Irgendwo draußen, in den unnennbar eisigen Tiefen des Universums (wie es der große Astronom Howard Philipps Lovecraft beschreiben hat), vorbei an den ewig schlafenden Großen Alten, die in ihren hasserfüllten Träumen schwelgen, aus denen sie einst erwachen werden, um die Existenz selbst zu vernichten, dort sitzt in seiner Einsamkeit der verrückte Dämonensultan Azathoth und starrt und lacht einsam und verrückt vor sich hin.
Das klingt nicht nur auf dem Papier mit der Zeit ziemlich langweilig. Zumal Azathoth jenseits von Raum und Zeit herrscht; es dauert also alles ein wenig länger. Ewig, um genau zu sein. Also, dachte sich Azathoth, etwas Musik wäre nett, um mir meine wirbelnd-hasserfüllte Ewigkeit ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten. Mit seinen unbegreiflichen Händen riss er ein Dimensionsloch mitten in den Raum hinein und blickte neugierig hinein. Was wohl auf der anderen Seite zu finden wäre?
Auf der anderen Seite war Frankreich. Hochkultur, Rotwein und die Sprache der Liebe. Dämonischer Einfluss kann aber auch das genussreichste „Savoir Vivre“ umfallen lassen. Nur so ist es erklärbar, dass unsere westlichen Nachbarn in Sachen Black Metal mit Exponaten wie Deathspell Omega oder eben BLUT AUS NORD einen musikalischen Sonderweg beschritten haben, der einige der interessantesten, aber auch verwirrendsten Platten der Genregeschichte hervorgebracht hat.
Im Falle von BLUT AUS NORD hat die extraterrestrische Besessenheit ihres Masterminds Vindsval dazu geführt, dass sich dieser nun schon zum wiederholten Male mit dem Universum H.P. Lovecrafts musikalisch auseinandersetzt. Und zwar so, wie Musik jenseits der geistigen Gesundheit klingen kann. Das hat auf dem Vorgänger „Undreamable Abysses“ schon für manche Irritation gesorgt. Es sei gleich als Vorwarnung gesagt: Wer schon den Vorgänger als unhörbar wirr und seltsam empfand, braucht gar nicht erst weiterzulesen. Zwar fehlt BLUT AUS NORD der fast schon jazzige und manische Tempowechsel alle 3,7 Sekunden ihrer Landsleute von DSO, doch rational nachvollziehbar gestalten auch BLUT AUS NORD das passend „Disharmonium“ betitelte Werk nicht.
Der Opener „Mental Paralysis“ und erst recht das folgende „The Endless Multitude“ vereinen schiefe Akkorde, die man von Virus kennt, ein Schlagzeug, das oft wirkt, als spiele es einen völlig anderen Song und eine Gitarrenstimmung, die keiner auf Erden bekannten Tonleiter folgt und erreichen dadurch genau das, was ihre Titel ankündigen: Mentale Überforderung und blanke Angst. Der Hörer ist zu Gast bei unnennbaren Kulten, die für den Geist nicht erträgliche Rituale vollziehen. Ein Chor aus kapuzenbedeckten Priestern schwummert im Hintergrund. Dazu gesellt sich „Gesang“, der selbst in der Black Metal-Definition des Wortes aus dem Rahmen fällt. Es klingt eher, als sei eine riesige, grausige Unke aus einem schwarzen Tümpel aufgetaucht und quakte nun das Nekronomikon rückwärts.
Bei „The Black Vortex” scheint noch ein Saxophon den Freejazz-Teil des Albums einzuleiten, ehe sich plötzlich ausgerechnet auf „Nameless Rites“ die einzige sinnvoll nachvollziehbare, im klassischen Sinne „schöne“ Melodie des ganzen Albums versteckt hält, die dann aber so gespenstisch-nachdrücklich geraten ist, dass sie den Hörer nicht mehr loslässt. Der völlige Zusammenbruch im abschließenden „Forgotten Aeon“ ist dann auch keine Überraschung mehr.
„Disharmonium – Nahab“ klingt, als hätten die Großen Alten mit ihren Tentakeln versucht, Gitarre zu spielen und irgendjemand hätte das Ergebnis aufgenommen. Je nach Perspektive ist das eine eindrucksvoll gelungene Erfüllung der gestellten Aufgabe oder völlig verstörender linksrheinischer Exzentrismus, der mit guter Musik in etwa so viel zu tun hat wie der Bandname mit deutscher Grammatik. Was ist nun wahr? Ich weiß es nicht, lieber Leser. Ich weiß nur, dass mich die Musik bis in meine kältesten Albträume verfolgt.
Wertung: 7.5 / 10