Interview mit Martin van Drunen von Asphyx (Teil 1/2)

Mit „Necroceros“ veröffentlichen ASPHYX 2021 im 30 Jahr ihrer Karriere ihr nunmehr zehntes Studialbum. Grund genug, mit Fronter Martin van Drunen zu sprechen. Und wie immer, wenn man mit van Drunen spricht, kommt man schnell vom einen zum anderen – und hat am Ende zwei Interviews. In Teil 1 geht es um Produzentenwechsel und Planetenfresser, Rhinozerosse und „Necroceros“, Streamshows und gezwungenermaßen auch das derzeit alles beherrschende Thema: Corona.

In unserem letzten Interview meintest du: Metal war für mich immer in erster Linie Live-Musik.“ Hat sich für dich daran im konzertlosen Jahr 2020 – gezwungenermaßen – geändert?
Ne, überhaupt nicht. Unser Glück war, dass wir wenigstens drei Corona-Shows in Deutschland spielen konnten, das hat diese Monotonie durchbrochen. Sonst hätten wir seit März nicht mehr live gespielt. Das hat uns wieder etwas aufgeputscht und uns Energie gegeben. Aber nein, ich bin immer noch der Meinung: Metal ist Live-Musik. Das gehört auf eine Bühne, da muss abgegangen werden. Punkt. Sonst mach Rap oder keine Ahnung was …

Stehst du demnach auch lieber auf der Bühne als im Studio?
Nicht unbedingt, aber wir freuen uns riesig, wenn wir uns auf der Bühne sehen. Da sind wir Jungs untereinander, da sind wir spontan und machen witzige Dinge … und natürlich ist immer ein Bierchen dabei. Ich sags mal so: Auf einer Bühne kann man wilder abgehen als im Studio. Da muss man mehr aufpassen, dass man nicht irgendwas zerstört. Auf der Bühne hast du einfach mehr Platz! (lacht)

„Wenn uns ein stinkreicher Chinese
eine Million Dollar überweisen will: gerne!“

Im Januar veranstaltet ihr eine Gratis-Streamshow. Andere Bands verlangen dafür Geld – warum ihr nicht?
Soweit ich weiß, ist das so ein „Free Donation“-Modell. Wer etwas bezahlen möchte, kann das natürlich tun. Wir haben hier und da ja auch Unkosten. Aber gemacht haben wir das, weil wir uns bewusst sind, dass das ein weltweites Angebot ist und dass viele Leute einfach nicht zehn, fünfzehn … oder auch nur fünf Euro bezahlen können. Frag du mal einen jungen Metalhead, der irgendwo im Ghetto von Buenos Aires lebt, ob er fünf Euro hat. Seine Mutter braucht die vermutlich, um davon das Essen für zwei Wochen zu kaufen. Wir wollten den Leuten, die überhaupt kein Geld haben, die Chance geben, das auch zu sehen … einen alten Laptop oder ein altes Smartphone haben heute ja die meisten. Ich bin einfach gespannt, ob das funktionieren wird. Und klar, wenn uns ein stinkreicher Chinese eine Million Dollar überweisen will: gerne! Bezahl meine Miete! Ich sag nicht nein! (lacht)

Die Meinungen über Streamshows gehen auch unter Musikern auseinander – hat euch das Konzept für ASPHYX direkt überzeugt?
Ehrlich gesagt war das ein großer Diskussionspunkt in der Band. Erst mal haben wir alle gesagt: ASPHYX ohne Publikum ist nichts, das ist keine Show. Aber es wird ja momentan alles nur schlimmer mit Corona. Wie die Situation in Deutschland aussieht, weißt du ja, und bei uns [in den Niederlanden – Anm. d. Red.] wird es gerade auch nur schlimmer. Also war klar, dass wir eine Releaseshow vergessen können – und die ist eigentlich eine Tradition bei uns. Also haben wir uns darauf geeinigt, dass wir einfach eine tolle Bandprobe daraus machen: zusammen Spaß haben, die neuen Songs zocken. Einfach unter uns, aber eben mit Kameras.

ASPHYX live auf dem Dark Easter Metal Meeting 2017; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

„Ich weiß gar nicht, was ein Streaming eigentlich ist …“

Du hast gerade schon das „Abgehen“ auf der Bühne angesprochen – was erwartest du dir vom Performen vor Kameras statt Fans?
Es wird auf jeden Fall sehr komisch. Andererseits dachten wir das auch von diesen Corona-Shows, bei denen das Publikum sitzen musste. Da dachten wir auch, dass das nichts wird … aber die Leute sind auf ihren Sitzen komplett ausgerastet, das war viel besser als erwartet. Ob die Leute eine Streamshow geil finden oder nicht, werden die Reaktionen hinterher zeigen. Aber das Metropool ist ein toller Laden, wir kennen die Crew, es ist eine sehr schöne Bühne und wir bereiten uns echt gut drauf vor. Wir werden auf jeden Fall Spaß haben. Aber was ich erwarten soll … es ist auf jeden Fall wie die Corona-Shows eine Herausforderung, der man sich vielleicht nie wieder stellen muss. Dann kann man wenigstens sagen: Wir haben das mal gemacht. Und wenn es uns nicht gefallen hat, war es eben das erste und letzte Mal.

Hast du dir schon Streamshows von anderen Bands angeschaut? Fühlst du dich davon als Fan unterhalten?
Nein … das hat mich nicht wirklich interessiert. Ich sitze momentan den ganzen Tag hinter dem verdammten Laptop, ich fühle mich schon fast wie ein Büroangestellter. Scheiße, Mann, ich bin Metalhead! Ich bin kein Bürohengst, ich gehöre auf eine Bühne! Und dann soll ich mir jetzt Abends auch noch eine Streamshow anschauen? Ne Mann, da hab ich keinen Bock drauf. Da mach ich mich lieber auf dem Sofa lang und schau ein blödes Fussballspiel. Das lenkt ab, da muss man auch nicht nachdenken. Aber nichts gegen Streamshows, das kann auch gut rüberkommen, keine Ahnung. (lacht) Ist vielleicht auch gut so: Jetzt bin ich da noch blanko im Kopf. Ich weiß gar nicht, was ein Streaming eigentlich ist … (lacht)


Welche Streamshows aktuell anstehen, erfahrt ihr in unserer Vorschau „Live-Konzerte im Stream“:


„Ich bin verdammt noch mal keine Firma,
das möchte ich einfach nicht“

Soweit ich weiß, lebst du von ASPHYX – darf ich dich fragen, wie es dir als Musiker in der Krise geht, wo in der Branche ja eigentlich nur noch mit Konzertgagen Geld verdient wird? Bekommt ihr in den Niederlanden da als Musiker staatliche Unterstützung?
Also die drei anderen haben ja ihre Jobs. Aber ich leide jetzt natürlich richtig unter der Situation. Alles, was ich mir auf dem Konto zur Seite gelegt hatte, geht jetzt weg. Aber nicht zuletzt, weil da noch was ist, bekomme ich keinen Zuschuss. Zum anderen liegt es daran, dass ich mich weigere, mich als Selbstständiger für die niederländischen Behörden als Betrieb anzumelden. Ich bin verdammt noch mal keine Firma, das möchte ich einfach nicht. Deswegen sagen die: Du musst erst eine Art Firma sein, damit du überhaupt ein Recht auf Zuschüsse hast. Also bekomme ich gar nichts. Es ist ein Glücksfall, dass ich wenigstens ein bisschen was auf der Seite hatte. Aber die Kacke ist, dass ich damit eigentlich meine Zähne reparieren lassen wollte. Das kann ich jetzt vergessen … hoffentlich fallen mir da die letzten nicht nächstes Jahr noch aus! (lacht) Vielleicht muss ich dann irgendwann mal so eine Art Crowd-Funding machen oder sowas … (lacht)

Noch lachen wir, aber es ist ja wirklich ein bitteres Thema. Zumindest in Deutschland ist bei den Leuten im Kulturbetrieb wenig Hilfe angekommen …
Ja, das ist trist. Da wird vergessen, wie groß und wichtig diese Branche ist. Man sollte auch nicht vergessen, wie viele Leute nach ihrer Arbeit eine Art von Entspannung brauchen … ob dafür jetzt wir sorgen, als Metal-Subkultur, oder das Theater oder wer auch immer. Da gibt es jetzt gar nichts. Ich finde wirklich, dass die Politik da viel zu wenig für tut. Nachher heißt es vermutlich: „Ja, jetzt könnt ihr wieder!“ Aber vielleicht ist dann keiner mehr da. Wir sind eigentlich die Letzten, zuerst wird die Wirtschaft gerettet. Als ob unsere Branche nicht ein ganzes Business für sich wäre: die ganzen Festivals, die Clubs, die PA-Vermietung, Busvermietung, der ganze Scheiß … das ist ein Millionengeschäft. Und da geht jetzt gar nichts mehr.

Asphyx 2020: Martin van Drunen, Stefan „Husky“ Hüskens, Paul Baayens, Alwin Zuur (v. l) – Pressebild

Genug der betrüblichen Themen, lass uns über etwas Fröhlicheres reden: Death Metal!
Yeah! (lacht)

„Er weiß: Wenn Martin das geil findet,
ist es das meistens auch.“

Im Vorfeld hattest du gesagt, dass euch „sehr wohl bewusst“ war, dass das Niveau des Materials nach den letzten drei Alben „unglaublich hoch“ sein müsse – zumal es auch noch das zehnte ASPHYX-Album ist. Habt ihr tatsächlich mehr Druck empfunden als sonst?
Unterbewusster Druck war natürlich da. Wir möchten uns natürlich steigern, aber das wird ja immer schwerer, wenn du deine Alben immer weiter verbesserst. In dem Sinne haben wir das bei uns selbst gespürt, ja – aber nicht von außen. Die Anforderungen liegen einfach sehr hoch … aber das wissen wir selbst. Paul würde etwa nie mit einem Scheißriff kommen, von dem er weiß, dass das nichts ist. Das würde er gar nicht erst rumschicken. Und wenn er mal an etwas zweifelt, schickt er es erst mal mir. Weil er weiß: Wenn Martin das geil findet, ist es das meistens auch.

Wie habt ihr dann etwas noch besseres als sonst aus euch herausgekitzelt? Seid ihr das Album irgendwie anders angegangen?
Nein, das eigentlich nicht. Was sich verbessert hat, ist, dass wir wieder ein festes Line-up haben. Das ist bei ASPHYX echt eine Seltenheit … zum ersten Mal seit Gott weiß wie lange sind zwei Alben in der gleichen Besetzung entstanden. Das konnte ich tatsächlich im Studio spüren, wenn die Jungs gezockt haben: Die Chemie untereinander war so phantastisch, weil sie so gut aufeinander eingestimmt sind. Ich denke, das ist ein wirklicher Bonus im Vergleich zu allen anderen Scheiben. Es haben auch alle den Mut, zu sagen: „Ich hab hier eine Idee, sollen wir dieses oder jenes probieren?“ Und dann probieren wir das einfach aus … alle Ideen sind willkommen. Wenn das andere doch besser war, gehen wir eben wieder zurück, kein Thema. In diesem Sinne war die Zusammenarbeit für dieses Album viel besser, viel natürlicher als bei den Alben davor.

Ihr wechselt diesmal auch innerhalb der Songs oft das Tempo – auf dem letzten Album „Incoming Death“ hatten die Songs sich dahingehend nur untereinander unterschieden, waren aber in sich meist in einem Tempo komponiert. Habt ihr das diesmal bewusst anders gemacht?
Das ist mir erst aufgefallen, als das Album fertig war. Ich bin für das Erstellen der Tracklist zuständig, und normalerweise geht das ganz schnell. Ich denke da immer in Vinly, also: Die A-Seite endet mit „Three Of Famine“, die B-Seite mit „Necroceros“, logisch. Aber dann habe ich gemerkt, was alles nicht hintereinander kommen kann und dass es diesmal viel schwieriger war als normal. Da habe ich kapiert: Die Songs sind jetzt alle unterschiedlich! Da ist kein einziger, der die gleiche Struktur hat wie ein anderer. Aber während dem Aufnahme- und Arrangierprozess kam das ganz natürlich. Insgesamt sind viel weniger schnelle Passagen drin als auf den anderen Alben. „Botox Implosion“ ist der einzige Song, der wirklich Full-Speed geht. „The Sole Cure Is Death“ hat zwar einen schnellen Mittelteil, aber der Anfang und das Ende sind dann auch wieder anders …

„Unbewusst ist viel Dynamit reingekommen!“

Das finde ich das Bemerkenswerte, dass es auf „Necroceros“ auch mal mitten in einem langsamen Song voll abgeht …
Ja, manchmal waren wir uns beim Spielen einfach einig: Jetzt muss ein schneller Brecher kommen! Weil das eine ASPHYX-Tradition ist, dass auch mal richtig gerast wird. Das kommt dann einfach aus dem Riff vorher, vom ganzen Songaufbau her soll das so sein. Aber ja, unbewusst ist viel Dynamit reingekommen!

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Worum geht es auf den Texten des Albums, und wie fügen sich der Albumtitel und das Cover ins Gesamtwerk ein?
Die Songtitel und -themen sind alle verschieden. Der Albumtitel ist eigentlich schon ganz alt, den hatte ich schon ein paar Monate nach „Incoming Death“. Wenn eine Scheibe fertig ist, möchte ich immer schon einen Arbeitstitel für das nächste haben. Ich habe mit Wörtern herumgespielt und wir haben ja eine Tradition mit „Death“, das musste zuletzt immer rein. Warum also nicht mal „Necros“, also aus dem Griechischen? Dann habe ich das mit verschiedenen Wörtern zusammengebastelt, und kam über „Rhinoceros“ … „-ceros“ … auf „Necroceros“. „Hm, klingt gut! Jungs, wie hört sich das für euch an?“ – „Geil“ – „Dann wird das der Arbeitstitel. Fragt mich bloß nicht, worum es hier geht, das weiß ich noch nicht, aber der Titel steht!“.

Aber eine tiefere Bedeutung hat der Titel nicht?
Nein, nein … das Wort existiert im Englischen ja nicht einmal. So wie „Deathhammer“, das gibt es ja auch nicht. Aber ich mag damit herumspielen. „Deathhammer“ ist so eine Art Büchlein geworden, mit Richtlinien für Death Metal, und „Necroceros“ ist jetzt eben eine mächtige Entität aus einem unbekannten Universum, ein Planetenfresser, „Universum-Consumer“. Das ist meine verrückte Faszination für Science-Fiction- und Fantasy-Comics. Auf sowas steh ich zwischendurch, da habe ich mich jetzt mal ausgetobt.

„Das war ein riesen Schritt für uns,
mal nicht Dan Swanö zu nehmen.“

Alles in allem hat das Album extrem viel „Oldschool-Attitüde“ – das gemalte Cover, der Sound … findest du nicht auch? Und wenn ja, war das Absicht?
Was das Cover angeht: Ich habe Axel [Hermann, Anm. d. Red.] einfach erzählt, was ich dir gerade erzählt habe. Ich weiß, wie viele kranke Ideen er im Kopf hat, also habe ich ihn einfach machen lassen. Da können wir uns auf Axel verlassen, der kennt uns, unsere Musik und die Atmosphäre. Wenn ich dem ein paar Stichworte gebe, weiß er schon, was ich meine. Diesmal kam er mit diesem fantastischem Cover und Farben, die wir noch nie gehabt haben! Das finde ich auch so geil daran: Das passt total, weil ich das Gefühl habe, dass „Necroceros“ auch vom Sound und allem etwas düsterer ist als sonst. Das kommt beim Cover raus. Ansonsten hat das natürlich mit dem mächtigen Mix von Seeb [Sebastian „Seeb“ Levermann, Anm. d. Red.] zu tun. Das war ein riesen Schritt für uns, mal nicht Dan Swanö zu nehmen, sondern zu schauen, ob wir etwas frischen Wind reinbringen können. Aber das hat ja total funktioniert!

Bist du denn rückblickend mit dem Sound der letzten Produktionen von Dan Swanö nicht mehr zufrieden? Oder was hat euch zu diesem Schritt bewogen?
Nein, wir wollten einfach etwas Frisches! Wir sind vom Musikalischen her eine sehr konservative Band: Erwarte von ASPHYX keine großen Überraschungen. Das passt nicht zu uns, das würden uns unsere Fans nicht abkaufen. Aber auch, weil es momentan ja fast normal geworden ist, dass jede Death-Metal-Band zu Dan Swanö geht, dachten wir, dass es vielleicht auch mal gut ist, etwas anderes zu machen. Das das ist nichts gegen Dan … alle alten Platten, die er für uns gemacht hatte, waren super, die Zusammenarbeit war super … wir sind total happy. Und Dan ist ja auch ein Kumpel von uns, das ist mehr als nur eine professionelle Beziehung.

Martin mit ASPHYX live auf dem Dark Easter Metal Meeting 2017; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Wie seid ihr dann ausgerechnet auf Seeb gekommen, den man ja vorallem als Sänger und Keyboarder der Power-Metal-Band Orden Ogan kennt – nicht als Death-Metal-Produzent?
Wir haben einfach mal einen Song fertiggemacht, an ein paar Bekannte von uns geschickt und haben uns überraschen lassen. Ein paar haben ihn uns zurückgeschickt – und eigentlich war alles geil, aber das von Seeb stand einfach drüber. Wir hatten das Gefühl, dass das gut wird. Hinzu kommt, dass er zwar Power-Metal-Musiker und -Produzent ist, aber unseren Stil an Oldschool Death Metal mag. Es war ein Traum von ihm, mal so eine Scheibe zu produzieren! Das hieß für uns natürlich: Der wird seine ganze Seele in diese Produktion stecken – und das hat er am Ende auch. Deswegen ist es auch so geil geworden.

> Weiter zu Teil 2 des Interviews

Darin geht es um die Metal-Szene als solche: den derzeitigen Höhenflug von Bands der „alten Garde“, die Schwächen der Newcomer und Martins andere (ehemalige) Bands, GRAND SUPREME BLOOD COURT und HAIL OF BULLETS. Ach … und wer sind überhaupt Behemoth?

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert