Lange hat es gedauert: Ursprünglich hätten die ukrainischen Bands 1914 und WHITE WARD bereits letztes Jahr auf dem DARK EASTER METAL MEETING 2023 spielen sollen. Die russische Invasion in die Ukraine, gefolgt von einem Ausreiseverbot für Männer im wehrfähigen Alter, machten die Shows unmöglich. Doch DEMM-Veranstalter Michael Sackermann blieb dran – und organisierte mit einigem Aufwand und bis zuletzt der Unsicherheit, ob die Bands wirklich ausreisen dürfen, zum nächstmöglichen Zeitpunkt ein Charity-Event für die Ukraine. Neben besagten zwei Bands konnten mit FUNERAL PILE und THREE EYES OF THE VOID noch zwei weitere Formationen mit Ukraine-Bezug gewonnen werden konnten, sodass bereits kurz nach 17:00 Uhr die Türen der Backstage Halle öffnen.
Dass der ETERNAL FLAMES OF UKRAINIAN RESISTANCE betitelte Abend kein Konzert wie jedes andere werden würde, ist schnell klar: Noch vor Konzertbeginn kommt Veranstalter Michael auf die Bühne und macht in einer kurzen, aber wohldurchdachten Ansage nochmals den Hintergrund des Events deutlich. Ein emotionaler Einstand für einen Abend, dem es an bewegenden Momenten auch im weiteren Verlauf nicht mangeln wird.
Bei THREE EYES OF THE VOID beschränken sich die Emotionen allerdings auf die Musik: Ansagen – und damit auch jedwede Statements – spart sich der aus Kiew stammende Bandkopf Dmytro Kvashnin. Dafür liefert er mit seinen aus seiner neuen Heimat Polen stammenden Band eine musikalisch gefühlvolle und somit auch packende Show ab – und das über 50 Minuten hinweg: Der ansonsten recht genretypische Black Metal überzeugt mit vielen Melodien, die live noch epischer klingen als auf dem etwas steif eingespielten Debüt „The Atheist“. In Sachen Bühnenpräsenz könnte die Band noch zulegen, dann dürften auch die Publikumsreaktionen noch etwas euphorischer ausfallen. Für einen Opener bieten THREE EYES OF THE VOID aber durchaus einen sehenswerten Auftritt – zumal die Band heute erst zum vierten Mal gemeinsam auf der Bühne steht.
- Behind The Stars
- Against The One
- The Eyes To See
- Perceiving The Ignorance
- No More Light
- The Atheist
- Overcoming
Als zweite Band des Abends stehen FUNERAL PILE auf dem Programm. Initial 2008 gegründet, aber bald wieder auf Eis gelegt, wurde die Band aus Bruckmühl 2020 wiederbelebt. Eine neue Berufung scheint die Truppe aber erst durch den Einstieg der aus Kiew nach München geflüchteten Drummerin Alina Kuzmenko gefunden zu haben: Zumindest präsentieren sich die Blackened-Death-Metaller heute extrem für das Thema Ukraine engagiert. Dass die Show selbst etwas holprig startet, weil bereits zum Linecheck auf Show-Licht gewechselt wird, sodass der vermeintlich „erste Song“ ziemlich chaotisch wirkt, verkommt im Kontext der heutigen Veranstaltung ebenso zur Nebensache wie der zumindest für 50 Minuten doch etwas monotone Stil der Band: Die Sympathien des Publikums haben FUNERAL PILE schnell auf ihrer Seite, und damit ist hier und heute alles erreicht.
- Evoked In Flames
- Funeral Pile
- Nameless City
- Food For The Flies
- Hope Is A Lie
- Dead Horse Trail
- Klondike
- Like The Ocean’s Tide
Musikalisch auf einem anderen Level agieren dennoch WHITE WARD: Das Quintett aus Odessa konnte mit seinem avantgardistischen Mix aus (Post-)Black Metal und jazzigem Saxophon in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit erregen – wurden durch den Krieg allerdings harsch ausgebremst. Die Auswirkungen sind auch heute, bei der ersten Show der Band in Süddeutschland, zu spüren: Die Saxophon-Spuren werden nur als Sample beigemixt, da Saxophonist Dima Dudko im ukrainischen Militär dient. Aus musikalischer Sicht ist das natürlich ein Dämpfer, geben Live-Bläser Metal-Shows doch immer noch ein gewisses Extra – vor allem aber macht diese Lücke auf der Bühne den Krieg an diesem Abend noch präsenter. In diesem Kontext ist es fast schade, dass WHITE WARD die Situation nicht auf der Bühne aufklären, und sich auch sonst komplett auf die Musik beschränken. Diese jedoch weiß auch ohne Live-Saxophon, in ihrer extrem dichten Atmosphäre und mit dem packenden Gesang von Andrey Pechatkin vollends zu begeistern.
- Leviathan
- Love Exchange Failure
- Phoenix
- Stillborn Knowledge
- Cronus
- Dead Heart Confession
- Futility Report
— - When Gift Becomes Damnation
2 / 2
War die Halle bereits bei den ersten drei Bands gut gefüllt, stehen nun wirklich alle der knapp 500 Besucher:innen vor der Bühne, um der erst zweiten Indoor-Show der Band in Deutschland überhaupt beizuwohnen. Die am Vortag heruntergerissenen 17 Stunden Fahrt aus Lwiw lassen sich 1914 nicht anmerken – doch auch diese Band muss personell ausgedünnt antreten: Gitarrist Vitaliy Vygovskyy alias „5.Division, Ulanen-Regiment Nr.3, Sergeanten – Vitalis Winkelhock“ durfte nicht ausreisen, sodass die Truppe heute als Quartett auf der Bühne steht. Musikalisch macht das noch weniger als bei White Ward – die Black-Death-Riffs von 1914 drücken dennoch mit voller Kraft aus den Boxen. Und doch schärft das Fehlen eines weiteren Musikers nochmal das Bewusstsein für die alles andere als „normalen“ Umstände, unter denen ukrainische Bands derzeit touren.
Als wären Musik, Texte und Visuals der Band nicht schon bedrückend genug: Unterlegt mit manchmal humoresken, meist aber brutalen Bildaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg vertonen 1914 einen bestialischen Krieg, der so archaisch wirkt und doch kaum mehr als ein Jahrhundert zurückliegt. Insbesondere durch die eindrucksvolle Performance von Fronter Dmytro Kumar alias „2. Division, Infanterie-Regiment Nr.147, Oberleutnant – Ditmar Kumarberg“ ist die Atmosphäre noch packender als man es von anderen Bands mit Kriegsthematik kennt: Wie traumatisiert wankt Dmytro über die Bühne oder lässt scheinbar achtlos das Mikrophon fallen, um im nächsten Augenblick inbrünstig loszuschreien.
Dazwischen sorgt er mit seinen Ansagen für klare Verhältnisse. Eindringlich ruft er ins Gedächtnis, dass die Ukrainer nicht für sich, sondern für Europa kämpfen. Internet-Trolle, die der Band rechte Tendenzen unterstellten, weil sie das Töten russischer Invasoren befürwortet, zeigt er ebenso den Mittelfinger wie allen, die Politik im Metal als störend empfinden („Krieg ist keine Politik“) – und außerdem allen, die (Black) Metal-Shows als Entertainment betrachten: „Black Metal muss unbequem sein!“ Für alle, die das anders sehen, hat er einen guten Tipp auf Lager: „Kauft euch Tickets für Sabaton!“ Mit einem unvermittelten Sprung ins Publikum gelingt es ihm dann auch tatsächlich, das Gefühl des Unbehagens noch zu steigern: Obwohl er dort kaum anders agiert als auf der Bühne, wirkt seine Performance hier richtiggehend bedrohlich.
- FN .380 ACP#19074
- Vimy Ridge (In Memory Of Filip Konowal)
- …And A Cross Now Marks His Place
- Corps D’autos-Canons-Mitrailleuses (A.C.M)
- Mit Gott Für König Und Vaterland
- A7V Mephisto
- Arrival. The Meuse-Argonne
- Passchenhell
- Ottoman Rise
- The Hundred Days Offensive
Vier Bands an einem Abend sind immer fordernd – im heutigen Kontext aber ganz besonders: Spätestens bei der Show von 1914 ist der Anlass der heutigen Veranstaltung nicht mehr auszublenden. So fällt es noch schwerer, als es bei Bands mit Kriegsthematik eh schon ist, „Spaß“ zu haben. Das macht das Konzert aber um keinen Deut schlechter – im Gegenteil: Metal ist eben nicht (nur) Entertainment.
Das zeigt sich – erfreulicherweise – auch in der finanziellen Unterstützung des guten Zwecks durch die Fans: Bei einem Spendenanteil von 5 € pro verkauftem Ticket, plus rund 1.000 € Spendeneinnahmen durch die Event-Shirts, über 2.000 € in den Spendenboxen von Funeral Pile, White Ward und dem „Metal For Ukraine“-Stand sowie großem Absatz an Band-Merch kann das ETERNAL FLAMES OF UKRAINIAN RESISTANCE auch als Charity-Event als voller Erfolg verbucht werden.