„Analog klingt doch viel besser als digital … “ Nicht selten beginnt mit diesen Worten ein seit Generationen vorherrschender Streit unter Musikenthusiasten – und genauso lange gibt es keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Für den US-amerikanischen Autor und Musikfan Greg Milner Grund genug, sich etwas tiefergehender mit der Geschichte der Musikproduktion zu beschäftigen: So präsentiert er in seinem Buch „Perfecting Sound Forever: The Story Of Recorded Music“ interessante Fakten und Sichtweisen aus unterschiedlichen musikalischen und wissenschaftlichen Teilbereichen auf durchaus spannende Art und Weise. Übrigens ausschließlich in englischer Sprache, was zumindest solide Kenntnisse in selbiger voraussetzt.
Inwieweit haben die technische Entwicklungen unsere Hörgewohnheiten über Generationen geprägt? Warum werden klangliche Unzulänglichkeiten, die auf unzureichende technische Möglichkeiten der jeweiligen Zeit zurückzuführen sind, von uns positiv wahrgenommen, in gewisser Weise sogar romantisiert? Und warum ist das Bedürfnis nach analoger Wärme in unserer Gesellschaft umso größer, je schneller die Digitalisierung voranschreitet?
Die Reise, auf der Milner diesen Fragen auf den Grund gehen möchte, beginnt vor rund 120 Jahren mit Thomas Edisons ersten Tonaufnahmen auf Paraffinwachsrollen und führt über verschiedene Varianten der Tonbandaufzeichnung schließlich ins digitale Zeitalter, in dem Musik als Nullen und Einsen auf Festplatten gespeichert und so effizient wie möglich komprimiert werden – scheinbar ohne hörbare klangliche Einbußen. Da die alleinige Aufzählung der verschiedenen tontechnischen Evolutionsstufen in chronologisch richtiger Reihenfolge wohl ziemlich trocken daherkommen würde und nur für ein paar wenige Musik- und Techniknerds interessant wäre, belässt es Milner nicht dabei – sondern ergänzt seinen geschichtlich durchaus interessanten Technikdiskurs um andere, empirisch weniger gut messbare Details und Entwicklungen, die mit unserem täglichen Musikkonsum einhergehen.
Hier wäre zum Beispiel die Veränderungen in der Musikwahrnehmung zu nennen: Heutzutage erscheint es kaum vorstellbar, dass die Menschen im frühen neunzehnten Jahrhundert den Unterschied zwischen einer dünnen, verrauschten Analogaufnahme und einem live spielenden Orchester nicht erkennen konnten – schlicht und ergreifend deshalb, da das Testpublikum nie zuvor ein aufgenommenes Musikstück gehört hat und es ihm an jeglichem Maßstab fehlte. Ein anderes, ständig wiederkehrendes Thema ist die Lautstärke und Dynamik von Musik – sei es im Kontext des sogenannten Loudness Wars vor allem um die Jahrtausendwende oder im Interview mit Produzentenlegende und Laut-Leise-Fetischist Steve Albini (u. a. Neurosis, Sunn O))) und Nirvana). Aber auch beinahe philosophische Aspekte finden Berücksichtigung: Wie definiert sich der Begriff der perfekten Tonaufnahme? Was unterscheidet die künstlerische Facette des Recordings von der zum Zweck der möglichst unverfälschten Dokumentation für spätere Generationen? Wann hat aufgezeichnete Musik „Seele“ – oder droht diese zu verlieren?
Milner deckt in „Perfecting Sound Forever: The Story Of Recorded Music“ Zusammenhänge auf, die man auch als Laie ohne große Vorkenntnisse in einem der Teilbereiche verstehen kann – seien es (ton-)technische Aspekte, die psychologische Ebene der Musikwahrnehmung oder die wirtschaftspolitischen Interessen hinter verschiedenen Entwicklungen wie der CD. Die genannten Fragen werden damit zwar immer noch nicht eindeutig beantwortet, aber der Leser gewinnt jede Menge neuer und spannender Perspektiven auf die Thematik und ein Verständnis für die akustische Welt, in der wir leben. Absolut empfehlenswert.
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