Das Ego von Maurizio Iacono ist bekanntermaßen groß. Dass sich der Fronter von Kataklysm von einem Soloprojekt nicht hinreichend repräsentiert fühlt, überrascht da nicht weiter. Aber was sagt es über den Mann, dass er für INVICTUS wie schon bei Ex Deo auf Songmaterial des Gitarristen seiner Hauptband angewiesen ist … und ist INVICTUS dann nicht viel eher das Soloprojekt von Jean-François Dagenais, kurz JFD?
Fakt ist: Wie schon die Ex-Deo-Alben ist auch die Musik von INVICTUS von JFD, diesmal unterstützt von Produzent Chris Clancy, während der unbesiegte Iacono lediglich Texte und Gesang beisteuert. Das hat zur Folge, dass „Unstoppable“, wie das Album mäßig kreativ, aber maximal konsequent betitelt ist, natürlich extrem viele Parallelen zu Kataklysm aufweist. Und das ist nicht das Problem, sondern noch das Beste an INVICTUS.
Denn JFD versteht als Songwriter und Gitarrist sein Handwerk, und so sind aus der Kooperation mit Co-Songwriter Chris Clancy einige wirklich schmissige Death-Metal-Nummern entstanden: Der mit viel Power drauflos prügelnde Opener „You Will Know Who I Am“ etwa, das groovige „Get Up“ oder „Keeping The Wolves At Bay“, das beide Schlagrichtungen geschickt in sich vereint. Die Frage, die sich JFD besser gestellt hätte, ist bloß, ob seine Riffs im Kataklysm-Kontext nicht besser aufgehoben gewesen wären. Denn wenngleich Maurizio Iacono natürlich auch dort für die Texte verantwortlich ist, waren diese doch bislang nie derart peinlich „persönlich“ gehalten wie hier.
Denn „persönlich“ meint bei einem echten Kerl wie Iacono natürlich nicht, dass er über sein Leben oder gar seine Gefühle schreiben würde. Vielmehr schreibt ein Mann wie Iacono über seine persönlichen Weltsichten, und die sind, man kann es nicht anders sagen, reichlich tumb. Im Mittelpunkt steht, wie so oft (und hier wirklich ständig), der Begriff „freedom“, garniert von Buzz-Words wie „strength“, „liars“ oder „you won’t censor me“: Während er auf Facebook und Instagram völlig unzensiert dokumentiert, wie er mit dem Maserati durch Kanada cruist oder mit seinem Retriever Leonidas um den Fernsehsessel konkurriert, muss der Familienvater – äh, einsame Kämpfer – Iacono grässliche Angst um seine „Freiheit“ haben. Aber natürlich auch nicht, denn: unbesiegbar, nicht zu stoppen und so weiter. Dass seine lyrischen Ergüsse im CD-Booklet in etwa so liebevoll lektoriert wie getextet sind, rundet dieses Thema stimmig ab: Offenbar hatte nicht einmal die Person, die beim Label für das Layout verantwortlich ist, Lust, sich diese Sülze durchzulesen.
Das Streitbarste an „Unstoppable“ ist allerdings ausgerechnet sein einziges echtes Alleinstellungsmerkmal unter Maurizios drei Projekten: In das „kataklysmeske“ Riffing hat Chris Clancy diverse Alternative-Metal-Refrains im Stil seiner Band Mutiny Within eingearbeitet. Was etwa bei Killer Be Killed, dem gemeinsamen Projekt von Max Cavalera, Greagg Puciato und Troy Sanders, wunderbar funktioniert, klingt bei INVICTUS mit seinen pseudo-heroischen Lyrics leider meistens einfach nur schwülstig („You Will Know Who I Am“, „3656“). Die Stellen, an denen das Konzept aufgeht, sind zwar eher rar gesäht – dann aber, etwa im generell starken „American Outcast“, sorgt der Effekt zumindest für jene unvorhergesehene Abwechslung, die Kataklysm zuletzt gefehlt hat.
Bei Kataklysm „Unconquered“, mit INVICTUS „Unstoppable“ – Maurizio Iacono weiß wohl, wer und was er ist. Hoffentlich weiß er auch, dank wem (JFD) er in einer Position ist, davon im Kontext durchaus hörbarer Musik Kunde zu geben. Mit anderen Worten: Dass INVICTUS schlussendlich doch ein brauchbares Death-Metal-Album geworden ist, ist in erster Linie den JFDs Riffs zu verdanken. Alles andere an „Unstoppable“ ist entweder austausch- oder gänzlich verzichtbar. Wer Kataklysm mag und sich mit dem Konzept von gesungenen Refrains anfreunden kann, ist mit INVICTUS sicher nicht falsch beraten – für alle anderen ist dieses Album eher irrelevant.
Wertung: 7 / 10
Danke für deine Antwort.
Mir persönlich ist es auch schleierhaft, warum es Ex Deo und Invictus gibt, lieber hätten Kataklysm mehr experimentieren sollen, um sich nicht festzufahren und eventuell belanglos zu werden. Obwohl sie mich live immer überzeugt haben, zuletzt anfang August aufm Sticky Fingers Festival, was auch an Maurizio selbst liegt. Ich finde diesen Typen sympathisch, zumindest den Aspekt, den ich von ihm kenne.
Ich verstehe natürlich dein Argument, aber ich dachte, man solle die Musik von den Leuten dahinter trennen? Nach deiner Argumentation könnte man genausogut behaupten, dass Nergal durch das Öffentlichmachen seines Lebens die Aura von Behemoth ruiniert.
Abschließend möchte ich noch etwas zu den Texten sagen. Ja, sie sind plump. Viele Bands haben plumpe Texte und ehrlich sehe ich da keinen Unterschied zu Manowar oder Doro Pesch oder jede andere Band, die von Freiheit, Zusammengehörigkeit und dergleichen singen. Es sind halt genau die Texte, die Pubertiere ansprechen (vllt auch wegen ihrem mangelndem Vokabular) und ihnen halt irgendein Gefühl von irgendwas vermitteln. Wären die Texte deutsch wären sie natürlich noch mehr zum fremdschämen, ein interessantes Phänomen im Rap übrigens. Würden dich denn die Texte stören, wenn sie in einer dir unbekannten Sprache wären? Oder ganz anders gefragt: Sind bei Death Metal die Texte überhaupt relevant oder eher nur Beiwerk? Ich empfinde die Texte von Cannibal Corpse als Schrott, aber es stört mich nicht, weil sie nicht deutsch sind. Eisregen finde ich wiederum gerade wegen ihrer Texte unterirdisch obwohl sie musikalisch ganz gut sind. Wären ihre Texte nicht auf deutsch könnte ich mir die anhören.
Wie auch immer: Das wäre doch mal ein Thema für ein Special.
Ich bin ein bisschen verwundert, warum die Platte dennoch sieben Punkte bekommen hat. Vielleicht liegt es an mir, aber die Bewertung klingt schon arg negativ. Vorallem Maurizio gegenüber. Er ist in deinem Text die „Hauptfigur“ und wird nicht einmal positiv erwähnt. Dass seine Texte keine Weltliteratur sind ist klar. Aber die Stelle, an der das lyrische Ich mit ihm als Privatperson gleichgesetzt wird. Das ist schon… ne arg untere Schublade. Zumal die allerwenigsten Musiker so sind, wie sie sich in ihrer Musik geben. Wie auch immer, es liest sich, als wäre es ein Album, dass auch von Kataklysm hätte sein könnte und ist dennoch einen halben Punkt besser, als deren letzte Platte. Warum? Der von dir verlinkte Song klingt für auch für mich nach einem schwächerem KataklysmSong. Den Vergleich zu Killer Be Killed checke ich aber absolut null. Allein deren Abwechslung, in jeder Hinsicht. Wobei deren zweites Album auch arg hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben ist.
Da stecken jetzt viele Punkte drin, ich versuche mal aufzudröseln:
– Negativ: ja, so ist das auch gemeint. Wer ihm in den sozialen Netzwerken folgt, dürfte über seine ganzen Truckerprotest-Verteidigungsschwadroniererein etc. gestolpert sein – ein klassischer Fall, wie „Freiheit“ als Worthülse und Kampfbegriff verwendet wurde. Dass er hier genau in dieses Horn bläst, gefällt mir nicht. Und sorry, aber bei diesen Texten von „Lyrischem Ich“ zu sprechen, erscheint mir dann doch etwas arg hoch gegriffen ;)
– Kataklysm: Ja, das Album hätte – ohne die Cleangesangs-Parts – von Kataklysm sein können und ist in den entsprechenden Passagen und, wenn mans mag, auch durch die Cleangesänge, abwechslungsreicher und besser als deren letztes Album. Daher der halbe Punkt mehr. Was dann auch deine Einstiegsfrage zur Bepunktung tangiert: Ich finde die Texte und alles, was hinter dem Projekt steht, ziemlich schwach – aber am Ende bepunkten wir hier Musik, und da hat JFD solide geliefert.
– KBK: auch hier werden stumpfe Riffs (von Cavalera, insbesondere) mit auf den ersten Blick unpassend poppigen Refrains kombiniert – dort funktioniert es aber besser. Wenngleich ich dir zustimme: Das erste Album war besser. ;)