Das Cover von "Somewhere Far Beyond" von Blind Guardian

Review Blind Guardian – Somewhere Far Beyond Revisited

Neuaufnahmen bekannter und beliebter Alben sorgen immer wieder für die gleiche Kontroverse: „Muss das wirklich sein?“, „Lasst doch die Klassiker in Ruhe!“ und dergleichen mehr hört man zu diesen Anlässen vor allem aus den Reihen eingefleischter Fans. Zumindest der zweite Einwand ist dabei leicht zu entkräften, denn wer das Original hören will, nimmt es eben aus dem Plattenschrank. 37 Jahre nach Gründung haben sich jetzt auch BLIND GUARDIAN dazu entschieden, eines ihrer Alben neu aufzunehmen. Warum die Wahl auf „Somewhere Far Beyond“ fiel, ist schnell erklärt: Die vermutlich wichtigste Platte ihrer Karriere bescherte den Krefeldern ihre erste Japan-Tour, enthält neben weiteren Dauerbrennern auch ihren größten Hit und legte den Grundstein für alles, was folgen sollte. Nun haben BLIND GUARDIAN das Album in ihrer aktuellen Besetzung neu eingespielt und mit dem Zusatz „Revisited“ abermals veröffentlicht.

Über die Musik auf „Somewhere Far Beyond“ wurde in den letzten 30 Jahren vermutlich mehrfach alles gesagt, darum hier nur die Kurzfassung: Das vierte Album der Krefelder markiert ihren Übergang zum epischen Sound, für den die Truppe heute bekannt ist und liegt damit sowohl zeitlich als auch stilistisch zwischen zwei Phasen. Der Speed Metal von Platten wie „Tales From The Twilight World“ ist in Nummern wie „Time What Is Time“, „Journey Through The Dark“ und dem Titeltrack so präsent wie auf jedem BLIND-GUARDIAN-Album bis zu diesem Zeitpunkt, aber vor allem in Stücken wie „The Quest For Tanelorn“ und beiden Teilen des „Bard’s Song“ fügt die Truppe ihrem Sound eine neue Dimension hinzu. Kein Wunder also, dass riesige Alben wie „Imaginations From The Other Side“ und „Nightfall In Middle Earth“ folgen sollten …

Viel interessanter ist allerdings, was BLIND GUARDIAN im Rahmen von „Somewhere Far Beyond Revisited“ anders machen – (wie) hat sich das Material bei der erneuten Visite verändert? Die Songs selbst wurden glücklicherweise in ihrer Urform belassen, denn alle Arrangements wurden 1:1 von den Originalen übernommen. Größte Neuerung ist somit das veränderte Klangbild. Der Sound hat mehr Bass, vor allem die Kickdrum fühlt sich jetzt „schwerer“ an und der Gesamtsound hat deutlich mehr Breite. Das ist eine nachvollziehbare Änderung, denn rückwirkend betrachtet fiel das Stereobild von „Somewhere Far Beyond“ in seiner Urfassung etwas „eng“ aus und ließ trotz teils großer Arrangements etwas Raum vermissen. Nach Wiedervorlage haben BLIND GUARDIAN ihrem traditionsreichen Material nun eine neue Ebene hinzugefügt.

Nun wird gerade bei Neuaufnahmen legendärer Alben gerne der Einwand angebracht, das sei ja gar nicht nötig gewesen und so gut „Somewhere Far Beyond Revisited“ auch klingen mag: Dieses Argument zählt hier durchaus. Denn während das neue, tiefere Klangbild funktioniert, ist es doch nicht unbedingt eine Verbesserung. Der breitere Sound geht zulasten der angriffslustigen Härte des Originals, denn gerade die in der 1992er Fassung metallisch-scharfen Gitarren wurden für die Neuaufnahme arg gezähmt. Das passt zum Sound, den die Truppe auch auf „The God Machine“ fährt, womit BLIND GUARDIAN ihre Mission, dieses Album in aktuellem Klang zu präsentieren, erfüllt hat, aber es ist womöglich nicht das, was die Songs gebraucht hätten – thrashige Riffs wie in „Time What Is Time“ oder „Journey Through The Dark“ verlieren so jedenfalls ihren Biss.

Die Gesangsleistung von Hansi Kürsch ist ebenfalls erwähnenswert. Insgesamt gibt der Frontmann die Songs getreu ihren Originalen wieder, vor allem in „Time What Is Time“ trifft er manche Töne heute sogar besser als vor 32 Jahren. Allerdings muss auch hier das Fazit gezogen werden, dass die erneute Aufnahme nicht jedem Song gleich gut bekommt. Insbesondere „The Black Chamber“ ist nicht gut gealtert und wirkt auf „Somewhere Far Beyond Revisited“ vor allem durch den Gesang deplatziert. Was dieser Neufassung jedoch die (eventuell) fehlende Berechtigung ausstellt, ist die üppige Zusatzausstattung. Dem im Studio neu eingespielten Album liegt nicht nur eine weitere Audio-CD mit Live-Performance der Albumsongs vom Rock Hard Festival 2022 sowie eine Blu-ray mit zwei Konzertmitschnitten gleichen Inhalts. Hinzu kommt ein ziemlich dickes Booklet, das neben den zu erwartenden Songtexten auch umfassende Liner Notes enthält, in denen Hansi Kürsch über die Produktionsumstände des Originalalbums sowie die der Neuauflage spricht.

Weil „Somewhere Far Beyond“ schon in seiner Erstauflage sicherlich keine günstige Produktion war und verdammt gut klang (und klingt), bedeutet diese Neuaufnahme nicht, dass BLIND GUARDIAN hier einem ihrer wichtigsten Alben „endlich den Sound verpasst hätten, den es schon immer verdient hat.“ Viel mehr haben die Krefelder hier eine Version der Platte aufgenommen, die ziemlich genau vermittelt, wie ihre aktuelle Besetzung diese Songs nach heutigen Studiostandards umsetzt. Das ist gewiss hörenswert, die Unterschiede sind aber auch eher subtil. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, „Battalions Of Fear“ und „Follow The Blind“ neu aufzunehmen, denn die könnten in Hinblick auf Performance und Produktion weitaus dringender eine Frischzellenkur gebrauchen. Trotzdem: Nicht zuletzt dank seines reichhaltigen Bonusmaterials ist „Somewhere Far Beyond Revisited“ ein wertiges Paket, das  eines der besten deutschen Power-Metal-Alben einmal mehr in den Fokus rückt.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Keine Wertung

Publiziert am von

Ein Kommentar zu “Blind Guardian – Somewhere Far Beyond Revisited

  1. Ich verstehe nicht den Sinn der Neuaufnahme, da bereits das Original in sehr guter Qualität aufgenommen wurde.
    Viel lieber sollten Manowar die Instrumente für ihr Album „Into glory ride“ neu aufnehmen, denn die klangen damals unfassbar schwach!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert