Interview mit J.J. von Harakiri For The Sky

Mit „Mære“ haben HARAKIRI FOR THE SKY ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Album veröffentlicht. Obwohl die österreichischen Post-Black-Metaller ihren bekannten Stil darauf beibehalten haben, tut die Platte sich in ihrer Diskografie vor allem durch die Beiträge namhafter Gastmusiker und seine opulente Spielzeit von 84 Minuten hervor. Wie die Band durch ihre Gutgläubigkeit im Vorfeld einen Shitstorm auf sich zog, was das gleichnamige Fabelwesen inhaltlich mit „Mære“ zu tun hat und weshalb HARAKIRI FOR THE SKY aus Prinzip keine Black-Metal-Songs covern, erklärte uns Frontmann J.J. im folgenden Interview.

Der Release eures neuen Albums „Mære“ wurde ein wenig verschoben, allerdings nicht mangels Konzertmöglichkeit, sondern wegen Produktionsverzögerungen. War es deiner Meinung nach die richtige Entscheidung, das Album zeitnah herauszubringen, obwohl ihr aktuell nicht auf Tour gehen könnt?
Ja, weil irgendwann ist diese Geschichte einfach durch. Es wird auch im Mai keine Tourneen geben, deshalb bleibt einem irgendwann einfach nichts anderes mehr übrig, als das Album so raus zu bringen. Vor allem ist das Album jetzt schon fast ein Jahr fertig, da will man das einfach endlich unter die Leute bringen.

Wie kommt ihr ansonsten mit der vor allem für Künstler schwierigen Situation zurecht?
Ja, es geht schon irgendwie. Man mogelt sich so durch. Scheiße ist halt, dass man die ganze Freizeit auch nicht wirklich sinnvoll nutzen kann. Ich hätte mir schon länger ein paar tourfreie Monate gewünscht, um alleine zu reisen oder alte Freunde zu treffen. Aber das geht ja alles nicht. Und finanziell, hält man sich halt mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wenn du das meinst.

Laut den Metal-Archiven leitet der Titel „Mære“ sich von einer Figur aus der Folklore ab, die mit Schlafstörungen in Verbindung gebracht wird. Ich gehe davon aus, dass es sich dabei um den Nachtmahr handelt. In welchem Bezug steht der Titel zu euren abermals sehr persönlichen Songtexten?
Eigentlich genau in dem. Auch die Geschichten, die ich in unseren Songs erzähle, sitzen des Nachts auf meiner Brust bzw. meinem Herzen und versuchen, mich zu ersticken, geschweige denn lassen sie mich schlafen. Deshalb fanden wir „Mære“ eine treffende Metapher für das Ganze.

Mit einer Laufzeit von 84 Minuten ist „Mære“ eure bislang längste Platte. Wie kommt es, dass ihr diesmal so viel neues Material zusammengetragen habt?
Ich glaube, das ist einfach Zufall, wir hatten einfach viel Output und haben lange an den Songs gefeilt. Textlich bin ich sowieso täglich am Werken, weshalb da natürlich dann auch einiges zusammenkommt. Post-Rock-Songs haben es aber eben einfach an sich, dass sie sehr langatmig sind und so ist es eben auch bei HARAKIRI FOR THE SKY.

Für den Fluss eines Albums ist mehr nicht automatisch immer besser. War es diesmal schwieriger, die Platte schlüssig zu halten und Filler zu vermeiden?
Ich finde eigentlich nicht, da sich die Songs untereinander stark unterscheiden. Zumindest ist das meine Meinung. Aber für ein Album wie „Mære“ sollte man sich definitiv Zeit nehmen, ist halt keine Hintergrundmusik.

Anstatt waghalsige Experimente zu veranstalten, habt ihr auf dem Album erneut euren gewohnten Stil beibehalten. Hattest du bislang nie den Drang, eure Musik einmal komplett auf den Kopf zu stellen?
Eigentlich nicht, obwohl wir in Zukunft sicher einige mehr Experimente wagen werden, aber das steht noch in den Sternen. Zur Zeit haben wir noch nicht an neuem Material gearbeitet, deswegen kann ich noch nicht allzu viel dazu sagen.

Wie schon auf einigen eurer früheren Alben ist auch diesmal ein Coversong Teil der Tracklist. Was reizt euch daran, Neuinterpretationen der Songs anderer Künstler in eure Veröffentlichungen zu integrieren? Und was verbindest du gerade mit Placebos „Song To Say Goodbye“?
Ja, wir machen gerne Coverversionen von unseren Lieblingssongs, so auch bei „Song To Say Goodbye“. Der Song hat mich in dem Sommer, in dem ich bei meinen Eltern auszog, ziemlich beeinflusst und ich liebe ihn auch heute noch. Matthias ist sowieso ein riesen Placebo-Fan. Und ja, wir finden es langweilig, als Black-Metal-Band Black-Metal-Nummern zu covern, weshalb es meist was Grunge-iges oder Indie-mäßiges wird. Das hat mehr Reiz.

Was an „Mære“ besonders auffällt, sind die Gastbeiträge. Während Neige (Alcest) eine bekannte Persönlichkeit der Szene ist und nicht selten mit anderen Bands zusammenarbeitet, sind Gaerea erst vor kurzem in den Fokus gerückt. Wie kam es zu diesen Features – insbesondere letzterem?
Neige versteht sich recht gut mit Matthias und die beiden schicken sich oft via Facebook Musik hin und her, die andere Leute nur selten hören, Liebhaber eben. Und in einer biergeschwängerten Nacht haben wir ihn einfach gefragt, ob er mitmachen möchte, und er hat sofort ja gesagt. Rouven von Gaerea kennt Matthias von diversen Portugalreisen. Und Gaerea ist ja auch eine großartige Band. Rouven mag ich besonders, da er wie ich ein Hardcore-Kid ist, das vor allem auf Bands wie Converge und Konsorten steht, wie ich eben auch. Beide haben auch ziemlich gut abgeliefert bei ihren Tracks muss ich sagen…

Außerdem hätte noch eine weitere, allerdings äußerst streitbare Gastmusikerin auf dem Album vertreten sein sollen. Nun sind Gastbeiträge in der Regel sehr bewusste Entscheidungen, bei denen man sich aus einem bestimmten Grund für einen Gast entscheidet. Warum ausgerechnet sie?
Ja, das ist schnell erklärt. Wir wollten auf „Mære“ eine Art Amesoeurs-Revival starten. Das ist alles. Sie hat uns versichert, sie ist weg von dem rechten Deppen und wir haben ihr geglaubt. Viel mehr will ich dazu gar nicht sagen, wir waren einfach zu naiv und dumm, was wir ziemlich bereuen. Sehr ausgiebig habe ich mich, was dieses Thema betrifft, mit dem Decibel und dem SLAM Alternative Music Magazine unterhalten, wer die ganze Geschichte hören will.

Sie ist ja nicht in irgendeiner Grauzonenband, sondern eine der wirklich „toxischen Personen“ aus einer bekanntermaßen problematischen Band. Der Shitstorm und der Druck vom Label, die auf die Ankündigung folgten, waren also vorprogrammiert. Unabhängig davon, ob man diese Reaktion nachvollzieht oder gutheißt, habt ihr das Risiko, dass das euren Ruf ruinieren könnte, billigend in Kauf genommen. Warum?
Nein, wie gesagt, sie hat uns erklärt, dass sie mit dieser Szene nichts mehr am Hut haben will, und wie es sich für Leute wie uns, die Resozialisierung solcher Leute befürworten, gehört, weil sie sonst erst recht wieder zu ihren alten Kumpels zurücklaufen, wollten wir ihr eine zweite Chance geben, damit sie neu anfangen kann. Dass sie nicht wirklich weg ist von dem Ganzen, haben wir leider erst am Tag der Ankündigung erfahren, weshalb wir dann die Notbremse gezogen haben und gleich danach gekickt haben.

Schlussendlich habt ihr den Gastbeitrag gestrichen. Habt ihr die Möglichkeit in Erwähnung gezogen, den Part von einer anderen Künstlerin einsingen zu lassen?
Ja, wir hatten etwa an Kathrine Shepard gedacht, deren Band witzigerweise auch Sylvaine heißt und die die Freundin von Neige ist. Alles in allem war uns das Ganze dann aber einfach zu knapp, weil die Platte einfach ins Presswerk musste. Blöd gelaufen, die ganze Geschichte. Das hadert nach wie vor alles sehr an uns.

Die von eurem Album gestrichene Gastsängerin hat anschließend Screenshots eurer Absage an sie geteilt, die auf Reddit gelandet sind. So diese authentisch sind, wirkt der Verfasser zerknirscht, aber nicht so, als stünde er hinter der Absage. Seht ihr also nach wie vor nichts Falsches daran, sie eingeladen zu haben?
Es ist witzig, dass diese Frage immer wieder kommt. Wenn man jemanden vom Album kickt, und sei er noch so ein scheiß Nazi, schreibt man nicht: Hey, du dumme Nazi-Fotze, warum hast du uns ins Gesicht gelogen, du Stück Scheiße? Nein, wir sind in keiner Kindergarten-Band, sondern machen das ganze professionell, weshalb natürlich auch diese sinnlose Message, die sie geleakt hat, sehr diplomatisch formuliert war. Natürlich auch, um Schadensbegrenzung zu ziehen, damit die Alte nicht komplett ausrastet, was sie dann ja sowieso getan hat. Wie du selbst sagst, eine toxische Person, da passte dann am Ende alles zusammen. Nur so hatten wir sie anfangs nicht eingeschätzt, nachdem sie uns beteuert hat, von der NS-Szene weg zu wollen.

Für Mitte Mai habt ihr eine Release-Show geplant. Wie wahrscheinlich ist es deiner Meinung nach aus jetziger Sicht, dass das Konzert auch wirklich stattfinden können wird?
Ich sage mal 50:50, mit gewissen Auflagen. Wenn es stattfindet, dann wahrscheinlich in dem Rahmen, das wir zweimal hintereinander vor jeweils 100 Leuten spielen. Anders wird das nicht möglich sein, denke ich.

Ansonsten sind Konzerte oder gar Touren vorerst weiterhin praktisch kein Thema. Wie werdet ihr die nächste Zeit stattdessen verbringen?
Frag mich was Leichteres. Ich schreibe gerade ein Buch, ich hoffe, das wird was und im Sommer läuft wieder alles etwas besser und die Bars sperren endlich wieder auf. Auch hoffe ich darauf, bald geimpft zu werden, damit zumindest annähernd ein Stück Normalität in unsere Leben zurückkehrt.

Sind Streamshows für euch eventuell als Alterative zu Liveshows ein Thema?
Wir haben sowas sogar schon aufgenommen, keine Ahnung warum das noch immer nicht online ist.

Vielen Dank für das Interview. Zum Abschluss unser traditionelles Brainstorming – was kommt dir zu folgenden Begriffen als erstes in den Sinn?
Sagengeschichten: Ganz unterhaltsam, aber nichts, wo ich nen Song drüber schreiben würde.
Black Metal im Jahr 2021: Super fortschrittlich und nimmer müde, durch Kreuzungen mit anderen Spielarten unglaublich interessante Platten hervorzubringen.
Parasoziale Beziehungen: Sollten einen höheren Stellenwert haben.
Zufriedenheit: Bezüglich Band: Yeahy // Bezüglich persönlichem Leben: Mäh
Das Erste, was du nach dem Lockdown machen wirst: Mich in einer Bar besaufen.
HARAKIRI FOR THE SKY in zehn Jahren: Nicht mehr existent, alle tot oder in der Irrenanstalt, bis auf den Drummer.

Danke nochmals für deine Zeit und Antworten. Die letzten Worte gehören dir:
Danke für das Interview! Stay Gold, JJ

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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