Man möchte meinen, so langsam gehen Leprous die Ideen für individuelle Live-Streams aus, aber weit gefehlt: Für den 8. Mai wurde nun BAARD KOLSTAD, Schlagzeuger von Leprous und Rendevouz Point, damit beauftragt, als Solo-Künstler einen Live-Stream für die Fans abzuhalten. Dieser nimmt die Herausforderung an und plant einen Abend, der aus einem Mix von Play-Throughs diverser Songs besteht, aber auch Elemente eines Drum-Workshops sowie eine Fragerunde mit den Fans enthalten soll.
Noch bis zwei Stunden vor Stream-Beginn können die Fans mit VIP-Ticket voten, welchen Coversong anderer Bands sie von Baard hören möchten; zur Auswahl stehen von Korn über Dimmu Borgir bis hin zu Vola und Agent Fresco etliche interessante Bands. Der Moderator, der das Voting betreut, ist Simen Sandness, der mit BAARD KOLSTAD befreundete Schlagzeuger der Band Arkentype. Kurz nach 20 Uhr am Samstagabend beginnt der Stream, während die Show an sich schon im Gange ist. Wahrscheinlich wurden vorher die vor Ort anwesenden Gäste persönlich begrüßt, bevor die Streamer zugeschalten wurden. Eine Handvoll ausgewählter Gäste darf direkt um das Schlagzeug herum sitzen, unter anderem Maraton-Sänger Fredrik Klemp.
Nach einem kurzen „Hello“ durch Moderator Simen setzt sich BAARD KOLSTAD ohne Umschweife ans Schlagzeug. Mit „The Sky Is Red“ geht es los; dieser Song ist einer der schwierigsten und schweißtreibensten aus dem Repertoire von Leprous. Kurzzeitig nimmt auch Simen ein Paar Sticks in die Hand und trommelt in den heißen Phasen mit. Der Rest des Songs wird inklusive Vocals als Backing Track abgespielt, aber der Schlagzeug-Sound steht klar im Vordergrund. Dieses Mal ist auch die Übertragungsqualität der Streaming-Plattform Munin in Ordnung und es gibt keine Aussetzer oder Verbindungszusammenbrüche. Die Klangqualität ist ebenfalls hervorragend. Während nun „From The Flame“ wie der Vorgänger mit Begleit-Backing-Track gespielt wird, wird es beim nächsten Song schon schwieriger, da der Gesang hier nicht zu hören ist. Es stellt sich heraus, dass es „Captive“ ist. Es geht weiter mit der Beantwortung der ersten Fragen, die die Fans eingeschickt haben. Und so wird zum Beispiel geklärt, welche Leprous-Songs am schwierigsten zu spielen sind und warum. Auch stellt Baard uns seinen allerersten Schlagzeug-Lehrer vor, denn dieser ist vor Ort und sitzt im handverlesenen Publikum.
Das anspruchsvolle „Illuminate“ folgt, bei dem die Drum-Sticks unabsichtlich durch die Gegend fliegen. Passend dazu beantwortet Baard im Anschluss Fragen zur Handhabung der Drumsticks und zu diversen Fingertechniken, die er dann auch anschaulich vorführt. Hierbei (und auch später am Abend) fällt auf, dass Baard fast ausschließlich zu Simen spricht und nicht in die Kamera zu den Zuschauern. Dies ist ein wenig schade. Eine direkte Kommunikation, die den Fans das Gefühl gibt, angeschaut zu werden, hätte den Abend sicher noch schöner gemacht. Die nächste Fragerunde ist sehr unterhaltsam: Von ernsten Fragen von Burnout bis hin zu Slapstick-Stories darüber, dass BAARD KOLSTAD nicht mal einen Staubsaugerbeutel ohne Hilfe wechseln kann, ist alles dabei. Man merkt, dass Simen und Baard ein gutes Team sind und sich gut ergänzen. Simen schlägt immer wieder die Brücke zu den Zuschauern und weiß, wann er Baard eine Frage besser erklären muss und wann nicht.
Nun geht es mit dem Song „Para“ von Baards zweiter Band Rendevouz Point weiter. Danach wird es noch einmal spannend, denn das Ergebnis des VIP-Coversong-Votings wird gespielt. Porcupine Trees Lied „Anesthtize“ hat das Rennen gemacht und lässt Baard im Anschluss schweißgebadet zurück, bevor er zum letzten Rundumschlag ausholt und „Forced Entry“ von Leprous spielt. Hiermit ist nach etwas mehr als anderthalb Stunden der normale Teil des Live-Streams beendet. Baard verabschiedet sich für zehn Minuten, bevor es mit der Zugabe für die VIPs weitergehen wird. Im neuen Outfit eröffnet BAARD KOLSTAD den VIP-Teil des Abends mit „By My Throne“. Das Ganze führt dann in eine wilde Freestyle-Session, in deren Anschluss er passenderweise über das Improvisieren erzählt, welches er bei Drum-Wettbewerben des Öfteren anwenden musste. Eine längere Phase des Fragen-Beantwortens ist an der Tagesordnung und wir bekommen zu hören, dass Baards Leben eigentlich wie in einem Film ist, weil er die unglaublichsten Sachen erlebt. Auch erzählt er, wie er zu Leprous kam, und legt uns die Band „Aspera“ ans Herz, in der sein Bandkollege Robin Ognedal gespielt hat.
Im Anschluss folgt der zweite Gewinner des VIP-Cover-Votings. Hier macht „The Dance Of Eternity“ von Dream Theater das Rennen. Im Anschluss erzählt Baards alter Schlagzeug-Lehrer von seiner ersten Unterrichtsstunde mit Baard. Hinterher gab er natürlich auch zum Besten, was er inzwischen von ihm hält. Nach weiteren Fragen folgt eine Vorführung von verschiedenen Techniken, bevor Baard die Hände gen Himmer zu einem Gebet erhebt, denn der nächste Track soll der anspruchsvollste des gesamten Streams werden, Meshuggas „Do Not Look Down“. Nachdem BAARD KOLSTAD auch dies mit Bravour gemeistert hatte und viel Applaus von den wenigen Anwesenden bekommt, folgt nochmals eine lange Frage- und Antwort- Session. Spontan lässt Simen danach die VIPs abstimmen, ob sie jetzt lieber „Moon“ oder „Distant Bells“ hören wollen. Da die VIPs tatsächlich 50/50 stimmen, haben die Anwesenden das letzte Wort und stimmen für „Moon“. So macht man einen Abend spannend, auch wenn eh geplant ist, den anderen Song noch zu spielen. Somit folgt noch das gefühlvolle „Distant Bells“.
Es ist schon weit nach 23 Uhr und die Fragen nehmen kein Ende. Baard gibt zu, dass alle unterschätzt haben, wie viele Fans VIP-Tickets kaufen würden. Host Simen überredet Baard im Anschluss, noch „Red“ zu spielen, bevor Baard komplett außer Puste nach ca. dreieinhalb Stunden den Abend beendet und sich mit Kusshand verabschiedet. Doch am Nachmittag des nächsten Tages gibt es eine letzte Überraschung, denn die Fans mit VIP-Ticket bekommen ein Video geschickt, in welchem BAARD KOLSTAD ausgeschlafen und gutgelaunt nochmals eine weitere halbe Stunde lang die restlichen Fragen der Fans beantwortet, die Simen ihm vorliest. Aber dann ist wirklich Schluss.
Für ca. 30 EUR vier Stunden lang unterhalten zu werden mit Musik, Charme und Hingabe, das zahlt sich aus. Der normale Stream ist zwei Tage lang nachträglich anzusehen, während der VIP-Stream eine knappe Woche online ist. So vertreiben Leprous wirklich gut die Zeit bis zur nächsten Tour, die hoffentlich ohne Restriktionen stattfinden kann.