Konzertbericht: Laibach

03.07.2024 München, Muffathalle

Bei LAIBACH ist alles egal. Ob man die Band seit 44 Jahren hört oder seit vier Wochen. Ob man sie zehnmal live gesehen hat oder noch gar nicht. Und vor allem, ob man sonst eher elektronische Musik, Black Metal, Avantgarde Rock oder gar keine extreme Musik hört. Denn LAIBACH sind unberechenbar, unvergleichlich und vor allem: weit mehr als ihre Musik.

LAIBACH im Juli 2024 in MünchenSo verwundert es nicht, dass LAIBACH in München abermals in der für harte Musik sonst eher selten genutzten Muffathalle gastieren. Zwar ist die Halle deutlich zu groß und darum im hinteren Bereich großzügig angehängt – die Hallenhöhe ist für die bildgewaltige Videoinstallation jedoch essenziell. Genauso wenig überraschend: Das Publikum ist so heterogen wie selten bei Konzerten. Noise-Freunde im Sunn-o)))-Shirt treffen auf Gothic-Frauen in Uniform, SZ-Feuilleton-Leser im Hemd auf hemdsärmelige Rammstein-Fans. Der erste Gleichmacher heute Abend: Der „Leben heißt Leben“-Drumroll als Sechs-Sekunden-Loop. Damit nämlich malträtieren LAIBACH ab Einlass alle gleichermaßen – und zwar geschlagene 75 Minuten, oder eben: 750 Wiederholungen.

Mit dergestalt stumpfsinnig weichgeklopftem Hirn schlägt „Vier Personen“ von „Nova Akropola“ (1987) als Opener umso brachialer ein – und unterstreicht gleich zu Beginn, wer oder was LAIBACH sind und nicht sind. Denn traditionell besteht das Kollektiv immer aus vier Personen namens Eber, Keller, Dachauer und Salinger – wennschon LAIBACH auch heute zu sechst sind.

LAIBACH im Juli 2024 in MünchenWeit mehr als im letzten Bühnenprogramm „Love Is Still Alive“ steht heute allerdings die Instrumentalfraktion im Fokus. Das liegt vor allem an der Auswahl der Songs: Von einer Handvoll neuerer Stücke abgesehen spielen LAIBACH in beiden Teilen der insgesamt zweistündigen Darbietung ausschließlich Material aus den 1980er-Jahren, als der Gesang im Klangbild der Slowenen noch eine untergeordnete Rolle spielte. Dafür präsentieren sich LAIBACH instrumental so avantgardistisch wie lange nicht: Mal wird die Gitarre mit dem Geigenbogen bearbeitet, mal werden dystopische Sounds aus einem mikrofonierten Schlauch gewirbelt, und auch aus dem Klavier hämmert Rok Lopatič wilde Soli.

LAIBACH im Juli 2024 in MünchenIn Kombination mit den düsteren Bewegtbildern aus Krieg und Sport, die ohne Unterlass über die Leinwände flimmern, erzeugt die Show eine brutale, vereinnahmende Atmosphäre, die für Gänsehaut sorgt. Gebrochen wird diese morbide-fatalistische Stimmung erst durch die Zugabe mit Coverversionen von „Each Man Kills The Things He Loves“ (Jeanne Moreau) und „I Want To Know What Love Is“ (Foreigner). Die Wärme, die Marina Mårtensson hier mit der einzigen Ansage des Abends verbreitet, hält allerdings nur kurz – ehe LAIBACH mit dem berühmt-berührenden, und doch hier völlig unerwarteten Bürgerrechtsbewegungshymne „Strange Fruit“ (Billie Holiday/Abel Meeropol) noch einen letzten, eiskalten Schauer über den Rücken jagen.

  1. Vier Personen
  2. Država
  3. Boji
  4. Mi Kujemo Bodočnost
  5. Smrt In Pogin
  6. Anti-Semitism
  7. Ballad Of A Thin Man (Bob-Dylan-Cover)
  8. Brat Moj
  9. Alle gegen Alle (DAF-Cover)
  10. Leben heißt Leben (Opus-Cover)
  11. Leben – Tod
  12. Trans-National
  13. F.I.A.T.
  14. How The West Was Won
  15. The Great Seal
  16. Geburt einer Nation (Queen-Cover)
  17. Opus Dei/Leben heißt Leben (Opus-Cover)
  18. The Engine Of Survival
  19. Each Man Kills The Thing He Loves (Jeanne-Moreau-Cover)
  20. I Want To Know What Love Is (Foreigner-Cover)
  21. Strange Fruit (Billie-Holiday-Cover)
LAIBACH im Juli 2024 in München

Mit ihrem rund zweistündigen Programm – unterbrochen von einem 15-minütigen Intermezzo – unterstreichen LAIBACH ihre nach wie vor enorme künstlerische und gesellschaftskritische Relevanz: schon allein durch die Auswahl der Coversongs, mehr noch aber durch die Art und Weise, wie sie diese in den Dienst ihrer Sache stellen. Dass LAIBACH nicht offenlegen, was genau diese Sache eigentlich ist, gehört auch 2024 noch zum Spiel. Wenngleich die Schlagrichtung – pro Europa und Zusammenhalt, gegen Krieg und Faschismus – klarer denn je durchscheint. Vielleicht ist selbst LAIBACH in Zeiten großer Kriege und Verwerfungen zu einem gewissen Grad die Freude am Provozieren und missverstanden werden vergangen. Wer könnte es ihnen verdenken.

LAIBACH im Juli 2024 in München

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