Review Kauan – Ice Fleet

KAUAN sind das, was man einen Geheimtipp nennt. Den großen Durchbruch hat die russische Band bislang zwar noch nicht geschafft, ihre Hörerschaft und die Fachpresse wussten Mastermind Anton Belov und seine Mitmusiker*innen mit ihrer Kombination aus Doom Metal, Post-Rock, Ambient, Neoklassik und Folk jedoch stets zu begeistern. Auch konzeptionell machen viele ihrer Alben wie das den Djatlow-Pass-Vorfall skizzierende „Somi Nai“ (2015) einiges her. Das auf das sanftmütige „Kaiho“ (2017) folgende „Ice Fleet“ zeigt KAUAN nun in beiderlei Hinsicht von ihrer besten Seite: Nicht nur greift die Band darauf mit einem mysteriösen Schiffsfund an der Küste bei Tiksi in der UdSSR zu Beginn der 1930er Jahre erneut ein spannendes historisches Thema auf, die stilistische Rückkehr zu härteren Klängen spiegelt dieses auch musikalisch stimmig wider.

Dabei haben KAUAN freilich kein herkömmliches Metal-Album geschaffen. Vielmehr bilden die sieben Songs auf „Ice Fleet“ ein einziges, zusammenhängendes Musikstück, in dem sämtliche stilistischen Charakteristika der Band wie Meeresströmungen ineinanderfließen. In ihrem Aufbau gleicht die Platte dem Gang der Wellen, die einst die auf dem Artwork abgebildete Flotte umspielt haben müssen, ehe diese unter ungeklärten Umständen im Eis eingeschlossen wurde.

In den kühlen Ambient-Keyboardteppichen, träumerisch schwelgenden Clean-Gitarren, schwerelosen Gesängen und zarten, klassisch anmutenden Pianoarrangements, die wie Wassertropfen über die Songs gesprenkelt sind, meint man das ruhestiftende Bild der See zu Ebbezeiten zu erkennen („Enne“). Aus dieser erheben sich jedoch immer wieder mächtig getragene Gitarrenleads und Drums sowie stimmgewaltige Screams, die vereinzelt flutartig und intensiv anschwellen („Raivo“). Insgesamt überwiegen auf „Ice Fleet“ jedoch eindeutig die geradezu meditativen Ruhephasen.

Langweilig wird die gut 40 Minuten lange LP trotzdem zu keinem Zeitpunkt. Selbst in den minimalistischsten Teilen der Kompositionen steckt unglaublich viel Gefühl und Aussagekraft und immerzu gibt es kleine, die Szenerie zum Leben erweckende Details wie das hölzerne Knarren eines gefrorenen Schiffsrumpfs oder ein wellenartiges Rauschen zu bestaunen. Abgerundet wird das Klangbild von der glasklaren, ausgefeilten Produktion, die es ermöglicht, vollends in die von KAUAN vertonte Unterwasserwelt einzutauchen.

Ob KAUAN hiermit den Sprung aus dem Underground schaffen oder doch wie die Schiffe vor der Küste Tiksis im Eis verschollen bleiben, lässt sich nicht so leicht einschätzen. Schließlich wartet die Band – abgesehen von dem zusätzlich zu dem Album veröffentlichten Tabletop-RPG – weder mit aufmerksamkeitsheischenden Gimmicks noch mit für Streaming-Playlists geeigneten Singles auf. Wer das Album-Format jedoch noch nicht für gestorben erachtet, wird derzeit kaum ein schlüssigeres und beeindruckenderes Exemplar dieser etwas aus der Mode gekommenen Klangkunstform als „Ice Fleet“ finden.

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Wertung: 8.5 / 10

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