Als Gitarrist der britischen Traditionsmetaller Monument konnte sich Dan Baune in den vergangenen acht Jahren einen mehr als guten Namen machen. Allerdings kam die Londoner Band bereits vor Corona zum De-Facto-Stillstand, weshalb der gebürtige Bremer dringend eine neue Herausforderung brauchte. Die kam mit seiner Rückkehr nach Deutschland, denn kaum angekommen entschied er sich, mit DAN BAUNE’S LOST SANCTUARY den lange gehegten Traum eines Solo-Albums endlich in die Tat umzusetzen. Im Interview erzählt uns der Musiker, welche Herausforderung die Arbeit in Eigenregie mit sich bringt, wie er ein paar der größten Stimmen der Rockmusik für sich gewinnen konnte und warum „Lost Sanctuary“ der Beginn von etwas Großem sein könnte.
Hallo Dan und vielen Dank für deine Zeit! Dein Solo-Debüt klingt so gar nicht wie das, was du bei Monument gemacht hast. Viel mehr offenbarst du hier Einflüsse wie Nevermore und sogar ein bisschen Melodic Death Metal als deine Einflüsse. Stimmst Du dem zu?
Auf jeden Fall. Ich habe mit dieser Band angefangen, als ich ungefähr 17 war. Das waren damals Basti (Weiss, Schlagzeug, Anm. d. Red.), der Drummer, und ich. Es kam dann noch Bastis kleiner Bruder dazu und übernahm den Bass. Das war zu der Zeit, als GIFs und Memes gerade populär wurden – damals gab es ein GIF, in dem jemand bei McDonald’s einen riesigen Becher unter Fanta und Cola stellt und dann auf beides drückt, um sich einen Spezi zu machen. „Fanta“ und „Cola“ wurde dann immer durch irgendetwas anderes ersetzt und wir haben uns damals eines gemacht, bei dem stattdessen eben Nevermore und Arch Enemy dastand und auf dem Becher war LOST SANCTUARY zu lesen. Mittlerweile ist es natürlich vielschichtiger geworden, aber als wir angefangen haben, wollten wir richtig schwere, aggressive Musik mit cleanem Gesang machen. Diese Vision schleppe ich schon mein ganzes Leben lang mit mir herum und ich glaube, darum hatten Nevermore auch einen so großen Einfluss auf mich. Das war eine Band, die richtig heavy war, aber gleichzeitig einen wirklich guten Sänger mitbrachte. Warrell Dane war vielleicht kein Bruce Dickinson (Iron Maiden) oder Dio, aber ich konnte mich mit diesem Wechsel aus Boyband-Gesang und Shouts, wie ihn die meisten Metalcore-Bands betrieben, einfach nie wirklich anfreunden. Ich liebe Bands wie Killswitch Engage und ich bin mit In Flames und Soilwork aufgewachsen, aber wenn die clean gesungen haben, war mir das immer zu poppig. Ich war immer eher ein Fan von Leuten wie Coverdale (Whitesnake) (lacht). Das ist das Ding: Ich wollte immer eine Platte machen, die richtig heavy ist, aber jemanden drauf hat, der singen kann wie ein Junger Phil Anselmo (Pantera), als der noch singen konnte – Clean-Gesang, aber aggressiv. Am Anfang war das recht schwer für und, weil wir Songs mit eben solchem Gesang im Refrain geschrieben haben, die aber an der gleichen Stelle auch eine Melodie auf der Gitarre hatten wie bei Arch Enemy. Das hat dann nicht funktioniert und das mussten wir erst lernen. Auf jeden Fall wollten wir etwas neues machen und nicht „Maiden 2.0“. Und wenn es schon nichts wirklich Neues war, dann wenigstens eine neue Kombination von bestehenden Elementen.
An Vielschichtigkeit mangelt es „Lost Sanctuary“ wahrlich nicht und doch werden alle Songs – auch die härtesten – von einem hymnischen Refrain zusammengehalten. Ist das das Markenzeichen dieses Albums?
Bestimmt! Wenn ich als Produzent arbeite, konfrontieren mich Bands immer wieder mit der Sorge, dass ihr Album vielleicht zu durcheinander sein könnte. Denen erkläre ich dann immer, dass sie letztendlich kreativ machen können, was sie wollen, so lange sie für ihr Album einen homogenen Sound haben und es ihre eigenen Songs sind – das wird dann immer nach ihnen klingen. Und manchmal muss ich mich an die eigene Nase fassen und mir den gleichen Rat geben. So war es auch bei dieser Platte: Monument sind beim Songwriting relativ eingeengt – nicht unbedingt was die Ideen anbelangt, aber was die Struktur angeht. Das ist im Prinzip immer das, was man von NWOBHM kennt. Bei LOST SANCTUARY war es schön, auch mal wieder Songs zu schreiben, die mehr als drei oder vier Parts haben. Fürs nächste Mal haben wir uns z.B. vorgenommen, auch wieder mehr mit Tempowechseln zu arbeite – ich glaube hier ist „Virtual Hedonia“ der einzige Songs, in dem es so etwas gibt und das vermisse ich auf diesem Album ein bisschen. Gerade bei sowas ist es dann eben der Refrain, der alles zusammenhält.
Für LOST SANCTUARY übernimmst du neben den meisten Instrumenten auch Aufnahme und Produktion selbst. Was sind die größten Herausforderungen, wenn man das alles selbst in der Hand hat?
Die größte Herausforderung ist auf jeden Fall, Objektivität zu bewahren. Ich werde immer wieder gefragt, was Basti eigentlich außer seinem Schlagzeugspiel mit an den Tisch bringt. Ich antworte dann, dass er mir den Spiegel vorhält. Wir sind zusammen aufgewachsen und wirklich gute Freunde – wie Brüder eigentlich – und wir können absolut ehrlich zueinander sein. Manchmal zanken wird, aber auch das ist dann OK, weil unterschiedliche Sichtweisen etwas Gutes sind. Auch bei diesem Album war es extrem hilfreich, jemanden zu haben, dem man vertraut und von dem man weiß, dass er die gleichen Einflüsse wie man selbst hat. Wenn er sagt, dass eine meiner Ideen gut ist, dann ist das so und wenn er sagt, etwas ist Mist, dann ist es eben Mist. Am Ende von „God Of War“ hatte ich eigentlich ein Bass-Solo vorgesehen, aber eigentlich war das total gezwungen und hat an dieser Stelle einfach nicht funktioniert. Basti hat mir dann gesagt, dass das kacke ist und das vorgeschlagen, was man jetzt im Song hört. So etwas ist enorm wichtig, weil man selbst nach einem Jahr, in dem man sich intensiv mit dem Material beschäftigt hat, die Objektivität verliert. Man muss sich gestatten, einen Schritt zurückzugehen, aber das ist sehr schwierig, wenn man gleichzeitig auch fertig werden will – man kann leider nicht ständig zwei Monate Pause machen, um sich dann mit frischen Ohren nochmal dranzusetzen.
War Sebastian also der Einzige, mit der „von außen“ auf das Album eingewirkt hat?
Nicht ganz. Es ist wirklich wichtig, ein Netzwerk aus Leuten zu haben, denen man vertraut. Basti frage ich, wann immer ich mir in stilistischen Fragen unsicher bin. Wenn es um einen Mix geht, dann frage ich Rasmus (Andersen, Anm. d. Red.) von Diamond Head, der auf dem Album ja auch eine Nummer gesungen hat. Wir arbeiten beide seit langer Zeit als Produzenten und wann immer wir mit unseren Sachen nicht sicher sind, schicken wir sie uns gegenseitig zu. Da geht es dann vornehmlich um den ersten Eindruck und darum, was bei der Produktion evtl. noch fehlt. Und manchmal frage ich auch meine Frau, die sich für den Entstehungsprozess von Musik überhaupt nicht interessiert. Der ist es egal, wie die Snare klingt – sie sagt, ob es ein cooler Song ist oder nicht. Ich möchte schließlich nicht „Musik für Musiker“ machen, wie es einem oft bei Dream Theater vorkommt. Deswegen wollte ich auch kein reines Frickel-Gitarrenalbum machen.
Das würde man beim Solo-Album eines Gitarristen ja eigentlich erwarten …
Ja, aus diesem Grund ist es für mich auch schwierig, das als Solo-Album zu bezeichnen, weil ich glaube, dass die Leute dann gleich zehn überladene Gitarren-Instrumentalsongs erwarten. LOST SANCTUARY sollen eine Band werden, aber ich wollte nicht gleich beim ersten Album mit einer festen Besetzung anfangen. Ich wollte zunächst mal verschiedene Optionen testen – auch, weil ich das bisher in diesem Maße nicht konnte und es war schön, diese Freiheiten zu haben.
Würdest Du sagen, dass dein Gitarrenspiel bei LOST SANCTUARY moderner und technischer ausfällt als bei Monument?
Natürlich. Alles, was ich bei Monument mache, könnte ich auch bei dieser Band machen, weil es halt old school ist und stilistisch passt. Andersherum bin ich aber bei Monument ein Stück weit eingeschränkt. Dort haben wir immer viel mit harmonisierten Leadgitarren gearbeitet – das ist auf dieser Platte auch so, weil mir das einfach gut gefällt, aber der technische Kram wie Sweep-Arpeggios und so etwas ist bei Monument natürlich weniger angebracht. Das kann man da vielleicht einmal pro Album machen, aber dann muss es auch wirklich zum Song passen. Bei LOST SANCTUARY kann ich mich viel breiter entfalten und das ist teilweise auch von Song zu Song sehr unterschiedlich. Da spielt auch der Kontrast eine große Rolle: In manchen wirklich aggressiven Songs spiele ich im Solo ganz bewusst etwas Melodischeres, um quasi etwas Licht in den Schatten zu bringen (lacht). Ich mag diesen Entfaltungsspielraum wirklich sehr, weil dann nicht unbedingt von vornherein klar ist, was als nächstes kommt.
Nur, dass wir das richtig verstanden haben: LOST SANCTUARY sind eine ausgewachsene Band und eigentlich gibt es euch schon sehr lange?
So ähnlich. Basti und ich haben so mit 14 oder 15 gemeinsam angefangen zu spielen und als ich 17 war haben wir versucht, das Ganze richtig zu etablieren. Ganz am Anfang haben wir nur Covers gespielt, z.B. „Legions“ von Stratovarius, „Black Wings Of Death“ von Running Wild und dazwischen mal eine Metallica-Nummer. Da waren wir schon eine richtige Band und haben uns ein- oder zweimal pro Woche getroffen. Allerdings waren er und ich die Einzigen, die das mit einer gewissen Ernsthaftigkeit betrieben haben. Als wir dann mit LOST SANCTUATRY angefangen haben, weil wir auch mal was Eigenes machen wollten, haben wir wirklich alles probiert: Es kamen Frauen, die gesungen haben, wir hatten Typen, die es mit Pig Squeals versucht haben und eine Zeit dachten wir, dass wir vielleicht so eine Band wie Mercenary mit zwei oder drei Sängern werden würden. Wir hatten sogar mal einen Geiger. Wir haben einfach versucht, damals in Bremen ein Line-Up zusammenzukriegen und das war wirklich schwierig. Leider konnten wir nie eine Besetzung aus dem Boden stampfen, die live-tauglich war. Das ist auch jetzt noch ein Thema: Ich will nicht sagen, dass ich nur aus der Not heraus auf diesem Album gesungen habe, weil ich echt gerne singe. Aber ich muss gestehen, dass ich immer noch den „richtigen“ Sänger suche.
Und wieso war jetzt der richtige Zeitpunkt für den Neustart?
2019 kam die Ansage, dass Monument pausieren und dann wurde es für mich realistisch, dieses Album zu machen. Da ich mir das schon seit zehn Jahren vorgenommen hatte und einfach nie die Zeit hatte, wusste ich, dass ich es für immer bereuen würde, wenn ich diese Gelegenheit nicht nutze. Ich habe mich dann also drangesetzt und letztes Jahr die Vorproduktion gemacht. Ich habe mich dann gefragt, was der beste Weg ist, wenn man aus einer Band wie Monument rauskommt, bei der man nicht genau sagen kann, ob und wann es weitergeht. Ich habe mir dann angesehen, wie Richie Blackmore es damals gemacht hat. Der ist als Gitarrist von Deep Purple ausgestiegen und hat dann ein Album namens „Richie Blackmore’s Rainbow“ veröffentlicht. Danach hieß die Band dann aber nur noch Rainbow. Ich fand dann, dass es eine gute Idee wäre, das erste Album „Lost Sanctuary“ zu nennen und danach kann dann die Band so heißen. Jetzt gerade ist der Plan, durch meinen Namen noch die Monument-Fans mit anzusprechen. Mit „Open Your Eyes“ ist auch ein Song drauf, der ursprünglich für Monument gedacht war, jetzt aber in bisschen schneller und härter mit einem Keyboard-Solo auf meinem Album gelandet ist. Es war mir wichtig, auch davon etwas mit reinzubringen, aber eben nicht zu viel.
Hat sich durch deine Rükkehr nach Deutschland auch musikalisch etwas für dich verändert?
Das schöne an Deutschland ist, dass es hier eine sehr große Musik-Vielfalt gibt – auch im Metal und da mit sehr beständigen Fans. Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass Lemmy von Motörhead in diversen Interviews gesagt hat, dass Deutschland der Band in den 90ern das Leben gerettet hat, weil die Leute weiter ihre Platten gekauft haben. In Amerika ist das z.B. ganz anders: Als da der Grunge aufkam, haben die Leute ihre Metal-Platten weggeworfen und nur noch Grunge gehört. Das ist hier nicht so und das finde ich äußerst angenehm.
Du sagst, du wolltest das Album von LOST SANCTUARY schon seit zehn Jahren machen. Gibt es ein paar der enthaltenen Songs also schon so lange?
Tatsächlich stammen Songs wie der Opener „Arise“ oder auch „God Of War“ in ihrer Ur-Form aus der Zeit, als wir 17 waren. Natürlich haben sich auch diese Songs seither etwas weiterentwickelt und ich habe sie teilweise neu arrangiert. „No Man’s Land“ haben wir z. B. ursprünglich als Dio-Tribute geschrieben, als er gestorben ist. Das ist jetzt auch schon wieder zehn Jahre her. Wir waren damals gerade in Wacken gewesen und hatten Heaven And Hell gesehen, weshalb uns das echt getroffen hat. Wahrscheinlich ist die Platte auch deshalb so vielseitig geworden, weil manche der Songs wirklich zehn bis 15 Jahre alt sind und gleichzeitig auch ganz neue dazugekommen sind. Die Ballade, in der Doogie White singt, habe ich beispielsweise auch vorher mal für Monument vorgesehen oder zumindest angeboten. Diese Ideen entstehen oft, wenn man abends um neun vorm Fernseher sitzt und die Gitarre in die Hand nimmt. Da schreibt man dann vielleicht ein Riff, das man jetzt gerade gar nicht benutzen kann und dann nimmt man es eben auf und legt es irgendwo ab. Für die Bands, in denen ich in den letzten zehn Jahren gespielt habe, waren diese Sachen immer zu heavy, aber jetzt konnte ich sie endlich mal rauskramen und etwas daraus machen. „Unholy“ ist z. B. eine ganz neue Nummer. Es sind also ganz unterschiedliche Abschnitte meines Lebens auf dem Album zu hören. Wenn ich jetzt auf einmal in sechs Monaten noch ein weiteres Album abliefern müsste, glaube ich nicht, dass es so gut werden würde – darum lasse ich mir lieber Zeit (lacht).
Du planst also durchaus ein weiteres Album mit LOST SANCTUARY?
Oh ja, absolut! Natürlich weiß ich nicht, was in meiner Karriere noch kommen wird und welche anderen Projekte sich für mich ergeben. Sollte ich jetzt eine Position bei Tobi Sammet (Edguy, Avantasia) oder so bekommen (lacht), dann hätte das natürlich Priorität und LOST SANCTUARY würden erstmal hinten anstehen. Diese Band hat ja auch keine feste Besetzung, mit der ich nächste Woche auf Tour gehen könnte. Geld spielt natürlich auch eine Rolle, wenn ich alles alleine mache – da muss man gucken, was man machen kann und was nicht. Insofern wird das also in erster Linie eine Herzensangelegenheit bleiben, bei der ich nicht alle zwei Jahre um jeden Preis ein Album veröffentlichen muss. Ich möchte mir hier auch gewisse Freiheiten erhalten: Ich will jetzt noch nicht entscheiden, ob es auf der nächsten Platte eine fest Besetzung und nur einen Sänger geben wird.
Du sprichst von künftigen Tour-Aktivitäten. Hast du denn schon über eine möglich Live-Besetzung nachgedacht?
Ich könnte jetzt gerade gar nicht beantworten, ob ich auf Tour wie Robb Flynn (Machine Head) Gitarre spiele und singe und einen zweiten Gitarristen dazu hole oder ob ich z.B. einen festen Sänger dazu hole, mit dem ich die Parts dann teile. Ich möchte es vermeiden, in diese Rock-Oper-Schiene von Avantasia oder Ayreon zu geraten, wo jeder einen Charakter übernimmt. Ich finde das schon geil, aber es ist nicht das, was ich selbst machen will. Ich habe der gerne die Freiheit, zu sagen, dass ich live die Musiker mitnehmen kann, die ich dabei haben möchte und die auch Lust darauf haben. Das ginge dann eher so ein bisschen in Richtung eines „Kollektivs“ und das mag ich. Durch die Bands, in denen ich gespielt habe, weiß ich, dass man sich auch sehr stark einschränken kann, wenn man ein festes Line-Up forciert. Wenn man dieses Image von fünf Freunden, die gemeinsam Musik machen, zu sehr an die große Glocke hängt, obwohl eigentlich einer der Chef ist, dann kann das durchaus auch nach hinten losgehen (lacht). Man kann das auch organischer regeln.
Hört man da negative Erfahrungen mit festen Besetzungen heraus?
Nicht, dass ihr mich jetzt falsch versteht: Ich würde wahnsinnig gerne in einer Band spielen, die aus einem festen Line-Up besteht und in der sich alle super verstehen. Idealerweise ist dann der eine noch ein toller Videograf und der andere kennt sich super mit Social Media aus und alle packen mit an (lacht). Das wäre mein Traum! Aber ich war in einer Situation, in der ich gerade aus England weggezogen war und ich hier niemanden kann. Dann kam noch die Corona-Situation dazu und somit war es quasi unmöglich, Netzwerke aufzubauen. Da habe ich eben auf die Leute zurückgegriffen, die ich kannte. Als Bandleader steht man bei einem neuen Projekt auch vor der Entscheidung, ob man sich jetzt Profis dazu holt, die man dann aber auch bezahlen muss, oder ob man sich jetzt junge, talentierte Typen sucht, die super spielen können, aber keine Ahnung vom Geschäft haben. Ich fand, dass es homogener und organischer ist, wenn erst das Album erscheint. Wenn das gut läuft, dann wissen die Leute schon, worum es bei uns geht, wenn sie mitmachen wollen. Ein Album und das dazugehörige Image machen es natürlich auch leichter, Musiker zu finden, weil man schon etwas in der Hand hat.
Trotz der Corona-bedingten Schwieriigkeiten beim Netzwerken konntest du bei LOST SANCTUARY aber eine beeindruckende Zahl namhafter Gastmusiker versammeln …
Die Meisten von ihnen sind tatsächlich Freunde von mir, mit denen ich schon immer mal arbeiten wollte. Viele von ihnen spielen in Bands und man läuft sich auf Festivals oder Konzerten hinter der Bühne ständig über den Weg, hatte aber nie die Chance, etwas zusammen zu machen. Als ich die Scheibe gemacht habe, war mir aber sofort klar, welcher Sänger auf welchen Song gut passen würde. Ich wollte z. B. auch unbedingt etwas mit Bob (Katsionis, Ex-Firewind, Anm. d. Red.) machen, weil wir seit zehn Jahren Freunde sind und nie zusammen Musik gemacht haben. Ich war auch selbst total überrascht davon, wie viele Leute sich eigentlich zurückgemeldet haben und auch richtig Bock hatten! Ich bin es gewohnt, dass die Leute als erstes über die Konditionen und das Geld sprechen wollen, aber die meisten haben direkt zugesagt. Es war auch schön, mit den Sängern verschiedene Sachen auszuprobieren. Matt Mitchell etwa konnte ich sehr viele Freiheiten lassen, wohingegen ich die Nummer mit Doogie White zum 100 Prozent durchkomponiert habe. Und den Song mit Rasmus von Diamond Head haben wir gemeinsam geschrieben, als ich letzten Sommer in England war. Herbie Langhans ist für mich neu dazugekommen – er hat letztes Jahr öffentlich nach Studioarbeit gesucht und mir fehlte noch genau ein Sänger. Es hat einen Riesenspaß gemacht, mit ihm zu arbeiten und es ging auch sehr schnell – der ist eben ein absoluter Profi, der auch sein eigenes Studio zuhause hat.
Mit Doogie White hast du einen der größten Hard-Rock-Sänger unserer Zeit auf dem Album, der auch schon mit Michael Schenker gearbeitet hat. Wie war das so, mit ihm aufzunehmen?
Obwohl Doogie ein Sänger ist, ist er auch ein sehr guter Sidekick. Er war es immer gewohnt, für egozentrische Gitarrenhelden zu arbeiten, da er bei Richie Blackmore und Rainbow angefangen hat und dann zu Yngwie Malmsteen gegangen ist. Er kennt also die Dynamik, die entsteht, wenn Gitarristen Songs schreiben, sehr gut. Ich kenne ihn über Chris Dale, der ab und an bei Monument am Bass ausgeholfen hat und auch viel als Roadie für größere Bands arbeitet. Er hat ihn sogar für diese Platte vorgeschlagen, als ich auf Sängersuche war. Weil das Album so modern und thrashig ist, war ich gar nicht sicher, ob er passen würde, aber Chris brachte mich darauf, dass er ja die Ballade singen könnte. Eigentlich wollte ich auch, dass er die Nummer spielt, auf der Doogie singt, aber wegen Corona ging das nicht. Chris ist noch von der alten Schule und hat keine Aufnahme-Equipment zuhause und treffen konnten wir uns eben nicht.
Den größten Teil des Gesangs bei LOST SANCTUARY übernimmst du allerdings selbst. War es für dich eine große Umstellung, der „Haupt-Sänger“ zu sein?
Im Studio ist es natürlich noch etwas ganz anderes, als das auch live umzusetzen. Ich weiß, wie man Gesang auf einer Platte gut umsetzt, weil ich viele Platten gemacht habe – insofern ist das also vergleichsweise „leicht“ für mich. Allerdings war es für mich weitaus anspruchsvoller als in anderen Bands, das alles auch selbst zu schreiben. Da ich aber viele der Songs eben auch schon mit dem Gesang im Sinn komponiert habe, ist es fast einfacher, selbst zu singen, als es noch jemand anderem beizubringen (lacht). Auch für die anderen Sänger habe ich bei den meisten Songs eine Guide-Spur eingesungen. Basti und ich hatten früher auch eine Blues-Rock-Band zusammen, mit der wir ein paar EPs aufgenommen haben. Das war natürlich einfachere Musik, aber auch da habe ich gesungen und Gitarre gespielt. Seit dieser Zeit ist dieser rohe, bluesige Gesangsstil mein Ding und auf einer waschechten Metal-Scheibe zu singen hat mich durchaus aus meiner Komfortzone herausgeholt (lacht). Weil ich aber auch hier ganz genau wusste, was ich wollte, konnte ich das finden und mir beibringen – das hat mir auch großen Spaß gemacht.Es ging mir dabei in erster Linie um die Songs und darum, das Material rüberzubringen und mich auf diese Art und Weise ausdrücken zu können.
Ausdruck ist ein guter Punkt – worum geht es in Deinen Texten?
Ach, teilweise plaudere ich da introspektiv aus dem Nähkästchen und teilweise sind das auch Fantasy-Texte. Auch das ist eine Mischung, die ich bei diesem Album sehr mag. Ich wollte nicht nur „Dungeons & Dragons“ verarbeiten, aber bei Nevermore ist es z. B. durchgehend total nihilistisch und das wäre mir über ein ganzes Album auch zu viel gewesen (lacht). Vielleicht könnte man vor allem die älteren Texte als „typisch Metal“ bezeichnen, weil sie existenzielle Themen aus meiner Jugend behandeln – da geht es viel um Politik, Krieg und die Ungerechtigkeiten in der Welt. „Unholy“ ist ein neuerer Song und der basiert auf Dantes „Inferno“. Introspektive Themen gibt es in Nummern wie „Open Your Eyes“ oder „Master Of You“, wobei den Text nicht ich, sondern Matt geschrieben hat. „Open Your Eyes“ dreht sich um seelischen Stress und darum, wie wir nach außen hin oft so tun, als sei alles in Ordnung – „Toxic Positivity“ ist ein Begriff, der in letzter Zeit oft dazu fällt. In England gibt es das ziemlich häufig, dass die Leute so tun, als sei alles OK, obwohl es das gar nicht ist, also ist das auch für mich ein Thema. Ich glaube, das ist auch der Hauptgrund, warum die meisten Leute anfangen, Kunst zu machen: Weil sie nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen. Es hat durchaus auch etwas Beängstigendes, seine Gefühlswelt für alle Welt offen darzulegen, aber es war mir eben auch wichtig, solche Songs zu schreiben. In meiner gesamten Karriere habe ich bisher immer Rollen gespielt, als Session-Gitarrist, als Bandmitglied usw.. Das ist jetzt zum ersten Mal etwas, wo ich wirklich ich selbst bin. In der Musikindustrie und auch im Metal, der ja eigentlich der Underground und roh sein soll, gibt es heutzutage viel polierten Glanz. Das stört mich nicht nur optisch und klanglich an modernen Produktionen, sondern auch an den Themen und am ganzen Image. Ich wollte etwas Ehrliches machen.
Damit sind wir am Ende angekommen. Möchtest du noch ein paar abschließende Worte sprechen?
Wenn ich noch eines hinzufügen müsste, dann würde ich noch an das Thema „Songtexte“ anknüpfen. Passend zu der Zeit, in der wir leben ist eine grundlegende Aussage dieses Albums, dass wir uns trauen sollten, ganz authentisch wir selbst zu sein. Dabei brauche wir uns nicht zu entschuldigen, denn jeder von uns ist gut so wie er oder sie ist – lasst euch nichts einreden. Und wir sitzen alle im gleichen Boot, also ist auch keiner von uns allein. Das ist es vielleicht, was an dieser Zeit so einzigartig ist – egal wo du gerade hingehst, du weißt genau, dass es den Leuten wegen dieser Corona-Kacke gerade eher bescheiden geht. Wir haben alle auf irgendeiner Ebene Probleme damit. Dabei finde ich es ziemlich ungesund, so zu tun, als wäre das alles nur mit neuen Vorteilen und Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung verbunden. Es ist nicht alles OK und es ist in Ordnung, darüber zu reden. Und auch Männer können sagen, dass es ihnen gerade nicht gut geht, sie zur Zeit nah am Wasser gebaut sind oder was auch immer man gerade loswerden will … Es ist OK, wenn man Probleme damit hat und noch lernt, damit umzugehen und auch das ist für mich eine wichtige Botschaft dieses Albums.
Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.