Anette Olzon Strong Coverartwork

Review Anette Olzon – Strong

ANETTE OLZON hatte nie den leichtesten Stand in der Metal-Gemeinde. Als Nachfolgerin von Tarja Turunen bei Nightwish wäre wohl jede Sängerin der Welt unter kritischer Beobachtung gestanden, ANETTE OLZON aber hat die Lager mit ihrer eher sanften, poppigen Stimme von Anfang an gespalten. Heutzutage wird sie neben Turunen und ihrer Nachfolgerin Floor Jansen ab und an vergessen, dabei hat sie auf ihren beiden Nightwish-Alben „Dark Passion Play“ und „Imaginaerum“ eine stilistisch zwar andere, aber hervorragende Leistung geboten.

Auf ihrem ersten Soloalbum aus dem Jahr 2014 hat die Schwedin ihren Kritikern aus dem metallischen Lager weiteres Futter geliefert: „Shine“ verzichtete auf harte Klänge und war ein seichtes Pop-Rock-Album, das zwar musikalisch solide war und emotional berührende Momente hatte, aber insgesamt kein besonders spannendes Debüt war, was sich auch in vielen Kritiken manifestierte. Egal, ob es nun eher an mangelndem Erfolg oder OLZONs Liebe zum Symphonic Metal lag, mit ihrer neuen Band The Dark Element kehrte sie 2017 in nightwish-esque Gefilde zurück. Mit ihrem nun erscheinenden zweiten Soloalbum „Strong“ bleibt sie dem Metal treu und ist wesentlich härter unterwegs als noch vor sieben Jahren.

Der Opener „Bye Bye Bye“ ist mitnichten ein N’Sync-Cover, sondern zeigt direkt zu Beginn die Richtung auf: Hier handelt es sich um pompösen, rockigen Symphonic Metal, der weder mit ausladenden Orchestrierungen noch mit treibenden Beats geizt. „Parasite“ sorgt mit seinen vordergründigen Keyboards und der Rhythmik für gewisse Babymetal-Vibes, und das ist alles andere als Kritik, da die japanische Formation viele melodisch geniale Momente hat. Anettes sanfte und klare Stimme passt wundervoll zum instrumentalen Konstrukt. Bei Tracks wie dem Titeltrack „Strong“ zeigt sie aber auch ihre tieferen Stimmlagen. Diese sind sehr kraftvoll und stellen zusammen mit den immer wieder eingestreuten Growls von Johan Husgafvel einen gelungenen Kontrast zum meist warmem Gesang dar. Es ist allerdings nicht immer deutlich, ob die Growls organisch entstanden sind oder schlicht die zurückgekehrte Härte unterstreichen sollen.

Die bittersüße Ballade „Sad Lullaby“ stellt in der Albummitte so etwas wie eine Trennung in zwei Hälften dar. Beiden Teilen gemein ist die melancholische Grundstimmung: Während der Pandemie verlor Anette ihren Vater aufgrund einer Covid-19-Erkrankung und sicherlich wurden auf dem Album noch weitere persönliche Themen verarbeitet. Da die Melancholie durch eine ebenso kraftvolle, optimistische Note ergänzt wird, ist „Strong“ als Albumtitel bestens gewählt. Der erste Part von „Shine“ ist sehr rockig geraten: zwar mit dominanten Keyboards ausgestattet, aber dennoch direkt. Ab „Fantastic Fanatic“ wird das Album zunehmend opulenter. Der Metal bleibt, wird aber umso mehr durch getragene Orchesterelemente beherrscht. „Catcher Of My Dreams“ und „Hear Them Roar“ vollziehen vollends den Schritt zur bombastischen Rock-Oper mit poppigem Einschlag und sind zusammen mit dem ebenfalls in diese Richtung gehenden „I Need To Stay“ die Höhepunkte des Albums. Hier zeigt sich die ganze Stärke von „Strong“, ANETTE OLZONs Stimme kommt durch die ausschweifende, theatralische Instrumentierung am besten zur Geltung. Hier zeigt sich auch desöfteren, dass Abba ihre Lieblingsband ist.

Diese Opulenz macht die zweite Albumhälfte von „Strong“ beeindruckender als die erste und zeigt, welche Qualitäten in ANETTE OLZON stecken. Mit Multi-Instrumentalist Magnus Karlsson (u.a. Primal Fear) steht ihr diesmal ein erfahrener Musiker zur Seite, der auch am Songwriting maßgeblich beteiligt war. Manchmal entsteht der Eindruck, dass die Songs für Anettes Komfortzone geschrieben wurden. Daraus hätte man gerne etwas mehr ausbrechen können, andererseits aber ist Olzon und Karlsson genau bewusst, wo die Stärken der Sängerin liegen und setzen diese wunderbar in Szene. „Strong“ bleibt durch seinen Wandel von Anfang bis Ende ein gutes, abwechslungsreiches Album, das in der ersten Hälfte zum Teil etwas hinter seinen Möglichkeiten bleibt. ANETTE OLZON meldet sich aber stark zurück und beweist, dass sie symphonischen Metal auch ohne Nightwish kann.

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Wertung: 7.5 / 10

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