Interview mit Ihsahn von Ihsahn

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Black Metal? Prog-Metal? Klassik? Bei IHSAHN weiß man nie, was einen erwartet. Für sein achtes Soloalbum gilt das mehr denn je – und es hängt von der Version ab, die man kauft. Denn das schlicht „Ihsahn“ betitelte Werk erscheint als Metal- und als Orchester-Version. Im Interview berichtet IHSAHN, wie es dazu kam, warum das Album keinen eigenen Namen hat und wie er auf die Zukunft der Musikindustrie blickt.

 

 

Lass uns offensichtliche zuerst angehen: Warum nur „Ihsahn“ als Albumtitel? Ist es dein persönlichstes Album, oder sogar das letzte?
Nein, ich glaube, die Plattenfirma hat daraus eine viel größere Sache gemacht, als ich beabsichtigt hatte. Das hat tatsächlich zwei Gründe. Erstens war es sehr schwer, einen Titel zu finden, der all die Schichten und die Dualität der orchestralen Version und der Metal-Version einfängt … die beiden parallelen Geschichten, all das. Und zweitens ist es ein Album, das im Vergleich zu meinen anderen Platten sehr bodenständig ist … im Vergleich zu den EPs, die ich davor gemacht habe, wo „Telemark“ wirklich old-school war und Pharos“ mehr Indie, ziemlich experimentell. Das hier ist Black Metal, Sinfonieorchester, typische Geschichten, typische Archetypen … ziemlich genau der Kern meines Werdegangs. Also dachte ich, das ist ein guter Zeitpunkt. Viele Künstler haben ein selbstbetiteltes Album, und das ist in der Regel entweder ihr erstes oder ein späteres. Und ich dachte, nun, dieses könnte genauso gut meines sein wie jedes andere.

IHSAHN im Interview; © Manuel Berger

Warum war es dir wichtig, die orchestrale und die Metal-Albumversion zu trennen? Warum nicht einfach ein Doppelalbum mit beiden Versionen?
Ich wollte es als zwei separate Fassungen haben. Natürlich gibt es diese Deluxe-Vinyl-Version, auf der man beides bekommt. Aber das war schon die Idee, bevor ich angefangen habe, Musik zu schreiben: Ich wollte ein zweischichtiges Album machen, bei dem ich buchstäblich orchestrale Begleitungen zu den Metal-Produktionen schreibe, sie aber so arrangiere, dass sie auch unabhängig voneinander als eigenständiges Ding funktionieren. Das war die große Herausforderung: zu versuchen, buchstäblich dieselbe Musik zu erforschen, aber mit zwei unterschiedlichen emotionalen Wirkungen. Die erste Single zum Beispiel, „Pilgrimage To Oblivion“: In der Metal-Version fängt es einfach mit einem Tonleiter-Lauf an, und … Bumm! Extreme Blastbeats, Geschrei, all das. Und die Orchesterversion beginnt mit flüsternden, ruhigen Tremolo-Cellos. Es ist dieselbe Musik, aber sie vermittelt ein anderes Gefühl, eine andere emotionale Wirkung. Das war die ganze Idee. Es gibt die Geschichte, die in die Metal-Version einfließt, und alle Texte, aber dann gibt es die parallele Geschichte, die der Orchesterversion folgt. Alles in allem war das für mich eine Ausrede, um zu versuchen, einen imaginären Soundtrack im Kontext eines Metal-Albums zu machen.

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Ich habe gelesen, dass Chris Baum an den Aufnahmen beteiligt war, aber ich habe auch gelesen, dass der Orchesterpart nicht mit echten Instrumenten, sondern programmiert wurde … kannst du das erklären?
Es ist ein Mix. Es ist auf die gängige Art und Weise gemacht, wie Soundtracks heutzutage produziert werden, mit einer Mischung aus künstlichem Orchester und echten Instrumenten. Aber der einzige Weg, wie ich dieses Puzzle zum Funktionieren bringen konnte, war die vollständige Orchestrierung. Mit Sample-Bibliotheken zu arbeiten, genauer die Art und Weise, wie man sie programmiert, ist zwar extrem mühsam und erfordert eine Menge Arbeit, aber es war sehr lehrreich für mich. Und dann hatte ich diesen fantastischen Geigenspieler, Chris Baum, der alle Parts der ersten und zweiten Geige gedoppelt hat … und es gibt ein paar echte Perkussionsinstrumente. Aber das meiste sind Samples. Das war die einzige Möglichkeit, wie ich das Projekt angehen konnte. Natürlich wäre es fantastisch, das irgendwann mit einem richtigen Orchester zu machen, aber ehrlich gesagt würden die Kosten und Ressourcen, die dafür nötig wären, um das Ganze dann auch tatsächlich besser zu machen, den Rahmen dessen sprengen, was das hier eigentlich sein sollte. Das gilt auch für den Live-Betrieb. Ich bin sehr zufrieden damit, wie es geworden ist und wie es klingt. Ich hätte es nicht anders haben wollen.

Das Cover des selbst betitelten Albums von Ihsahn.Ich habe auch gelesen, dass du mit zwei Schlagzeugern gearbeitet hast?
Ja, genau. Die beiden Tobias. Bei meinen früheren Aufnahmen habe ich vor allem Tobias Ørnes Andersen als Schlagzeuger eingesetzt. Bei „Pharos“ war es Tobias Solbakk. Bei meinen Liveshows habe ich schon mit beiden gearbeitet. Keiner von ihnen hat irgendwelche Schwächen, aber sie haben unterschiedliche Stärken. Bei diesem Album habe ich jedem von ihnen buchstäblich die Hälfte des Albums gegeben, je nachdem, bei welchem Song ich das Gefühl hatte, dass sie ihre größte Stärke ausspielen können.

War dein Sohn Angell auch wieder beteiligt?
Mein Sohn ist Schlagzeuger. Als ich also zwei der besten Schlagzeuger Norwegens im Studio in Notodden hatte, war er natürlich auch dabei, um ein paar kostenlose Lektionen zu bekommen. Er hat auch schon früher, vor vielen Jahren, zusammen mit Tobias Ørnes Percussion-Parts gemacht. Diesmal mussten wir das Feeling eines Percussion-Ensembles bekommen. Wir hatten diesen großen Raum mit der großartigen Akustik – also haben in der Mitte ein Stereomikrofon aufgestellt, und die beiden Tobias an beiden Seiten mit einer Art Percussion-Station positioniert. Und da Angell auch dabei war, haben wir ihn in die Mitte des Dreiecks gestellt. Es waren also drei Schlagzeuger, die als Ensemble auftraten. Das gibt dem Ganzen einen viel lebendigeren Ausdruck, als wenn man nur einen Schlagzeuger mehrere Spuren einspielen lässt. Und natürlich war es für ihn ziemlich cool, mit den beiden zu spielen.

In „Blood Trails To Love“ singst du im Refrain einen sehr berührenden, Clean-Part, und es klingt umwerfend …
Sehr nett von dir.
Wie hast du deine Gesangsfähigkeiten verbessert, oder wurde hier viel mit Autotune gearbeitet?
Ich würde sagen: Ich habe viele Takes aufgenommen (lacht).  Viele Versuche. Und ich würde sagen, dazu müsstest du [den Albumproduzenten] Jens Bogren befragen, aber ich schätze mal, das durchschnittliche Maß an Tuning und Produktion, wie es heutzutage üblich ist.

IHSAHN im Interview; © Manuel Berger

Ich bin mir nicht sicher, ob du die nächste Frage beantworten wirst, aber lass es uns versuchen: In „Born Twice“ heißt es im Text „I’d question all I once held true“, was wahrscheinlich einen persönlichen Hintergrund hat. Kannst du ein Beispiel für etwas nennen, das du kürzlich in Frage gestellt hast, das du einst für wahr gehalten hast?
Natürlich steckt eine Menge von mir in den Texten, da ich die Geschichte geschrieben habe. Aber es ist das erste Mal, dass ich wirklich versucht habe, aus einer externen Perspektive zu schreiben. Das ist wie ein fiktiver Protagonist, der die Geschichte erzählt. Aber natürlich kommt man, wenn man etwas Kreatives macht, nicht umhin, seine eigenen Gedanken und Erfahrungen einfließen zu lassen. Zumindest, wenn es echt sein soll. Diese ganze Reise in „Twice Born“ … der Titel deutet ja schon an, dass es sich um eine Art Wiedergeburt handelt. Und symbolisch, wie bei einer klassischen Reise, kommt er von seiner Art, die Welt zu sehen, ab. Er stellt das in Frage und begibt sich auf die Reise, um mehr zu sehen. Dann stellt er fest: „Ich habe das für selbstverständlich gehalten, aber ich habe es in Frage gestellt. Früher galt das für mich, aber jetzt sehe ich klar.“ Es ist also eine Geschichte der Erkenntnis, des Infragestellens, was meiner Meinung nach wohl der Kern der Rockmusik, der ganzen Antihaltung im Rock und Metal, und das, was mich so an Nietzsche fasziniert: einfach alles in Frage zu stellen, die Dinge nicht als gegeben hinzunehmen. Ich habe deine Frage beantwortet. Weshalb sollte ich das nicht beantworten?

IHSAHN im Interview; © Manuel Berger

Mir wurde gesagt, dass du nicht gerne zu viele Informationen über deine Texte preisgibst …
Was ich gesagt habe, ist, dass es zwar eine bestimmte Handlung gibt, und ich habe die Kurzfassung eines Romans als Grundlage für die Texte, die Geschichte, die Leitmotive und die ganze Musik geschrieben habe, so dass es einen Weg gibt, auf dem sich alles abspielt … aber es ist nicht wichtig für mich, dem Hörer meine Interpretation der Geschichte aufzudrängen. Denn als Musikfan geht es mir immer viel mehr darum, wie ich mich dabei fühle und wie ich die Musik und die Texte interpretiere, als dass mir der Künstler sagt, was ich fühlen und denken soll. Und ich möchte nicht in dieselbe Falle tappen, auch wenn das für mich sehr lebendig ist und alles zusammenhängt. Aber ich habe bereits einige andere Interpretationen gehört. Die nicht falsch sind. Es ist nicht meine Interpretation, aber das Wichtigste für mich ist, dass Leute, die das Album gehört haben, ohne zu wissen, dass eine Geschichte dahinter steckt, zu mir kamen und gesagt haben: Ich hatte das Gefühl, ich würde einen Film sehen. Da spürte ich, dass ich erreicht hatte, was ich wollte. Die Leute können also weiterforschen, wenn sie wollen, und ihre eigene Bedeutung und Interpretation finden.

Was ist dein Lieblingssong auf dem neuen Album?
Oh, das kommt ganz darauf an … bei einigen Songs habe ich eine leichte Vorliebe für die Orchesterversion und bei anderen für die Metalversion. Und einige höre ich mir gerne wieder an. Bei anderen habe ich Spaß daran, sie zu spielen. Ich kann das unmöglich beantworten. Aber ich kann dir sagen, dass ich einfach subjektiv sehr stolz und dankbar für die ganze Erfahrung bin, die ich gemacht habe. Dass es für mich in meinem Alter – ich gehe auf die 50 zu – und mit all den Platten, die ich gemacht habe, noch so aufregend ist, neue Musik zu machen und dass ich dabei noch so viel lernen kann – selbst in diesem Stadium meiner Karriere -, schürt nur noch mehr die Vorfreude auf die nächste Platte.

Ihsahn live mit EMPEROR 2019; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Zum Schluss noch eine allgemeinere Frage: Was ist deine Vorhersage, wohin sich die Musikindustrie in Zukunft entwickeln wird?
Wenn ich eine Antwort darauf hätte, und wenn ich gut darin wäre, im Geschäftsleben das zu tun, was klug ist, würde ich im Jahr 2024 wahrscheinlich kein Doppel-Konzeptalbum machen, denn die Aufmerksamkeitsspanne der Leute beträgt etwa 10 Sekunden. In dieser Hinsicht habe ich also selbst alles falsch gemacht. Aber ich denke, das hat sich schon immer geändert. Wie jeder in meiner Generation hatte ich das Glück, als Fan und folglich auch als Künstler Teil dieser Ära zu sein, in der man seine Musik in physischen Formaten verkaufen konnte. Aber dann habe ich mir vor Augen geführt, dass dieser Zeitraum in der Musikgeschichte nur sehr kurz ist. Davor gab es Hunderte von Jahren der Live-Musik. Und selbst in den Anfängen, als es noch Schallplatten gab, gab es vielleicht eine Person in einer Gruppe von Freunden, die eine Single besaß – ansosnten hörten sie sich die Singles im Radio an. Aber das Wichtigste war die Live-Performance. Das war das Ding. Und dann hatten wir diese Jahrzehnte, in denen wir die Musik verkaufen konnten, das Album war sozusagen der Hauptgewinn. Und jetzt sieht es so aus, dass die Live-Musik wieder im Mittelpunkt steht, und dass Alben eher eine Nebensache sind – leider, wie ich sagen muss, der ich eben aus einer anderen Generation komme. Aber das Tolle an der ganzen digitalen Revolution ist, dass man jetzt mit seinem Laptop hochwertige Sachen produzieren kann.

IHSAHN im Interview; © Manuel Berger

Selbst wenn man nur ein iPad und etwas wie [die Musikproduktions-App] GarageBand hat, ist das klangliche Potenzial größer als das, was ich mit meinem 4-Spur-Gerät erreichen konnte … selbst wenn ich damals in ein Studio gegangen wäre. Es hat sich so viel verändert. Der Nachteil ist natürlich, dass alles so übersättigt ist. Wenn es jeder machen kann, ist es noch schwieriger. Man könnte sagen, dass es in der Vergangenheit dumm war, dass es solche Schlüssellöcher für Künstler gab, dass irgendein Manager einer Plattenfirma einem eine Chance geben musste. Aber dadurch wurden auch viele mittelmäßige Sachen weggefiltert, die jetzt die Edelsteine verdecken. Aber andererseits … kennst du James Blake, „Limit To Your Love“? Das ist ein sehr experimenteller Popkünstler. Und sein Debütalbum war so zukunftsweisend, wirklich emotional, und keine Plattenfirma würde einem Künstler wie ihm jemals eine Chance im Plattengeschäft geben. Aber im digitalen Zeitalter findet man solche Perlen.

Ihsahn live mit EMPEROR 2017; ©Christoph Emmrich/Metal1.info

Zunächst hatte ich das Gefühl, dass das alles sehr unfair ist, dass Musiker wichtig sind, bla, bla, bla. Aber dann habe ich erkannt: Es ist kein Menschenrecht, Alben zu machen und Rockshows zu spielen. All das ist der kommerzielle Aspekt, der vom Markt bestimmt wird. Das sind die Leute, die entscheiden. Mit den sozialen Medien ist all das durcheinandergewürfelt worden. Ich habe von Bands gehört, die auf TikTok mit einem einzigen Song durch die Decke gegangen sind. Es scheint sehr chaotisch und zufällig zu sein, und nichts, was man kontrollieren kann. Ich persönlich glaube, dass ich mit meinem Hintergrund einfach das Glück hatte, dass der Fokus immer nur auf meiner persönlichen Beziehung zur Musik lag und ich versucht habe, mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln die bestmögliche Musik zu machen. Und dann hatte ich das Glück, sie zu veröffentlichen, und ich hatte das Glück, dass die Leute darauf aufmerksam wurden und sich dafür interessiert haben.

Aber wie ich schon vielen meiner früheren Schüler gesagt habe, wenn es darum ging, ein Instrument zu lernen und Musik zu machen, und sie dann überlegt haben, was die Leute denken und was das Klügste sei, was man tun könnte und so weiter … dann habe ich gesagt: Mach dir keine Sorgen. Es gibt all diese Dinge, die man im Leben tun muss. Rockgitarre spielen gehört nicht dazu. Du machst das, weil du es liebst. Und weil du es liebst, machst du es vielleicht so gut, dass jemand anderes vielleicht sogar Spaß an deinem Gitarrenspiel hat. Das ist der Bonus. Aber wenn du deine Beziehung zu deiner Musik aufrecht erhältst, kann dir das niemand wegnehmen. Und das ist das Wichtigste. Und das ist der einzige Weg, glaube ich, etwas zu machen, das echt ist und von Herzen kommt und bei jemandem anderen Anklang finden könnte. Wenn man versucht, Musik zu machen – vor allem solche Musik – mit dem Ziel, Platten zu verkaufen und berühmt zu werden oder wegen der Mädchen oder so etwas, hat man schon verloren.

Vielen Dank für Ihre Zeit.
Vielen Dank noch einmal für deinen Support.

IHSAHN und Metal1.info-Redakteurin Uta A. © Manuel Berger

Publiziert am von Uta A. (Gastredakteurin)

Dieses Interview wurde persönlich geführt.

Ein Kommentar zu “Ihsahn

  1. Danke, Uta, für dieses Interview. Habe es sehr gern gelesen. Fragen, die Ihsahn die Möglichkeit gaben, auch mal ein wenig auszuholen, was er dankenswerterweise auch getan hat. Prima.

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