JO QUAIL hat sich in der internationalen Metal-Szene innerhalb weniger Jahre einen Namen gemacht – und das, obwohl die Britin selbst in keiner Metal-Band spielt. Die Cellistin hat jedoch bereits zahlreiche Alben bekannter Metal-Bands mit ihrem Instrument aufgewertet. Zu den Glücklichen, denen JO QUAIL schon ihre Talente zugutekommen ließ, zählen etwa At The Gates, My Dying Bride, Hemelbestormer und Myrkur. Die Ausnahmemusikerin ist jedoch nicht nur in unterstützender Rolle, sondern auch in eigenem Namen tätig. So wurde JO QUAIL von den Veranstaltenden des renommierten Roadburn Festivals eigens mit der Kreation eines Musikstücks beauftragt, das bereits im Jahr 2020 aufgeführt werden sollte, aufgrund der Coronapandemie jedoch erst zwei Jahre später dargeboten werden konnte: „The Cartographer“.
Bei der inzwischen auch als Album erschienenen, fünfteiligen Komposition handelt es sich trotz der Veröffentlichung unter ihrem Namen aber nicht etwa um eine intime Solo-Performance, sondern um ein orchestrales Monumentalwerk. Neben dem E-Cello, mit dem JO QUAIL sich ihr beachtliches Renommee erspielt hat, bekommt man auf ihrem Beitrag zum Roadburn Festival außerdem E-Geige, Piano, Perkussionen, Posaunen und vereinzelt auch Gesang zu hören. Obwohl also eine ganze Reihe an Gastmusiker*innen an dem Album mitgewirkt haben, ist „The Cartographer“ über weitere Strecken doch äußerst subtil.
JO QUAIL lässt sich vor allem zu Beginn ihrer Darbietung Zeit, scharrt zaghaft und mit einer gewissen Schwermut über ihr Instrument, ehe sich nach und nach drohende Bläser erheben, die bereits erahnen lassen, welche Klanggewalt das beigezogene Orchester zu entfesseln imstande ist („Movement 1“). Schon in „Movement 2“ nehmen die Streicher und Bläser eine zunehmend verstörende, dissonante Gestalt an, beklemmende Perkussionen drängen sich in den Klangraum und im Hintergrund wird beunruhigend auf dem Piano geklimpert.
Der sich über 15 Minuten hinweg langsam steigernde dritte Teil stellt schließlich den Höhepunkt des Stücks dar: Hier erschallen die Bläser schließlich in all ihrer erhabenen Macht, das Piano gleicht einem Hammer, der auf einen Amboss herniederfährt, und Gastsänger Jake Hardings imposant gegrölter Gesang klingt wie die Stimme eines Berges. In den letzten beiden Abschnitten lässt JO QUAIL den Spannungsbogen auf stimmige Weise abflachen, ehe ihr Werk sich nach ein paar Minuten gespenstiger Ruhe zuletzt zu einem eindrucksvollen abschließenden Crescendo aufbäumt.
JO QUAIL mag vor allem in der Metalszene Bewunderung genießen – Metalheads sollten sich bei „The Cartographer“ jedoch auf etwas gefasst machen. Die in den meisten Metal-Subgenres üblichen Instrumente und Songstrukturen trifft man hier nicht an. Wer also schon für ausgiebigen Post-Metal oder Funeral Doom nicht genügend Geduld aufbringen kann, wird sich wohl auch mit dem mehrteiligen Stück der Cellistin schwertun. Schenkt man JO QUAIL jedoch genügend Zeit und Aufmerksamkeit, entfaltet ihr Soloalbum gerade durch seinen stimmigen Fluss eine Eindringlichkeit, die die eintönige Intensität herkömmlicher Metal-Platten gänzlich in den Schatten stellt.
Wertung: 8 / 10