Review Sperling – Zweifel

(Post-Hardcore / Rap / Rock) Spätestens mit Caspers zweitem Album „XOXO“ hat der Einfluss von Indie Rock und einer gewissen Hardcore-Attitüde Einzug in die deutschsprachige Rapmusik erhalten. Auch in die andere Richtung hat sich Sprechgesang in der Rockmusik der letzten Jahre etabliert, ohne dass es ein direktes Crossover- oder Nu-Metal-Revival gegeben hätte. Es ist daher wohl kein Zufall, dass sich 2014 fünf junge Musiker zusammengefunden und die Band SPERLING gegründet haben (damals noch unter dem Namen „Indianageflüster“, den die Band mittlerweile zu Recht verworfen hat). Sowohl der Titel ihres Debütalbums „Zweifel“ als auch der Bandname SPERLING passen perfekt, geht es doch textlich wie musikalisch nachdenklich und melancholisch, nie aber hoffnungslos zu. Entsprechend dominiert auf „Zweifel“ die Charakteristik des Sperlings, der im Winter nicht in wärmere Gefilde zieht, sondern wartet, bis es wieder wärmer wird.

Musikalisch sind SPERLING auf „Zweifel“ im Post-Hardcore und Post-Rock angesiedelt, wobei das Einbeziehen eines Cellos ihrem Sound einen markanten Aspekt verleiht. Hierdurch weckt die Band Erinnerungen an melodische Crustpunk-Bands wie Morrow oder Exulansis, obwohl sie sich auf Albumlänge durchgehend im Midtempo bewegt. Wuchtige Riffs wechseln sich mit filigranen Gitarren ab, immer wieder tritt in ruhigen Momenten das Cello in den Vordergrund und über allem liegt viel Hall. Johannes’ Sprechgesang ist leicht angeraut und erinnert klanglich stark an den bereits erwähnten Casper, während sein Flow Anleihen von Kraftklub-Frontmann Felix Kummer nimmt. Die Varianz in seiner Stimme ist über das ganze Album nicht riesig, in feinen Nuancen allerdings durchweg überzeugend.

Was SPERLING auf „Zweifel“ stellenweise an Abwechslungsreichtum missen lassen, machen sie durch eine intensive Dynamik im Songwriting wieder wett. In manchen Momenten irritiert es, dass einige Songs etwas zerfasert wirken. Die Band setzt allerdings bewusst auf Skizzenhaftes und abrupte Brüche, was sich über die gesamte Länge des Albums zeigt. Das können sowohl Kontraste in der Lautstärke sein, wie im durchgängigen Crescendo und epischen Finale von „Baumhaus“, oder plötzliche und überraschende Songenden, wie in „Stille“. Durch eine mit viel Hall angereicherte und gleichzeitig enorm druckvolle Produktion bringen SPERLING diese Intensität auf „Zweifel“ punktgenau zur Geltung. Lediglich „Mond“ gerät letztendlich etwas zu handzahm, auch wenn ein ruhiger Punkt zum Durchatmen auf „Zweifel“ gut tut.

Textlich behandeln SPERLING, wie es der Albumtitel vermuten lässt, Themen wie Liebe und schmerzhafte Erinnerungen, widmen sich aber auch politischen Themen, wie im Albumhighlight „Laut“. Im emotionalen Albumcloser „Schlaflied“ verarbeitet Sänger Johannes seine Erfahrungen in der Altenpflege und singt über den Tod und den Weg derjenigen, die an der Seite Sterbender bleiben. Diese Schwere dominiert „Zweifel“ auf textlicher Ebene und ergänzt die musikalische Seite absolut harmonisch. Trotz der vielen unterschiedlichen Einflüsse klingen SPERLING zu keiner Sekunde künstlich oder gezwungen.

Dass das Artwork von „Zweifel“ eine gewisse Ähnlichkeit zu Jonas Lüschers Buch „Kraft“ aufweist, das sich inhaltlich ebenso mit Selbstzweifeln und Ich-Findungen beschäftigt, ist vermutlich Zufall – allerdings ein passender. Als Gesamtkonzept weisen SPERLING die Erfahrung einer Band auf, die schon lange Musik macht und sich zu allen Aspekten ihrer Musik und deren „Verpackung“ Gedanken gemacht hat. Dabei sitzen nicht alle Handgriffe, was in Anbetracht der hohen Qualität von „Zweifel“ allerdings mehr als verschmerzbar ist.

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Wertung: 8 / 10

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