The Neal Morse Band (NMB)- Innocence & Danger

Review The Neal Morse Band – Innocence & Danger

Mit „Innocence & Danger“ präsentiert die NEAL MORSE BAND das dritte Doppelalbum in Folge. Nach zwei ausufernden Konzeptwerken haben die Amerikaner dieses Mal das Storytelling hintenangestellt – „Innocence & Danger“ ist wie schon „The Grand Experiment“ eine Sammlung einzelner Songs. Die Gruppe betont, dass sie nie zuvor so viel gemeinsam im Studio komponiert hat. Daher rührt das neue Bandkürzel NMB auf dem Cover. Aber ist diese Zusammenarbeit hörbar, oder klingt auch die neue Platte wie Neal-Morse-Musik?

Der Opener „Do It All Again“ erinnert im Intro frappierend an „Dance On A Volcano“ von Genesis, entwickelt sich dann allerdings zu einer typischen, episch-getragenen Neal-Morse-Nummer. Das ist nicht so negativ gemeint, wie es klingt: Das eröffnende Gitarrenmotiv ist wunderschön, die Melodien zünden ohne Umwege und insbesondere der Gesang überzeugt. Mittlerweile hat sich ein gewisses Muster herausgeschält: Oft singt Neal Morse die Stophen, Gitarrist Eric Gillette die Refrains und Keyboarder Bill Hubauer Pre-Chorus oder Bridge. Vor allem Gilletts klare, warme und charismatische Stimme sticht dabei hervor. Sie ist unheimlich präsent und macht aus jedem Chorus einen Ohrwurm. Das treibende, mit flirrenden 80s-Synthies durchsetzte „Bird On A Wire“ ist der nächste Beweis dafür. Cooler Arena-Rock!

Auf der ersten CD „Innocence“ finden sich vor allem kürze Songs, auf der zweiten CD „Danger“ zwei überlange Prog-Epen mit mehr als 19 und 31 Minuten Länge. Wer auf den letzten beiden Scheiben die Longtracks vermisst hat, darf sich also freuen. Dennoch ist es vor allem CD 1, die Akzente setzen kann:

Songs wie „Your Place In The Sun“ und „Another Story To Tell“ bringen mit ihrem Toto-Einfluss eine neue Klangfarbe in die Musik. Sie sind gerade deshalb so überzeugend, weil der Prog hier links liegen gelassen wird. Das ruhige „The Way It Had To Be“ lebt von Gilletts gefühlvollem Gitarrenspiel und erinnert stark an Pink Floyd, während es sich bei „Emergence“ um ein Solostück für die Akustikgitarre handelt. Sowas hat Neal Morse zuletzt 1996 mit seiner damaligen Band Spock’s Beard gemacht. „Not Afraid Pt. 1“ ist eine ruhige Gitarrenballade mit wunderschönem mehrstimmigen Gesang, vergleichbar mit dem grandiosen „Waterfall“ von „The Grand Experiment“ und „June“ von Spock’s Beard. Dass es nicht ganz die Qualität dieser Übersongs erreicht, ist meckern auf hohem Niveau.
Die erste CD endet mit einem achtminütigen Cover des Simon-&-Garfunkel-Evergreens „Bridge Over Troubled Water“. Neuinterpretationen sind äußerst selten besser als das Original, und das gilt auch hier: Das Prog-Kostüm passt nicht, die langgezogene instrumentale Einleitung ist wirkungslos. Die innige Atmosphäre des Originals wird zu keiner Sekunde erreicht. Solch ein Cover gehört wie gehabt auf eine Bonus-CD und nicht auf das reguläre Album.

Wer bisher die Prog-Keule vermisst hat, bekommt auf CD 2 die Vollbedienung: Die beiden Epics „Not Afraid Pt. 2“ und „Beyond The Years“ kommen zusammen auf 50 Minuten Spielzeit und bilden im Grunde ein zweites Album. Hier fahren Neal Morse & Co. all das auf, was Prog-Hardliner hören wollen: Lange, frickelige und epische Instrumentalparts, wiederkehrende Motive, Satzgesänge, einen flamencoähnlichen Part, ein cooles Bass-Solo, Orchesterklänge, Hartes, Zartes und Hymnisches.
Die Songs sind bemerkenswert komplett, und insbesondere „Not Afraid Pt. 2“ schafft es, die Spannung über die gesamten 19 Minuten aufrechtzuerhalten. „Beyond The Years“ bringt auch auf CD 2 frischen Wind: Hier ist der Einfluss von Keyboarder Bill Hubauer gut herauszuhören. Er singt die führende und eröffnende Melodie und drückt der Musik mit neuartigen Keyboardsounds seinen Stempel auf. Irritierend ist das plötzliche Ende, bei dem die orchestrale Ausleitung mittendrin abgeschnitten wird. Darüber hinaus hätte der Song sicherlich ein wenig gestrafft werden können.

In Sachen Produktion ist „Innocence & Danger“ mit Transatlantics „The Whirlwind“ vergleichbar. Selten war der Klang auf einer Neal-Morse-Platte derart transparent. Vor allem der Bass von Randy George kommt hervorragend zur Geltung. Weniger schön hingegen ist, dass beim Piano-Intro von „Not Afraid Pt. 2“ ein ziemlich starkes Hintergrundrauschen den Hörgenuss schmälert. Davon abgesehen hat Neals Haus- und Hofmixer Rich Mouser hier hervorragende Arbeit geleistet.

Alles in allem gilt auch für diesen Doppeldecker das ungeschriebene Gesetz, dass Neal Morse einfach keine schlechten Alben veröffentlicht. Im direkten Vergleich zu seinem letzten Solowerk „Sola Gratia“ wirkt die Bandleistung auf „Innocence & Danger“ runder, kompletter und ausgefeilter. Trotz schöner Beiträge seiner Kollegen, vor allem im Mittelteil der ersten CD, bleibt der typische Neal-Morse-Sound jederzeit erhalten. Mehr noch: Es gibt ihn hier in allen Farben und Formen, die Neal in den letzten 25 Jahren kultiviert hat, ergänzt um frische neue Einflüsse.
Es ist eine Werkschau, die ohne das unnötige Cover von „Bridge Over Troubled Water“ und mit einer kondensierten Version von „Beyond The Years“ eine bärenstarke, prall gefüllte Einzel-CD ergeben hätte. Aber auch ohne diese Kürzungen bleibt „Innocence & Danger“ eine sehr überzeugende Scheibe, die all das mitbringt, was Retroprogger lieben.

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Wertung: 8.5 / 10

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