Interview mit Nine von Wormwood

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Mit ihrem dritten Album „Arkivet“ haben die schwedischen Melodic-Black-Metaller WORMWOOD das musikalische Testament einer vom Menschen verwüsteten Erde geschaffen. Anlässlich der pandemiebedingt verschobenen Veröffentlichung der Platte haben wir Frontmann Nine einige Fragen gestellt. In unserem Interview erklärt der Sänger, weshalb die Klimakrise in seinen Augen überhaupt keine kontroverse Sache ist, aus welchem Grund er davon absieht, in seinen Texten Lösungsansätze anzubieten, und warum man „Arkivet“ aus seiner Sicht nicht auf das Thema Umweltzerstörung beschränken sollte.

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COVID-19 hat viele Menschen, insbesondere in der Musikbranche, aber auch im privaten Bereich bis heute schwer zu schaffen gemacht. Wie seid ihr mit der Situation bislang zurechtgekommen?
Um ehrlich zu sein, habe ich persönlich nicht wirklich darunter gelitten. Im Guten wie im Schlechten ist Schweden im Vergleich zu anderen Ländern ziemlich locker mit seinen Beschränkungen umgegangen, sodass ich wie gewohnt meinem normalen Job nachgegangen bin. Sicherlich gab es eine Zeit lang nur wenige und weit auseinander liegende Interaktionen, aber das war nicht weiter schlimm. Die Zeit ist in gewisser Weise eingefroren, und das hat mir mehr Zeit gegeben, um zu lesen und Sachen anzuschauen, also sollte ich mich nicht allzu sehr beschweren.
Für die Band bedeutete es einfach, dass wir genügend Zeit hatten, unser neues Album zu schreiben und aufzunehmen.

Der Titel eures neuen Albums „Arkivet“ bezieht sich laut der Beschreibung auf Bandcamp auf ein Dokument, in dem man Angehörigen nach dem Ableben seine letzten Wünsche, zum Beispiel für das Begräbnis, mitteilt. An wen richtet sich die Botschaft, die ihr mit „Arkivet“ geschaffen habt?
Es ist das „Arkivet“ der Erde. Der letzte Wille unserer stillen Beschützerin. Man weiß nicht, was sie mit dem Testament bezwecken will, aber sicher ist, dass wir so viele Dinge zerstört und das Recht auf Koexistenz mit der Erde aufgegeben haben. Es ist also eine Hommage an das Ende der Zeit und gleichzeitig eine poetische Landschaft der Zerstörung, die wir verursacht haben.

Wormwood BandfotoIhr habt Mikael Strömberg zu dem Album ein Buch schreiben lassen. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, mit seiner Hilfe ein größeres Narrativ aufzubauen?
Wir haben schon seit einiger Zeit innerhalb der Band darüber gesprochen, dass wir ein Buch zu einer Veröffentlichung haben wollten, aber wir wussten nie, worum es in dem Buch gehen sollte. Als wir mit dem Konzept des Albums aufkamen, war es naheliegend, einen kurzen Roman über einen Song zu schreiben, sodass jeder, der möchte, tiefer in unsere realitätsbedingte Dystopie eintauchen kann.
Ich habe zuerst einen Text zu dem Song „The Archive“ geschrieben, aber aus irgendwelchen Gründen fehlte etwas und wir waren nicht zu 100 % glücklich damit. Daraufhin haben wir Mikael kontaktiert und ihm von unserer Vision erzählt, insbesondere von diesem Song. Ihm gefiel die Idee sehr und er begann zu schreiben. Als wir den ersten Entwurf erhielten, habe ich „The Archive“ so umgeschrieben, dass es zu seiner Vision passte, aber immer noch meinen eigenen Dreh und die Bedeutung dahinter hinzugefügt. Am Ende hat es wirklich gut funktioniert.

Warum fiel eure Wahl gerade auf ihn?
Er war ein Einheimischer aus einer kleinen Stadt nördlich von Stockholm namens Norrtälje. Er hat sich im Horrorgenre einen Namen gemacht, und es schien gut zu passen, ihn zu nehmen. Außerdem mochte er Metal.

Wie lief eure Zusammenarbeit ab? Habt ihr ihm gewisse inhaltliche Vorgaben gegeben?
Wie ich schon sagte, haben wir ihm das Konzept des Albums und des Songs „The Archive“ mitgeteilt, aber wir haben ihm die Freiheit gelassen, es so zu interpretieren, wie er es wollte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es an seinem ersten Entwurf irgendetwas gab, was wir ändern wollten, er hat es einfach auf Anhieb hingekriegt.

Ihr greift auf „Arkivet“ unter anderem mit der Klimakrise ein brandaktuelles, aber auch sehr umstrittenes Thema auf. Was hat euch dazu veranlasst, neben Geschichten von Einsamkeit und Verlust auch diese Problematik zu besingen?
Für uns war die Klimakrise nie ein kontroverses Thema, denn sie findet statt. Es ist nicht unser Problem, was die Leute glauben wollen, die Fakten sind klar und die Wissenschaft ist solide. Wir sagen den Zuhörern einfach, was los ist. Wir sind keine politische Band und dies ist auch kein politisches Thema mehr. Es ist eine Tatsache des Lebens, und die Menschen entscheiden, wie sie mit dieser Tatsache umgehen wollen.
Einsamkeit und Verlust ist etwas, das jeder irgendwann in seinem Leben erlebt. Ich schreibe gerne darüber, weil es das ist, was am meisten wehtut. Der Verlust eines geliebten Menschen, das unumkehrbare Gefühl der tiefsten Verzweiflung ist einfach ein endloser Pool an Inspiration.

Naturromantik ist im Black Metal ein beliebtes Thema, über die Bedrohung der Umwelt durch die Klimakrise singt jedoch fast keine Band. Weshalb ist das deiner Meinung nach so?
Ich sehe WORMWOOD nicht als eine Band, die über den Klimawandel singt und verkündet, dass wir aufhören sollten, Plastik zu benutzen und uns im Amazonas an Bäume ketten sollten.
Die Erde stirbt langsam, und es ist fast schön, dabei zuzusehen. Wir sind unbedeutende Affen, die nicht mehr willkommen sind. Neben Verlust und Einsamkeit geht es in diesem Album also auch um die zerstörerische Kraft namens Mensch und unsere Unfähigkeit, etwas zu ändern. Was auch immer an Veränderungen kommt, es ist zu spät. Also genießt das Ende, trinkt Fusel, schüttet etwas Öl in den Ozean und schaut zu, wie alles zusammenbricht.

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Ihr habt vor dem Release der Platte ein Musikvideo zu dem Track „The Gentle Touch Of Humanity“ herausgebracht. Dabei habt ihr angemerkt, dass dieses unter euren Fans die Geister scheiden würde. Warum?
Wir waren uns ziemlich sicher, dass das fast zweieinhalb Minuten lange Intermezzo mit den Nachrichtenclips die Leute abschrecken würde. Es würde den Fluss des Songs zerstören, und ich denke, in gewisser Weise ist das auch so. Wenn die Leute diesen Teil überspringen, geben sie uns Recht. Denn das ist es, was die Leute tun, wenn sie die Nachrichten sehen oder über sie lesen. Sie blenden es einfach aus, weil es unangenehm ist und es wichtigere Dinge zu tun oder zu lesen gibt.
Trotzdem hat es mehr Leuten gefallen, als wir erwartet haben, und sie überspringen es nicht. Das haben wir nicht erwartet. Es sollte eigentlich länger sein, näher an vier Minuten, das hätte niemanden glücklich gemacht.

Denkst du, ihr könnt mit der Platte Menschen erreichen, die dem Thema Umweltschutz bislang gleichgültig oder ignorant gegenübergestanden sind?
Die politischen Überzeugungen der Leute sind uns egal. Wenn sich jemand entscheidet, unsere Platte nicht zu hören, weil wir darüber singen, dass der Mensch die Erde zerstört, dann ist das ziemlich armselig.
Bands, die über Krieg singen, das funktioniert! Über dunkle, böse Mächte singen, das ist cool! Über Wikinger singen, das ist Metal! Wenn sie darüber singen, dass der Planet aufgrund menschlicher Aktivitäten stirbt, nein, das ist so ein Greenpeace-Scheiß, das kann ich mir nicht anhören! Ja, klar.

„Arkivet“ erweckt inhaltlich den Eindruck, dass wir den Kampf gegen die Klimakrise an diesem Punkt nur noch verlieren können. Spielt man mit diesem Pessimismus nicht gerade jenen, die am Status Quo nichts ändern wollen, in die Hände?
Um fair zu sein, es gibt einen Song und ein paar Nachrichtenclips über die Klimakrise, aber ich denke, das sollte nicht das Hauptthema des Albums sein. In den meisten Songs geht es darum, dass der Planet die Menschheit tötet und zurückfordert, was einst nur ihm gehörte.
Aber klar, dieses Album ist das pessimistischste und nihilistischste der drei, die wir veröffentlicht haben. Der Schaden ist unumkehrbar und wir können nichts dagegen tun. Wenn die Leute glauben, dass es hilft, weniger Plastikstrohhalme zu benutzen und nur noch Äpfel zu essen, die von den Bäumen gefallen sind, dann können sie das gerne tun.

Optisch hebt „Arkivet“ sich mit seinem schlichten, hellen Coverbild deutlich von euren anderen Alben ab. Was war euer Gedanke dahinter?
Es ist eine Anspielung auf das weiße Papier, auf das man schreiben muss, wenn man seine eigene Beerdigung beschreibt, seinen letzten Willen. Das ist ein ziemlich trauriges, langweiliges, bürokratisches Stück Papier, und das war es, was wir erreichen wollten. Wir wollten nicht, dass das Artwork des Albums den düsteren Inhalt des Albums überschattet.

So vielseitig die Themen sind, die ihr besingt, so unterschiedlich klingen eure Songs. Was kommt bei euch üblicherweise zuerst – die Musik oder die Texte?
Das ist von Lied zu Lied unterschiedlich. Manchmal höre ich eine neue Melodie oder ein ganzes Lied, das T. Rydsheim gemacht hat, und es ruft ein bestimmtes Gefühl in mir hervor, manchmal habe ich etwas ohne Musik im Kopf geschrieben und T. Rydsheim bekommt ein Gefühl und wir fangen so an. Normalerweise habe ich einfach ein Gefühl, egal wo ich bin, und schreibe es dann auf. Meistens schreibe ich den ganzen Song in einem Rutsch, denn wenn ich etwas schreibe und dann einen Tag oder eine Woche warte, um es weiterzuschreiben, habe ich das anfängliche Gefühl, das ich hatte, verloren.

Musikalisch scheint ihr auf dem Album eurem bisherigen Stil weitgehend beibehalten zu haben: melodischer Black Metal mit dezenten Rock- und Folk-Einflüssen. Kann man sagen, dass ihr euren eigenen Sound nun endgültig gefunden und perfektioniert habt?
Für diese Veröffentlichung ist er sicher perfekt, wir wissen nicht, wie das vierte Album klingen wird. Vielleicht ist es noch atmosphärischer, vielleicht wird es ein achtstündiges Didgeridoo-Solo haben, wir werden sehen.
Aber im Großen und Ganzen, ja, ich denke, das ist ein Sound, der gut zu uns passt. Wir kennen die Basis des Sounds, aber wir haben keine wirklichen Regeln, denen wir folgen müssen. Das gibt uns viel Freiheit zum Experimentieren.

Gibt es auf „Arkivet“ dennoch etwas, von dem du denkst, dass es eure Fans überraschen wird?
Ich denke, die Überraschung könnte darin bestehen, dass wir etwas geschaffen haben, das sich noch cineastischer anfühlt als das Vorgängeralbum. Eine tiefere Art von Melancholie und Schönheit, verwoben mit der Zerstörung der Erde. Der letzte Moment unserer Existenz war noch nie so schön, oder?

Große Überraschungen findet man im Black Metal heute nur noch selten. Denkst du, dass diese Art der Musik heute immer noch schockieren kann und soll?
Ich bin sicher, das wird sie. Jeder hat andere Vorstellungen und Regeln davon, was Black Metal ist, was extreme Musik sein sollte. Es wird also Leute geben, die uns so und so nennen, und wir spielen keinen Black Metal, wir spielen etwas anderes, und das ist für uns völlig in Ordnung. Ich kann Argumente dafür sehen, dass wir gleichzeitig Black Metal und nicht Black Metal sind. Letztendlich ist es mir egal, was wir spielen, die Leute können die Musik beurteilen, indem sie sie sich anhören.

Was sind eure nächsten Pläne für WORMWOOD?
Gigs und Musik spielen.

Auf Metal1.info beenden wir Interviews meist mit einem kurzen Brainstorming. Was denkst du über die folgenden Schlagworte?
Hoffnung: Es gibt keine.
Kurzgeschichten: Lies Isaac Asimovs Kurzgeschichte „Wenn die Sterne verlöschen“.
Individuelle Verantwortung: Ist gut?
Musikalisches Experimentieren: Nicht für jede Band, aber für uns ist es wichtig.
Erinnerung: Erinnere dich an die Vergangenheit, denn die Zukunft sieht nicht so gut aus.
Dein aktuelles Lieblingsalbum: „Hädanefter“ von Jordfäst.

Dann sind wir nun auch schon am Ende. Möchtest du noch ein paar letzte Worte an die Leser*innen richten?
Wenn ihr bis hierher gekommen seid, bravo! Ich hoffe, dass euch unser Album „Arkivet“ gefallen wird. Lest die Texte und schreibt uns, was ihr davon haltet. Gut oder schlecht.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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