Es ist immer wieder erstaunlich, welche visionären Projekte die französische Black-Metal-Szene hervorbringt. Ob man nun in die obskuren, surrealen Industrial-Klangwelten von Blut Aus Nord eintaucht oder Alcest auf ihren Astralreisen durch leuchtend helle Blackgaze-Sphären begleitet – musikalische Offenbarungen bietet die Heimat des Chansons im extremen Musiksektor en masse. Ein solches Kleinod für Ohren und Geist haben unlängst auch die Newcomer VOUS AUTRES mit ihrem bereits ein Jahr nach ihrem Debüt „Champ Du Sang“ (2019) erschienen Album „Sel De Pierre“ in die Welt gesetzt. Eine gewisse Nähe zu den erwähnten Blut Aus Nord ist dem Duo zwar nachzusagen, dennoch warten VOUS AUTRES auf der knapp 40 Minuten langen Platte mit allerlei spannenden eigenen Ideen auf.
Wie ihre kryptischen Kollegen bei Debemur Morti Productions spielen VOUS AUTRES ihren Black Metal überwiegend im getragenen Tempo, mit einer monumentalen Schwere und einem betont modernen Zugang. Zäh wie eine überlastete Gerätschaft schleppen Gitarren und Schlagzeug sich voran, bäumen sich brachial polternd auf und vermitteln mit ihrer schier unaufhaltsamen Wucht das Bild eines mechanischen Molochs („Onde“).
Mitunter dringt aber auch kaltes Licht durch die Windungen dieser monströsen Maschinerie. In diesen Momenten lassen VOUS AUTRES stimmungsvoll perlende Clean-Gitarren („In Humus“) und lieblich schwebende Tremolo-Melodien („Vesuve“) erklingen. Auch der heisere, von Schmerz zeugende Schreigesang, der in „Vesuve“ von Déluge-Fronter Maxime Febvets gewaltvoll hervorgepressten Screams übertönt wird, erhält in „In Humus“ einen interessanten Gegenpol in Form von RSTDs unnahbaren, hypnotischen Clean-Vocals.
Was „Sel De Pierre“ zu solch einem außergewöhnlichen und den Puls der Zeit einfangenden Album macht, sind allerdings die unaufdringlichen und doch einen Kernaspekt der Musik ausmachenden elektronischen Elemente. Sowohl die immer wieder an die Stelle des organischen Schlagzeugs tretenden, schnittigen Beats als auch die betrüblichen, atmosphärischen Synthesizer, die in „Ecueil“ sogar im Zentrum des Geschehens stehen, sowie die metallisch scharrenden und röhrenden Geräusche geben den Songs einen essenziell urbanen Charakter. Umso eindringlicher ist die Art und Weise, auf die VOUS AUTRES das Album ausklingen lassen: Im Outro „Nitre“ erschaffen die Franzosen inmitten ihrer unwirtlichen Zivilisationsödnis urplötzlich mit friedlichen Synthesizerklängen und Vogelgezwitscher eine Oase der Ruhe.
Sich als Neuling in einer so bahnbrechenden Musiklandschaft wie jener Frankreichs zu behaupten, ist gewiss kein leichtes Unterfangen. Ihren Platz im Roster von Season Of Mist haben VOUS AUTRES sich mit „Sel De Pierre“ jedoch ohne jeden Zweifel verdient. Massiv, klaustrophobisch und doch zum Teil beinahe schwerelos, weder altbacken noch realitätsfern futuristisch – das zweite Album der Band zeigt auf beeindruckende Weise, wie Black Metal mit Gespür für den Zeitgeist zu klingen hat. Besonders eingängig ist „Sel De Pierre“ zwar nicht und es mag mitunter auch ein wenig eintönig wirken. Nichtsdestotrotz hinterlassen VOUS AUTRES damit einen bleibenden Eindruck, der jetzt schon neugierig auf die hoffentlich bald nachfolgende Veröffentlichung macht.
Wertung: 8 / 10