Festivalbericht: Brutal Assault Open Air 2023 – Teil 1

09.08.2023 - 10.08.2023 Festung Josefov, Jaroměř (CZ)

Der Sommer 2023 hat es nicht gut gemeint mit den Festivals: Auf dem Full Force musste die Warm-up-Party wegen Unwettern abgesagt werden, das Schlammchaos beim Wacken Open Air hielt die Metal-Szene tagelang in Atem, das Tolminator in Slowenien hatte mit Sturmschäden zu kämpfen und die Metaldays (ebenfalls Slowenien) wurden von Hochwasser heimgesucht und mussten abgebrochen werden.

Glücklich, wer in Anbetracht dieser Umstände für seinen Festival-Urlaub auf das BRUTAL ASSAULT im tschechischen Jaroměř gesetzt hat: Zwar regnet es auch hier bis zum Anreisetag mitunter stark – sobald die Pforten der altehrwürdigen Festung aber erst einmal geöffnet sind, schließen sich die des Himmels: An allen vier Konzerttagen können die Metalfans bestes Festivalwetter bei moderaten bis sommerlichen Temperaturen genießen.

Und zu genießen gibt es auf dem BRUTAL ASSAULT traditionell viel: Kaum ein anderes Festival vereint einen so wilden, aber in sich stimmigen Genre-Mix und perfektes Festival-Ambiente so gut wie das Festival in der Festungsanlage Josefov. Nach der fünftägigen Jubiläums-Ausgabe 2022 ist das BRUTAL ASSAULT XXVI wieder auf vier Tage angesetzt – und nachdem im Vorjahr noch Corona-bedingt etwas Chaos herrschte, funktioniert diesmal auch die Organisation rund um die Bändchenausgabe reibungslos.

Aufgrund dieses umfangreichen Programms beschränken wir uns hier auf die Shows auf den Hauptbühnen (Sea-Shepherd- und Marshall-Stage), ergänzt um einen Nebenbühnen-Exkurs zu ausgewählten Shows auf der Obscure-Stage und der ins Octagon zurückgekehrten vierten Bühne.


Impressionen Brutal Assault 2023

Mittwoch, 09.08.2023

Nachdem das BRUTAL ASSAULT 2026 bereits am Vorabend mit vornehmlich lokalen Bands im Rahmen einer Pre-Party auf der Obscure-Stage angelaufen war, eröffnen die Grindcoreler FEASTEM und die Death-Metaller DEVOID OF THOUGHT das Programm auf den beiden Hauptbühnen. Mit ANGELUS APATRIDA steht früh am Tag bereits die erste namhafte Band auf dem Programm – wer auf Thrash Metal steht, wird hier erwartungsgemäß gut bedient. [MG]

Auch die folgenden Acts machen dem Festival-Namen alle Ehre: Als eine der ersten renommierten Bands des Tages können sich FIT FOR AN AUTOPSY bereits über großes Publikumsinteresse freuen: Trotz strahlender Sonne ist der Platz für der Bühne voll. Ihren walzenden Deathcore bietet die Band aus New Jersey souverän und garniert mit leicht schlammigen Crowdsurfer:innen dar – sogar erste Mosh- und Circle Pits bilden sich zu relativ früher Stunde. [BL]

Impressionen Brutal Assault 2023

Der Melodic Death Metal der aus Australien angereisten BE’LAKOR bietet im Anschluss fast schon eine „Verschnaufpause“, dann führen BLEED FROM WITHIN das Core-lastige Tagesprogramm mit viel Elan fort: Vor einem riesigen weißen Backdrop machen sich die Schotten daran, mit ihrem mächtigen Metalcore reichlich Circle Pits anzuheizen. Zwischen sympathischen, in tiefstem schottischen Englisch vorgetragenen Ansagen von Fronter Scott Kennedy lässt die Band einen Breakdown nach dem nächsten über das Publikum fegen. Stilistisch ein perfekter Vorgeschmack auf Heaven Shall Burn, die später am Tag die Marshall Stage betreten werden. Reichlich fad wirken dagegen im Anschluss IMMOLATION, die mit ihrem stumpfen US-Death-Metal nur eingefleischte Genre-Fans in den Bann ziehen können – zumal die Band heute mit technischen Problemen zu kämpfen hat. [BL]

AGNOSTIC FRONT auf dem Brutal Assault 2023Einmal mehr haben die Organisatoren wahre Hardcore-Legenden gebucht und über vier Festivaltage verteilt. Mit AGNOSTIC FRONT macht eine der wohl bekanntesten Bands des Genres bereits am Mittwoch den Anfang. Der Gesang ist zu Beginn noch etwas leise – ansonsten brauchen sich AGNOSTIC FRONT nichts vorwerfen lassen: Insbesondere Fronter Roger Miret ist auf der Bühne permanent in Bewegung, aber auch Vinnie Stigma an der Gitarre springt trotz seiner 67 Jahre immer noch wild herum. Diese Energie überträgt sich fix auf das Publikum – Pogo, Two Step und Circle Pits inklusive. Besonders bei den Hits wie „Gotta Go“, „For My Family“ oder „Blitzkrieg Bop“ wird der Jubel laut. [BL]

Noch keine Legende, aber zumindest ziemlich angesagt sind BEARTOOTH. Mitgetragen von eingängigen Refrains und Melodien steht bei der Truppe aus Columbus, Ohio doch krachender Metalcore im Mittelpunkt, der mit allen denkbaren, hier aber nicht bemühten Wortspielen auf den Bandnamen adäquat beschrieben werden könnte. Mit einer energetischen Performance verdient Fronter Caleb Shomo besondere Meriten beim Anheizen des Moshpits. Zu den Highlights zählen heute „Bad Listener“, „The Lines“ sowie „Hated“ vom 2021er Album „Below“. Vielleicht mögen die Songs in ihren Studioversionen nicht immer restlos überzeugen – an der kraftvollen Liveshow der US-Amerikaner ist hingegen kaum etwas auszusetzen. [MM]

SODOM auf dem Brutal Assault 2023SODOM sind zweifellos Legenden des deutschen Old School Thrash Metals. Angesichts einer 41-jährigen Karriere mit zahlreichen Alben ist es während einer Co-Headliner-Show kaum möglich, alle Schaffensperioden hinreichend zu repräsentieren. Der Band um Tom Angelripper gelingt es in der gut einstündigen Thrash-Party dennoch, die Essenz des Bandsounds einzufangen. Das Publikum, nach dem Abklingen der Nachmittagshitze neue Kräfte sammelnd, goutiert die zahlreichen Klassiker mit teilweise frenetischen Reaktionen. Der Stumpf-ist-Trumpf-Sound, den die Gelsenkirchener in vielen Songs zelebrieren, mag Geschmackssacke sein – die Darbietungsform jedoch ist schlichtweg langweilig. Man kann sicher einwenden, dass expressives Stageacting für die Marke SODOM seit jeher keine zentrale Rolle spielt, doch lässt sich in der ‚lässigen‘ Performance heute leider auch nicht eben überbordende Spielfreude erkennen: Manches klingt eher nach Dienst nach Vorschrift. Was einem im Jahr 2023 die deutsche Nationalhymne als Abschluss des punkigen Rausschmeißers „Bombenhagel“ zu sagen hat, bleibt offen. Dass SODOM ihre treue Fanschar musikalisch mehr als zufriedenstellen, kann man angesichts der Publikumsreaktionen unterdessen nicht bestreiten. [MM]

  1. Silence Is Consent
  2. Nuclear Winter
  3. Sodom & Gomorrah
  4. Outbreak Of Evil
  5. Conflagration
  6. Better Off Dead
  7. Sodomy And Lust
  8. M-16
  9. Agent Orange
  10. Leave Me In Hell (Venom-Cover)
  11. Equinox
  12. Caligula
  13. Bombenhagel

HEAVEN SHALL BURN auf dem Brutal Assault 2023Auch HEAVEN SHALL BURN haben keine Probleme, das Publikum für sich einzunehmen. Seit dem „Iconoclast“-Album von 2008 steht den Thüringern mit dem Ólafur-Arnalds-Intro „Awoken“ und dem anschließenden Über-Song „Endzeit“ die perfekte Konzerteröffnung zur Verfügung, die von der großen atmosphärischen Geste direkt in pure Aggression überleitet. HEAVEN SHALL BURN sind von der ersten Sekunde an voll präsent und beherrschen den Festungsgraben über die nächsten 65 Minuten hinweg. Dabei bestimmt die große Geste längst auch alles, was auf der Bühne passiert. Der eruptive Mix aus Metalcore und Melodic Death Metal liefert die akustische Dimension eines Gesamtkunstwerks, das auch stark von visuellen Elementen bestimmt wird. Eine ausgeklügelte Lightshow, ein zwar choreografiertes, aber dennoch sehr dynamisches Stageacting und der großzügige Einsatz von Pyrotechnik erzeugen eine optische Opulenz, die die Show auch abseits der musikalischen Komponente zu einem Erlebnis machen. Doch auch an Krachern aus der ganzen Bandhistorie fehlt es nicht. Vom grobschlächtigen „Behind A Wall Of Silence“ über das ikonische Edge-Of-Sanity-Cover „Black Tears“ bis hin zum erhaben-melodischen „Godiva“ bleiben keine Wünsche offen. Den Abschluss bildet das schunkelige Blind-Guardian-Cover „Valhalla“ – spätestens damit ist über die musikalische Bandbreite von HEAVEN SHALL BURN alles gesagt. [MM]HEAVEN SHALL BURN auf dem Brutal Assault 2023

  1. Endzeit
  2. Bring The War Home
  3. Übermacht
  4. Behind A Wall Of Silence
  5. Voice Of The Voiceless
  6. Godiva
  7. Hunters Will Be Hunted
  8. Numbing The Pain
  9. Tirpitz
  10. Valhalla (Bild-Guardian-Cover)

MESHUGGAH auf dem Brutal Assault 2023Nach diesem brachialen Durchmarsch geht es auf der Sea-Shepherd-Stage nicht minder hart, aber um einiges vertrackter weiter: MESHUGGAH machen sich um 22:00 Uhr daran, dem Publikum des BRUTAL ASSAULT einen Knoten in die Wirbelsäule zu zaubern: Von der Mensch-Maschine Tomas Haake am Drumkit angeführt, liefern die Schweden nach ihrem eindrucksvollen Auftritt an gleichem Ort 2019 einmal mehr eine schier unglaubliche Show ab: In 70 Minuten geht es quer durch die Bandgeschichte, vom aktuellen Album „Immutable“ (2022) bis zurück zu „Destroy, Erase, Improve“ (1995) – bei perfektem Sound, perfekter Performance und einer perfekt auf die Musik abgestimmten Lightshow. Es mag widersinnig klingen, aber vielleicht ist das zusammengenommen sogar zu perfekt: Bisweilen vergisst man fast, dass bei MESHUGGAH leibhaftige Menschen live Musik spielen. [MG]MESHUGGAH auf dem Brutal Assault 2023

  1. Broken Cog
  2. Rational Gaze
  3. Pravus
  4. The Hurt That Finds You First
  5. Ligature Marks
  6. Born in Dissonance
  7. In Death – Is Life
  8. In Death – Is Death
  9. The Abysmal Eye
  10. Demiurge
  11. Future Breed Machine

HEILUNG auf dem Brutal Assault 2023Der Kontrast zu HEILUNG könnte jedenfalls kaum größer sein – dreht sich hier doch alles um einen (vermeintlich) spirituellen Aspekt, während die tatsächliche Musik eher nebensächlich ist. Der Eindruck jedenfalls entsteht während der 90-minütigen Darbietung: Auf die Eröffnungszeremonie folgen viel Tanz und Ritual, es wird getrommelt und gestampft – mit „richtigen“ Songs oder gar Metal hat das ganze aber wenig bis nichts zu tun. Fehl am Platz wirken HEILUNG aber dennoch keinesfalls: Das Infield vor der Marshall-Stage ist gesteckt voll, und tatsächlich lässt sich ein Großteil des Publikums in den Bann der bildgewaltigen Inszenierung ziehen: Auch in den leisen Passagen herrscht im Publikum fasziniertes Schweigen, das sich erst beim finalen „Hamrer Hippyer“ löst. Auf ihre Art ist auch diese Performance eine perfekte Inszenierung – für die man aber empfänglich sein muss. [MG]HEILUNG auf dem Brutal Assault 2023

  1. Opening Ceremony
  2. Alfadhirhaiti
  3. Krigsgaldr
  4. Hakkerskaldyr
  5. Svanrand
  6. Othan
  7. Anoana
  8. Hamrer Hippyer
  9. Closing Ceremony

POSSESSED auf dem Brutal Assault 2023Nach dieser fast meditativen Darbietung holen POSSESSED das Publikum schnell wieder ins Hier und Jetzt. Die Death-Thrasher um Jeff Becerra knüppeln zur späten Stunde nochmal mit mächtig Power drauflos. So richtig will das Ganze bei leider eher mäßgem Sound zwar nicht zünden – auch weil Becerra zwar ein sehr sympathischer Fronter ist, sich heute aber stimmlich nicht in Bestform präsentiert. Der Legendenstatus der Band sorgt dennoch für ein bis zum Schluss gut gefülltes Infield. [MG]

  1. No More Room In Hell
  2. Damned
  3. Pentagram
  4. Tribulation
  5. Beyond The Gates
  6. Storm In My Mind
  7. Swing Of The Axe
  8. Graven
  9. The Exorcist
  10. Demon
  11. Fallen Angel
  12. Death Metal

Nebenbühnen-Exkurs (Mittwoch)

CROWBAR auf dem Brutal Assault 2023Auf der Obscure Stage gibt es um 14:30 Uhr CHURCH OF MISERY zu sehen. Passend zu den bluesigen Stoner-Doom-Riffs der Japaner steigt über dem Gelände schnell süßlicher Rauch auf. Die trance-artige Performance der Band passt perfekt zu den nun endlich sonnigen Temperaturen – vielleicht ist der nur Zentimeter über dem Boden hängende Bass von Tatsu Mikami in Wirklichkeit ja geschmolzen. [BL] Um 16:30 Uhr eigentlich viel zu früh muss auf der Obscure-Stage die NOLA-Sludge-Koryphäe Kirk Windstein mit CROWBAR ran. Zwar gibt es an der Performance nichts zu meckern – so richtig kommen hier und heute aber weder Band noch Fans in Fahrt. Ganz anders verhält sich das dann an gleicher Stelle einige Shows später bei I AM MORBID: Angeführt von einem David Vincent in Bestform liefert der Morbid-Angel-Nachfolger eine brachiale Death-Metal-Show hin. Maßgeblich ist Gitarristen-Neuzugang Richie Brown zu verdanken, der sich als ultra-präziser Shredder entpuppt und den alten wie auch ganz alten Morbid-Angel-Songs (gefeiert wird das 30-jährige Jubiläum von „Covenant“) neue Härte verleiht. [MG] Wer des Nachts ein Alternativprogramm zum überstilistierten Baum-Umarmungs-Ritual von Heilung sucht, könnte es nicht besser treffen als mit CONVERGE. Ohne großes Drumherum, Lichtshow oder Allüren liefern die vier Musiker ein Set ab, das sich zwischen dem rasenden Gedonner von „Concubine“ über langsamere Sludge-Gefilde bis hin zum gewaltigen „Worms Will Feed/Rats Will Feast“ hochschaukelt und stimmig mit einem Mic Drop von Jacob Bannon endet. Recht viel mehr an ungefilterter rohen und vor allem authentischen Emotionen als hier geht kaum. [BL]

Impressionen Brutal Assault 2023


Donnerstag, 10.08.2023

Der zweite Festival-Tag startet musikalisch hart, aber leider nicht allzu namhaft besetzt: Vom Beginn des Bühnenprogramms um 10:30 Uhr bis in den frühen Nachmittag hinein bieten Acts wie CAPRA, COBRA THE IMPALER, SIGNS OF THE SWARM, CRISIX, EVIDEAD, DEATH BEFORE DISHONOR oder INGESTED wahlweise Hardcore, Thrash oder Death-Metal – der allerdings in vielen Fällen auch reichlich austauschbar daherkommt. Das gilt auf gänzlich anderem Terrain leider auch für den typisch finnischen Melodic-Death-Metal von WOLFHEART, die mit einem Nachmittagsslot sicher nicht das passende Setting für ihre melancholische Musik vorfinden – einen späteren Slot aber auch nicht ausfüllen könnten. Dieses Schicksal teilen, wenn auch auf etwas höherem Level, auch MOONSPELL, die nach dem generischen Hardcore von MALEVOLENCE auf der Sea-Shepherd-Stage folgen: Für diese Düster-Musik ist es einfach noch zu früh und zu hell. [MG]

Impressionen Brutal Assault 2023

Deutlich besser funktioniert da der Schweden-Death von DISMEMBER, die mit ihrer Show einen rund vierstündigen Totalabriss auf den Main-Stages eröffnen. Nach der Neugründung der Stockholmer Death-Metal-Institution im Jahr 2019 gibt es zwar bislang noch kein neues Studiomaterial, doch die Schweden haben einen Backkatalog zu bieten, der an Grooves auf der einen und Raserei auf der anderen Seite nicht zu wünschen übrig lässt. So findet sich auch, wie überhaupt bei den allermeisten Shows des Festival, rasch eine Mosh- und Circle-Pit-willige Crew ein, die die in druckvollem Sound rundum stimmige Darbietung gebührend abfeiert. [MM]

Auch nicht eben für zarte Gemüter ist der Sound von BIOHAZARD, die – erst in diesem Jahr in Originalbesetzung wiedervereint – das Gelände von der Sea-Shepherd-Stage aus mit ihrem Hardcore/Crossover beschallen. Von einer wild tanzenden Crowd abgefeiert, liefert das Quartett aus Brooklyn, New York, eine Show an, die im Guten wie im Schlechten fast vergessen machen könnte, dass die Protagonisten stramm auf die 60 Jahre zugehen: Der bemerkenswert durchtrainierte Evan Seinfeld springt wie ein Flummi herum und Gitarrist Billy Graziadei lässt sich nicht nehmen, sich beim Spielen zwischendurch vom Publikum tragen zu lassen. Leider wirkt aber auch das sonstige Gebaren der Musiker ziemlich pubertär – mit Würde alt werden ist im Hardcore offensichtlich schwierig bis unmöglich. [MG]

DYING FETUS beim Brutal Assault 2023Die zwischenzeitliche Klimax des nachmittäglichen Extremmarathons liefern dann aber zweifellos DYING FETUS. In 30 Jahren Bandgeschichte haben die US-Amerikaner ihren kompromisslosen Technical Death Metal längst perfektioniert. Was andere Bands zu fünft nicht hinbekommen, gelingt DYING FETUS zu dritt: Ganz ohne Firlefanz wie ein Backdrop oder sonstige „Showelemente“ legen die Amis eine Show hin, die in Sachen Tightness und Wucht auf dem ganzen Festival ihresgleichen sucht. Die Band liefert bei klarem, differenziertem Sound aber eben nicht nur technisch versiertes Geholze, sondern agiert bei aller Brutalität abwechslungsreich. So bleiben DYING FETUS trotz des engen stilistischen Korsetts ihres Genres über die volle Spielzeit hin spannend. [MM]

SEPULTURA beim Brutal Assault 2023SEPULTURA und dann IN FLAMES – die Älteren unter den Lesenden werden sich durch diese Reihung im Spielplan an die entsprechende Co-Headliner-Tour im Jahr 2006 erinnert fühlen. Beide Bands vereint bis heute, dass ihr früheres Material weit populärer ist als alles, was danach kam. Während SEPULTURA sich längst in dieses Schicksal gefügt zu haben scheinen und sich offensichtlich pudelwohl damit fühlen, sich für ihr Frühwerk (beziehungsweise das der Cavalera-Brüder) abfeiern zu lassen, hatten IN FLAMES ihren Fans über Jahre immer mehr neues Material „aufgezwungen“ und Hit um Hit aus dem Set gestrichen. Dass die Schweden mit dem aktuellen Werk „Forgone“ stilistisch eine (etwas zaghaft ausgeführte, aber immerhin als solche erkennbare) Rolle rückwärts gezeigt haben, hilft bei drei dargebotenen Songs aber durchaus – und auch die Rückkehr von „Behind Space“ („Lunar Strain“, 1994) ins Set sorgt bei vielen Fans für strahlende Augen. Ansonsten mischen IN FLAMES wie gewohnt neues Material mit (mittel-)altem, wobei „Only For The Weak“ („Clayman“, 2000) wenig überraschend der Höhepunkt im Set ist. Zumindest wirken IN FLAMES in der 2023er-Besetzung mit Tanner Wayne am Schlagzeug, Liam Wilson (ehemals The Dillinger Escape Plan) am Bass und Chris Broderick (ehemals Megadeth) an der Gitarre sowie um Live-Keyboarder Niels Nielsen verstärkt technisch so versiert wie nie zuvor. Und auch die Chemie in der Band scheint zu stimmen: Unablässig scherzt Anders Fridén mit den Bandkollegen und dem Publikum. Genau so geht Live-Entertainment – da ist auch die eine oder andere schwächere Nummer im Set und die nicht vollends ausgereizte Spielzeit verziehen. [MG]

IN FLAMES beim Brutal Assault 2023

  1. Isolation
  2. Territory
  3. Means To An End
  4. Kairos
  5. Propaganda
  6. Guardians Of Earth
  7. Cut-Throat
  8. Ali
  9. Dead Embryonic Cells
  10. Agony Of Defeat
  11. Refuse/Resist
  12. Arise
  13. Ratamahatta
  14. Roots Bloody Roots
  1. The Great Deceiver
  2. Everything’s Gone
  3. Where The Dead Ships Dwell
  4. Darker Times
  5. Leeches
  6. Behind Space
  7. Cloud Connected
  8. Only For The Weak
  9. Foregone Pt. 1
  10. State Of Slow Decay
  11. Alias
  12. The Mirror’s Truth
  13. I Am Above
  14. Take This Life

WATAIN beim Brutal Assault 2023Dass ihre Landsmänner etwas früher aufhören, scheint WATAIN allerdings allen Fackeln zum Trotz kalt erwischt zu haben: Der nun ebenfalls ein paar Minuten vorverlegte Showbeginn wirkt übereilt, Eriks Mikrophon wird erst nach einigen Versen scharf geschaltet und auch der Gesamtsound ist zunächst eine Katastrophe. Abgebrüht durch unzählige Shows lassen sich WATAIN die schlechte Laune dadruch aber natürlich nicht verderben. Vor imposanter, weil an allen Ecken und Enden brennender Kulisse zelebrieren WATAIN ihr filmreifes Black-Metal-Ritual: Erik entzündet alles, was brennen kann, spielt mit Flammen und Blut und lässt das Publikum daran auch ordentlich teilhaben: Für die Fans in den ersten Reihen gibt es zwei Fackeln und zwei gute Schluck Blut. Dass Erik den zweiten nicht mehr stilvoll aus einem Kelch sondern aus einem Bierkrug in die Menge schwappt, will nicht so recht ins Bild der ansonsten lupenreinen Inszenierung passen – ebenso wie die mitunter ziemlich wirren Ansagen, die allenfalls in Eriks Kopf „evil“ klangen. Unterm Strich eine musikalisch hochwertige Darbietung einer Show, die, wer WATAIN schon live erlebt hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit schon besser gesehen hat. [MG]

WATAIN beim Brutal Assault 2023

  1. Night Vision
  2. Ecstasies In Night Infinite
  3. Legions Of The Black Light
  4. The Howling
  5. Satan’s Hunger
  6. Serimosa
  7. Total Funeral
  8. Malfeitor
  9. Waters Of Ain

Zu großem Jubel betreten zum Abschluss des heutigen Hauptbühnen-Programms um 0:35 Uhr CARPENTER BRUT die Bühne. Der Kontrast zur Watain-Show könnte größer kaum sein – musikalisch, aber auch was das Stage-Design anbelangt: Das Trio braucht für seine Synthwave-Party nur ein Drumkit, einen Amp und die Synthies von Mastermind Franck Hueso in der Bühnenmitte – und ab geht die wilde Fahrt mit einem Best-Of-Set. Der Bass ist druckvoll, die Menge tanzt – und zum ersten Mal auf dem Brutal Assault gibt es wirklich nur eine Lightshow, aber keine Videoübertragung auf der Leinwand. Der Atmosphäre und der Stimmung tut das keinen Abbruch, und der tanzbare ’80s-Synthwave findet um 1:30 in der Früh im abschließenden „Maniac“ – entliehen aus dem „Flashdance“-Soundtrack – einen wahrlich manischen Abschluss. [BL]

  1. Straight Outta Hell
  2. The Widow Maker
  3. Roller Mobster
  4. Beware The Beast
  5. Day Stalker
  6. Night Prowler
  7. Disco Zombi Italia
  8. Imaginary Fire
  9. Monday Hunt
  10. Hairspray Hurricane
  11. Leather Terror
  12. Turbo Killer
  13. 5 118 574
  14. Le Perv
  15. Maniac (Michael-Sembello-Cover)

Nebenbühnen-Exkurs (Donnerstag)

PENSEES NOCTURNES beim Brutal Assault 2023Mit PENSÉES NOCTURNES steht auf der Octagon-Stage ein Highlight an, auf das so mancher Avantgarde-Black-Metal-Fan seit Jahren gefreut haben dürfte: Ursprünglich für das BRUTAL ASSAULT 2020 bestätigt, das auf 2021 verschoben und dann gecancelt wurde, mussten die Franzosen ihrerseits für 2022 absagen. Doch nun sind sie da – und übertreffen alle Erwartungen: Als morbide Black-Metal-Clowns gekleidet, liefern Vaerohn und seine Mitstreiter eine eindrucksvolle, zugleich aber bizarre Nummer mit Trompete, Mundharmonika und Akkordeon, an deren Ende Vaerohn und sein Akkordeonspieler unversehens im Publikum stehen: Ein Zaubertrick muss auch dem Clown erlaubt sein. Bravo! [MG]

BELPHEGOR beim Brutal Assault 2023Weit weniger experimentell geht es auf der Obscure-Stage zu, wo BELPHEGOR Song um Song ihres rabiaten und doch melodischen Extreme-Metals abfeuern: Vor allem „Virtus Asinaria – Prayer“ vom aktuellen Album „The Devils“ weiß zu begeistern – aber auch sonst zeigen Helmuth und Co. keine Schwächen. [MG] Im randvollen Octagon liefern MESSA aus Italien um 21:00 Uhr ein packendes Set zwischen ruhigen Momenten und fettem Doom ab. Die schöne, aber latent bedrohlich Stimmung gipfelt in einem Double-Bass-Gewitter, die schüchtern wirkenden Ansagen von Sängerin Sara Bianchin passen ins Bild. Der stilistische Wechsel zu den im Octagon folgenden SPECTRAL WOUND könnte kaum größer sein, wird durch den Unterschied zwischen Soundcheck und Show aber nochmal verstärkt: Wirken die Kanadier bei den Vorbereitungen noch wie die netten Dudes von nebenan, dreschen sie ab 22:30 Uhr mit Corpsepaint ihren melodisch-düsteren, punkigen Black Metal herunter. Der randvolle Innenhof quittiert das begeistert mit Headbangen und Tanzen. [BL]

Zu undankbarer Zeit (während In Flames) bieten ENSLAVED auf der Obscure Stage ein Lehrstück progressiven Black Metals. Mit vielen Klassikern, aber auch dem neuen Album „Heimdal“ im Gepäck kann heute wenig schief gehen: Insbesondere dessen Titelsong, „Kingdom“ und „Forest Dweller“ zeigen ENSLAVED in beeindruckendem Spagat zwischen anspruchsvollen Melodien, Pagan-Elementen und aggressivem Black-Metal-Riffing. Die Show selbst hingegen lebt auch heute von der grundverschiedenen Art der drei Saiteninstrumentalisten: Der introvertierte Mastermind Ivar Bjørnson, der abgeklärte Grutle Kjellson und der notorische Poser Arve Isdal bilden auch charakterlich ein rundum sympathisches Ensemble. [MM]

Impressionen Brutal Assault 2023


>> Lies hier TEIL 2 …

… unter anderem mit KATAKLYSM, ZEAL & ARDOR und OBITUARY (Freitag), TRIVIUM, HYPOCRISY und MARDUK (Samstag) sowie unserem abschließenden Fazit!

Publiziert am von , und Marius Mutz

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