Konzertbericht: Dark Tranquillity w/ Ensiferum, Deserted Fear, Vinegar Hill

18.04.2022 - 19.04.2022 München, Backstage (Werk) und Salzburg, Rockhouse (Saal)

Es ist längst noch nicht so selbstverständlich wie vor der Pandemie, und doch kehrt langsam soetwas wie „Normalität“ im Livesektor ein: Ohne Beschränkungen finden erste Indoor-Festivals statt und die ersten Tourbusse kreuzen auf ihrem Weg von Spielstätte zu Spielstätte durch Europa. Eine dieser Reisegruppen bilden DARK TRANQUILLITY und ENSIFERUM, die sich mit 53 Shows in 57 Tagen auch gleich ein ordentliches Programm zusammengestellt haben. Am Ostermontag, nur einen Tag nach dem Dark Easter Metal Meeting, spielen die Skandinavier im Münchner Backstage und tags darauf im Salzburger Rockhouse. Wie DESERTED FEAR und VINEGAR HILL, die Supportbands für diesen Abschnitt der Konzertreise, sind wir dem Tourtross zu beiden Shows gefolgt.

Vinegar HillDem strikten Zeitplan der Tour geschuldet fangen VINEGAR HILL jeweils um 19:30 Uhr an – darauf, dass in München aufgrund von Verzögerungen am Einlass viele Fans zu diesem Zeitpunkt noch in einer langen Schlange vor dem Backstage stehen, kann dabei keine Rücksicht genommen werden. So stehen die Österreicher im nur knapp ein Drittel so großen Rockhouse Saal tags darauf vor fast der gleichen Zuschauermenge – dank Heimspiel-Bonus und der intimeren Hallensituation wegen fallen die Reaktionen hier sogar noch etwas herzlicher aus. Hier wie da kommen VINEGAR HILL jedenfalls gut an. Das mag auch an ihrem leicht verdaulichen, Leadgitarren-orientierten Melo-Death mit rockigen Clean-Gesang-Refrains im Stile von (alten) Volbeat liegen – vor allem aber hat das 2007 gegründete Quintett eine extrem professionelle Show vorbereitet: Sympathische Natürlichkeit in den Ansagen von Sängerneuzugang Jürgen Mayr und souveränes Posen der gesamten Band während der technisch astrein dargebotenen Songs halten sich hier angenehm die Waage. Musikalisch ist der Stil von VINEGAR HILL vielleicht etwas zu rocklastig, um perfekt ins Billing zu passen – zum Eingrooven eignet sich das halbstündige Set aber allemal.

Deserted FearDas können sich nach nur 15 Minuten Umbaupause DESERTED FEAR zu Nutze machen. Die Thüringer haben mit ihren knackigen Songs, der durch unzählige Touren erarbeiteten Routine und ihrer kumpelhaften Art das Publikum an beiden Abenden schnell vereinnahmt: Viel aufrichtige Freude, wieder auf einer Bühne stehen zu dürfen und ein paar Anekdoten – in München über einen Skandal am Catering (das falsche Kraut zu Klößen!), in Salzburg über den Besuch beim Stiegl-Bräu – und schon ist das Eis gebrochen. Alles weitere erledigt das Songmaterial des Quartetts, das man guten Gewissens als Speerspitze des deutschen Death-Metal-Nachwuchses bezeichnen kann. Mal groovig, mal einfach nur rabiat schlagen die Songs von DESERTED FEAR in die Kerbe klassischer schwedischer Death-Metal-Bands. Für alte Hasen mag es darum vielleicht nicht viele Gründe geben, statt der Bands aus seiner Jugend DESERTED FEAR zu hören – wohl aber für den Szenenachwuchs: Jede Generation braucht ihre eigenen Bands und was Death Metal angeht, sind DESERTED FEAR definitiv jetzt schon, was Dust Bolt für den deutschen Thrash Metal waren. Dass die Thüringer wie zuvor Vinegar Hill nur 30 Minuten Spielzeit haben, ist bei so viel Spielfreude einerseits schade, sorgt andererseits dafür, dass bei wirklich niemandem im Publikum Langeweile aufkommen kann. Der begeisterte Applaus nach dem finalen „Count Your Dead“ ist hierfür der letzte Beweis.

EnsiferumWar die Bühne bislang durch das Equipment der Vorbands ordentlich zugestellt, braucht es nur weitere 15 Minuten, um Platz für ENSIFERUM zu schaffen. Dass sich die Pagan-Metaller die Backline mit Dark Tranquillity teilen, ist allerdings etwas wenig, um die Ankündigung als „Double Headlining Tour“ zu rechtfertigen. Schließlich spielen die Finnen nicht nur jeden Abend vor ihren schwedischen Kollegen, sondern mit 60 Minuten auch rund 20 Minuten kürzer. Das überrascht insofern, als die Zahl der ENSIFERUM-Shirts im Publikum und die Begeisterung, mit der die Band jeden Abend empfangen wird, nicht eben darauf schließen lässt, dass Dark Tranquillity die beim Publikum beliebtere Band sind.

EnsiferumENSIFERUM jedenfalls gehen in ihrer Rolle als letzter Einheizer für den Headliner voll auf: Von der betäubenden Routine, die sich bei einem beachtlichen Schnitt von 50 Konzerten pro Jahr zwischen 2004 und 2019 zuletzt doch irgendwann eingeschlichen hatte, ist nichts mehr zu spüren. So steht nicht nur den munter moshenden Fans, sondern auch den Musikern die Freude ins Gesicht geschrieben. Insbesondere Gitarrist Markus Toivonen und Bassist Sami Hinkka kommen aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Aber auch die mit „Thalassic“ (2020) vollzogene musikalische Rückkehr zu den eigenen Wurzeln hat der Band gutgetan. So beschränken sich die Finnen auf eine einzige kurze Showkitsch-Einlage mit Plastikschwert zu „In My Sword I Trust“ und liefern ansonsten einfach das ab, was sie am besten können: unterhaltsamen und mitunter pathetischen, aber eben nicht allzu klamaukigen Pagan-Metal. Spätestens bei der Euphorie, mit dem die Fans die Klassiker „Lai Lai Hei“ und „From Afar“ feiern, kommen ersthafte Zweifel, ob Dark Tranquillity diese Stimmung aufrecht erhalten können.

Ensiferum

  1. Rum, Women, Victory
  2. Andromeda
  3. One More Magic Potion
  4. Into Battle
  5. For Sirens
  6. Run From The Crushing Tide
  7. Treacherous Gods
  8. In My Sword I Trust
  9. Lai Lai Hei
  10. From Afar

Einen letzten perfekt choreografierten Umbau später ist schnell klar: DARK TRANQUILLITY können. Zwar ist die Stimmung bei den melancholischen Schweden natürlich eine grundlegend andere als bei den aufgekratzten Finnen – die Atmosphäre könnte jedoch dichter kaum sein. Für die passende Inszenierung sorgen dabei Visualisierungen auf der Backdrop-Leinwand, die geschickterweise bei Songs wie dem „Projector“-Hit „ThereIn“ den Fans auch gleich die zentralen Wörter des Textes zum Mitsingen vorgeben. Eigentlich hätten DARK TRANQUILLITY jedoch selbst dieses Gimmick gar nicht nötig. Allein die Bühnenpräsenz und Herzlichkeit von Frontmann Mikael Stanne reicht aus, die Fans an beiden Abenden gleichermaßen in den Bann zu ziehen. Wenn Stanne mit der Hand auf dem Herzen in nicht enden wollenden Hey-Hey-Chören badet, nimmt man ihm die Ergriffenheit auf seinem Gesicht auch zwei Abende hintereinander zu 100 Prozent ab: Dieser Mann würde gerade definitiv nichts lieber tun als hier zu stehen und für seine Fans zu singen.

Dark TranquillityNicht minder gern hätte sicher auch Christopher Amott endlich wieder auf der Bühne gestanden – dass dieser jedoch noch lieber bei seiner Frau das erste gemeinsame Kind willkommen heißt, sei ihm nachgesehen … zumal der für ihn eingesprungene US-Amerikaner Joey Concepcion wie schon 2018 bei Arch Enemy einen beeindruckenden Job als Aushilfsgitarrist macht. So können DARK TRANQUILLITY ihre neuen Tracks von „Moment“ ebenso perfekt umsetzen wie die Klassiker von „Damage Done“ (2002) oder „Fiction“ (2010). Während München vor allem durch die Lautstärke des zahlenmäßig stärkeren Publikums für Stimmung sorgt, ist es in Salzburg die Intimität der kleineren Location, die begeistert: Dass Stanne immer wieder den Stunt wagt, mit einem Fuß auf das Absperrgitter des Fotograbens überzutreten, verbindet Band und Publikum hier sogar physisch. Mit einem um Nuancen besser ausbalancierteren Sound gewinnt die Rockhouse-Show damit mit hauchdünnem Vorsprung den Preis der besseren Show – selig und mit hartneckigem „Misery’s Crown“-Ohrwurm können die Fans aber nach jeder der beiden Shows nach Hause gehen.

Dark Tranquillity

  1. Phantom Days
  2. Transient
  3. Focus Shift
  4. Monochromatic Stains
  5. Forward Momentum
  6. Terminus (Where Death Is Most Alive)
  7. The Dark Unbroken
  8. Final Resistance
  9. Atoma
  10. The New Build
  11. Identical To None
  12. Encircled
  13. ThereIn
  14. The Treason Wall
  15. Lost To Apathy
  16. Misery’s Crown

Mag bei ENSIFERUM mehr Bewegung im Pit zu verzeichnen gewesen sein – der Preis für die emotional packendere Show geht (erwartungsgemäß) an DARK TRANQUILLITY. Vielleicht ist dieses zunächst befremdlich wirkende Tourpackage gerade deswegen eigentlich doch gut zusammengestellt, spiegeln die Bands – gerade in Kombination mit den rockigen VINEGAR HILL und den rohen DESERTED FEAR – doch das ganze Spektrum dessen wider, was Livemusik-Fans in den letzten beiden Jahren so gefehlt hat. Wer irgend kann, sollte sich zumindest eine Show dieser Tour nicht entgehen lassen – aber eigentlich sind bei diesem Package selbst zwei Shows nicht genug.

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Ein Kommentar zu “Dark Tranquillity w/ Ensiferum, Deserted Fear, Vinegar Hill

  1. War in München dabei und kann mich dem Verfasser nur anschließen. Die Show war super zusammengestellt und sorgte durch die große Bandbreite, was Metal angeht, für einen weiten Spannungsbogen, der mit DT seinen Höhepunkt fand. Beim Rückblick hatte jede Band ihr Momentum. Ein überragender Abend, auch wenn mir ehrlich gesagt noch die unmittelbar davorliegenden 2 Tage Dark Easter Metal Meeting in den Knochen steckten. 9 von 10 Punkten 🤘

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