Prelistening: Die Habenichtse – Schmierentheater

DIE HABENICHTSE beschreiben sich selbst als eine deutschsprachige Folk-Rock Band mit Ursprüngen im LARP und einem Fuß in der Mittelalterszene. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, wie Roderik Habenichts und die Räudige Ronja beim Prelistening ihres neuen Albums „Schmierentheater“ verraten. Beide kommen eigentlich aus dem Hardcore und Punk, besuchen selbst Konzerte von WIZO, Talco und den Bridge City Sinners. Warum dann also Mittelalter? „Weil in mir eine große Schwäche für diese romantisierte Traumwelt mit Lagerfeuer und allem steckt. Darüber schreibe und singe ich auch gerne“, erklärt Roderik. Eine Form von Eskapismus oder gar Realitätsflucht? „Man sollte immer ein gutes Mittel wahren, aber ich seh kein Problem darin, ein Wochenende lang Abstand von seinem normalen Leben zu nehmen und Akkus aufzuladen. Ich mag’s auch generell sehr, dass in der Mittelalterszene die Übergänge von Künstler:innen zu Fans irgendwie fließend sind. Es ist oft ein großes Miteinander.“

Professionalisierung war für DIE HABENICHTSE schon immer wichtig. „Wir haben alles Schritt für Schritt verbessert, angepasst und sind daran gewachsen“, so Roderik. Alle aktuellen Bandmitglieder waren bereits in anderen Kapellen aktiv, bringen ihre jeweiligen Erfahrungen ein und teilen den Anspruch, „dass es mehr Spaß macht, wenn es professionell zugeht.“ Inzwischen sind DIE HABENICHTSE zu viert: Mit Bassist Diego Pappenheimer ist der eigentliche Bandgründer nach mehreren Besetzungswechseln bis heute mit dabei. Dass der jetzige Schritt mit „Schmierentheater“ der größte in der Bandgeschichte ist, darin sind sich Ronja und Roderik sofort einig – genau wie über die generelle Marschrichtung.

Trink- und Stinkgeschichten

„Wir haben uns auf den Partyfaktor konzentriert und lassen wie etwa in ‚Reichtum stinkt‘ etwas Themen wie Konsum- oder Kapitalismuskritik mitschwingen“, erklärt Roderik. Über zwei Jahre Arbeit stecken in „Schmierentheater“, vom ersten Songwriting bis zum Release im Juni 2024. „Wir sind mit den Songs und dem Sound so richtig zufrieden. Man könnte sagen, wir haben unser Ding gefunden und die Ansätze auf der „Heckenpennerutopie“ auf das nächste Level gehoben“, fasst Roderik zusammen. Bei einem ersten Blick auf die elf Songs fällt auf, dass der Vierer weiterhin gerne Trinklieder schreibt und diese mit einer zum Bandkonzept passenden Note versieht. Wie zum Beispiel „Schorle“: „Der Song ist lustig, weil er autobiografisch ist. Wir trinken gerne tagsüber Weinschorle. Für Day-Drinking ist Weinschorle der beste Schwips, den du haben kannst. Du bist nicht völlig weggeballert, sondern einfach nur lustig und das sagt der Song im Endeffekt aus.“ Ronja ergänzt: „Für uns ist es wichtig, dass das Thema Alkohol in einem größeren Kontext erscheint, wie z.B. Zeit mit Freunden verbringen oder Gemeinschaft zelebrieren. Wir stoßen auch gerne zusammen an und thematisch liegen uns solche Songs.“

Auf den Punkt und mit prominenter Unterstützung

Viele der Stücke dauern kaum drei Minuten – kein Tribut an fehlende Aufmerksamkeitsspannen in der aktuellen Zeit, sondern „jeder Song ist so lang, wie er sein soll bzw. wie er es will.“ Ronja elaboriert mit einem Lächeln im Gesicht: „Unser Roderik hat seine Wurzeln auch im Rock der 80er Jahre und tendiert manchmal dazu, sich bei der Länge an epischen Balladen zu orientieren. Unser Produzent ist dann oft ziemlich rigoros und wir schauen inzwischen ebenfalls selbst genauer hin, was ein Song am Ende wirklich braucht.“ Drei Singles haben DIE HABENICHTSE vorab ins Rennen geschickt. Einmal „Firma dankt“, das so ein bisschen den Ton des gesamten Albums angibt und das Konzept erklärt. In „Taverne, Taverne“ ist Mr. Hurley am Mikro zu hören, während „Spelunkenvagabunden“ zusammen mit Die Streuner entstanden ist. Mit den Szeneveteranen kamen DIE HABENICHTSE nicht wegen einem Hang zu Artikeln im Bandnamen ins Gespräch, sondern beim Collis Clamat, wo beide Bands erstmals eine Bühne geteilt haben. Nach einem kurzen „Fanboy-Moment“ haben die Niedersachsen ihre Scheu fix abgelegt.

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„Viele Barden auf LARPs und Cons haben einen Song von den Streunern im Repertoire – einige vermutlich, ohne es zu wissen“, lacht Roderik. „Für uns war es eine große Ehre, dass sie bei „Spelunkenvagabunden“ mitgemacht haben.“ „Natürlich helfen uns diese Namen, um schneller mehr Reichweite aufzubauen,“ gibt Ronja zu. „Wir beobachten unsere Klickzahlen derzeit ganz genau, weil wir uns über wirklich jeden freuen, der uns jetzt hört,“ fügt Roderik an. Die sozialen Medien sieht Ronja zwiegespalten: „Die Möglichkeiten sind natürlich riesig und ich habe das Gefühl, dass gerade während Corona sich dort noch einmal viel verändert hat, weil vielen in dieser Zeit eine Form von Nähe gefehlt hat. Allerdings fressen Insta und Co. auch unglaublich viel Lebenszeit. Leider ist manches dort auch bei uns schon oft übergriffig und hat dazu geführt, dass ich genau überprüfe, wer oder was auf meinem Profil zu sehen ist.“

Von Pennies und Pulveraffen

Mr. Hurley von Mr. Hurley und die Pulveraffen war für „Schmierentheater“ weit mehr als nur Duett-Partner in „Taverne, Taverne“: Der Kontakt der beiden Bands intensivierte sich während der gemeinsamen Seemannsgrab-Tour 2021, bei einem „Biergespräch“. Der Oberpulveraffe und Roderik stellten fest, dass beide gerade an Songs arbeiteten und steckten daraufhin die Köpfe zusammen. „Erst haben wir lose Ideen von uns gesammelt und diese dann ausgearbeitet“, so Roderik. „Der erste Song, den wir gemeinsam fertigstellt haben, war witzigerweise ‚Taverne, Taverne‘.“ Auf das erste folgten viele weitere Treffen, unter anderem bei einer gemeinsamen Kneipentour auf einer LARP, bis „Schmierentheater“ fertig im Kasten gewesen ist.

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Die Verbindungen zu Bands wie den Pulveraffen oder Versengold gehen noch weiter: Aufgenommen haben DIE HABENICHTSE ihre neue Scheibe in den DocMa-Klang Studios, der Heimat von Mr. Hurley und seinen Geschwistern. Das Cover und Artwork stammt wiederum von Hygin Graphix, die unter anderem für Versengold und Knasterbart tätig sind. Diese ausgeprägte Nähe zu den beiden Szenegrößen stört weder Roderik noch Ronja: „Wir mögen diese Bands menschlich und musikalisch sehr gerne, fanden beispielsweise den Sound auf den letzten Pulveraffen-Alben mega und fühlen uns durch Vergleiche eher geschmeichelt.“

Roderik und Ronja: gleichberechtigt, zweistimmig

Der zweistimmige Gesang von DIE HABENICHTSE ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Während Pegleg Peggy bei den Pulveraffen erst später hinzugestoßen ist, prägen Roderik und Ronja mit ihren Stimmen bereits seit einiger Zeit den Sound der Heckenpennies – auf „Schmierentheater“ haben DIE HABENICHTSE ganz bewusst die Entscheidung getroffen, dass die beiden Sänger:innen gesanglich auf Augenhöhe agieren. Wer welchen Song am Ende übernimmt, „ergibt sich. Bei ‚Waschtag‘ fanden wir es direkt witziger, wenn Ronja es singt. ‚Flaschenkind‘ als überdrehtes Trinklied gefiel uns mit einer weiblichen Lead-Stimme auch insgesamt besser.“ Einzig bei „Firma dankt“ spielen sich Roderik und Ronja im Gesang die Bälle zu, weitere Duette haben sich für „Schmierentheater“ nicht ergeben. Auch ein Vorschlag von Mr. Hurley für ein ganz klassisches weiblich-männliches Duett schaffte es am Ende nicht auf das Album. „Wir fanden die Nummer alle letztlich nicht stark genug, inklusive Simon“, so Ronja.

Aus den früheren LARP-Bettler:innen sind waschechte Folk-Musiker:innen geworden, die sich musikalisch wie optisch vom Mittelalter zunehmend gelöst haben. Ihre Rollen und Pseudonyme sehen die beiden als großes Plus, um weiterhin freudig über gemeinsame Gelage singen zu können oder wie in „Nicht mein Problem“ darüber, nicht arbeiten gehen zu wollen. „Würde ich das unter meinem echten Namen tun, hätte ich vielleicht ein Thema mit meinem Arbeitgeber. So können wir es immer unter dem Deckmantel der Kunst betreiben,“ erklärt Roderik mit einem Augenzwinkern die Vorteile davon, auf der Bühne Roderik und nicht Uwe zu sein. „Für mich ist die Räudige Ronja prima, um mein Bühnenleben vom Rest zu trennen. Das ist mir wichtig und ich finde auch, dass wir durch unsere Rollen und die Namen eine eigene Identität bekommen“, erklärt Ronja.

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„Schmierentheater“ könnte der Startschuss für die Band ein, um aus dem ambitionierten Hobbyprojekt, das vom Aufwand einem Vollzeit-Job gleicht, noch mehr zu machen und vielleicht auch die lange Bucket-List der Konzertstätten und Festivals, auf denen DIE HABENICHTSE nach eigener Aussage gerne spielen wollen, einzukürzen. Typisch Norddeutsch fallen die großen Träume eher moderat bzw. ergebnisoffen aus: ein paar hundert Menschen pro Stadt wären fein und hier und da eines der größeren Festivals. Wo man gemeinsam anstößt und eine gute Zeit hat, am liebsten vor, auf und hinter der Bühne.

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