Die niederländisch-slowakische Deathcore-Truppe DISTANT ist ein super Beispiel dafür, dass sich Fleiß letztendlich doch auszahlen kann: Seit 2019 veröffentlichte die Band drei hervorragende Alben – mit „Heritage“ vor wenigen Monaten ihr Debüt bei Century Media. Darüber hinaus ist das Quintett ununterbrochen unterwegs, seitdem sich ab Mitte des Jahres 2021 die ersten Auftrittsmöglichkeiten wieder ergaben. Mit den Amerikanern EXTORTIONIST, den Hamburgern DAGGER THREAT und den tschechischen Newcomern ABBIE FALLS geht es folgerichtig nun auch endlich auf ihre erste Headline-Tour durch Europa.
Bevor mit ABBIE FALLS die erste Band des Abends die Bühne betritt, werden alle Anwesenden durch die Boxen mit elektronischer Musik beschallt. Was bei einem Metal-Konzert erstmal etwas befremdlich wirkt, ergibt schon bald Sinn: Die Jungs aus Prag liefern eine wilde Mischung aus Djent, Deathcore und immer wiederkehrenden Dubstep-Passagen ab. Diese bunte Mischung wird dabei auch durch ihre auffälligen und farbigen Outfits aufgegriffen. Wer sich mit der Band vorher noch nie auseinandergesetzt hat, könnte von der Musik des Quintetts durchaus überfordert werden. Doch auch wenn diese nicht jedermanns Sache ist, der Funke springt trotzdem vollkommen auf das Publikum über: ABBIE FALLS haben auf der Bühne unfassbar viel Spaß, verteilen Tritte und knuddeln sich anschließend wieder und performen dabei mit einem durchgehenden Dauergrinsen. So wundert es nicht, dass diese positive Stimmung vom Publikum aufgegriffen wird und sich schnell die ersten Pits entwickeln. Zum Ende des Auftritts ertönt die tschechische Version des Pokémon-Themes aus den Boxen und sowohl Publikum wie auch die Band selbst grölen lautstark den Text auf ihrer jeweiligen Sprache mit. Ein ungewöhnlicher, aber absolut gelungen Auftakt in den Abend.
Nach der angenehmen Umbaupause von ca. 15 Minuten hat sich das Publikum vor der Bühne einmal durchgetauscht: Denn bei DAGGER THREAT steht nun Beatdown mit Nu-Metal-Einflüssen auf dem Programm. Die Hamburger starten mit „Cut The Cord“ von ihrer brandneuen EP „Unchained“ in ihr Set und machen sofort klar, was Sache ist: Dicke Hardcore-Riffs prasseln mit unbändiger Wucht auf das Publikum ein, Two-Step-Parts heizen die Menge ein und bereits beim ersten Breakdown herrscht totales Chaos im Pit. Ganz zur Freude der Band wird die Energie über den gesamten Auftritt aufrechterhalten und der Raum vor der Bühne über die vollen 25 Minuten für Kickbox- und Cardiotraining genutzt. Und diesen Zuspruch haben sich die Hamburger auch voll und ganz verdient: Nicht nur haben sie mit ihrem letztjährigen Album „Weltschmerz“ bewiesen, dass sie zu den spannendsten Vertretern der deutschen Hardcore-Szene gehören, auch ihr Auftritt ist unfassbar wuchtig und eine fabelhafte Umsetzung der Brachialität und Kraft, die sich bereits auf den Studioversionen der Tracks erkennen lässt.
Nach diesem brillanten Auftritt haben EXTORTIONIST im Nachgang ein durchaus dickes Brett zu bohren. Musikalisch sind die Amerikaner eigentlich ein perfektes Bindeglied zwischen DAGGER THREAT und DISTANT und schrauben bei starker Hardcore-Schlagseite den Death-Metal-Anteil wieder in die Höhe. Doch wirkt der kleine Club im Backstage zu Beginn des Sets noch ziemlich leer und auch Bewegung sucht man vorerst vergeblich. Für die Band ist dies natürlich äußerst ärgerlich, haben sie doch das Chaos des DAGGER-THREAT-Auftritts vorher beobachten können und liefern selbst einen tadellosen und kraftvollen Auftritt bei hervorragendem Sound ab. Entsprechend versucht Frontmann Ben Hoagland das Publikum in seinen Ansagen wieder zum Tanzen anzuregen, was erst mäßig, ab Mitte des Sets aber immer besser klappt. Und so werden EXTORTIONIST zum Ende hin doch noch für ihr Engagement und ihre Spielfreude belohnt: Mit dem Hit „Circle Of Serpents“ schließen die Jungs aus Idaho ihr Set ab und können endlich auf das gleiche Chaos wie ihre Vorgänger blicken.
Um exakt 22:00 Uhr ist es endlich soweit und DISTANT wollen dem musikalisch bislang hervorragenden Abend die Krone aufsetzen. Von dem eigentlichen Quintett sind allerdings nur drei Mitglieder für die Tour übrig geblieben – so treten die Niederländer nur mit einer Gitarre auf, für Bassist Elmer Maurits konnte immerhin ein Ersatz aufgetrieben werden. Nichtsdestotrotz ist auch bei der vierten Band des Abends der Sound äußerst mächtig und wird der teils langsam-drückenden, teils wild-treibenden Musik der Deathcorer gerecht. Im Fokus der Setlist steht mit „Heritage“ logischerweise der aktuellste Release der Truppe und so starten DISTANT auch mit dem Dreierpack „Paradigm Shift“, „Born Of Blood“ und „Exofilth“ in ihren Auftritt. Frontmann Alan Grnja keift sich förmlich die Seele aus dem Leib und steht mit seinen kraftvollen Vocals der Instrumentalfront in Nichts nach. Wie schon bei EXTORTIONIST braucht das Publikum, trotz nun ordentlich gefülltem Club, etwas Anlauf, um auch Bewegung auf die Tanzfläche zu bringen – doch ab dem zweiten Track wechseln sich Circle Pits, Push-Pits und Violent Dancing ab und gehen friedvoll miteinander einher. Dass der „letzte Merch-Tisch von ABBIE FALLS“ im Pit landet und einer kleinen Wrestling-Einlage zum Opfer fällt, ist bezeichnend für den Spaß, den Bands und Fans an diesem Abend haben. Ein absoluter Hingucker ist darüber hinaus Gitarrist Nouri Yetgin mit seinem leuchtend orangenen Instrument, das gerade bei den seltenen Soli in den Blickpunkt rückt und mit den reflektierenden Frets eine coole visuelle Komponente dem Auftritt hinzufügt. Neben fünf neuen Songs dürfen sich die Fans auch über zwei Lieder des Debüts „Tyrannotophia“ sowie drei Songs von „Aeons Of Oblivion“ freuen. Nach einer Dreiviertelstunde verlassen DISTANT die Bühne und lassen ein sichtlich zufriedenes Publikum zurück.
- Paradigm Shift
- Born Of Blood
- Exofilth
- Hellmøuth
- False Gods
- Heritage
- A Sentence To Suffer
- Oedipism
- Heirs Of Torment
- Aeons Of Oblivion
Trotz recht kurzer Spielzeit des Headliners, krönen DISTANT mit ihrem intensiven Auftritt einen hervorragenden Abend. Musikalisch konnte jede Band voll überzeugen – ob mit großem Spaßfaktor wie ABBIE FALLS, grober Hardcore-Breitseite wie DAGGER THREAT oder ordentlich Groove wie EXTORTIONIST, auch die Supports stehen dem Main-Act heute in Nichts nach. Einzig hätte es der Stimmung und mit Sicherheit auch den Bands gut getan, wenn die Slots von EXTORTIONIST und DAGGER THREAT vertauscht wären – zumindest für die deutschen Dates, wo die Hamburger eine deutlich höhere Popularität verzeichnen können, wäre dies sinnvoll gewesen. Auch dass ein solches Package nicht mit einem ausverkauften Backstage-Club einhergeht, ist etwas verwunderlich. Dennoch kann man DISTANTs erste Headline-Show in München als vollen Erfolg werten.