Nachdem einer Kolumne und einem Band-Interview ist es höchste Zeit, dass im Rahmen unseres Specials „MetAI – Künstliche Intelligenz im Metal“ auch ein Künstler zu Wort kommt. Leichter gesagt als getan: Einen redewilligen Künstler zu finden, erwies sich als überaus schwierig.
Bei Valnoir, der unter dem Label METASTAZIS bereits für rund 300 Bands Artworks erschaffen hat, rannten wir mit unserer Anfrage allerdings offene Türen ein: Er wünschte sich dezidiert, dass das Interview auch auf Englisch erscheint. Seine “hochgradig unpopuläre Meinung” solle “weitreichend zugänglich” sein. Tatsächlich dürfte Valnoirs Haltung zu dem Thema nicht nur einigen Kollegen sauer aufstoßen, sondern auch so manchen überraschen, der dachte, der Shitstorm gegen KI-Kunst wäre im Sinne aller Künstler.
[Bei den zur Illustration des Artikels genutzten Bildern handelt es sich nicht zwangsläufig um mit KI bearbeitete Bilder. Die Auswahl der Bilder von METASTAZIS erfolgte mit Genehmigung des Künstlers durch die Redaktion]
KI ist in aller Munde – hast du dich persönlich mit dem Thema beschäftigt, sei es im Rahmen der Bilderstellung oder „privat“?
Ja, natürlich! Ich war sofort fasziniert, als ich diese Technologie vor etwa zwei Jahren entdeckte, und habe es gleich ausprobiert.
„KI-Kunst“ ist ein Begriff, über den man philosophisch diskutieren kann – kann es „Kunst“ ohne einen menschlichen Künstler geben, kann eine KI „Kunst“ schaffen?
Kunst kann alles sein, von dem ein Mensch sagt, es sei Kunst. Der Rest spielt keine Rolle.
Die ersten KI-Cover im Metal sind jetzt da – zum Beispiel von Pestilence, Deicide oder Hour Of Penance. Von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet: Was hältst du von den Bildern, die du bis jetzt gesehen hast?
Diese Cover, besonders das von Deicide, sind zum Kotzen. Aber nicht unbedingt, weil die in AI gemacht wurden, sondern einfach, weil 95% der Metal-Cover völlig uninspirierter Mist sind, der bis zum Erbrechen „Konzepte“ vervielfältigt, die im Grunde schon seit Jahrzehnten abgenutzt sind und keine Substanz mehr vermitteln. Ich meine, wie kann jemand, der nicht völlig hirnverbrannt ist, im Jahr 2024 denken, dass es provokant sein könnte, einen Dämonenkopf auf ein Cover zu klatschen und das Ganze damit als erledigt zu betrachten? Und jetzt jammert die ganze Metal-Gemeinde: „Boohoo, die haben KI benutzt, die bringen die Künstler um“. Was mich daran schockiert, ist nicht die Verwendung von KI, sondern dass Millionen von Idioten es als völlig akzeptables Cover ansehen würden, wenn es handgemacht wäre.
Deicide haben zur künstlerischen Bedeutungslosigkeit auch noch Faulheit hinzugefügt, indem sie dieses Cover mit – schlechter und bereits veralteter – KI erstellt haben, aber das ist nicht die eigentliche Beleidigung an diesem Machwerk. Und Pestilence haben vor ein paar Tagen gekniffen, als sie gemerkt haben, dass ihre schlechte Wahl die Verkaufszahlen des Albums gefährden könnte, und haben sich schließlich für eine noch erbärmlichere, „menschengemachte“ Entscheidung entschieden, mit der sie zu Faulheit und künstlerischer Leere noch Erniedrigung und Feigheit hinzugefügt haben. Gut gemacht, Jungs!!
KI-Kunst erscheint mir oft sehr willkürlich – simpel und ohne jede Metaebene oder „versteckte Bedeutung“. Aber wie du ja bereits ausgeführt hast, ist auch nicht jedes „handgemachte“ Cover ein liebevoll gestaltetes Kunstwerk. Werden die herausragenden Künstler weiterhin gefragt und unersetzlich sein, aber die KI wird die „Massenproduktion“ übernehmen?
Da bin ich anderer Meinung: KI kann übermäßig schöne und atemberaubende Bilder produzieren, wenn sie richtig eingesetzt wird. Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum so viele völlig ersetzbare Heavy-Metal-„Künstler“ ausflippen und anfangen, um ihr Leben zu fürchten. Tief in ihrem Herzen wissen sie, dass KI es schafft, im Handumdrehen absolut atemberaubende Bilder zu erzeugen, während sie ihre ganze Karriere damit verbracht haben, abgenutzte Klischees wie „ein menschlicher Schädel mit Dämonenhörnern für ein T-Shirt“ oder „ein geflügelter Dämon mit einer Sense für das Cover eines Albums, das vom Tod handelt“ auf „ehrliche Weise“ zu reproduzieren.
Erstens sind das nicht ihre Ideen, sondern eine Wiederaneignung der Wiederaneignung der Wiederaneignung dessen, was andere Bands seit den 1980er-Jahren gemacht haben. Und zweitens: Warum sollten sie nicht durch Maschinen ersetzt werden, wenn das, was sie schaffen, nicht einmal ihnen gehört? Vielleicht sollten sie versuchen, das Böse auf eine persönlichere Art und Weise zu repräsentieren, als den Kopf eines Dämons auf ein Cover zu klatschen, wenn sie nicht durch KI ersetzt werden wollen.
Auch Photoshop oder die digitale Bildbearbeitung im Allgemeinen sind Modernisierungen, gegen die es anfangs Vorbehalte gab – und die heute ganz normale Werkzeuge sind. Wird KI also am Ende ein Werkzeug sein, das in den Händen von Profis mächtiger ist als in den Händen von Amateuren?
Du stellst mir diese Fragen, als hätte ich eine Kristallkugel oder als wäre ich eine Autorität auf dem Gebiet der KI. Meine Prognosen haben keinerlei Wert. Was ich weiß, ist, dass die KI unumgänglich sein wird und dass Designer sich damit auseinandersetzen müssen oder es schwer haben werden … so wie einige „kunstsinnige“ Boomer-Aktfotografen, die sich noch heute weigern, ihre Bilder mit Photoshop zu bearbeiten. Sie werden bald tot sein und weder ersetzt noch vermisst werden. Sicherlich wird einiges an Know-how verschwinden, aber es wird auch neues Wissen entstehen.
Ich hatte ähnliche gemischte Gefühle, als ich 2017 die Kunsthochschule in Pjöngjang, Nordkorea, besuchte. Ich war an einem kulturellen Austauschprogramm mit lokalen Künstlern beteiligt und es war meine dritte Reise dorthin. Viele ihrer Werke zeigten unglaubliche akademische technische Fähigkeiten, die im Westen weitgehend vergessen sind. Die Werke, die aus diesen Fähigkeiten resultierten, waren erstens völlig frei von jeder persönlichen Identität und zweitens natürlich ausschließlich im Dienst der Botschaft des schlimmsten Monsterregimes der Welt und seiner völlig dysfunktionalen, freiheitsfeindlichen, mörderischen Ideologie. Aber wen interessiert das schon! Echte Kunst ist handgemachte Kunst!
Kannst du dir vorstellen, KI in deine Arbeit einzubauen – oder ist das für dich ein No-Go, das gegen deine Ehre als Künstler verstößt?
Von welcher Ehre sprichst du? Ich lebe nicht in einem Yakuza-Film. Ich bin ein professioneller Art Director, der Botschaften mit Hilfe der Bildsprache vermittelt, Punkt. Es gibt ein Werkzeug, das mir helfen könnte, diese Sprache zu verbessern und die Qualität der wahrgenommenen Botschaft zu steigern? Warum in aller Welt sollte ich es nicht nutzen? „Oh, Photoshop ist nicht ehrenwert! Ich werde meine Fotos weiterhin mit Wasserfarben bearbeiten, oder ich werde Sepuku begehen, Sensei!“ Also ja, ich benutze KI bereits hier und da, um einige meiner Bilder zu verfeinern.
Ein Beispiel: Ich verwende seit Jahren viele computergenerierte 3D-Bilder – auch wenn das für einige rückwärtsgewandte Spinner in der Szene keine wahre Kunst ist, da wahre Kunst nur mit Aquarellfarben auf Canson-Papier geschaffen werden sollte. Wie auch immer, das Problem mit dieser 3D-Technologie ist, dass es furchtbar zeitaufwändig ist – oftmals ohne zufriedenstellende Ergebnisse zu liefern –, bei einigen Materialien eine realistisch aussehende Patina hinzubekommen. Daher verwende ich manchmal KI, um meinem Beton mehr Maserung zu verleihen oder die Blätter eines Baumes zu verfeinern. Chirurgische Eingriffe an Bildausschnitten. Und das macht wirklich einen Unterschied! Schickt mir gleich die Heavy-Metal-Artwork-Ehrenpolizei, wenn ihr damit fertig seid, ehrenvoll den Schädel eines Dämons für das Merch einer Band namens „Demon Murder“ oder „Dark Hell“ zu zeichnen! Ich habe es übrigens gerade überprüft: Es sind keine Bands namens „Dark Hell“ oder „Demon Murder“ verzeichnet. Fühlt euch frei, diese wirklich neuen und kreativen Namen für eure neue Band zu klauen!
Einer der Kritikpunkte seitens einiger Künstler an KI-Kunst ist, dass die KI mit Bildern aus dem Internet trainiert wurde – mit anderen Worten, mit euren Werken. Was hältst du davon?
Dieselben Künstler, die jetzt herumheulen und jammern, haben ihr ganzes Leben lang von Bildern gelernt, die sie auf Google oder Insta gefunden haben und die von anderen Künstlern produziert wurden, ohne diese um ihre Zustimmung zu bitten. Und hin und wieder sieht man einen dieser Miesepeter, der online rumschreit: „Oh, dieser Dieb hat meinen Stil gestohlen, er gehört MIR und NUR MIR“. Ich finde diesen ganzen Zirkus sehr peinlich.
Meine bescheidene Meinung ist, dass Kunst auf Wiederverwertung und Wiederaneignung beruht, vor allem in dieser postmodernen Ära, in der Künstler oft eher DJs als Ex-Nihilo-Schöpfer sind, was völlig in Ordnung ist, wenn es gut gemacht ist. Und diese Logik gilt ganz besonders für den Heavy Metal, der im Großen und Ganzen ein von sich selbst inspirierter, sich selbst wiederholender, geschlossener, abgestandener Teich ist, in dem Bands sehr stolz darauf sind, „Celtic Frost Old School Black Metal, wie er klingen sollte“ zu spielen. Wo ist hier die „echte Kreativität“?
Nachdem ich für fast 300 Bands Bilder entworfen habe, war ich persönlich immer sehr stolz, wenn ich gesehen habe, dass einige Elemente meiner Arbeit „gestohlen“ wurden. Es bedeutet, dass meine Arbeit einen Einfluss hat, so klein er auch sein mag. Und ich glaube, dass Diebstahl die aufrichtigste Form der Schmeichelei ist.
Und jetzt wird gejammert, weil ihre Bilder, anstatt für die direkte Ausbildung anderer Künstler verwendet zu werden, für die Ausbildung von Modellen verwendet werden KÖNNTEN – … diese Arroganz, als ob sich der Algorithmus der Tech-Firmen tatsächlich um ihre Dämonenschädel scheren würde -, die ihre Bilder in nicht erkennbare Fragmente zerreißen, bevor sie neue Bilder zusammensetzen, die 1000 Mal schöner sein werden als alles, was sie in ihrer gesamten Existenz zustande bringen werden. Dieser Widerstand ist nicht nur zwecklos, sondern zeugt auch von einem sehr dürftigen, engstirnigen (oder einfach nur heuchlerischen) Verständnis der kreativen Abläufe, insbesondere im Kontext des XXI. Jahrhunderts.
Aber wenn Rotting Christ ein völlig ausgelutschtes Thomas-Cole-Gemälde für „Pro Xristou“ verwenden, das man schon auf zehn anderen Covern gesehen hat, scheint das keine Polemik auszulösen. Denn diese Art der Wiederaneignung ist für dieselben Leute völlig akzeptabel. Und ich höre online keine einzige Stimme, die sich gegen diese Art von eklatantem „Diebstahl“ wendet. Warum eigentlich? Bitte erkläre es mir.
Danke für deine Zeit und deine Antworten – die letzten Worte gehören dir!
Glaubt nicht, dass mir die KI keine Sorgen bereitet. Natürlich ist eine solch bahnbrechende und plötzliche Revolution einschüchternd, vor allem weil niemand weiß, wie weit es gehen wird. Aber wie Coco Chanel schon sagte: „Nur zu, klaut meine Ideen, ich werde neue haben“.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.
Schöne Ergänzung zum Thema, die sich zwar überraschend gegen den Strich gebürstet liest, aber letztlich ja nur den Standpunkt hat, dass ein schlechter Künstler nicht um seine Pfründe weinen darf, weil er mangels Qualität keinen Anspruch darauf hat und der gute es nicht nötig hat. Erinnert mich ein bisschen an eine mexikanische (?) Binsenweisheit: „Wenn du etwas ändern kannst, was regst du dich auf. Wenn du aber etwas nicht ändern kannst… was regst du dich auf!“
Danke für die facettenreiche Betrachtung des Themas