Interview mit Arisjel von Autumnblaze

AUTUMNBLAZE ist wahrscheinlich eines der vielseitigsten Projekte, die in der deutschen Musiklandschaft zu finden sind. So hat das Duo nach dem verträumten „Welkin Shores Burning“, beeinflusst vom zeitgenössischen Weltgeschehen, mit „Auf zerfetzten Schwingen“ ein dezidiert pazifistisches Dark-Metal-Album veröffentlicht. Weshalb das Beharren auf Frieden nicht so naiv ist, wie mitunter behauptet, aus welchem Grund das neue Album anfangs eher unbemerkt geblieben ist und was die beiden Bandmitglieder dazu animiert hat, mit Liljevars Brann ein neues Nebenprojekt zu gründen, hat uns Schlagzeuger Arisjel unter anderem im folgenden Interview verraten.

Auf eurem aktuellen Album, „Auf zerfetzten Schwingen“, thematisiert ihr die Gräuel des Krieges auf allgemeine Weise. Einerseits habt ihr dadurch ein bis zu einem gewissen Grad gemeinhin gültiges Statement gesetzt, andererseits besteht damit aber wohl auch die Gefahr der Verklärung und Verallgemeinerung von Ursachen, Umständen und Folgen konkreter Kriege. Wie denkst du über diese Diskrepanz?
Ich glaube nicht, dass ein klares Statement gegen Krieg und Gewalt der Gefahr unterliegt, konkrete Konflikte zu verklären oder Ursachen zu verallgemeinern. Die Ursachen vieler heutiger gewaltsamer Auseinandersetzungen sind äußerst komplex, manchmal auch undurchsichtig und über einen langen Zeitraum entstanden. Selbst ausgewachsenen Experten gelingt oft kaum eine treffende Analyse, bei der die Weltgemeinschaft applaudiert und sagt: „Genau so ist es.“ Wenn du dir beispielsweise aktuell den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern anschaust, hier fühlen sich beide Seiten als Opfer des anderen, was einen tiefgründigen gegenseitigen Hass schürt, der wiederum auf beiden Seiten Täter hervorbringt und so die Gewalt weiter anheizt. Durch Gewalt und Tod wird dieser Konflikt niemals gelöst. Krieg und Gewalt ist keine Lösung. Vielleicht ist es sogar viel schwieriger, aufeinander zu zu gehen, zu verhandeln, Hass abzubauen, zu vergeben, als einfach die Waffen sprechen zu lassen.

Wie habt ihr euch vor und im Zuge der Entstehung des Albums mit dem Thema Krieg auseinandergesetzt?
Die alltäglichen Meldungen gehen natürlich nicht an einem vorbei und so haben wir uns während unserer Proben und Treffen immer wieder ausgiebig und intensiv über die aktuellen Konflikte ausgetauscht und unterhalten. Ich verfolge auch regelmäßig Dokumentationen sowohl zu aktuellen Auseinandersetzungen als auch zum 1. und 2. Weltkrieg und die Diktatur des Nationalsozialismus. Das finde ich besonders wichtig, da es fast keine Zeitzeugen mehr gibt.

Autumblaze Bandfoto 2024Pazifismus wird oft als eine naive Überzeugung dargestellt, die mitunter in der Kritik steht, ausgerechnet Aggressoren in die Hände zu spielen. Wie siehst du das?
Wenn Pazifismus so weit ausgelegt wird, dass ein Land sogar auf Rüstung oder eine Armee verzichtet, dann wäre ein solches Land sicher Aggressoren ausgeliefert. Davon sind wir jedoch weit entfernt. Ich sehe Pazifismus als die ethische Grundhaltung, Gewalt und Krieg zu vermeiden. Das bedeutet aber nicht, dass sich ein Land, das völkerrechtswidrig angegriffen wird, nicht verteidigen darf. Sehr gefährlich ist jedoch auf der anderen Seite der Bellizismus, der militärische Gewalt als legitimes Mittel zur Umsetzung politischer Ziele sieht. Wir hatten so eine Entwicklung ja schon einmal in Europa, vor dem 1. Weltkrieg beginnend, bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Erstarkendes Nationalbewusstsein in der zivilen Gesellschaft, gepaart mit der Überzeugung, Probleme seien militärisch zu lösen. Nach Ende des zweiten Weltkrieges lag Europa dann in Schutt und Asche und über 70 Millionen Menschen wurden getötet.

Traditionelle Familienformen sind nach wie vor vorherrschend und Kinder gehören zweifellos zu den am Schwersten unter Kriegen leidenden Menschen. Weshalb fokussiert ihr euch in „Vater Mutter Kind“ jedoch auf die klassische Kernfamilie, wenn auch andere Angehörige und Menschen in alternativen Konstellationen sowie auch ganz andere marginalisierte Gruppen wie etwa Arme vom Krieg ebenso schwer getroffen werden?
Bei „Vater Mutter Kind“ handelt es sich nicht um ein bewusstes Fokussieren auf die traditionelle Kernfamilie mit der Absicht, alternative Konstellationen auszuschließen oder abzulehnen, ganz im Gegenteil, diesen stehen wir total offen gegenüber. Als ich den Text geschrieben habe, hatte ich tatsächlich zwar meine eigene Familie im Sinn, die eine klassische Konstellation hat, aber auch noch etwas anderes. Ich wollte das bekannte Rollenspiel „Vater-Mutter-Kind“, dass Kinder bis heute noch sehr oft spielen, um ein idyllisches Familienleben der Geborgenheit nachzuspielen, der krassen Brutalität des Krieges und des Todes gegenüberstellen.

Ihr habt mit „Auf zerfetzten Schwingen“ erstmals ein komplett in deutscher Sprache eingesungenes Album veröffentlicht. Inwiefern bist du der Ansicht, dass ihr eure pazifistische Botschaft so deutlicher kommunizieren konntet?
Wir hatten schon länger vor, einmal ein Album komplett in deutscher Sprache zu machen. Aufgrund der Thematik fand ich den raueren, kantigen Klang des Deutschen sehr passend. Dass bei AUTUMNBLAZE auch die Texte eine große Bedeutung haben, wissen unsere Hörer. In erster Linie haben wir aber trotzdem ein neues Album gemacht, um neue Musik zu veröffentlichen und nicht um Botschaften zu kommunizieren, da wir in erster Linie Musiker und Künstler sind.

Wäre es umgekehrt nicht vielversprechender gewesen, die Songs komplett auf Englisch zu singen, damit mehr Menschen sie verstehen können?
In Englisch, da hast du Recht, hätten mehr Hörer die Texte direkt verstehen können. Wir haben daher auch unsere Fans, die nicht des Deutschen mächtig sind, mit Übersetzungen über unsere Kanäle in den sozialen Medien versorgt.

Das neue Album scheint leider nur sehr wenig Aufmerksamkeit bekommen zu haben. Hast du eine Ahnung, woran das liegen könnte?
Unser Label hat die Promotion unseres Albums in die Hände einer neuen Agentur gegeben, die, wie sich leider herausgestellt hat, noch sehr unerfahren ist und Fehler bei der Bemusterung gemacht hat. Wir sind jedoch zuversichtlich, weil zwar mit Zeitverzögerung, jetzt doch nach und nach weitere Anfragen kommen. Zumindest an unseren Fans ist das neue Album nicht vorbeigegangen. Hier haben wir sogar im Vergleich zu „Welkin Shores Burning“ wesentlich mehr Traffic auf unsere Bandcampseite bezüglich Verkäufen, Downloads und Streams. Leider hat sich das Business auch sehr verändert. Ohne das weiter vertiefen zu wollen, ist es so, dass Aufmerksamkeit inzwischen von finanzkräftigen Labels gekauft wird. Stories gegen Anzeigenschaltung ist da das Prinzip. In dieser Liga spielen wir nicht mit. Daher sind wir sehr froh, wenn Magazine wie Metal1.info sich ehrlich für uns interessieren.

Könnte es sein, dass die Leute eure Musik aufgrund eurer bisherigen Veröffentlichungen eher als Medium des Eskapismus oder persönlicher Introspektion ansehen und sich darüber nicht mit grausamen Lebensrealitäten auseinandersetzen wollen?
Die Menschen, die unsere Musik mögen, sind schon eine eingeschworene Gruppe treuer Begleiterinnen und Begleiter. Dafür sind wir sehr dankbar. Du hast Recht, viele unserer Songs laden dazu ein, den Blick vom Außen ins Innere zu lenken. Die inneren Themen von AUTUMNBLAZE sind jedoch auch oft sehr ernst und tragisch, sodass wir, glaube ich, als Soundtrack zum Eskapismus eher nicht geeignet sind.

Autumnblaze - Auf zerfetzten SchwingenMusikalisch klingt „Auf zerfetzten Schwingen“ aus naheliegenden Gründen wieder deutlich finsterer. Es scheint in eine ähnliche Kerbe wie „Perdition Diaries“ zu schlagen, allerdings für eure Verhältnisse nur wenig stilistisch Neues zu beinhalten. War es euch wichtiger, eure Botschaft stimmig zu vertonen, anstatt eure künstlerischen Fühler auszustrecken?
Die Musik von AUTUMNBLAZE entsteht nicht am grünen Tisch, so nach dem Motto: „So, was bringen wir denn noch für neue musikalische Elemente ein, die wir noch nicht hatten?“ Unsere Musik entsteht immer aus einem kreativen Fluss, wo aus Ideen, Worten und Melodien am Ende die einzelnen Songs entstehen. So entstehen dann manchmal vollkommen unterschiedliche Alben wie das sehr ruhige und verträumte „Welkin Shores Burning“ oder aber auch wie aktuell ein stark metallastiges Album. Die AUTUMNBLAZE-typische Melancholie und die Art und Weise, wie wir Harmonien arrangieren, sind dabei bandtypisch und wie ein roter Faden, der sich durch alle Alben zieht. Ich glaube, genau das lieben unsere langjährigen Freunde und Begleiter und somit haben sie auch keine Schwierigkeiten damit, nie vorhersehen zu können, wie das nächste Album klingen wird. Insgesamt kenne ich kaum eine andere Band, die so viele unterschiedliche Alben veröffentlicht hat wie wir.

Wie denkst du rückblickend über eure experimentelleren Werke wie „Bleak“ oder „Mute Boy Sad Girl“?
Die Phase nach der „Dämmerelbentragödie“ war eine schwierige Lebensphase für mich, die sich absolut in der Stimmung des Albums widerspiegelt. Die Proben waren sehr intensiv. Leider konnte ich dann aufgrund einer Ellbogenverletzung bei den Aufnahmen nur ein paar rudimetäre Loops einarmig einspielen, was mich sehr frustriert hat. An „Mute Boy“ war ich nicht beteiligt, dazu könnte dir Markus sicher noch etwas mehr sagen.

Das neue Album hat durchaus auch seine zarten Seiten und es ist nie ganz so brachial wie zum Beispiel „I Had To Burn This Fucking Kingdom“. Warum habt ihr trotz des aufwühlenden Textkonzepts davon abgesehen, euren Sound noch intensiver zu gestalten und an eure Grenzen zu gehen?
Wir wollten trotz des krassen Textkonzeptes nicht einfach den Sound von „Perdition Diaries“ kopieren. Wobei ich diesen, nebenbei bemerkt, auch heute noch sehr liebe. In der Produktion wollten wir neben der notwendigen Härte trotzdem auch eine gewisse Filigranität haben, weil die Arrangements, gerade in den ruhigeren Parts, das einfach brauchen. Daher war klar, dass wir Markus Stock mit dem Mix und Mastering beauftragt haben und er hat einen fantastischen Job gemacht!

Ihr habt zuvor auch erwähnt, dass ihr ursprünglich ein anderes Album aufgenommen hattet, das jedoch durch ein technisches Missgeschick verloren gegangen ist. Wie hätte dieses Album sich gestaltet und zieht ihr in Betracht, es zumindest in ähnlicher Form noch umzusetzen?
Mit der Veröffentlichung von „Welkin Shores Burning“ hatten wir die Idee, eine Trilogie zu machen. Als zweites Album war das Verlorene vorgesehen, als drittes das sogenannte „deutsche Album“. Somit haben wir nach dem Festplattencrash, bei dem vier komplett fertige Songs verloren gingen, das deutsche Album quasi vorgezogen. Im Nachhinein war das technische Desaster aber von Nutzen. Irgendwie waren wir noch nicht im Fluss. Jetzt sind wir es und das „verlorene“ Album ist nicht verloren, sondern wird als Abschluss der vorgesehenen Trilogie erscheinen, mit noch besseren Arrangements.

Ihr wart recht lange Zeit bei Prophecy Productions unter Vertrag und dass eure Alben mitunter von Markus Stock produziert wurden, legt nahe, dass ihr mit dem Label durchaus auch persönlich verbunden wart. Wie kam es dazu, dass ihr das Label schließlich verlassen habt?
Mit Martin Koller von Prophecy und Markus Stock verbindet uns in der Tat ein sehr persönliches und auch freundschaftliches Verhältnis, da hast du Recht. Mit der Veröffentlichung von „Perdition Diaries“ waren unsere vertraglichen Verpflichtungen jedoch erfüllt und wir entschieden uns, getrennte Wege zu gehen. Ein Grund war sicher auch für uns, dass wir aufgrund beruflicher und familiärer Rahmenbedingungen uns erst einmal neu orientieren und aufstellen mussten. Inzwischen ist uns wichtig, mehr Kontrolle über unsere Veröffentlichungen zu haben. So hatten wir beispielsweise mit „Every Sun Is Fragile“ einen Deal mit Pulverized ausgehandelt, bei dem nach zwei Jahren alle Rechte auf uns zurückgefallen sind. Nur so war es möglich, die wunderschöne, limitierte Vinyl-Variante zu veröffentlichen, die übrigens demnächst ausverkauft sein wird.

Zu eurem vorherigen Album „Welkin Shores Burning“ habt ihr eine Version mit einem alternativen Mastering herausgebracht. Welchen Grund hatte diese Neuversion und worin unterscheidet sie sich von dem ursprünglichen Release?
Der Sound auf der neuen Version ist dichter und transparenter im Vergleich zur ursprünglichen Version. Wir hatten dieses alternative Mastering bereits nach der Aufnahme beauftragt und da es uns inzwischen besser als die ursprüngliche Version gefällt, wollten wir es unseren Hörern nicht vorenthalten.

Ihr habt mit Liljevars Brann ein neues Projekt gegründet, in dem ihr Folk Black Metal mit Texten in einer nordischen Sprache spielt. Genres und Sprachen habt ihr aber auch schon in AUTUMNBLAZE stets gewechselt. Warum war in diesem Fall ein neues Projekt vonnöten?
Eben habe ich von dem roten Faden bei den unterschiedlichen AUTUMNBLAZE Veröffentlichungen erzählt, mit Liljevars Brann verhält es sich anders. Das klingt nicht nach AUTUMNBLAZE, daher war es für uns klar, dass wir hier ein ganz neues Bandprojekt ins Leben gerufen hatten. Es wird auch keine Einzelveröffentlichung bleiben. Es gibt einen poetisch literarischen Kosmos dahinter, den Markus und ich erschaffen haben, der auch einen gewissen Ausgleich für uns darstellt.

Was steht bei AUTUMNBLAZE als Nächstes an?
Ich hoffe noch viele spannende Interviews wie das mit dir. Ansonsten werden wir das „verlorene“ Album, das wahrscheinlich „Believe In Tragedies“ heißen wird, fertigstellen.

Im Zusammenhang mit der geringen Aufmerksamkeit, die „Auf zerfetzten Schwingen“ erhalten hat, habt ihr anklingen lassen, dass die Band womöglich in absehbarer Zeit inaktiv werden könnte. Wie siehst du das momentan?
Haben wir das echt gesagt? Spaß beiseite, wir denken nicht daran, inaktiv zu werden. Im Gegenteil landen wir aktuell bei Gesprächen immer wieder bei der Idee, eventuell doch noch einmal das Thema Liveauftritte anzugehen.

Kommen wir nun noch zum traditionellen Metal1.info-Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Schlagworten als Erstes ein?
Asyl: Absolut wichtig, für alle, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen. Und anders als viele Populisten behaupten, auch eine Bereicherung für unser Land. An dieser Stelle liebe Grüße an meine Kollegin Nesrin aus Syrien.
Protestlieder: Sind gut und stimmen nachdenklich und selbst nachdenken ist ebenso gut.
KI in der Kunst: Wenn sie Musik macht, ein Graus…
ESC: Schaue ich schon eine Weile nicht mehr an.
Imperialismus: Hat schon immer zu Gewalt und Unterdrückung geführt. Wir brauchen keine Imperien, wir brauchen Menschen, die weltweit miteinander verbunden sind und sich gegen Gewalt positionieren.
Die Essenz von AUTUMNBLAZE: Gedanken, Gefühle, das Tosen der Welt, innere Tragödien und äußeres Leid in Musik, Lyrik und Bilder verwandeln, tröstend, erlösend, verstörend und dennoch schön…

Nochmals danke für deine Antworten. Möchtest du noch ein paar Worte an die Lesenden richten?
Vielen Dank, Stephan, für dieses durchaus etwas andere Interview als wir es gewohnt sind. Mir hat das sehr gut gefallen, auch einmal eher wenig über das Album im Detail zu sprechen und mehr das Drumherum zu beleuchten. Wir sind noch nicht auf das Artwork unseres neuen Albums eingegangen, für das wieder Friederieke Myschik verantwortlich ist. Es ist mal wieder wunderschön und Friederieke ist ein wichtiger Teil des kreativen Kosmos von AUTUMNBLAZE, das wollte ich an dieser Stelle noch einmal sagen. Ich danke all unseren Fans und Wegbegleitern in all den Jahren. Vielleicht haben wir mit diesem Interview auch Interesse bei ein paar Menschen erweckt, die uns noch nicht kennen. Schaut bei Bandcamp vorbei, sucht uns in den Streamingdiensten und hört einfach mal rein. Es lohnt sich definitiv!

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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