Interview mit Volkmar "Volk-Man" Weber von Die Apokalyptischen Reiter

Die biserhigen Teile unserer Serie “MetAI – Künstliche Intelligenz im Metal zeigen: Das Thema polarisiert. Trotz großer Vorbehalte hält KI immer mehr Einzug in den Alltag vieler Menschen – so auch Kunstschaffender. Für Teil 4 der Serie haben wir mit Volkmar „Volk-Man“ Weber von DIE APOKALYPTISCHEN REITER gesprochen, die zuletzt ein KI-Video veröffentlicht haben. Ein Gespräch über Künstlerisches und Künstliches, Pozential und Risiken von KI in der Kunst, sowie darüber, was in naher Zukunft in diesem Bereich noch kommen könnte.

Spätestens seit dem Release von ChatGPT und diversen Tools ist Künstliche Intelligenz (KI) ein Thema der breiten Öffentlichkeit geworden. Was waren deine ersten Gedanken dazu?
Mein erster Gedanke: „Schüler und Studenten werden sich aber freuen!“ Ich finde das Wort „künstlich“ in dem Zusammenhang irreführend. Das Wissen ist ja vorhanden. Es ist nur ein neuer Zugang zum gigantischen Wissensfundus der Menschheit. Früher hatte man 20 Bände Lexika, irgendwann Google und Wikipedia – jetzt halt ChatGPT. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Durch die unfassbare Entwicklung der Rechenleistungen von Microchips, die man sich nicht wirklich vorstellen kann, ist es eben möglich, gigantische Datenmengen in so radikal kurzer Zeit zu analysieren und aufzubereiten, dass man mit den generierten Ergebnissen definitiv überfordert ist.

AI Art by Die Apokalyptischen Reiter
AI Art aus einem Social Media Post von Die Apokalyptischen Reiter

Die KI hat dann schnell „gelernt“, auch Bilder zu erschaffen. Die ersten Versuche waren noch relativ wenig beeindruckend, aber die Schritte, die innerhalb eines Jahres vollbracht wurden, sind enorm. Wie ist dein Bauchgefühl dazu? Wo siehst du Chancen, wo siehst du Risiken?
Naja, die Risiken sind schnell umrissen: Alle, die mit ihrem Talent bisher im grafischen Bereich tätig waren, sind mit neuer Konkurrenz konfrontiert. Vor 30 Jahren hatten Fotografen und Filmleute Zugang zu teurer Technik und waren damit quasi in einer exponierten Position. Heute rennt jeder mit einem Megamegapixel-Telefon durch die Gegend, die Kids schneiden binnen Minuten Clips in einer Qualität, für die früher Tonnen an teurem Equipment und Menschen notwendig waren. Das ist der Lauf der Dinge. Jedes Geschäftsmodell kommt irgendwann an sein Ende. Mir wäre es ehrlich gesagt auch lieber, wenn es kein YouTube und Spotify gäbe und die Leute Alben kaufen würden, von denen wir Künstler wie früher einen fairen Betrag abbekommen. Aber eins scheint klar: Der Fortschritt, egal wie bedrohlich er scheint, wird nicht aufhören. Man kann es ignorieren, ablehnen, bekämpfen – in der Regel wird man die Sache aber nicht aufhalten. Vielmehr ist es doch besser, wenn man sich eingesteht, dass Dinge nun anders laufen und wie man selbst daraus etwas Positives ziehen kann.

Ihr habt zum Song „Adler fliegen“ ein Video mit Hilfe von KI erstellt. Wie kam es dazu?
Wir hatten ein komplett fertiges Video zu „Hallo Freunde“ gedreht, allerdings noch mit dem alten Line-Up und wir mussten nach den Personalentscheidungen von 2023 dieses Video einfach wieder einmotten. Wir hatten unser komplettes Budget für den Song ausgegeben und die Plattenfirma wollte keinen neuen Clip bezahlen. Also haben wir überlegt, wie wir für einen ganz schlanken Taler doch etwas Besonderes hinbekommen und haben uns mit Grupa 13 hingesetzt, die als Videofirma die letzten Videos von uns gedreht haben und denen wir da absolut vertrauen. Sie meinten, man könnte ein KI-generiertes Video probieren, man braucht keine Schauspieler, keine Kulissen – gar nichts. Uns war das definitiv lieber, als ein schnödes Lyricvideo und in gewisser Weise auch eine kreative Spielwiese. Man zeichnet halt nicht mehr mit dem Pinsel, sondern mit Worten. Ich habe mich viel ins Thema „Prompts“, also Befehle, eingearbeitet und finde das erstmal spannend, aber ich bin technisch gesehen eh ein Nerd, der neue Technologien gut findet und alles ausprobieren will.

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Wie fielen die Reaktionen auf das Video aus und wie würdest du eure Erfahrung dahingehend beschreiben?
Von Begeisterung bis Ablehnung. Also quasi wie immer bei den Reitern. Wobei ich sagen muss: Wir haben in unseren letzten Videos, die auf herkömmliche Art und Weise gedreht wurden, zu 99,9% nie irgendein Feedback auf das Video, die Story oder ähnliches bekommen. Es wurde meist über die Musik gesprochen. Wie aufwendig das Video hergestellt wurde, spielt vermutlich gar keine Rolle mehr, es sei denn, man haut wie Rammstein richtig auf die Kacke. Ansonsten sind Videos eher ein Ding, was halt so durchläuft. Ich kann mich auch nur an wenige Videos im Metal-Bereich erinnern, die irgendwie hängen geblieben sind. Eine Band performt mit Feuer im Wald oder in einer Industrieanlage. Das ist doch die Realität, in der sich ein Gros der Videos abspielen. Es ist erstaunlich, dass plötzlich, wenn man eine neue Technik einsetzt, Kommentare ohne Ende kommen. Vermutlich triggert das die Leute auf eine ganz neue Weise, ich vermute sogar, sie finden das auf die ein oder andere Art bedrohlich.

Die Apokalyptischen Reiter - Riders on the Storm
Das Cover zu Riders on the Storm basierend auf dem Holzschnitt „Begierde“ (2006) von Frontmann Fuchs

Fuchs ist seit geraumer Zeit selbst tief in die bildgebende Kunst verwickelt und ich denke sofort an das Cover von „Riders On The Storm“ oder „Der Rote Reiter“. Was ist für euch (bildende) Kunst? Worin liegt dabei die menschliche Komponente?
Das müsste Fuchs besser beantworten, da will ich nicht für ihn sprechen. Sicherlich eine Einheit aus Wahrhaftigkeit und Persönlichkeit, die sich zu einem ganz besonderen, einzigartigen Etwas verbündet und die aus dieser Kunst dann herausstrahlt. Die höchste Form der Kunst, wenn man so will. Echt und menschlich. Wobei KI nicht zwingend unecht und unmenschlich ist. Aber der kreative Prozess findet anders statt.

Gibt es deiner Meinung nach eine scharfe Grenze zwischen „Künstlerischem“ und „Künstlichem“? Wie unterscheidet sich beides?
Ich würde es nicht trennen wollen, ich folge sehr vielen KI-Künstlern und was die mit seitenlangen Befehlen erschaffen, das ist für mich wahrhaftige Kunst, die bloß nicht durch Hand und Pinsel, sondern durch ein gigantisches Netzwerk an zusammengeschalteten Prozessoren entsteht. Ich meine, es gibt KI-Trivialkunst wie den Papst in einer weißen Winterjacke oder eine Kalaschnikow aus Porzellan. Ich denke, diese Art von Effekthascherei wird wieder verfliegen, wenn die Leute merken, wie einfach man so etwas herstellen kann. In Kürze wird es KI-Apps ohne Ende geben. Meine Frau hatte letztens für ihre Kollegin zum runden Geburtstag die Idee, eine Art Laudatio zu schreiben, war aber krank und kam mit dem Text nicht recht voran. Wir haben dann ChatGPT zu Hilfe genommen, binnen Minuten einen wunderbaren Text generiert, natürlich noch verfeinert, und der rührte das Geburtstagskind letztlich zu Tränen. Soll man sich deswegen jetzt schuldig fühlen, weil einem geholfen wurde? Ich kenne ihre Kollegin ja nicht mal …

Ist für dich KI also letztendlich nur ein weiteres Tool, ähnlich dem PC und Bildbearbeitungsprogrammen?
Absolut. Es ist ein mächtiges Werkzeug und gerade junge Bands, die wenig oder gar kein Budget haben, werden es lieben. Es ist ein bunter Kasten an Möglichkeiten. Wenn die Technik weiter so voranschreitet, wird man in wenigen Jahren noch viel unglaublichere Dinge sehen. Was ich eingangs sagte: Es wird Widerstände geben, nicht zu knapp. Aber die Sache ist unaufhaltsam. Also denke ich, man ist clever und gut beraten, zumindest seine Hausaufgaben zu machen und die Technik zu ergründen. Embrace your enemy!

DIE APOKALYPTISCHEN REITER am 30.12.2023 in Jena
DIE APOKALYPTISCHEN REITER am 30.12.2023 in Jena

Es ist eine super ambivalente Zeit, aber es eröffnet so viele Möglichkeiten. Ich bin zum Beispiel eine komplette Null im Zeichnen, ich kann nicht mal eine Kuh oder eine Giraffe malen, ohne dass die Leute sich verbiegen vor Lachen. Aber ich kann mich ziemlich präzise und genau ausdrücken. Ich habe oft Bilder oder Sequenzen im Kopf. Bisher musste ich das einem Grafiker erklären und der hat es für mich dann mit Stift und Pinsel übersetzt. Gerade im Prozess des Ausprobierens ist es schwer, sich zu entscheiden. Ich kann schlecht sagen „Mach mir mal zehn Shirtdesigns, eins davon werde ich dann schon nehmen.“ Das ist unbezahlbar. Da hab ich halt einem Computer gegenüber gar kein schlechtes Gewissen, der macht mir auch 100 oder 200 Vorschläge oder ich entwickle noch bessere Beschreibungen, bis es passt. Das Dilemma besteht aber darin: in dem Maße, wie ich mich selbst verwirkliche, mache ich den Grafiker mehr oder weniger abkömmlich. Ich will nicht sagen „überflüssig“, aber diese Tendenz ist da. Das beschäftigt mich wirklich stark. Ich habe das für mich auch noch nicht bis ins Detail beantworten können.

DIE APOKALYPTISCHEN REITER sind bekannt dafür, im positivsten Sinne eher „unberechenbar“ zu sein, stilistisch schwer einzuordnen. Welche Bedeutung hat für euch Innovation und die Neuerfindung des eigenen Schaffens?
Sie ist ein Lebenselixier der Band. Wir müssen uns immer mal häuten, mehr oder weniger.

KI ist sehr gut darin, effizient Muster zu erkennen und „lernt“ anhand des bereits Existierenden. Der Idee folgend ist Musik auch eine mehr oder weniger definierte Abfolge von Tönen – sie folgt einem Muster. Wird Musik in naher Zukunft ebenfalls generiert, im Extremfall sogar individualisiert werden?
Davor habe ich Angst, denn man sieht, diese Bedrohung ist nun auch ganz real für einen selbst vorhanden: Die Angst, ob man überflüssig sein kann. Aber ich glaube, die Menschen wollen echte Menschen mit all ihren Fehlern, Macken und Skandalen folgen. Niemand kommt aus diesen ABBA-Shows, die jetzt mit Hologrammtechnik aufgeführt wird, heraus, und ist euphorisiert und ähnlich aufgepeitscht wie nach einem wirklichen Konzert. Man kann sich ja selbst fragen, was einen antreibt, von einem bestimmten Künstler Fan zu werden? Das ist höchstspannend, denn da gibt es so viele Ebenen abseits der Musik, derer man sich vermutlich gar nicht immer bewusst ist.  Ich bin mir sicher, dass sich Künstler von KI unterstützen lassen werden. Man spielt etwas ein, ist aber nicht zufrieden und sagt beispielsweise, dass man hier eine Tonart ändern möchte oder eine Melodieführung mit anderen Tönen ausprobiert. Die KI wird dann binnen Sekunden etwas ausspucken und man selbst kann dann ja entscheiden, wie es weitergeht. Musik und KI – das wird aus meiner Sicht kein „Entweder … oder …“, sondern eher ein „Sowohl … als auch …“. Mit vielen Grautönen.

DIE APOKALYPTISCHEN REITER am 30.12.2023 in Jena
DIE APOKALYPTISCHEN REITER am 30.12.2023 in Jena

Wie wird sich das auf Kunstschaffende auswirken?
Es wird Künstler geben, die es radikal ablehnen und das auch als Trademark verkaufen. Dann wird es das komplette Gegenteil geben, die alles mit offenen Armen aufsaugen und in ihren Sound integrieren und dann wird es vermutlich eine riesige Anzahl geben, die hier und da etwas integrieren, ohne dass man es vielleicht richtig wahrnimmt. Gerade im Bereich Softwareentwicklung und Softwareinstrumente werden KI-Generatoren bald Trend sein. Elektronische Musik wird es schneller adaptieren, möglicherweise ist Metal hier eher traditioneller, aber auch hier wird man es nicht gänzlich außen vorhalten können.

Würdest du KI-generierte Musik hören wollen – gerade auch mit dem Hinblick, dass beispielsweise die Musik der REITER zum Training genutzt werden könnte?
Es gibt bereits jetzt Möglichkeiten, Musik generieren zu lassen. Mich holt des nicht ab, es wirkt noch hölzern und steril. Aber wer weiß, in zehn Jahren …?

Was unterscheidet Inspiration – etwa, wenn ein Musiker seinen Lieblingsbands nacheifert – vom Lernprozess einer KI?
Das weiß ich nicht, weil ich am Ende nicht wirklich verstehe, wie die KI „lernt“. Sie folgt letztlich nur Dingen, die schon einmal da waren, aber sie kombiniert und analysiert in unfassbaren Geschwindigkeiten, weil es heute so schnelle Prozessoren gibt, dass das Wissen der Welt im Nanosekundenbereich verarbeitet wird.

Welchen Umgang mit den neuen Möglichkeiten würdest du dir wünschen? Wie könnte es Kunstschaffenden gegenüber fair bleiben?
Ich geh’ erstmal vom Schlechtesten aus: dass die Sache vermutlich wieder in den Händen einiger Mega-Konzerne landen wird, die für ihren „Service“ analog zu YouTube oder Spotify erstmal die eigenen Taschen vollmachen. Natürlich wird es weiter Kunst geben, aber es sind keine großen Künstler mehr. Die Massen folgen dem, der am meisten auf den Putz haut. Große Konzerne werden große Entertainer erschaffen und dank Marketing und Massenpsychose werden Tausende und Abertausende wie die Lemminge darauf reinfallen. Es wird gigantische Touren und Events geben, ein paar wenige werden sehr sehr reich werden. Es wird ein schleichender Prozess der Gewöhnung und viele, die nur oberflächlich konsumieren, werden nicht mehr merken, was tatsächlich „echt“ im alten Sinne und was „gemacht und generiert“ ist. Das klingt jetzt vielleicht sehr negativ, aber Menschen sind extrem einfach zu manipulieren und merken es nicht mal. Im Verborgenen wird die Subkultur natürlich weiterleben und die tollsten Blüten treiben, aber eben meist in einer Nische.

Vielen Dank! Die letzten (nicht-generierten) Worte gehören dir!
Das ist ein spannendes Thema, danke für die Möglichkeit, darüber zu sprechen. Eine Frage habe ich übrigens ChatGPT beantworten lassen. Die Welt verändert sich radikal und wir alle sind live dabei!

MetAI – Künstliche Intelligenz im Metal

Publiziert am von

Fotos von: Andreas Brückner

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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