Review Tim Hackemack – Hit The Stage

Wer im Corona-Winter ein Buch übers Touren, über Live-Konzerte und den ganzen Trubel drumherum veröffentlicht, hat kein Herz oder kein Hirn. Oder aber: von beidem sehr viel. Denn kann es – nach dem ersten Stich im Herzen – in dieser konzertlosen Zeit etwas Schöneres geben, als wieder einzutauchen in jene verrückte Welt zwischen Get In und Curfew?

Tim Hackemack, bereits als Autor mehrerer Bücher über Punk-Rock und dessen Subkultur in Erscheinung getreten, nimmt seine Leser in „Hit The Stage“ genau dorthin mit: Mit über 1000 in Hochglanz gedruckten Farbfotos enthält das Buch nicht nur massenweise lebendige Eindrücke von den Minuten zwischen Intro und Zugabe. Vielmehr lässt Hackemack in 30 Interviews mit Musikern aus dem Punk-/Hardcore-Bereich auch den Tour-Alltag abseits der Bühne lebendig werden.

Wie alles, was mit Kultur zu tun hat, wurde auch „Hit The Stage“ von der Corona-Pandemie überrollt – sodass Tim Hackemack an mancher Stelle improvisieren und etwa auch auf Fotos befreundeter Fotografen zurückgreifen. „Hit The Stage“ hat darunter nicht spürbar gelitten. Vom Hirnkost-Verlag in gleich vier Varianten (Agnostic Front, Discharge, Dritte Wahl oder Razors zieren das jeweilige Titelbild – ich empfehle die pinke Discharge-Edition) verlegt und durchgängig zweisprachig Deutsch/Englisch gehalten, ist „Hit The Stage“ wohl rein zufällig das Buch der Stunde.

Tim Hackemacks Fragen decken das ganze Spektrum des Band-seins ab – von der fast schon obligatorischen Frage „Kannst du mit der Band Geld verdienen“ (Spoiler: können die wenigsten) bis zu persönlichen Tricks zum Zeit-totschlagen auf Tour oder den besten und schlimmsten Erfahrungen „on the road“. Das mag nicht außerordentlich originell sein, und manchmal hätte man sich die eine oder andere Nachfrage gewünscht – etwa, zu erfahren, welchen Job der Sänger von Discharge denn nun in seinem „bürgerlichen Leben“ zwei Tage die Woche ausübt. Im großen und ganzen liefern die 30 Texte aber ein stimmiges – wie auch kurzweiliges – Bild über die Arbeit im Live-Business. Etwas schade (und auch eher unüblich) ist, dass bei den Band-Interviews nicht immer ersichtlich ist, wer welcher Musiker geantwortet hat Gerade die Aussagen zu persönlichen Ansichten und Lebensweisen verlieren so natürlich an Informationsgehalt.

Besonders spannend ist „Hit The Stage“ dafür, wenn Leute zur Sprache kommen, die ansonsten nicht auf, sondern hinter der Bühne arbeiten: Ole vom Tour-Catering-Unternehmen Rote Gourmet Fraktion etwa, Marc von M.A.D. Tour Booking, oder je einen Stellvertreter all der anderen Beteiligten am Tourzirkus: Stagehands, Mercher, Tourmanager, Fotografen oder Clubbesitzer. Oder ein TV Smith, der seit nunmehr 44 Jahren auf Tour ist und entsprechend viel erlebt hat …

„Jeden Tag finden irgendwo Konzerte statt, man muss nur hinfahren“, schreibt Tim Hackemack im Vorwort von „Hit The Stage“. Ein schmerzhafter Satz, wenn man ihn im Lockdown-Dezember mitten in einer Pandemie liest: Er wirkt, als stamme er aus einer komplett anderen Epoche. Doch genau das ist die Stärke von „Hit The Stage“: Es führt uns vor Augen, wie viel mehr Konzerte waren (sein weren) als bloß jene Minuten der großen Show: Brot- und Knochenjob, Lebensinhalt und Leidenschaft. All das werden Konzerte wieder sein – bis dahin sollten wir die Erinnerung wach halten. „Hit The Stage“ trägt gerade jetzt seinen Teil dazu bei.

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