Nachdem die Lokalmatadoren GREX CONFUSUS den zweiten, folkigeren Festival-Tag stimmungsvoll eröffnet haben, beweisen TIR NAN OG, dass sie auch locker einen späteren Slot verdient gehabt hätten. Mit ihrem irischen Folk locken die Musiker schnell immer mehr tanzendes Publikum vor die Bühne. Der Sound ist knackig und Sänger Robert führt sympathisch durch das Set. So ist nicht alles auf irischen Sagen zurückzuführen, wenn die Band über die letzte Bestellung auf dem Weg in die Hölle singt, wie er mit einem Augenzwinkern anmerkt. Historische Korrektheit ist allerdings auch gar nicht notwendig.
Neben schmissig aufgemotzten Traditionals wie „Raggle Taggle Gypsy“ und bandinternen Klassikern wie „Shaun O’Melley“ gelingt es den Wahliren auch, das Publikum zum Mitsingen und gemeinsamen Trinken zu animieren. Geiger Matze mischt sich später noch unter die Menge und ein besonderes Schmankerl haben sich die Süddeutschen für das Ende aufgehoben: „Sea Of Sorrow“ kommt als wunderschöne, getragene Ballade über die Umwelt daher und wäre der krönende Abschluss eines fulminanten Sets gewesen. Mit dem Luna Luna-Cover „Wenn ich tot bin“ wollen TIR NAN OG allerdings wie so oft feierlicher enden – in diesem Fall wäre es aber nicht nötig gewesen.
Wer PAMPATUTTI zunächst für einen kleinen Rechtschreibfehler im Programm gehalten hat, wird an diesem Sonntag eines Besseren belehrt: Tatsächlich handelt es sich um Pampatut im wahrsten Sinne des Wortes in neuem Gewand, nämlich ungewohnt elegant schwarz-rot gekleidet und mit zwei weiteren Musikern im Gepäck. Theoretisch, denn Schlagzeuger Phil ist dieses Mal nicht mit von der Partie. Till an der Bass-Klarinette und der Irish-Bouzouki ist aber auch ohne Schlagwerk eine spannende Erweiterung des Original-Duos. Mit einem weiteren Musiker auf der Bühne gelingt es Holger und Max tatsächlich, in ihrer Spielzeit mehr als nur durchschnittlich drei Songs unterzubringen. Der Fokus des Trios liegt dabei auf leicht bekömmlicher Unterhaltungsmusik, unter anderem mit Whiskey für den Holger (der am Ende nur Rum bekommt), und viel Situationskomik. Wer bereits zu vorgerückter Stunde in Feierlaune ist, bekommt mit „Vive La Compania“ die passenden Steilvorlagen. Einzig auf das markterprobte „Feuerwasser“ muss die Menge in Selb bei diesem Auftritt verzichten.
Mit TOTUS GAUDEO kehren ebenfalls alte Bekannte zurück an den Goldberg. Die waschechten Bayern starten dieses Mal mit einem instrumentalen Opener, bei dem besonders Ekaterina an der Geige zum Tragen kommt. Wenig später besingt die Combo auf Bayerisch gebratene Hendl, bleibt mit „Sakrisch guad“ im Lokalkolorit verhaftet und stellt schließlich eine tollkühne These auf: „Jedermanns Geschmack, geht es um den Dudelsack.“ Mit zwei Sackpfeifen ausgestattet spielen die Niederbayern einen entsprechenden Tanz inklusive Schunkelpassage, zu dem sich eine kleine Polonnaise bildet. Dudelsäcke sind auch auf mittelalterlich-inspirierten Veranstaltungen nicht für alle Ohren geeignet. Indes sind TOTUS GAUDEO um Abwechslung bemüht: Für „D’Welt is rund“ hat die Band einige Zettel mit zu den Lyrics passenden Bildern vorbereitet, bei „Der Tanz“ wird zu ruhigeren Tönen geschunkelt. All diejenigen, die sich mit der Ausrichtung von TOTUS GAUDO anfreunden können, bleiben so bis zum Schluss engagiert dabei.
Die tschechischen BRAN liefern im Anschluss den musikalisch wahrscheinlich stärksten Auftritt des Wochenendes ab: Altbekanntes wie „Ai Vis Lo Lop“ verweben sie mit französischem Liedgut inklusive melodiösem Flötensolo und weiteren teils instrumentalen Stücken. Dass der Titeltrack ihres letzten Albums „Gute Reise“ lautet, ist für das Konzert in Deutschland eine willkommene Steilvorlage, um ihn auch live zu vertonen. Gefeiert werden darf bei BRAN ebenso, wenngleich zu „Son Ar Cistre“ vielleicht etwas gediegener mit einem Glas Wein anstatt einem Horn voll Bier. Die Musiker verstehen es, in ihren Liedern Geschichten zu erzählen, bei denen die Texte manchmal im starken Kontrast zu den Instrumenten stehen: Ein Stück, bei dem drei Seefahrer gezwungen sind, einander zu essen, um zu erleben, startet mit einem entspannten Klavier- und Akkordeonintro. Scherzhaft bezeichnet die Band Kannibalismus als eines ihrer Lieblingsthemen. Leicht makabere Geschichten sind BRAN insgesamt nicht fremd: In einem anderen Lied geht es um einen amputierten Penis, der aus einem Fenster geworfen und von einem Hund verspeist wird, der sofort stirbt. Mit „Choix De Dames“ haben die Tschechen ein Stück im Gepäck, das einige von Saltatio Mortis kennen dürften. Erwartungsgemäß verpassen die Osteuropäer auch dieser traditionellen Vorlage einen eigenen Anstrich, der zwar ruhiger, aber nie langatmig gerät. Das gilt auch für die finale Zugabe „Ihala Finnish“. Für diese eindrucksvolle Performance hätten BRAN mehr Zuschauer verdient gehabt, einzig die Sprachbarriere kommt den Musikern manchmal ins Gehege.
POETA MAGICA knüpfen musikalisch an Bran an, gehen aber mit Trommeln und bis zu vier Nyckelharpas schnell in eine andere Richtung. Die musikalische Reise soll die Zuhörer nach Gotland entführen, zu einem lauen Sommerabend im Norden. Diese Reise verläuft nicht ganz problemfrei, denn die Instrumente reagieren zum Teil empfindlich auf die hohen Temperaturen am Goldberg, so dass Sprachrohr Holger selbst Hand anlegen muss. Zur Interaktion mit den Zuschauern reicht es bei POETA MAGICA oft nur nach Aufforderung – dafür lädt die Musik zum Zuhören und Schwelgen ein, wenn man sich mit dem naturverbundenen bis esoterischen Touch anfreunden kann. Thematisch bewegt sich das Kollektiv von der Edda bis Yggdrasil und vertont ihre Texte sowohl auf Deutsch als auch Schwedisch. Gegen Ende des Sets wird es bodenständiger, als Holger zwei Briefe von Garmana und Hedningarna in Landessprache vorliest und übersetzt. Als besonderen Gruß der beiden Bands spiele POETA MAGICA die beiden Stücke „Vitra“ und „Hetmontiel“ – eine wirklich schöne Geste.
Mit FAUN endet schließlich der zweite Tag und das MEDIAVAL-SOLIDARITÄT-FESTIVAL 2021. Erwartungsgemäß steht der Auftritt noch im Zeichen des Albums „Märchen und Mythen“ sowie einiger festivalerprobter Klassiker, obwohl die Pagan-Folker mit „Pagan“ bereits ihr neues Album am Start haben. Davon gibt es mit „Neun Welten“ einen ersten Vorgeschmack auf die anstehende Tour, wenngleich man allen Musikern anfangs anmerkt, dass für diesen Song noch die gewohnten Routinen fehlen. Mit „Diese Nacht ist kalt“, „Alba“ und „Odin“ bekommt das Festival durch FAUN seinen würdigen Abschluss kredenzt. Sängerin Laura merkt man stimmlich nichts von ihrer überstandenen Corona-Infektion an und bei „Feuer“ gehen in der Menge neben Smartphones tatsächlich auch einige Feuerzeuge in die Höhe. Im Zugabenblock, unter anderem mit „Rhiannon“, verklingen die letzten musikalischen Takte in Selb für dieses Jahr.
Eine gewohnt guten Festival-Show von Faun, ein beeindruckender Auftritt von Bran sowie Tir nan Og als Highlight des Auftaktprogramms stechen beim MEDIAVAL-SOLIDARITÄTS-FESTIVAL am zweiten Tag hervor und liefern genug gute Gründe, die den Besuch am Goldberg rechtfertigen, um den Erhalt des Festivals zu sichern.