Erbärmliches Catering, Shows vor nur drei zahlenden Gästen, lausige Unterkünfte … jeder, der mal mit einer Undergroundband unterwegs war, der Konzerte veranstaltet hat oder anderweitig in der Branche aktiv ist, hat Erlebnisse aus der Rubrik „Dabei sein war scheiße – aber dabei gewesen zu sein ist unvergesslich.“ In der drögen Corona-Zeit, die Konzerte generell ins Reich der Erinnerungen verbannt hat, sind solche Anekdoten wertvoller denn je. Das hat auch der Comiczeichner Andre Lux (Egon Forever!) erkannt und ihnen ein Heft gewidmet: „Für Spritgeld und Bier – Eure schlimmsten Bühnenstories“.
Dreh- und Angelpunkt des Projekts ist Kilian, der Backliner – eine Figur von Andre Lux, die in anrührender Weise versucht, den Flair des Tourlebens im „Homeoffice“ aufrechtzuerhalten: Er schleppt Equipment aus einem Mietvan in stinkende Keller, kocht sich selbst Catering („Entweder zerkochte Nudeln mit Tomatensoße oder lauwarmes vegetarisches Chilli“) und fährt mit dem Bus-Simulator die Strecke Saarbrücken-Hannover ab, macht Kassensturz in der Bandkasse („… und ein The Clash-Button“) und führt innerlich Dialoge mit „fiktiven Arschgeigen, die sich über den zu hohen Eintrittspreis beschweren“ … und das alles „einfach nur fürs Feeling“. Das ist verdammt witzig und zugleich verdammt bitter. Denn die Gags treffen nicht nur den Kern des Tourlebens, sondern auch mitten ins Herz: Es ist eine deprimierende Erkenntnis, dass einem mittlerweile selbst die Dinge fehlen, von denen man nie gedacht hätte, dass sie einem fehlen könnten. Von den Einnahmen für die Beschäftigten in der Branche gar nicht erst zu reden.
Aus der Miniserie um Kilian erwuchs die Idee, Leseranekdoten zu sammeln – tatsächlich überlässt Lux den Einsendern sogar den meisten Raum in „Für Spritgeld und Bier“: Neun Ein-Panel-Cartoons stehen 59 solche Erlebniserzählungen gegenüber. Ihre Länge variiert zwischen einem Satz und einer Seite, genauso stark variieren der Bekanntheitsgrad der Beitragenden (von „Ing Ferno“ bis „Ingo, Sänger der Donots“) und, so ehrlich muss man sein, der Fun-Faktor der Storys. Schade ist dabei vor allem eines: Backliner oder sonstige Techniker kommen fast gar nicht zu Wort – die Geschichte vom (meist natürlich fremdverschuldeten oder alkoholbedingten) Konzertdesaster aus der Sicht des Nachwuchs-Musikers bekommt man dafür in jeder denkbaren Version serviert. Was Kilian dazu wohl sagen würde?
So verstärkt sich leider mit jeder Story das Gefühl, dass mit einer etwas ausgiebigeren „Recherche“ (weitere Kommentare abwarten) und etwas strengerem „Aussieben“ ein deutlich wertigeres Produkt drin gewesen wäre. Die Wertigkeit ist auch in anderer Hinsicht ein Thema: Sicher, von einem Comiczeichner, der seine Werke gewollt bis ironisch schlampig auf einem Block Typ „mathematisches Papier“ verewigt, erwartet man kein Layout-Feuerwerk. Für 10 € (plus Porto) erinnert das 36-Seiten-Din-A5-Heft voller Beiträge in „Internet-Rechtschreibung“ aber selbst für ein DIY-Produkt zu sehr an eine Schülerzeitung. Immerhin: 50 % des nicht eben geringen Verkaufspreises gehen an das Bar- und Veranstaltungsteam vom Charlottenplatz Stuttgart.
„Für Spritgeld und Bier“ ist ein Projekt, dessen Sympathiewert leider deutlich über dem Unterhaltungswert liegt: Den Betroffenen der Krise eine Stimme zu geben ist ein ebenso ehrenwerter Ansatz wie die Spendenaktion – und doch ist das Ergebnis eher enttäuschend: So viel Lust das Vorwort macht, so lahm sind leider viele der Rumpelcombo-spielt-für-lau-einen-Gig-ohne-Publikum-Storys. Mit ein paar Cartoons mehr hätte man das vielleicht wettmachen können. In dieser Form jedoch wirkt „Für Spritgeld und Bier“ wie ein Schnellschuss – in Anbetracht der nicht enden wollenden Pandemie-Situation ist das fast wieder … ironisch.
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