der die Alben seit 1990 prägt, bei Konzerten für gewöhnlich nur gesamplet. Auch die weiblichen Gesangsparts werden heute live performt – und zwar von Christos‘ Frau, Fany Melfi Antoniou, die bereits auf dem letzten Album „Modern Primitive“ als Sängerin zu hören war. Dazu kommt für ein paar Kurz-Einsätze der Flötenspieler Vahan Galstyan. Und dann ist da natürlich noch der Elefant im Raum – das Athens State Orchestra mit seinen rund 80 Musiker:innen nebst Dirigent Koen Schools.

Dass fast 100 Leute SEPTICFLESH anders klingen lassen, als es vier Männern mit einem Laptop sonst möglich ist, versteht sich von selbst. Wie gewaltig der Unterschied aber wirklich ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Wennschon die Zerrgitarren im Gesamtmix leider ein wenig unterbewertet sind, verleihen Pauken und Bläser, Chor und Streicher den Kompositionen sowohl den nötigen Druck, als auch eine nicht gekannte dynamische Breite. Besonders gut kommt dies in den leisesten wie auch den lautesten Passagen zur Geltung: Während man über die andächtig schweigende Menge hinweg selbst die Harfe als Soloinstrument noch bis in die höchsten Ränge vernimmt, entwickeln die Passagen mit Publikums-Interaktion Odeon des Herodes Atticus eine Wucht, wie man sie sonst höchstens aus der Fankurve kleiner Stadien kennt: Gellend laut peitschen „Hey“-Rufe die Band an, und wer nicht schon längst Gänsehaut hat, bekommt sie wohl spätestens, als der Refrain von „Anubis“ aus tausenden Kehlen von den steilen Rängen in den Kessel hinunter schallt.

Dass dieser Song nicht fehlen darf, ist klar – und natürlich gilt das auch für all die anderen Hits. So haben SEPTICFLESH zwar auch ein paar Überraschungen vorbereitet („Coming Storm“ etwa feiert heute seine Live-Premiere, „Dogma Of Peometheus“ wird als rein orchestrale Version dargeboten) – im Großen und Ganzen liegt der Fokus der Band aber darauf, die stärksten Nummern der letzten vier Alben am schönsten dafür vorstellbaren Ort in ihrer bestmöglichen Form zu präsentieren. Angesichts all dieser Besonderheiten verzeiht man der Band gerne, dass die Show nicht bis ins letzte Detail perfekt choreografiert ist: Dass sich SEPTICFLESH zweimal abgehen und sich vom Publikum lautstark zur Zugabe bitten lassen, wirkt angesichts der Tatsache, dass 80 Personen auf der Bühne bleiben und darauf warten, dass es weitergeht, ein wenig bizarr. Die etwas chaotische, weil spürbar emotionale Verabschiedung nach rund 90 Minuten, bei der zwar so manches gesagt, aber dafür nicht einmal an eine gemeinsame Verbeugung oder gar ein Foto gedacht wird, macht die Band hingegen nur sympathischer.

  1. The Vampire From Nazareth
  2. Neuromancer
  3. Pyramid God
  4. Portrait Of A Headless Man
  5. Coming Storm
  6. Martyr
  7. A Desert Throne
  8. A Great Mass Of Death
  9. Dogma Of Prometheus Orchestral
  10. Communion
  11. Hierophant
  12. Persepolis
  13. Anubis
  14. Dark Art

Episch ist ein überstrapaziertes Wort, das oft leichtfertig verwendet wird. Für diese Show jedoch ist es wie gemacht. Denn was, bitteschön, könnte epischer sein, als symphonischer Metal mit einem 80-köpfigen Orchester in einem antiken Theater zu Füßen der Akropolis? Mit diesem Abend, der unbestreitbar den Karrierehöhepunkt in rund 30 Jahren Bandgeschichte markiert, setzen sich SEPTICFLESH selbst ein Denkmal. Die einzige Frage ist, wie es der Band gelingen kann, von diesem edlen Marmorsockel wieder herabzusteigen, um künftig wieder zu viert mit einem Laptop in ordinären Hallen zu spielen. Zumindest für den Moment, angesichts des hier erlebten, wirkt diese Vorstellung selbst aus Zuschauersicht surreal.

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