BE’LAKOR haben sich auf ihrem fünften Album „Coherence“ nochmals weiterentwickelt und ihren melancholischen, progressiven Melodic Death Metal auf eine neue Ebene gehoben. BE’LAKOR erheben sich mit „Coherence“ vom Besonderen zum Außergewöhnlichen und stellen damit auch zurecht unser Album des Monats Oktober 2021. Die Australier nahmen sich seit dem Vorgängeralbum „Vessels“ (2016) bereits viel Zeit fürs Songwriting – und dann kam auch noch Corona dazu. Wie das die Band beeinträchtigt hat, die Inspirationskraft der Natur und dass man kein melancholischer Mensch sein muss, um melancholische Musik zu schreiben, erzählt und Keyboarder Steve Merry.
Hallo Steve, danke dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie geht es dir dieser Tage?
Sehr gerne! Mir geht es gut, danke. Der Lockdown in Melbourne ist seit kurzem zu Ende und das ist gut!
Fünf Jahre sind seit „Vessels“ vergangen. Warum hat es bis „Coherence“ so lange gedauert?
Ich denke, da haben mehrere Faktoren zusammengespielt. Wir haben ziemlich lange gebraucht, um die Songs von 2017 bis 2019 zu schreiben – und dann kam auch noch die Pandemie dazu. Sie hat uns bei den Aufnahmen mehr betroffen als beim Schreiben. Wir hatten die Musik geschrieben und sind gerade ins Studio gegangen, als Covid zugeschlagen hat. Der ganze Aufnahmeprozess hat sich für uns dadurch in die Länge gezogen. In Melbourne gab es Phasen von mehreren Monaten am Stück, in denen wir uns nicht weiter als fünf Kilometer von unserem Zuhause entfernen durften. Wir haben uns daran angepasst, wann immer es uns möglich war, aber Teile der Aufnahmen mussten einfach warten, bis alle Lockdowns vorüber waren.
Die Corona-Situation in Australien bleibt angespannt und Beschränkungen gehen weiter als in vielen anderen Ländern, auch wenn der Lockdown vorbei ist. Wie hat diese Situation ansonsten euer Songwriting und Bandleben betroffen?
Ich denke, sie hat uns genau so betroffen wie die meisten Australier und die meisten Menschen auf der ganzen Welt – wir konnten weniger Zeit mit unserer Familie und unseren Freunden verbringen und haben viel von zu Hause aus gearbeitet. Es war hart, wir hatten aber auch Glück, weniger Todesopfer als die meisten anderen Länder beklagen zu müssen. Mit der Band mussten wir uns einfach darauf einstellen. Es gab eine Menge Videocalls!
Hast du während den Lockdowns neue Interessen oder Hobbies gefunden? Wie hat die Pandemie dich und dein Leben beeinflusst und vielleicht verändert?
Das würde ich gerne behaupten können, aber für mich persönlich wurde es alles eher anstrengend. Es schien schwer zu sein, in diesen Zeiten ein neues Hobby zu finden. Wir konnten uns dafür genügend Zeit für die Lyrics und zusätzliche Synthesizer- und Atmosphäre-Elemente des Albums nehmen, was am Ende echt geholfen hat!
Wie habt ihr euch seit dem letzten Album als Musiker und Band weiterentwickelt?
Über die letzten fünf Jahre haben wir uns auf verschiedene Weisen entwickelt. Die Songs sind möglicherweise ein wenig progressiver, die Lyrics verfolgen einen anderen Ansatz und vielleicht introspektiver. Auf „Coherence“ haben wir noch etwas neues probiert: Wir wollten fünf wirklich massive Lieder mit Gesang haben und uns dann noch ein wenig Zeit für ein paar schöne Instrumentalstücke nehmen. Die deutlichsten Beispiele dafür sind „Sweep Of Days“ und „Indelible“, zwei unserer längsten Instrumentals überhaupt – ich glaube, beide Songs sind mindestens vier bis fünf Minuten lang und keiner davon ist nur ein Zwischenspiel. Das war etwas ganz neues für uns. Es war eine gute Sache, an Instrumentalsongs zu arbeiten, bei denen die ganze Band mitspielt. Wir mussten auch jeden Teil dieser Tracks interessant gestalten, da wir wussten, dass sie als Songs ohne Gesang für sich alleine stehen mussten.
Die Songs auf „Coherence“ sind noch detailreicher und progressiver als zuvor, jeder Song enthält so viele coole Parts und überraschende Elemente. Ist das eine bewusste Entwicklung eures Sounds?
Ich würde sagen, es hat sich hauptsächlich natürlich entwickelt. Da sich unsere eigenen Hörgewohnheiten ändern und weiterentwickeln und wir mehr Musik schreiben, hat sich diese Art von Veränderung stufenweise und organisch ergeben.
Wie immer habt ihr sehr lange Lieder geschrieben, „Much More Was Lost“ ist mit über zwölf Minuten sogar euer längster Song überhaupt. Plant ihr immer von Anfang an, die Tracks so lang zu machen? Brauchen eure Songs einfach eine gewisse Laufzeit, um sich zu entfalten und ihre Geschichte zu erzählen?
Nein, das ist auch etwas, das sich beim Songwriting eben so entwickelt. Es kann davon abhängen, ob bestimmte Riffs mehr Zeit brauchen, um sie zu ergründen, oder ob der Song einige zusätzliche Passagen braucht, damit er sich vollständig und befriedigend anfühlt. „Much More Was Lost“ ist ein Song, den wir mehrmals überarbeitet haben, wobei wir oft Anpassungen an der Struktur vorgenommen haben, je weiter wir fortgeschritten sind. Am Ende fühlt er sich für mich wie ein Querschnitt durch die Sounds und Stimmungen des Albums an.
Wie lange dauert es, bis ein fast zehnminütiger Track von der ersten Idee bis zur endgültigen Version fertig ist?
In diesem Fall etwa ein Jahr! Allerdings wurden einige der Riffs in „Locus“ und „Much More Was Lost“ schon vor zehn Jahren geschrieben – und sie haben seitdem nur auf den richtigen Song gewartet!
Viele Bands veröffentlichen heutzutage EPs, das fällt mir besonders in diesem Jahr immer mehr auf. Ist das auch für euch ein interessantes Format, um in kürzeren Abständen neue Musik herausbringen zu können?
Wir würden es in Betracht ziehen. Wir haben das schon mal diskutiert. Ich glaube, viele Bands haben gemerkt, dass ihre Touren 2020 und 2021 verschoben werden mussten, und so haben sie die Zeit genutzt, um eine EP zu machen. Wir mögen das Format eines kompletten Albums, weil es uns die Möglichkeit gibt, unsere Ideen vollständig umzusetzen. Aber ich möchte eine EP in der Zukunft nicht ausschließen!
Würdest du sagen, dass „Hidden Window“ und „Foothold“ repräsentativ für den Sound des Albums sind? Hast du selbst irgendwelche Lieblingstracks oder -teile?
Ich würde sagen, das Album ist ziemlich abwechslungsreich, daher war es schwer, die Songs auszuwählen, die wir als erstes veröffentlichen wollten – vor allem, wenn das Album nur ein paar wenige lange Songs hat. Ich würde sagen, meine Lieblingssongs auf „Coherence“ sind „Locus“ und „Hidden Window“. Aber natürlich mag ich sie alle!
Ich denke, dass „Coherence“ als Albumtitel perfekt zur Musik passt, da sich das Album wie ein großer zusammenhängender Track anfühlt, der in viele kleine Kapitel unterteilt ist. Welche Bedeutung hat „Coherence“ als Titel für euch?
Das ist schön zu hören! Was die Gesamtbedeutung des Albumnamens angeht, so lassen wir da gerne Spielraum für Interpretationen. Aber etwas, das mir an dem Titel gefällt, ist, wie er dem Chaos und dem Empfinden von Urgewalten gegenübersteht, die das Albumcover erzeugt.
Hat „Coherence“ ein lyrisches Konzept oder steht jeder Song für sich selbst?
Für dieses Album haben wir uns für einen etwas anderen Ansatz als bei „Vessels“ entschieden. Das neue Album würden wir ebenfalls als Konzeptalbum bezeichnen, aber es wird nicht strikt linear erzählt. Alle Geschichten des Albums spielen an einem Ort (dem „Locus“) – dem Berg. Die Songs auf „Coherence“ erforschen verschiedene Geschichten, erlebt von verschiedenen Menschen, alle an diesem einen Ort. Es gibt einige Ideen und Motive, die in diesen Geschichten immer wieder auf unterschiedliche Weise aufgegriffen werden, die sich in „Much More Was Lost“ zusammenfügen.
Wenn man das Coverartwork, die Rückseite des Covers und die Bilder in den Videos zu „Hidden Window“ und „Foothold“ betrachtet, scheint sich thematisch viel um Berge und die Weite der Natur zu drehen. Was stellen die Berge dar und welche Bedeutung haben Berge und die Natur im Allgemeinen für dich?
Bei diesem Album haben wir zum ersten mal wirklich etwas geschrieben, dass sich explizit auf die Idee eines Berges konzentriert, denke ich. Wir hatten aber schon immer starke Motive der Natur in unseren Texten – natürliche Handlungsorte, natürliche Schönheit und die Rauheit der Natur sind wichtige Inspirationsquellen für uns. Das alles erweckt tiefgehende, zeitlose Ideen und universelle Geschichten.
Die Texte sind ein wichtiger Teil von BE’LAKOR. Welche Themen haben euch neben der Natur bei „Coherence“ inspiriert? Habt ihr auch persönliche Erfahrungen verarbeitet?
Auf „Coherence“ haben wir uns entschieden, den Fokus weg von der Außenwelt zu lenken (worauf sich „Vessels“ hauptsächlich konzentriert hatte) und stattdessen viel mehr über die Natur des menschlichen Geistes und der menschlichen Erfahrung zu schreiben. Wir haben uns bei den Texten dieses Albums mehr Mühe gegeben als je zuvor – und das will etwas heißen, denn „Vessels“ war, was die Texte angeht, ein riesiges Projekt. Ich überlasse es dem Hörer, die „Coherence“-Texte zu lesen und sie im Detail zu analysieren – aber sie sind sehr introspektiv, und es steckt viel Traurigkeit in ihnen. Sie befassen sich auch mit Ideen, die im Grunde schon seit Tausenden von Jahren Teil der menschlichen Kultur sind.
Eure Musik wirkt immer sehr emotional und melancholisch. Woher kommt das, welche Gefühle wollt ihr transportieren und beim Hörer erzeugen?
Ich bin mir nicht sicher, da wir keine besonders melancholischen oder depressiven Menschen sind. Ich denke, es geht um ein düsteres, reflektierendes Gefühl, bei dem man fast Ehrfurcht vor der Größe und dem Umfang der Realität, der Natur und des Universums hat. Viele unserer Texte scheinen sich in diesem Zusammenhang mit Geschichten aus dem Leben zu beschäftigen – flüchtig, fehlerhaft, verletzlich, zufällig. Es ist interessant, darüber zu schreiben, und es verbindet sich oft mit ziemlich universellen menschlichen Konzepten oder Geschichten.
Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Aktuelles Lieblingsalbum: „Polysemy“ von Mestis.
Streaming: “Hushed and Grim” von Mastodon.
Erdbeben: Eine neuartige Erfahrung für uns in Melbourne.
Etwas, das jeden schlechten Tag besser macht: Opeth – „Morningrise“.
Deutschland: Wunderbares Bier, schöne Landschaften, tolle Metalfestivals und tolle Leute.
Leben ohne Musik: Nicht akzeptabel.
BE’LAKOR in zehn Jahren: Hoffentlich glücklich, etwas mehr herumgekommen und mindestens sieben oder acht veröffentlichte Alben!
Danke nochmal für deine Zeit. Die letzten Worte gehören ganz dir. Möchtest du unseren Lesern noch etwas sagen?
Cheers und danke für den Support!
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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