Review Unclean – Tam Kdesi V Hlubinách

  • Label: The Devil's Elixiers
  • Veröffentlicht: 2023
  • Spielart: Black Metal

Auch auf der schwarzmetallischen Landkarte gibt es dunkle Flecken. So geht der Blick bei mittel- und osteuropäischem Black Metal nicht unbedingt zuerst nach Tschechien. Unsere freundlichen, bierbrauenden Nachbarn direkt im Osten werden leider – bis auf die etwas obskuren Vorreiter Master’s Hammer – gerne etwas ignoriert. Hat Satan keine Lobby an der Moldau? Immerhin ist Tschechien – Umfragen zufolge – das atheistischste Land Europas. Nirgendwo hat die kommunistische Diktatur gründlicher mit den religiösen Strukturen des Landes aufgeräumt – und nirgendwo nahm man der Kirche die eigenen Untaten übler als in Böhmen und Mähren. Doch allzu säkular wäre allzu langweilig – und so findet man, bei genauerem Hinschauen, auch in Tschechien eine lebendige Szene.

Ein frühes Elaborat dieser – man verzeihe den Wortwitz – Bohème ist das 1995 auf Kassette veröffentlichte Demo „Tam Kdesi V Hlubinách“ (zu Deutsch wohl: „Irgendwo in den Untiefen“. Danke, deepl.com!) von UNCLEAN, das nun 28 Jahre später eine Wiederveröffentlichung erlebt. UNCLEAN veröffentlichten 1997 mit „Ten, Který Se Vyhýbá Světlu“ („Jener, der das Licht scheut“) ein Debütalbum; nach einer Split-CD und einem Master’s Hammer-Tribut-Video zehn Jahre später verliert sich der Weg. Wenige dürften außerhalb des Landes den Release mitbekommen haben. Umso spannender jetzt der Re-Release des Demos (produziert in der Ukraine). Natürlich limitiert auf 500 Stück und mit einem Artwork versehen, das die handgemalte „Kultigkeit“ geradezu ausatmet. Ein leidender Comic-Jesus darf sein Kreuz tragen. Wir erinnern uns: 1995 erlebte die Black-Metal-Szene den Release solcher herausragender Alben wie Dissections „Storm Of The Light’s Bane“, UlversBergtatt“ oder Darkthrones „Panzerfaust“. Letzteres ist wohl der offensichtlichste Anknüpfungspunkt für UNCLEAN. Denn während in Norwegen und Schweden schon auf höchstem Niveau gefiedelt und gedudelt wurde, wurde an der Moldau noch gerumpelt. Doch das alles andere als schlecht.

Es mag in Zeiten der sich auch im Metal verbreitenden Null-Toleranz von Fehlern und Unstimmigkeiten, in denen außerdem die Ergebnisse von Home-Recording viele Aufnahmen von „früher“ rein technisch locker in die Tasche stecken, für gegenwärtige Hörer ungewohnt sein, sich mit dem Klang einer, sagen wir: günstigen Produktion der damaligen Zeit vertraut zu machen. Im Vergleich zu ultrasauberen, klinischen Schlagzeugen der Gegenwart ist die Rumpelkiste auf „Tam Kdesi V Hlubinách“ reinster Jazz. Die Kompositionen bewegen sich an der erwähnten Darkthrone-Linie und dem musiktheoretischen Ansatz alter Sodom – soll heißen: Jedes Riff, das uns einfällt, wird benutzt, auch wenn es für sieben Lieder reichen würde. Irgendwann wiederholen wir ein Drittel davon, dazwischen eine Art Refrain. Das ist einerseits etwas drollig, andererseits sind die Riffs aber gut genug, um die Songs zu tragen. In puncto Geschwindigkeit bewegen sich UNCLEAN zumeist im Midtempo, agiert bei den Gitarren überraschend melodisch und schreckt auch vor – dezentem – Keyboardeinsatz nicht zurück („Poslední Žalm“). Darüber thronen staubtrockene Vocals, die ebenfalls alles andere als gefällig oder gewohnt daherkommen. Und das alles in der Landessprache!

Die Wiederveröffentlichung von UNCLEANs „Tam Kdesi V Hlubinách“ ist eine gelungene Reise in die Vergangenheit; die 90er sind eben auch schon 30 Jahre her. Dass die Platte so völlig anders klingt als das heute Gewohnte, sollte eher Anreiz zur Beschäftigung mit ihr sein als Grund zum Ignorieren. Sonst entgeht dem Hörer ein Zeitdokument, über dessen faktische Qualität sich trefflich streiten lässt. Spannend und headbangkompatibel sind die Klänge aus der tschechischen Vergangenheit allemal. Eine Reise nach Mitteleuropa lohnt sich immer.

Keine Wertung

Redaktion Metal1.info

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