WALDGEFLÜSTER besingen auf ihrem sechsten Release die Heimat und stellen sich die Frage, was Heimat überhaupt ist und für einen selbst bedeutet. Passenderweise heißt das Album der Südbayern „Dahoam“, behandelt Orte der Region und ist komplett in Mundart gesungen. Sänger und Songwriter Winterherz spricht im Interview über seine Erkenntnisse der Ergründung der Heimatgefühle, die Bedeutung der Natur und Zukunftssorgen.
Der „Dahoam“-Release musste wegen Produktionsproblemen leider um einen Monat nach hinten in den Oktober verschoben werden. Warum habt ihr euch dennoch entschlossen, das Album zumindest auf Bandcamp und Youtube zum ursprünglichen Termin zu veröffentlichen?
Hauptsächlich, weil die Releaseshow natürlich nicht verschiebbar war und wir den Leuten die Möglichkeit geben wollten, in das Album reinzuhören, bevor sie es live sehen. Außerdem dachten das Label und wir, dass dies ein gutes Trostpflaster für diejenigen wäre, die schon lange vorbestellt hatten und ungeduldig darauf warten.
Den digitalen Albumrelease habt ihr am 25. September im Backstage in München gefeiert. Wie war es, endlich wieder vor einem Publikum auf der Bühne zu stehen und die neuen Songs live zu spielen?
Kurz gesagt: Grandios. Dieser Abend gehört sicherlich zu meiner persönlichen Top 10 an Gigs. Es war eine unheimlich packende Atmosphäre im Raum, das Publikum war zahlreich und hungrig. Und wir selbst hatten ebenfalls Feuer. Nach einem ganzen Jahr ohne Auftritte war es unheimlich schön, zum Wiedereinstieg gleich eine so große und professionell durchgeführte Show zu spielen.
„Dahoam“ ist inzwischen euer sechstes Album. Wie habt ihr euch deiner Meinung nach seit „Mondscheinsonaten“ weiterentwickelt?
Ich denke, das Offensichtlichste ist der Sound. Nach Jahren der Überzeugungskunst von diversen Personen habe ich endlich eingesehen, dass ich zumindest bei WALDGEFLÜSTER die Finger von den Reglern lassen sollte – und es hat sich gelohnt. Musikalisch denke ich, dass unser Sound kohärenter geworden ist. Alle Trademarks sind noch da, aber ich habe das Gefühl, das Album ist in sich schlüssiger als die alten. Meines Erachtens nach hat sich somit das Songwriting weiterentwickelt. Ein großer Punkt ist aber auch unser Drummer Tom, der sich von Platte zu Platte steigert.
„Heimat kost ned fåssn es is so vui“ singst du am Ende von „Am Wendelstoa“. Was bedeutet der Begriff „Dahoam“ für dich – oder, eher exemplarisch gefragt: Was weckt bei dir Heimatgefühle, sogar abseits deiner „eigentlichen“ Heimat?
Das ist genau eine der Fragen, die ich auf „Dahoam“ versucht habe zu ergründen und ich konnte mir kein abschließendes Bild machen. Deshalb auch die Zeile, dass Heimat so viel ist, dass es nicht zu erfassen ist. Klar geworden ist aber, dass die Herzen, die einen auf dem eigenen Weg begleiten unheimlich wichtig sind, um so etwas wie Heimatgefühle zu empfinden. Sprich die Freunde und Familie oder auch die Kinder, deren Präsenz so viel Einfluss auf die eigene Welt hat. Gleichzeitig haben aber auch die wahren Örtlichkeiten einen Einfluss auf dieses Heimatgefühl. Für mich ist es der Wendelstein in der Ferne. Dieser strahlt für mich ein unerklärliches Gefühl von Zugehörigkeit aus.
Auf dem Album besingt ihr nicht zuletzt den Ebersberger Forst, der, wenn man ehrlich ist, nicht eben ein sonderlich naturmystischer Ort, sondern vorwiegend eine von schnurgeraden Kieswegen durchzogene Fichten-Monokultur. Warum war euch eine Hommage ausgerechnet an diesen Forst wichtig?
Naja, zum einen muss man halt die richtigen Stellen im Ebersberger Forst auch finden. Zum anderen ging es mir darum, die Örtlichkeiten unserer Heimat aufzunehmen, und wenn man ehrlich ist, fallen ein Großteil der Wälder hier in Bayern in deine Beschreibung. Schlussendlich spielten einfach viele Gesichtspunkte mit, warum genau der Ebersberger Forst ausgesucht wurde, zum Beispiel der markante Name. „Das Wäldchen bei Taglaching, wo ich gern spazieren gehe“ wäre als Liedtitel einfach nicht so prägnant gewesen. Die Größe und die Bekanntheit spielten ebenfalls eine Rolle. Und dann umranken den Forst eben auch einige Sagen, wie etwa die weiße Frau, und ist dahingehend ein „mythischer“ Ort. Ich muss auch nochmal kurz korrigieren, dass wir eben nicht den Ebersberger Forst besingen. Er ist nur Setting und Rahmen für das Thema Mythen und Traditionen. Mit der Tatsache der Mythen, die den Forst umgeben, ist er dann eben auch passend, diese Gedanken zu transportieren, auch wenn es tatsächlich noch ein paar schönere Wäldchen gibt. Da muss ich dir zustimmen.
Das Album ist auf Bayrisch gesungen, was mir persönlich sehr gut gefällt, viele nicht-bayrische Fans aber eventuell irritieren könnte. Habt ihr bei der Konzeptentwicklung auch mal an die armen Nordlichter gedacht?
Nein, nicht wirklich. Ein Ziel dieses Albums war es, den Heimatbegriff auch neu zu besetzen, genauso wie den oftmals altbacken wirkenden bayrischen Dialekt. Und mir war es egal, ob das Ganze irritieren könnte. Im Gegenteil: ich wollte mit Absicht die Leute mit etwas Untypischen und Unerwartetem konfrontieren, damit sie sich genauer mit den Inhalten beschäftigen oder sich zumindest eigene Gedanken zum Thema machen. Ich bin auch der Meinung, dass der Großteil der Texte verständlich genug ist, um auch von Nordlichtern gelesen werden zu können. Und für die, die das Bayrisch wirklich nicht verstehen, gibt es auf unserer Homepage englische Übersetzungen aller Texte. Ich weiß zumindest von einem Australier, der mit den Texten so sehr gut zurechtkommt und seine eignen Gefühle und Gedanken zur Heimat zu erforschen sucht. Und genau das war das Ziel.
War das ebenfalls auf Bayrisch gesungene „Hoagascht“ von Lunar Aurora hier ein Vorbild für euch, das euch in dieser Entscheidung bestärkt hat?
Ich würde nicht das Wort „Vorbild“ benutzen, aber zumindest hatte das Album gezeigt, das Black Metal auf Bayrisch möglich ist und grandios sein kann. Ja, es hat mich bestärkt, diesen Weg durchzudrücken.
Durch die Mundart wirkt dein Gesang noch authentischer und intensiver als sonst. Konntest du dich dadurch noch mehr mit den Texten identifizieren und dich in sie hineinversetzen?
Nein, das hatte überhaupt keinen Einfluss. Und um ehrlich zu sein, glaube ich fast, dass das, was du als authentischer und intensiver wahrnimmst, hauptsächlich dem Mix von Markus Stock sowie seinen Künsten als Produzent zuzuschreiben sind. Dass diesmal jemand Erfahrenes hinter dem Mischpult saß und objektiv sagen konnte „Der Take war super, der nicht“, hatte doch einen sehr positiven Effekt auf meine Performance.
„Dahoam“ hat wieder drei Songs mit über zehn Minuten Laufzeit. Planst du so etwas vorab oder entwickelt sich das immer während dem Songwriting?
Normalerweise plane ich die Länge der Songs überhaupt nicht, die passieren einfach. Diesmal war es aber von vornherein klar, dass das Konzept aus drei längeren Black-Metal-Songs und vier kürzeren, etwas anderen Liedern bestehen soll, angelehnt an das „Femundsmarka“-Album.
Alle drei Longtracks sind komplex und vielschichtig, mit vielen Melodien und Wechseln. Wie lange arbeitest du an einem solchen Song, bis du damit wirklich rundum zufrieden und er fertig ist?
Wir arbeiten so im Schnitt vermutlich zwei bis drei Monate an einem Stück. Manchmal dauert es ab der ersten Idee auch länger. Aber wenn klar ist, dass an einem bestimmten Lied geschrieben wird, ist das ungefähr der Zeitrahmen. Wir arbeiten die Songs in unseren Demoaufnahmen komplett aus. Jedes Fill, jedes Sample und jede Automation ist schon so eingebaut, wie es dann in den finalen Aufnahmen auch sein soll. Nur so funktionieren unsere Lieder, und nur so können wir sagen, ob wir mit dem Endergebnis wirklich zufrieden sein werden.
Deine Texte wirken durch den durchgehend vierzeiligen Strophenaufbau alle sehr dichterisch. Stehen die Texte durch die Form und den transportierten Inhalt bereits vor den Songstrukturen?
Diesmal ja. Das ist nicht immer der Fall, mal kommt Musik, mal Text zuerst. Aufgrund der Natur des Konzeptalbums entstanden die Texte diesmal aber ziemlich früh im ganzen Entstehungsprozess.
Im Wald und in den Bergen ist es vor allem still. Was bedeutet diese Stille in der Natur und der Abstand vom menschlichen Trubel für dich, was macht diese Stille mit dir?
Die Stille erlaubt es mir, nach innen zu hören. Der ganze Trubel, die Termine und so weiter lassen meine eigenen Dämonen, Gedanken und Gefühle oftmals nicht wirklich zu Wort kommen. Ich muss leider zugeben, dass ich ein sehr getriebener Mensch bin, ich kann nur schwer mit Ruhe und „Stillstand“ umgehen. Deswegen brauche ich die Natur, damit sie mich erdet und mich zwingt, mal in mich rein zuhören beziehungsweise mir auch mal die Zeit gibt, mich etwas länger mit einem Thema zu beschäftigen.
Ich bin zuletzt durch die Almbachklamm und auf den Kehlstein gewandert. Was waren deine letzten Ausflugsziele, um die Natur zu genießen?
Arvagr und ich waren vor kurzem zwei Tage im Kaisergebirge unterwegs. Rauf zum kleinen Törl und wieder zurück über eine schwarze Route. Das war so ziemlich die anspruchsvollste Tour, die ich bis dato gegangen bin. Am Schluss haben die Beine kaum noch mitgemacht. Am nächsten Tag sind wir dann „nur“ 800 Meter im zahmen Kaisergebirge hinauf. Insgesamt wahnsinnig anstrengend, aber auch unheimlich schön und befriedigend.
„Wer nua im Oidn lebt, dem geht as Moing abhanden
Und ewiger Stillstand ko die stärkste Heimat dahi raffa“
Diese Zeilen beschließen „Im Ebersberger Forst“ und sind auch durch die diesjährigen Naturkatastrophen in Deutschland aktueller denn je. Sorgst du dich um die Zukunft der Natur und der Heimat, wenn sich in der Kilmapolitik nichts ändert?
Absolut. Vor allem sorge ich mich darum, in welcher Welt meine Kinder leben werden müssen, wenn sich nicht bald etwas Grundlegendes an unserer Lebensweise ändert. Vor allem mit Hinblick auf das Wahlergebnis könnte ich kotzen. Auch wenn zum Glück vermutlich CDU/CSU verhindert wurde, so zeigt das Ergebnis doch wieder, dass ein Großteil der Wähler nicht verstanden hat, dass es Viertel nach Zwölf ist, und wir endlich umdenken – nicht verzichten – müssen, wenn wir in 30 Jahren noch ein passables Leben haben wollen. Mein Keller stand dieses Jahr 30 cm unter Wasser. Kein Vergleich zu den Tragödien, die sich dieses Jahr in anderen Teilen Deutschlands abgespielt haben. Aber die Häufigkeit, mit der wir extremes Regenwetter bekommen, wird nur noch größer werden.
Nach einem mäßigen Sommer steht nun der Herbst vor bzw. bereits in der Tür, der als Jahreszeit perfekt zur melancholischen Atmosphäre von „Dahoam“ passt. Hast du eine Lieblingsjahreszeit, was den Aufenthalt in der Natur angeht und auch allgemein?
Nein, ich habe keine Lieblingsjahreszeit. Ich kann jeder ihre Schönheiten abgewinnen und ich freue mich jetzt so sehr auf den Herbst wie nächsten April auf den Frühling. Ein Winterspaziergang durch schneebedeckte Bäume ist für mich genauso schön, wie ein Bier mit guten Freunden und strahlendem Sonnenschein unter Kastanienbäumen. Alles hat seine Zeit, und jede Zeit sollte man entsprechend nutzen.
Da durch die Corona-Beschränkungen viele Aktivitäten und Unternehmungen ausfielen: Sind Heimat und Natur dadurch noch wichtiger geworden?
Für mich nicht wirklich. Ich war die letzten eineinhalb Jahre sehr beschäftigt und habe nicht wirklich mehr Zeit in der Natur verbracht als zuvor. Der Beschluss ein Konzeptalbum über das Thema Heimat zu schreiben, fiel auch schon vor Corona, also hat sich hier auch nichts für mich persönlich geändert.
Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Aktuelles Lieblingsalbum: Schwierige Frage… Vermutlich teilen sich gerade Amenra – „De Doorn“ und Fluisteraars – „Gegrepen Door de Geest de Zielsontluiking“ den Platz.
Politik im Black Metal: Wichtiges Thema, vor allem gibt es meines Erachtens diesen berühmten unpolitischen Black Metal kaum. Jede Handlung kann auch ein politisches Statement sein, und mich regt die Wegschau-Mentalität und das Tolerieren des braunen Sumpfs in dieser Szene ziemlich auf.
Halloween: Interessiert mich nicht.
Bestes Bier der Heimat: Crew 13.3. Leider haben die auf meinen Aufruf, das endlich in ihr reguläres Programm aufzunehmen, nicht reagiert. Also hier nochmal! Von Frau Gruber war eigentlich auch alles, was ich probiert habe, genial. Ansonsten ist mein Go-to-Bier im Moment der Zuagroaste von Urban Chestnut.
Etwas, das einen schlechten Tag besser macht: Mucke. Immer Mucke.
WALDGEFLÜSTER in zehn Jahren: Vermutlich alt und grau, aber immer noch am Leben. Vielleicht mache ich es doch irgendwann wahr und wir machen dann Folk-/Country-Musik, also etwas unserem Alter Entsprechendes.
Nochmals vielen Dank für deine Zeit! Die letzten Worte gehören dir.
Danke dir für das interessante Interview.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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