Konzertbericht: Kerry King w/ Dust Bolt

11.06.2024 Hamburg, Grosse Freiheit 36


Aller Anfang ist schwer – das gilt auch für Neustarts, wie KERRY KING dieser Tage feststellen muss. Schon sein Solo-Debüt hatte nicht ganz die Wellen geschlagen, die sich der Slayer-Gitarrist wohl erwartet hatte – und auch die ersten Konzerte in Europa erweisen sich nicht unbedingt als Selbstläufer. Bei den Shows auf den großen Festivals spielen KERRY KING – Slayer-Historie hin, Allstar-Besetzung her – auf wenig attraktiven Nachmittags-Slots vor überschaubarer Zuschauerzahl. Und selbst die Tickets der beiden Headliner-Gigs in Hamburg und Berlin verkaufen sich nur schleppend: Am Ende ist die Große Freiheit 36 zwar gut gefüllt, der Balkon aber bleibt geschlossen. Von „sold out“ ist die Show also weit entfernt – und das in einer mit nur rund 1.000 Plätzen vergleichsweise kleinen Venue.

Auch sonst wirkt der Abend etwas hemdsärmelig geplant: DUST BOLT wurden nicht nur erst eine Woche zuvor als Support bestätigt, sondern auch erst kurzfristig gebucht, wie Sänger Lenny in einer Ansage kundtut. Die bayerischen Thrash-Metaller sind allerdings routiniert genug, um auch aus dem Stegreif souverän abzuliefern: In den gerade einmal 25 Minuten Spielzeit, die ihnen heute zugestanden werden, sorgen DUST BOLT ordentlich für Stimmung – nicht zuletzt, weil Lenny für den letzten Song ohne Rücksicht auf Verluste an der Technik-Front mit Gitarre und Mikrophon ins Publikum kommt.

Wenn man ehrlich ist, ist es jedoch völlig egal, wer hier heute als Support dabei ist – ihr Ticket haben ausnahmslos alle wegen KERRY KING. In persona lässt dieser seiner namhaften Truppe den Vortritt, die zum Intro „Diablo“ auf die Bühne kommt – und macht auch im weiteren Verlauf des Abends kein großes Gewese um seine Person: Wie man King von Slayer her kannte, bleibt er mit Gesten zurückhaltend und auf sein Spiel fokussiert. Letzteres ist aber nicht nur eine Typsache, sondern scheint auch Notwendigkeit: Die Routine an der Gitarre scheint Kerry King etwas abhandengekommen zu sein, der ehemalige Flitzefinger wirkt gerade in den Soli recht behäbig.

Dass KERRY KING als Band noch nicht allzu gut eingespielt sind, zeigt sich noch deutlicher in „Chemical Warfare“, bei dem Fronter Mark Osegueda einen Einstieg verpasst und danach einfach nicht mehr in den Song hineinfindet – wiewohl sich Gitarrist Phil Demmel mit Zunicken und Handzeichen redlich bemüht, seinen Kollegen wieder in die Spur zu bringen. Bei diesem Fauxpas kann sich Kerry einen grimmigen Blick nicht verkneifen – und doch ist es nicht zuletzt dieser Moment, der den Abend so unvergesslich macht: Denn hier steht eben keine in den Mühlen der Routinen rundgeschliffene Band, hier gibt es keine Backing- oder Klick-Tracks und eben auch keine Perfektion. KERRY KING spielen rohen, wütenden Thrash Metal wie aus den Untiefen einer düsteren Proberaumsiedlung.

In diesem Kontext macht es auch nichts, dass die Songs des KERRY-KING-Debüts auf Platte nicht rundweg begeistern: Garniert mit der Spielfreude, mit der insbesondere Mark Osegueda und Phil Demmel die Songs darbieten, macht jeder einzelne der Tracks Spaß – und KERRY KING spielen tatsächlich alle zwölf. Ergänzt um insgesamt sieben Slayer-Songs kommen KERRY KING auf eine Spielzeit von glatten 90 Minuten – und damit deutlich mehr, als so mancher Fan erwartet haben dürfte. Überraschungen hält auch die Auswahl der „Cover“ bereit: Mit dem zuletzt 2015 gespielten „At Dawn They Sleep“ von „Hell Awaits“ dürften nur die wenigsten gerechnet haben – und auch sonst spielen KERRY KING nicht unbedingt die größten Hits (wobei „Raining Blood“ natürlich nicht fehlen darf), sondern fast ausschließlich von Kerry King komponierte Stücke. Den einen oder die andere mag das ärgern – schlussendlich ist es aber nur konsequent. Ebenso richtig fühlt es sich an, dass KERRY KING ihr Set eben nicht mit „Raining Blood“ oder einem anderen Slayer-Song beschließen, sondern mit dem Titeltrack ihres eigenen Albums: „From Hell I Rise“.

  1. Where I Reign

  2. Trophies Of The Tyrant

  3. Toxic

  4. Repentless (Slayer-Cover)

  5. Two Fists

  6. Tension

  7. Everything I Hate About You

  8. Idle Hands

  9. Chemical Warfare (Slayer-Cover)

  10. At Dawn They Sleep (Slayer-Cover)

  11. Hate Worldwide (Slayer-Cover)

  12. Residue

  13. Disciple (Slayer-Cover)

  14. Crucifixation

  15. Shrapnel

  16. Raining Blood (Slayer-Cover)

  17. Black Magic (Slayer-Cover)

  18. From Hell I Rise

Man hätte Kerry King die Rückkehr auf Europas Bühnen etwas glamouröser gewünscht – andererseits war sich der Gitarrist selbst schon vor seinem Comeback darüber im Klaren, dass er mit seinem Soloprojekt nicht nahtlos an Slayer würde anknüpfen können. Am Ende dürften ihm ausgerechnet die äußerst ungünstig kommunizierten Reunion-Shows der Thrash-Legende geschadet haben: Mit der vagen Hoffnung auf die „echten“ Slayer dürfte sich so mancher Fan die 60 € für KERRY KING gespart haben. Das ist einerseits verständlich, andererseits vielleicht trotzdem ein Fehler: Denn während weitere Slayer-Shows (erst recht in Europa) alles andere als sicher sind, hat das Allstar-Projekt KERRY KING Thrash Metal auf höchstem Niveau zu bieten – und damit auch losgekoppelt von Slayer definitiv seine Daseinsberechtigung.

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Fotos von: Moritz Grütz

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